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European Gendarmerie Force – eine paramilitärische


Eingreiftruppe gegen DemonstrantInnen?

Von Sebastian Jende

Die „European Gendarmerie Force“ (EUROGENDFOR oder EGF) ist eine


intergouvernementale Vereinigung von Teilen der nationalen Polizei der jeweiligen
Mitgliedsländer. Sie wurde von Spanien, Italien, Frankreich, Portugal und den
Niederlanden am 17. September 2004 in Noordwijk (Niederlande) gegründet.1
Bis zum heutigen Tag ist lediglich Rumänien als weiteres Mitglied beigetreten, hinzu
kommt Polen als Partner der EUROGENDFOR.
Der Vorschlag für die Errichtung einer europäischen militärischen Polizeitruppe
wurde von der heute amtierenden Justizministerin Frankreichs, Michèle Alliot-Marie,
eingebracht. Als die sozialen Unruhen in den Vororten von Paris, die sogenannte
Banlieue, und anderen französischen Städten im Jahr 2005 begannen, entwickelte
sich gerade in Frankreich das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer derartig
aufgestellten Polizeitruppe.
Ihr Hauptquartier liegt in Vicenza (Italien)2 und die Sollstärke dieser multinationalen
Polizeieinheit liegt bei 800 Mann, wobei 2300 zusätzliche Polizisten kurzfristig bereit
stünden, um die Kapazitäten der EGF zu erweitern, sollte dies notwendig werden.
Erstmals größere mediale Aufmerksamkeit erlangte die EGF durch ihren Einsatz auf
Haiti, in Folge des verheerenden Erdbebens im Januar 2010.3
Daran wird deutlich, dass die EGF nicht nur innerhalb der EGF-Mitgliedsstaaten aktiv
wird. Sie kann weltweit eingesetzt werden, wenn dies vom Land, in dem die EGF
aktiv werden soll, erwünscht wird.4
Nach diesen Vorbetrachtungen sollen im nächsten Abschnitt die folgenden Fragen
beantwortet werden:
Was die Aufgabengebiete der EGF sind,
in welchem institutionellen Kontext sie steht
und ob sie neben der Stabilisierung in Krisengebieten auch gegen europäische
und/oder deutsche DemonstrantInnen eingesetzt werden könnte.
Die Kernaufgaben der EGF sind im „Vertrag von Velsen“ niedergelegt, dem
Gründungsvertrag der EGF.
Hauptaugenmerk dieser Betrachtung soll die selbstgegebene Aufgabe der EGF sein,
Mensch und Eigentum zu schützen, sowie die öffentliche Sicherheit zu
gewährleisten, sollte es in einem Land zu Unruhen kommen.5

1
http://www.eurogendfor.org/referencetexts/EGF%20Treaty%20english%20version.pdf S. 2 letzter Abruf:
20.04.2010
2
Ebd. Artikel 3 b)
3
http://www.euronews.net/2010/01/25/earthquate-in-haiti-european-gendarmes-to-beef-up-haiti-security
letzter Abruf: 20.04.2010
4
http://www.eurogendfor.org/referencetexts/EGF%20Treaty%20english%20version.pdf Artikel 6.3
5
Ebd. Artikel 4 Punkt 3 e)
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Hier stellt sich die Frage, warum es dazu einer multinationalen Polizeitruppe bedarf.
Immerhin waren derlei Einsatzkräfte bei bisherigen Unruhen innerhalb der EU nicht
notwendig. Entweder rechnen die EGF-Mitglieder also mit einer Zunahme an
Aufständen oder sie versuchen die gesetzlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen
Nationalstaaten zu umgehen bzw. abzuändern, um die Verantwortung für die
öffentliche Ordnung an über den Nationalstaat stehende Ebenen und Institutionen
abzugeben.
Indes sind beide Vermutungen der Fall. Sowohl der Internationale Währungsfond6
(IWF), als auch die Weltbank7 warnen vor einer Zunahme der sozialen Unruhen in
Europa. Auch die CIA spricht in ihrem „Global Trends 2010“-Bericht von der
Notwendigkeit für die europäischen Regierungen, den Sozialstaat neu zu
verhandeln8, was als euphemistische Verklärung für Kürzungen im Sozialen
verstanden werden kann.
Um die daraus resultierenden möglichen Auseinandersetzungen mit den Völkern der
verschiedenen EU-Mitgliedsländer niederschlagen zu können, wurde die EGF
erschaffen. Dies ist nicht nur als weitergehende Vertiefung der Zusammenarbeit auf
europäischer Ebene zu verstehen, es hat für die Nationalstaaten auch einen
stabilisierenden Aspekt.
Dieser besteht darin, dass es dem eigenen Volk als Regierung nur sehr schwer zu
vermitteln wäre, wenn inländischen Polizeikräften große Teilen des sich
auflehnenden Volkes gegenüber stünden.
Geradezu frappierend ist der Fakt, dass die EGF nicht im Rechtsrahmen der EU
eingeordnet ist, nicht vom EU-Parlament kontrolliert wird9 und dennoch auf Geheiß
der EU aktiv werden kann.10
Ausschlaggebend für die Entsendung der EGF oder Teilen der EGF ist die
Entscheidung des sogenannten CIMIN, einem Rat der Verteidigungs-, Innen- oder
Außenminister der Mitgliedsländer.11
Es ist verwunderlich, dass die EGF ausschließlich aus EU-Mitgliedsländern besteht,
von der EU mit einem Einsatz beauftragt werden kann, jedoch der Jurisdiktion der
EU entzogen wird.
Im Falle von sozialen Unruhen in einem Mitgliedsland der EU könnte die EGF also
eingreifen und würde keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Dies ist ein
Demokratiedefizit, da das Parlament als einziges EU-Organ direkt von den Bürgern
der EU gewählt und legitimiert wird.
Wird die EGF also der parlamentarischen Kontrolle entzogen, so wird sie auch der
Kontrolle des Souveräns entzogen, dem sie zu dienen verpflichtet ist.

6
http://www.smh.com.au/business/world-business/imf-warns-of-civil-unrest-20090311-8ucj.html letzter
Abruf: 20.04.2010
7
http://pressetext.ch/news/090525022/weltbank-warnt-vor-sozialen-unruhen/ letzter Abruf: 20.04.2010
8
http://www.odni.gov/nic/special_globaltrends2010.html#europe letzter Abruf: 20.04.2010
9
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32244/1.html letzter Abruf: 20.04.2010
10
http://www.eurogendfor.org/referencetexts/EGF%20Treaty%20english%20version.pdf Artikel 5
11
Ebd. Artikel 7
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Die EGF ist darüber hinaus mit geheimdienstlichen Befugnissen ausgestattet12 und
müsste – jedenfalls nach deutschem Recht – einer parlamentarischen Kontrolle
unterliegen.
Als Vergleichsgröße werden hier die Nachrichtendienste Deutschlands
herangezogen.
Diese Nachrichtendienste, beispielsweise der Bundesnachrichtendienst (BND) oder
der „Militärische Abschirmdienst“ (MAD), unterliegen der Kontrolle des
Parlamentarischen Kontrollgremiums, einem zur Verschwiegenheit verpflichteten
Organ des Bundestages, welches aus neun Mitgliedern besteht.
Dieses Fallbeispiel aus Deutschland zeigt, dass eine mit geheimdienstlichen
Berechtigungen ausgestattete Institution zwingend einer Kontrolle unterliegen muss,
will man Vertrauen seitens der Bürger für eben diese Institutionen schaffen. Wie
diese Kontrolle en détail aussieht, ist selbstverständlich verhandelbar. Dieser
Aushandlungsprozess ist die Aufgabe der EU-Parlamentarier, da die EGF u.a. von
der EU um einen Einsatz ersucht werden kann.
Dies wird nicht getan, eben weil das Europäische Parlament gar nicht erst mit dieser
Aufgabe betraut wird.
Nachdem die Einordnung in den institutionellen Kontext nun vollzogen ist, soll im
Folgenden die Rolle Deutschlands im Hinblick auf die EGF untersucht werden.
Eine Mitgliedschaft in der EGF seitens Deutschlands wurde abgelehnt,
verfassungsrechtliche Bedenken waren hier der Auslöser.
Das Grundgesetz sieht eine strikte Trennung von Polizei und Militär vor, auch kann
das Militär lediglich bei Naturkatastrophen „… oder bei einem besonders schweren
Unglücksfall…“ im Inland aktiv werden.13
Diese Trennung würde aufgeweicht werden, sollte Deutschland als Mitglied der EGF
ein eigenes Kontingent bereitstellen, da die EGF nicht eine bloße europäische
Polizeieinheit ist, sondern durchaus Züge des Militärs in sich trägt.
Allerdings ist eine Mitgliedschaft Deutschlands innerhalb der EGF in Zukunft
durchaus denkbar.
Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat im März 2010 ein Papier vorgelegt,
in dem die Mitgliedschaft Deutschlands innerhalb der EGF erörtert wird.14
„Überdies erlauben ihnen [den zivilen Polizeieinheiten, S.J.] Mandat und
Einsatzregeln nicht, tödliche Waffen gegen Aufständische einzusetzen.“15
Diesem Missstand soll nach Meinung der SWP Abhilfe geschaffen werden, indem
man der Schaffung einer europäischen Gendarmerie zustimmt, da diese qua
Definition einen hybriden Status zwischen Polizei und Militär inne habe.16

12
Ebd. Artikel 4.3 c)
13
Vgl. Artikel 35 Abs. 2 Grundgesetz letzter Abruf: 20.04.2010
14
http://www.swp-berlin.org/en/common/get_document.php?asset_id=6882 letzter Abruf: 20.04.2010
15
Ebd. Seite 10
16
Ebd. Seite 12
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Der Studie der SWP zufolge solle Deutschland sich also einer Gendarmerie auf
europäischer Ebene nicht verschließen.
Der Bundestag ebnet einem Einsatz der EGF in Deutschland bereits jetzt den Weg.
Polizisten aus den Ländern der EU können nicht nur zur Unterstützung der
deutschen Polizei in Deutschland eingesetzt werden, ihnen wird auch der Gebrauch
von Schusswaffen explizit nicht untersagt.17
Alles in Allem ist die EGF also eine paramilitärische Polizeitruppe, deren vorrangiges
Ziel darin besteht, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU Aufstände
niederschlagen zu können.
Die Fakten, dass diese paramilitärische Gendarmerie nicht dem Rechtsrahmen der
EU unterliegt, sich keiner parlamentarischen Kontrolle auf EU-Ebene zu unterziehen
hat und darüber hinaus in weiten Teilen der Öffentlichkeit gänzlich unbekannt ist,
sind die problematischsten Aspekte der EGF.
Auf Deutschland bezogen ist das Erlauben des Schusswaffengebrauchs für
ausländische Polizeieinheiten und damit auch für die EGF in gleichem Maße
gefährlich wie unbekannt, da dieser Gebrauch der Schusswaffen – obschon Ultima
Ratio – der Fürsorgepflicht des Staates für seine Bürger zuwider läuft. Es stellt sich
die Frage, wie sich Angehörige der deutschen Polizei zu verhalten hätten, sollten
Truppen der EGF auf Deutsche schießen. Müssten sie das Feuer erwidern und die
eigene Bevölkerung schützen?
Über das Für und Wider einer Gendarmerie lässt sich nie schlussendlich eine
Einigung finden. In Ländern wie Frankreich oder Italien, in denen eine Gendarmerie
alltäglich ist, ist die Akzeptanz für eine derartige Eingreiftruppe ungleich höher als
beispielsweise in Deutschland, das traditionell auf eine strikte Trennung zwischen
Polizei und Militär Wert legt.
Wenn sich verschiedene EU-Mitglieder allerdings dazu entschließen, eine solche
europäische Gendarmerie zu initiieren und diese EU- und weltweit zum Einsatz zu
bringen, so muss das EU-Parlament ein Kontrollrecht inne haben, um eine
Rückkopplung zwischen Gesellschaft und EGF herstellen zu können.
Das weite Teile der Bevölkerung bis heute nicht um den Umstand wissen, dass eine
solche europäische Gendarmerie überhaupt existiert, ist Zeugnis des Desinteresses
der Bevölkerung einerseits, andererseits aber auch für die fehlende
Kommunikationsfähigkeit der EGF und ihrer Mitgliedsländer.
Unbekannt ist die EGF natürlich nur solange, bis sie den ersten größeren Einsatz
innerhalb der EU hat, spätestens dann sollte ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs
über die EGF einsetzen.

17
Drucksache 16/12585 des Deutschen Bundestages Seite 6 letzter Abruf: 20.04.2010

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