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Matthias Giger: PR-Fotos - Glanz anstatt Transparenz

PR-Fotos – Glanz anstatt Transparenz


Matthias Giger
Auf der Titelseite der Zeitschrift Annabelle (Nr. 2/11) sind die vier Bundesrätinnen
abgebildet. Geknipst hat das Bundesrätinnen-Foto die Starfotografin Brigitte
Lacombe. Es handelt sich offensichtlich um eine schmeichelhafte Aufnahme, die
einen starken Gegensatz zu
den Karikaturen in
Zeitungen und Zeitschriften
bildet. Die Wahrheit liegt
wie so oft irgendwo
dazwischen. «Ausgleichende
Gerechtigkeit», könnte man
sagen und sich nicht weiter
darum kümmern. Das Bild
wirft aber eine wichtige
Frage auf: Sollen sich
Staatsoberhäupter geschönt
darstellen lassen? Dass sie
es wollen, darüber besteht
kein Zweifel. Und noch eine
wichtige Frage steht im
Raum: Müssen denn
Staatsoberhäupter schön
sein? Schaut man über die
Grenzen nach Italien oder
Frankreich, so könnte man
meinen, dass Schönheit
tatsächlich Match
entscheidend ist. Denn
Silvio Berlusconi und
Nicolas Sarkozy setzen viel
daran, eine gute Figur zu Bild: Brigitte Lacombe
machen. Silvio Berlusconi Das Bild drückt Solidarität zwischen den Bundesrätinnen aus.
h a t s i c h s e i n e G l a t z e Die Bundespräsidentin und dienstälteste Bundesrätin des
wegmachen lassen. Glatzen Quartetts, Micheline Calmy-Rey, legt ihrer amtsjüngsten
vermindern die sexuelle Kollegin mütterlich schützend die Hände auf die Schulter.
Ausstrahlungskraft, deshalb Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zeigt (hier durchaus
rasieren sich beispielsweise wörtlich) Zuneigung.
Mönche eine Tonsur. Nicolas
Sarkozy versucht krampfhaft grösser zu wirken, als er ist. Kleiner gewachsene
Männer müssen für dieselbe Anerkennung weit mehr leisten. Das gilt wahrscheinlich
auch für weniger vorteilhaft aussehende Menschen. Zumindest scheint man gut
aussehenden Leuten eher einmal einen Fauxpas zu verzeihen. Dies hat seinen Grund
in der Evolutionsbiologie: Als schön gelten jene Eigenschaften, die ein äusseres
Zeichen für biologische Fitness sind.
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Matthias Giger: PR-Fotos - Glanz anstatt Transparenz

Die Schönheit und die Demokratie


Zurück zur Frage, ob sich Staatsoberhäupter geschönt darstellen lassen sollen. Bringt
es der Gesellschaft einen Vorteil, wenn die höchsten Politiker nach schöner
Ausstrahlung streben? Vermutlich kann dies für eine Gesellschaft aussenpolitisch
durchaus von Nutzen sein. Wahrscheinlich erreichen schöne oder geschönte
Politikerinnen und Politiker auf internationalem Parkett mehr. Was für Auswirkungen
hat es aber auf die für die Demokratie so wichtige Transparenz? Transparenz auf der
Medienmacher-Seite bedeutet nämlich Durchblick für die Mediennutzer.
Für die Reden und Statements in der Presse haben die Bundesrätinnen und
Bundesräte schon lange ihre Pressesprecherinnen und Pressesprecher. Interviews und
Zitate in Berichten müssen fast immer «autorisiert» werden. Bei Pressefotos ist das
aber höchst selten der Fall. Fotos lassen sich schlechter kontrollieren. Das ist aus der
Perspektive der Bürgerinnen und Bürger ganz gut so. Dadurch können sie –
zumindest auf Umwegen – auch hinter die Kulissen blicken. Die Politiker zeigen auf
nicht geschönten Aufnahmen ihr «ungeschminktes» Gesicht. Fotos schaffen einen
unmittelbareren Bezug zur Wirklichkeit, Durchblick eben. Bildern glauben wir eher
als Worten. Manchmal ist das auch gefährlich. Der Durchblick kann nur vorgegaukelt
werden. Es sei daran erinnert, dass sich heutzutage Fotos fast genauso leicht
kosmetischen Massnahmen unterziehen lassen wie ein Interview. Das gilt auch für
Fernsehauftritte. Sie können vor, während (siehe Nicolas Sarkozy, S. 5) oder nach der
Produktion beinahe mühelos manipuliert werden. Die meisten Fragen, die
Fernsehleute stellen, werden vorher abgesprochen. Hierzu eine Anekdote:
Bundeshaus-Redaktor Hanspeter Trütsch ist in Ebnat-Kappel gefragt worden, ob er
die Fragen, die ihm gestellt werden, nicht manchmal sehr blöd fände. Hanspeter
Trütsch meinte, dass die Korrespondenten die Fragen, die man ihnen stellt,
grösstenteils selbst formulieren würden.

Schönheitsideal und Frauenstimmrecht – passt das zusammen?


Die New Yorker Starfotografin Brigitte Lacombe wollte, dass die Bundesrätinnen
ganz natürlich aussehen, wie der Annabelle-Ausgabe zu entnehmen ist. Dennoch ist
es ein Unterschied, ob ein Pressefotograf ein Foto macht oder ob es eine
Starfotografin tut. Der Pressefotograf hat einen dokumentarischen Ansatz. Die
Starfotografin inszeniert – und sei es nun gespielte Natürlichkeit. Die Inszenierung
lässt sich am Label «Making-Of» ablesen, unter dem der einleitende Text steht. Es
verweist auf Spielfilme und damit auf Fiktion. Aber in Anbetracht der Zielgruppe von
Annabelle geht das wohl in Ordnung. Leserinnen der Zeitschrift sind sich inszenierte
Bilder gewohnt. Fotos dokumentarischen Charakters würden sie wohl eher irritieren.
Nebst voyeuristischem Geplänkel über die Entstehung des Portraits werden die
Leserinnen weiter hinten im Heft motiviert, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu
machen, wenngleich nicht direkt, sondern auf eine leicht verdauliche Art und Weise.
Zwielichtig ist es aber, dass gerade eine Zeitschrift das Frauenstimmrecht hoch hält,
die unterschwellig das Schönheitsideal der Modebranche als erstrebenswert diktiert.
Zwar sind auch reifere Frauen auf den Fotos zu sehen, die meist Accessoires und
Mode zeigen. Im Grossteil des Heftes wird aber das Ideal verbreitet, unter dem jene
junge Frauen leiden, die nicht dem vorgegebenen Schönheitsmuster entsprechen.
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Matthias Giger: PR-Fotos - Glanz anstatt Transparenz

Bild: Stefan Anderegg, St. Galler Tagblatt Bild: Brigitte Lacombe


Pressebild von Bundesrätin Simonetta Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf dem
Sommaruga an den Nationalratswahlen 2003. Bundesrätinnen-Portrait.

Bild: Coralie Wenger, St. Galler Tagblatt Bild: Brigitte Lacombe


Pressebild von Bundesrätin Doris Leuthard an Bundesrätin Doris Leuthard auf dem
der Olma-Eröffnung 2010 im Stadttheater. Bundesrätinnen-Portrait.

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Matthias Giger: PR-Fotos - Glanz anstatt Transparenz

Bild: Ralph Ribi, St. Galler Tagblatt Bild: Brigitte Lacombe


Pressebild von Bundespräsidentin Micheline Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey
Calmy-Rey an der Olma 2007. auf dem Bundesrätinnen-Portrait.

Bild: Sam Thomas, St. Galler Tagblatt Bild: Brigitte Lacombe


Pressebild von Bundesrätin Eveline Widmer- Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf auf dem
Schlumpf an der Verfassungsvernissage 2008. Bundesrätinnen-Portrait.

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Matthias Giger: PR-Fotos - Glanz anstatt Transparenz

Quelle Bild: DPA; Quelle


Fidel Castro im Krankenhaus. Ein inszeniertes Silvio Berlusconi verwundet im italienischen
Bild würde ganz anders ausschauen. Fernsehen.

Bilder wie diese sind gefährlich für das Image von mächtigen Politikern. Sie zeigen
Schwäche, Verwundbarkeit oder Eitelkeit. Hierbei handelt es sich um
dokumentarische Bilder.

Quelle
Nicolas Sarkozy steht auf einer Kiste, um
grösser zu wirken als er ist.

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