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© Uwe Fengler

Warum ich nicht verrückt wurde,


sondern lieber Künstler

Gute 20 Jahre habe ich als Krankenpfleger in


diversen Altenheimen und Kliniken
gearbeitet, meistens waren es psychiatrische
Einrichtungen, in denen ich tätig wurde. Oft
begegnete mir die Frage, ob das nicht
irgendwie abfärbe. Ich spürte wahrlich, das
man den Satz „... kann das nicht irgendwie
ansteckend sein?“ geradezu vermied.
Natürlich sind psychische Erkrankungen nicht
ansteckend, aber an dieser Stelle sollte ich
mich eigentlich fragen, warum arbeite ich da!
Hatte ich nicht nur einfach Glück, dass ich
mich auf der Seite der Schlüsselgewalt
befand? Hätte mein Leben nicht auch so
enden können, das ich auf der anderen Seite
gelandet wäre? Hätte ich mich dann
wiedergefunden, eines Tages, in einer Drehtür
und einem Mix aus Medikamenten und
schließlich keinen Ausweg mehr gewusst?

Ja, das hätte passieren können! Und gut ist es,


wenn der, der den Schlüssel in der Tasche
trägt, das auch weiß.

Oder sind vielleicht die, die den Schlüssel in


der Tasche tragen, die Verrückten, und die
von uns krank Gestempelten die eigentlich
Normalen? Sind sie in unseren Augen nur
anders und passen unserer Meinung nach
nicht in unsere Gesellschaft, weil wir sie in
unserem Verrücktsein einfach nicht verstehen
wollen und ihre Normalität nicht ertragen
können?

Darüber wollte ich nicht weiter nachdenken,


ich entschloss mich auszusteigen. Ich lebe
nun zurückgezogen in einem kleinen Ort in
Süddeutschland. Hier mache ich tagsüber
ausgedehnte Spaziergänge. Manchmal
unternehme ich auch Ausflüge in die nahe
Bergwelt.
Wenn ich wieder zu Hause bin, male ich
Bilder, oft die ganze Nacht durch. Ich male
dann, was ich tagsüber gesehen habe. Manche
Szene brennt sich so in meine Gedanken ein,
dass ich unterwegs auf einen Fotoapparat
oder eine Videokamera gut und gerne
verzichten kann. Und zu Hause male ich
dieses Bild dann nach. Ich sammele meine
Bilder ungerahmt und sehe sie mir ab und zu
bei einem Glas Wein an. Ich finde dann, dass
ich ein guter Maler bin, und bin zufrieden.
Bisher hat noch kein Mensch ein Bild von mir
gesehen, aber das ist mir irgendwie egal. Ich
finde es gut so, wie es ist.
Ich male fast alles; besonders lieb geworden
ist mir das Malen von Landschaften.
Gelegentlich versuche ich auch Menschen zu
malen, die mir unterwegs begegnet sind. Ich
kann mich zwar zunächst noch an sie
erinnern, es fällt mir jedoch schwer, ihre
Gesichter aufzumalen. Ich habe daher einfach
entschieden, dass die Porträtmalerei nichts
für mich ist.
Mit einer kleinen Ausnahme. Ich habe
begonnen, das Gesicht meiner Mutter anhand
eines Fotos zu malen. Das Ergebnis sieht gar
nicht so schlecht aus.
Seit ich hier lebe und male, sind mir keine
verrückten Menschen mehr begegnet.
Glauben Sie mir, es ist eine schöne Erfahrung,
wenn man endlich erkennt, wie normal alles
sein kann, wenn man nur will …

© Uwe Fengler

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