LITERATUR IST DAS WASSER, NACH DEM WIR DÜRSTEN

Auf FaceTime sehe ich sie hinter ihrem Schreibtisch sitzen, eine schöne Frau, mit großen Augen und einem sinnlichen Mund, die Lesebrille ins Haar gesteckt. Die Türkei sei ein sehr schwieriges Land für Journalist:innen und Schriftsteller:innen. Für alle, die mit Worten umgehen, aber auch für Künstler:innen und Karikaturist:innen. Denn Humor werde vom Autoritarismus nicht gebilligt. Als ich sie frage, ob sie in London andere türkische Exilanten träfe, erwidert sie: „Für mich ist die Nationalität eines Menschen nicht wichtig, sondern seine Persönlichkeit. Ich habe Freunde von ganz verschiedener Herkunft, Türken, Griechen, Iren, Schotten. Ich liebe die Vielfalt.“ Die Schriftstellerin, 1971 geboren, gehört zu den kosmopolitisch geprägten Türken, die sowohl gegen ultranationalistische Tendenzen in ihrem Heimatland kämpfen als auch das multiethnische Erbe des Osmanischen Reiches vor dem Vergessen bewahren wollen. Sie schreibt auf Türkisch und auf Englisch. Bisher hat sie 18 Bücher veröffentlicht, davon elf Romane. Ihr Werk, das viele literarische Preise erhielt, wurde in 54 Sprachen übersetzt. Die promovierte Politikwissenschaftlerin hat an verschiedenen Universitäten in der Türkei, den USA und Großbritannien gelehrt. Sie ist eine engagierte Fürsprecherin für Frauenrechte, LGBT-Rechte und Redefreiheit.
Frau Shafak, wie geht es Ihnen in London in Zeiten von Corona?
London hat sehr unter der Pandemie gelitten, und
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