Mein Tabu-Buch
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About this ebook
"Mein Vater hat, so erinnere ich mich, seine Gefühle nach Möglichkeit für sich behalten. Dass es diese Gefühle gab und dass es starke, aufwühlende Gefühle waren, daran lässt das Tabu-Buch keinen Zweifel. Er war Techniker und Perfektionist – nicht nur im Beruf, sondern in allen Bereichen seines Lebens. Dass er für sein Tabu-Buch die Lyrik wählte, eine Methode, die technisch perfekte Umsetzung strenger Regeln verlangt, scheint auf den ersten Blick dem Beschreiben spontaner Gefühle unangemessen, ist es im Grunde genommen aber nicht. Es haben wohl der Kampf mit Versmaß und Reim, die Suche nach den passenden Worten und dem korrekten Rhythmus seine Ratio derart in Beschlag genommen, dass sein Herz, bar jeder einschränkenden Kontrolle, endlich freie Bahn hatte." (Gustav Freudmann, Herausgeber)
Armin Freudmann
Armin Freudmann, geboren am 18. April 1915 in Wien als jüngstes Kind des jüdischen Ehepaars Gottfried und Pauline Freudmann. Schon in jungen Jahren wandte er sich vom jüdischen Glauben ab und der kommunistischen Idee zu. Nach Absolvierung des Gymnasiums begann er das Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule in Wien, das er aber nach dem Anschluss Österreichs als Nichtarier abbrechen musste. Wie seinen vier Geschwistern gelang es ihm, das Land vor Kriegsausbruch zu verlassen, er emigrierte 1938 nach Luxemburg, wo er seine erste Frau Sidonie heiratete. 1940 musste das junge Paar nach Brüssel weiterziehen, wo es sich dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung anschloss. Im Oktober 1942 wurden die beiden verhaftet und nach Polen deportiert. Sidonie wurde noch auf dem Transport von ihm getrennt und kurz darauf in einem Vernichtungslager ermordet. Seine Eltern wurden 1942 aus Wien deportiert und in Auschwitz ermordet. Sein Bruder Erich wurde als Widerstandskämpfer in Frankreich verhaftet und kurz vor der Befreiung, vermutlich im KZ Dachau, ermordet. Armin war bis zur Befreiung als Zwangsarbeiter in fünf verschiedenen Konzentrationslagern interniert. Er überlebte den fast zweimonatigen Todesmarsch vom Konzentrationslager Kittlitztreben (Polen) nach Buchenwald. Es gelang ihm danach, sich der tödlichen Evakuierung des Konzentrationslagers Buchenwalds zu entziehen und, bereits nach der Befreiung, eine Erkrankung an Flecktyphus zu überleben. Zeit seines Lebens schrieb Armin Freudmann – hauptsächlich Gedichte. Dank seiner Frau Annemarie sind sie großteils erhalten geblieben. Die KZ-Gedichte „So sang zu mir der Stacheldraht“ wurden 1992 als Buch veröffentlicht, 2009 folgte „Mein Tabu-Buch“. Die Herausgabe weiterer Gedichte ist in Vorbereitung. In seinen letzten zehn Lebensjahren wandte er sich Armin der theoretischen Mathematik zu und schuf interessante neue Theorien, die jedoch noch nicht veröffentlicht wurden. Er starb im Alter von 63 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit am 26. Dezember 1978 in Wien. (Gottfried Freudmann)
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Mein Tabu-Buch - Armin Freudmann
Wenn dieses Buch erscheint, ist mein Vater seit 31 Jahren tot. Das ist ein Zeitraum, fast so lang wie die Hälfte seines kurzen Lebens. Wer damals alt war, ist nicht mehr, wer jung war ist alt oder doch auf halbem Weg dahin, und die Welt, die ist inzwischen längst eine andere geworden. 1962 schrieb mein Vater erstmals ein Gedicht in sein Tabu-Buch und fügte in unregelmäßigen Abständen, mal mit kürzeren, mal mit längeren Pausen, Gedicht um Gedicht hinzu. Aus den Jahren 1971 – 1974 gibt es keine Eintragungen, die allerletzten entstanden kurz vor seinem Tod im Jahr 1978.
Das Tabu-Buch ist ein Taschenkalender in dunkelgrünem Kunstledereinband, ein Werbegeschenk der „Glocken- und Metall- Gießerei St. Florian" anlässlich des Jahreswechsels, das mein Vater im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit erhalten haben mag und das zu seinem späteren Verwendungszweck geradezu einlud.
Wir Kinder, meine beiden Geschwister und ich, erfuhren von der Existenz dieses Buches erst, als mein Vater nicht mehr war. Meine Mutter hatte, wie sie uns später erzählte, dieses Buch zuvor einmal geöffnet, es jedoch, kaum dass sie auf die Anfangszeilen gestoßen war, wieder weggelegt. „Lies erst darin, wenn ich gewesen, heißt es dort und der Titel „Mein Tabu-Buch
sprach für sich selbst.
Dass hinter dem Wort „Tabu" mehr steckt als der Schutz persönlicher Geheimnisse, hat sich mir erst jetzt, nach all den Jahren, offenbart. In vielen, in den meisten Gedichten dieser Sammlung, hat mein Vater seine Tabus in Frage gestellt – beim Versuch, ein klar umrissenes und über Jahrzehnte gültiges Lebens- und Weltbild mit den schmerzlichen Erfahrungen voran gegangener Jahre in Einklang zu bringen. Das war für einen Kommunisten und Revolutionär der sechziger und siebziger Jahre alles andere als selbstverständlich und mein Vater war Kommunist und Revolutionär – sein ganzes Leben lang.
Bis zum Beginn der sechziger Jahre, zugleich Beginn des Tabu- Buchs, schien die Welt einfach und unkompliziert. Der Imperialismus, vertreten durch die herrschende Klasse der USA und jener der in ihrer Einflusssphäre befindlichen westlichen Staaten, war der Feind der Menschheit gegen den es zu kämpfen galt. Auf der anderen Seite stand das von der Sowjetunion geführte sozialistische Lager, das seit Ende des Zweiten Weltkrieges im ständigen Vormarsch war. Das gab Hoffnung, selbst für die Revolutionäre eines Landes wie Österreich, in dem die Entwicklung ja eine ganz andere Richtung nahm.
Zu Beginn der sechziger Jahre kam es zum Bruch zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China, bei dem die russischen Kommunisten sich als Reformer, ihre chinesischen Gegenspieler als Bewahrer der reinen Lehre positionierten. Die Reinheit der Lehre hatte es auch meinem Vater angetan, selbst wenn er sich dadurch, wie sich bald herausstellte, diametral gegen seine Partei, gegen die Partei, wandte. Was das bedeutete, ist für jemand, der es nicht selbst erlebt hat, nicht vorstellbar.
Mein Vater verlor mit einem Schlag seine Partei, seine Genossen, seine Freunde – und die vorerst letzte Hoffnung auf einen baldigen Sieg der Revolution. Er wurde aus einer Familie ausgestoßen, die gut dreißig Jahre lang sein Ein und Alles gewesen war und dabei blieb ihm nichts von den schmerzlichen Begleitumständen erspart, mit denen eine solche Verstoßung notwendigerweise einhergeht.
So sah es aus, als er