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Paraguay - Erfolg ohne Industrie?: Wirtschaftsstrukturen und Praxisbeispiele
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Paraguay - Erfolg ohne Industrie?: Wirtschaftsstrukturen und Praxisbeispiele

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About this ebook

Nr. 1 im weltweiten Export elektrischer Energie und Biozucker
Nr. 2 im Export von Stevia
Nr. 4 bzw. 6 beim Export und Produktion von Sojaprodukten
Nr. 5 beim Chia-Export, Nr. 6 bei Mais, Nr. 10 bei Weizen- und Nr. 15 bei Reisexport
Nr. 8 beim weltweiten Rindfleischexport

Hätten Sie es gewusst? - Das alles ist Paraguay – und noch viel mehr.

Paraguay ist eines der wenigen Länder mit hohem landwirtschaftlichem Anteil, das auch international durchaus erfolgreich ist. Das Land erhält Entwicklungshilfe, exportiert aber gleichzeitig auf Weltniveau bei fast fehlender eigener Industrie.
Und dies trotz eines schlechten Bildungssystems und unvorstellbarer Korruption! Von außen betrachtet erscheint dies eigentlich unmöglich. Es ist jedoch in sich logisch und funktioniert irgendwie. Viele betriebswirtschaftliche Konzepte funktionieren anders als in Lehrbüchern beschrieben.

Anhand statistischer Daten und Praxisbeispielen werden das Land und seine Wirtschaft dem Leser veranschaulicht. Zahlreiche Beispiele zeigen u.a., welche Unternehmen und Konzerne es in Paraguay gibt und welch großen Einfluss diese auf die paraguayische Wirtschaft haben. Wussten Sie zum Beispiel, dass der jetzige Präsident Cartes eine Bank und über 25 weitere Unternehmen besitzt und der größte Tabakproduzent des Landes ist? Oder dass der Gründer der Vierci-Gruppe zu den Top 100 der reichsten Menschen Lateinamerikas gehört?
Dieses Buch richtet sich an Entscheidungsträger in Wirtschaft, Politik und Verwaltung ebenso wie an Studierende, potentielle Investoren und Auswanderer.

7 Kapitel, über 80 Abbildungen, Tabellen und konkrete Praxisbeispiele informieren übersichtlich auf 240 Seiten über die wichtigsten Bereiche und Merkmale der paraguayischen Wirtschaft: Aktuelle Gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, Infrastruktur, Arbeitsmarkt, Bildungssystem, Landwirtschaft, Industrie, Handel und Dienstleistungen, regionale Wirtschaftsstruktur, aber auch die Problembereiche wie Korruption und Umweltverschmutzung. Ein ausführliches Stichwortverzeichnis sowie ein Überblick über Literatur und Forschungsinstitutionen runden das Buch ab.
LanguageDeutsch
Release dateOct 16, 2014
ISBN9783735733184
Paraguay - Erfolg ohne Industrie?: Wirtschaftsstrukturen und Praxisbeispiele
Author

Kerstin Teicher

Dr. Kerstin Teicher, 1967 in Berlin geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre und Japanologie in Berlin, Kassel und Tokyo. Sie kennt Paraguay seit 20 Jahren, hat dort gelebt und reist regelmäßig durch das ganze Land. Sie steht in regelmäßigem Kontakt mit lokalen Hotels, Sehenswürdigkeiten und dergleichen und schreibt als Journalistin für das Monatsmagazin "Die Zeitung" über Paraguays Wirtschaft, Politik, Kultur und die neuesten Entwicklungen im Tourismussektor.

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    Paraguay - Erfolg ohne Industrie? - Kerstin Teicher

    genannt.

    1. Land ohne Meer - Paraguay im Überblick

    Paraguay ist ein südamerikanisches Binnenland mit Grenzen zu Argentinien, Brasilien und Bolivien. Mit 406.752 Quadratkilometern ist es ungefähr genauso groß wie Deutschland und die Schweiz zusammen bzw. etwas kleiner als der Irak (438.000 qkm).

    Mit dem 842 Meter hohen Cerro Tres Kandu als höchster Erhebung ist die Landschaft ähnlich flach wie Belgien oder die Niederlande. Abgesehen von teilweise sehr starken Stürmen und Regenfällen, die dann ganze Städte und Straßen unter Wasser setzen, kennt das Land keine Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche. Die zentrale Lage in Südamerika wird trotz seiner Binnenlage häufig als strategischer Vorteil genannt.

    Das Land ist von vielen Flüssen durchzogen (der Landesname bedeutet in Guaraní, der Sprache der Indigenen, in etwa „Wasser, das zum Wasser geht"). Der Rio Paraguay unterteilt das Land in zwei geographisch unterschiedliche Regionen; zum einen den Gran Chaco im Westen, der 60 Prozent der Landesfläche ausmacht, und den viel kleineren Osten, in dem allerdings 97 Prozent der Bevölkerung leben. Erkennbar ist diese Zweiteilung auf der Karte auch an den drei großflächigen Verwaltungsbezirke im Westen des Landes in Abbildung 2.

    Nach Angaben des Statistikamtes DGEEC hat Paraguay mit rund 6.672.000 Einwohnern 13 mal weniger Bewohner als Deutschland, aber ungefähr genauso viel wie das flächenmäßig nur ein Viertel so große EU-Land Bulgarien (6,9 Millionen).

    Die Bevölkerungswachstumsrate ist hoch – knapp 60% Prozent der Menschen sind unter 30 Jahre alt und nur 6,6% über 65 Jahre – damit weist die Altersverteilung eine nahezu idealtypische Pyramidenform auf. Die Lebenserwartung beträgt derzeit 76,8 Jahre bei der Geburt (Deutschland: 80,9 Jahre). Zu über 95 Prozent besteht die Bevölkerung aus Mestizen, einer Mischung der indigenen Gruppen und den spanischen Erobern. Dies liegt vor allem darin, dass einer der paraguayischen Präsidenten (José Gaspar Rodríguez de Francia) 1814 per Gesetz erzwungen hatte, dass Eheschließungen nur zwischen Indigenen und eingewanderten Europäern erfolgen durfte, um eine Mischung zu erreichen.

    Hauptstadt des Landes ist Asunción mit rund 500.000 Einwohnern, auch wirtschaftlich die bedeutendste Stadt des Landes. Im Ballungsraum Asunción gibt es weitere Großstädte wie San Lorenzo (237.000 Einwohner), Luque (224.000), Lambaré (128.000 Einwohner) und Fernando de la Mora (121.000) sowie ein wenig weiter entfernt Capiatá (215.000), und Itauguá, die das Einzugsgebiet der Hauptstadt stark erweitern. In und um Asunción herum (d.h. inklusive dem Verwaltungsbezirk Central, von dem aus Asunción in maximal rund 1,5 Stunden erreichbar ist) leben damit rund 40 Prozent aller Einwohner. Weitere große Städte sind Ciudad del Este im Osten des Landes an der Grenze zu Brasilien mit knapp 240.000 Einwohnern und Encarnación im Süden mit 77.000 Einwohnern. 60 Prozent aller Paraguayer leben nach paraguayischer Definition in urbanen Gebieten. Dies macht sich auch wirtschaftlich bemerkbar: 85 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden in und um Asunción und Ciudad del Este erwirtschaftet. Das Stadt-Land-Gefälle ist in fast allen Bereichen – neben der Wirtschaft auch beispielsweise in der Bildung– sehr hoch.

    Tabelle 1 zeigt einige Eckdaten Paraguays im Vergleich zu anderen Ländern. Brasilien und Argentinien als wirtschaftlich wichtige Nachbarländer sind dort ebenso wie Deutschland aufgeführt. Dänemark hat vergleichbare Einwohnerzahl und landwirtschaftliche Nutzfläche, während Ecuador als Beispiel für ein anderes lateinamerikanisches Schwellenland dient, das in vielen Bereichen interessante Parallelen zu Paraguay aufweist.

    Tabelle 1:Eckdaten Paraguays im Ländervergleich

    Anmerkungen: (a) 2013 pro Kopf in USD nach Kaufkraftparitäten – (b) in % der Landesfläche – (c) in % des BIP 2013 – (d) Je höher der GINI-Koeffizient (zwischen 0-100), desto ungleicher sind Vermögen bzw. Einkommen in einem Land verteilt. Stand 2013 (e) Nach Transparency International 2012. Platz 1 bedeutet geringste Korruption (f) In Paraguay wurde die Einkommensteuer erst 2013 schrittweise eingeführt und zunächst für Großverdiener. Die überwiegende Mehrheit der Paraguayer zahlt keine Einkommensteuer. In Dänemark sind in der Einkommensteuer bereits Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung und Rentenversicherung enthalten. Der Spitzensteuersatz von 59% wird bereits ab Einkommen von lediglich rund 52.000 Euro erreicht.

    Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Daten von IndexMundi, CIA Factbook, www.factfish.com, Compendio Estadístico 2012, Datenreport Deutschland 2013, de.statista.com, www.laenderdaten.de u.a.

    Paraguay war lange vor der spanischen Besiedelung von indigenen Völkern, beispielsweise den Guaraní, bewohnt und wurde erst 1537 von den Spaniern erobert und besiedelt – gleichzeitig wurde damals auch die Stadt Asunción gegründet. 1811 erlangte das Land Unabhängigkeit als souveräner Staat. Als Folge ist Paraguay als eines der wenigen Länder mit zwei Amtssprachen, von denen eine zudem indianischen Ursprungs ist – Spanisch und Guaraní. Die Vor-und Nachteile sowie Konsequenzen dieses Bilinguismus werden aus linguistischer und sozialer Perspektive immer wieder untersucht, für die Wirtschaftspraxis hat das Guaraní jedoch nur in der Landwirtschaft eine Bedeutung (vergleiche hierzu bspw. Abschnitte 6.3 und 6.5 über die Mennoniten und Japaner als Arbeitgeber).

    Die Währung des Landes heißt genauso wie die zweite Amtssprache Guaraní. In diesem Buch wird überwiegend die offizielle Abkürzung PYG verwendet, landesintern wird er zumeist mit „Gs" abgekürzt. Er schwankt zum Euro sehr stark, wobei er aus Eurosicht gesehen in den letzten 10 Jahren um 30 Prozent gestiegen ist (Abbildung 1).

    Abbildung 1: Wechselkursentwicklung Euro zu Guaraní

    Anmerkung: Offizielle Wechselkurse jeweils zum 1. eines Monats. Y-Achse: Guaraní. Darstellt ist der Wechselkurs im Verhältnis 1 Euro zu Guaraní.

    Quelle: Eigene Darstellung nach Wechselkursinformationen von www.finanzen100.de

    Der Kurs des Guaraní sowohl zum Euro als auch zum US-Dollar schwankt auch unterjährig recht stark, abhängig unter anderem von Devisenzuflüssen nach landwirtschaftlichen Ernten. Größere Anschaffungen – beispielsweise ein Autokauf – werden überwiegend in US-Dollar angegeben und auch bezahlt.

    Eingeteilt ist das Land in 17 „Departamentus" genannte Verwaltungsdistrikte bzw. -bezirke ähnlich den Bundesländern (vgl.Tabelle 2). Nur drei dieser Verwaltungsbezirke liegen in der schwach besiedelten Chacoregion (Presidente Hayes, Boquerón und Alto Paraguay), die anderen liegen im dichter besiedelten Ostparaguay (siehe auch Abbildung 2).

    Tabelle 2:Übersicht über die paraguayischen Verwaltungsbezirke/Departamentos

    Quelle: Daten nach Compendio Estadístico 2012, eigene Zusammenstellung

    Abbildung 2: Landkarte - Paraguay nach Verwaltungsbezirken

    Quelle: www.mapsofworld.com mit eigener Übersetzung

    Innerhalb Südamerikas gilt Paraguay als sehr sicheres und sozial verhältnismäßig gut positioniertes Land, wenn man die typischen Probleme eines Entwicklungslandes außer Acht lässt: die Kriminalität ist vergleichsweise gering (nach einigen Statistiken sogar das Land mit der geringsten Gewalt in Lateinamerika), die offizielle Alphabetisierungsrate ist mit rund 94 Prozent hoch, es gibt relativ wenig Auseinandersetzungen, die Bevölkerung ist sehr fremdenfreundlich.

    Seit 1990 ist Paraguay politisch gesehen eine demokratische Präsidialrepublik, wobei das Land üblicherweise nicht als völlig freie Demokratie bezeichnet wird: mit 61 Jahren Herrschaft nur einer einzigen Partei (Partido Colorado) und dem – deutschstämmigen – Diktator Stroessner, der von 1954 bis 1989 an der Spitze des Landes herrschte, sind die Parteienstrukturen noch immer sehr verkrustet und weit von einem echten Pluralismus entfernt. Auch der gegenwärtige Präsident Horacio Cartes (seit August 2013, siehe auch Tabelle 3) gehört dieser Partei an, allerdings erst seit wenigen Jahren.

    Wie in vielen jungen Demokratien nach jahrelanger Diktatur wird Stroessner – trotz Kritik wegen seiner Menschenrechtsverletzungen – zugute gehalten, dass er in seiner Amtszeit die Landwirtschaft weiterentwickelt und das Bildungssystem sowie Investitionen und Einwanderung gefördert habe. Der Preis für „Recht und Ordnung, die er etabliert hatte, war unter anderem eine hohe Autoritätshörigkeit unter der Bevölkerung, die es in den 35 Jahren seiner Amtszeit fast völlig verlernt hat, eine eigene Meinung aufzubauen und selbständig tätig zu werden. Der heute in Paraguay oft sichtbare Mangel an Eigeninitiative, das Warten auf das „Schicksal von oben wird vielfach als Konsequenz dieser Epoche interpretiert.

    Tabelle 3:Präsidenten Paraguays seit der Stroessner-Diktatur

    Quelle: Eigene Zusammenstellung

    In Paraguay herrscht Religionsfreiheit. De facto ist das Land überwiegend christlich. Römischkatholisch sind 89,6 Prozent aller Einwohner, gefolgt von 6,2 Prozent Protestanten, 1,1 Prozent andere christliche Richtungen, 1,1% Angehörige anderer Religionen und 1,9 Prozent sind ohne Angabe/Religionszugehörigkeit.

    Wirtschaftlich gesehen ist Paraguay ein Schwellenland mit reichem Naturraumpotential und hohem Anteil an Landwirtschaft, aber relativ wenig Bodenschätzen (bislang auch gar nicht gefördert), einem hohen informellen Sektor, sehr geringer Markttransparenz, aber hohem Potential an wirtschaftlicher Profitabilität. Der öffentliche Haushalt ist sehr gesund und erwirtschaftet in vielen Jahren Überschüsse, es gibt keine Netto-Auslandsschulden; die Einnahmen durch die beiden binationale Wasserkraftwerke Itaipú und Yacyretá sind hoch. Das Wirtschaftswachstum vor allem in den 2000er Jahren war meist sehr hoch, von wenigen Ausreißern durch die systemisch bedingte Volalität der landwirtschaftlich geprägten Struktur des Landes abgesehen. 2013 war Paraguay in Amerika die am stärksten wachsende Volkswirtschaft und lag weltweit immerhin an dritter Stelle. Die Inflation ist gering (vgl .auch Tabelle 1). Der tertiäre Bereich ist ebenfalls stark ausgeprägt, v.a. was die Anzahl der Beschäftigten betrifft, während eigene Industrie fast gar nicht vorhanden ist.

    Nach wie vor werden 23,25 Prozent der Wertschöpfung des Landes im primären Sektor erwirtschaftet, wohingegen es in Deutschland bzw. den USA nur 0,9 bzw. 1,4 Prozent sind. Auch die Nachbarländer Brasilien (6,7%), Argentinien (9,9%) aber auch Bolivien (11,3%) weisen wesentlich geringere Anteile des primären Sektors als Paraguay auf.

    Im Hinblick auf Exportanteile ist der Agrarsektor sogar mit rund zwei Dritteln der Exporterlöse wichtigster Devisenbringer für Paraguayer – exportiert werden vor allem Rindfleisch und Soja. Weltweit gehört Paraguay bei einigen landwirtschaftlichen Produkten trotz relativ geringer Landesfläche (nur 5% der Landesfläche von Brasilien) absolut gesehen immerhin zu den führenden Produzenten bzw. Exporteuren. So ist Paraguay

    weltführend im Export organischen Zuckers

    Nummer 2 der Welt beim Export von Stevia

    Nummer 3 der Welt beim Export von Yerba Mate

    Der sechstgrößte Sojaproduzent und der viertgrößte Sojaexporteur der Welt

    Nummer 5 bzw. 6 beim Export von Chia und Mais

    Der achtgrößte Rindfleischexporteur der Welt und

    an 10 bzw. 15. Stelle aller Länder bei Weizen- bzw. Reisexport.

    Ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor ist daher auch die Energieerzeugung, da das Land über sehr große Energieressourcen aus Wasserkraft verfügt; pro Kopf ist das Land sogar größter Stromexporteur der Welt (hauptsächlich ins benachbarte Brasilien). Über 99 Prozent seiner Energie bezieht Paraguay aus Wasserkraft und hat weltweit nach Argentinien die zweitniedrigsten Industriestrompreise, was es prinzipiell für die produzierende Industrie interessant macht.

    Der Dienstleistungssektor wächst in den letzten Jahren sehr stark und stieg allein von 2004 bis 2012 von 49,8 auf 56,4 Prozent der Wertschöpfung des Landes. Der Anteil des sekundären Sektors an der Wertschöpfung beträgt 20,35 Prozent und ist zwar in den letzten Jahren moderat steigend, aber im internationalen Vergleich nach wie vor sehr niedrig.

    Seit den 2000er-Jahren boomt der Baubereich; fast im Tagesrhythmus werden neue Großprojekte angekündigt (vergleiche hierzu Kapitel 5.5). Dabei profitiert der Sektor von den nach wie vor im internationalen Vergleich günstigen Landpreisen. So überstiegen die Investitionen im Immobiliensektor im Jahr 2013 die Marke von 500 Millionen US-Dollar.

    Auch im Bereich der ausländischen Direktinvestitionen ist ein deutlicher Aufwind zu spüren; nicht zuletzt dank zahlreicher staatlicher Anreize sowie niedriger Steuern entscheiden sich mehr Unternehmen für eine Investition in Paraguay bzw. kehren auf den Markt zurück (vergleiche hierzu Kapitel 3.5.4). 2011 konnte das Land Neuinvestititionen in Höhe von 566 Millionen US-Dollar verzeichnen.

    Insbesondere der neue Präsident Cartes schließlich ist ein starker Förderer von Privatisierung und Public Private Partnerships. Die Telekommunikationsbranche ist seit einigen Jahren liberalisiert; die privaten Anbieter haben im Vergleich zum Incumbent signifikant höhere Marktanteile (vergleiche Kapitel 5.3). Aber auch im für Paraguay sensiblen Bereich der Zementindustrie gibt es nun neben der staatlichen Produktionsfirma einen zweiten Produzenten. Weitere Bereiche wie der Flughafen, die staatliche Stromgesellschaft usw. sind in der Diskussion, privatisiert zu werden. Im Oktober 2013 wurde unter Cartes auch das Public Private Partnership-Gesetz verabschiedet; eine koreanische Firma hat die erste Ausschreibung zum Ausbau einer Autobahn gewonnen.

    Gleichzeitig ist Paraguay aber auch ein Land mit

    einer sehr hohen Ungleichheit hinsichtlich Vermögens- und Landverteilung. Nach offiziellen Definitionen der Weltbank lebt fast die Hälfte Paraguayer unter der Armutsgrenze, während die Reichen auch nach deutschen Maßstäben extrem reich sind. Der GINI-Koeffizient für Paraguay liegt mit 52,4 weltweit auf einem der schlechtesten Plätze,

    einer sehr geringen Markttransparenz. Weder veröffentlichen Aktiengesellschaften oder andere große Firmen Umsatz- oder sonstige Zahlen, noch gibt es gut recherchierbare und vergleichbare Preise oder auch nur Anbieterübersichten.

    einem geringen Einkommensniveau für die Mehrheit der Bevölkerung – der gesetzliche Mindestlohn beträgt derzeit rund 300 Euro monatlich (1,8 Millionen Guaraní; Stand: 2014),

    einem sehr starken Stadt-Land-Gefälle in Bezug auf Arbeitsmöglichkeiten, Bildungschancen, Infrastruktur etc.,

    negativen Ausprägungen vieler Entwicklungsländer, wie beispielsweise Korruption, Rechtsunsicherheit, schlechtes Bildungssystem usw.

    Auf viele Aspekte wird in diesem Buch in den weiteren Kapiteln detailliert eingegangen.

    Abbildung 3: Wachstum des paraguayischen Bruttoinlandsproduktes

    Anmerkung. Balken und y-Achse in Millionen US-Dollar.

    Quelle: Eigene Darstellung nach www.mic.gov.py

    Worauf die paraguayische Regierung immer wieder stolz verweist, ist das – auch im weltweiten Vergleich – hohe Wirtschaftswachstum, die vergleichsweise niedrige Inflation sowie die niedrigen Auslandsschulden. In der Tat konnte Paraguay beispielsweise 2010 die höchste BIP-Wachstumsrate innerhalb des Wirtschaftsraums Lateinamerika registrieren, gefolgt von Uruguay, Peru und Argentinien. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich ist, zeigt das paraguayische Bruttoinlandsprodukt stark steigende Tendenz, wobei die Zuwachsraten zum Teil zweistellig sind. Der Einbruch im Jahr 2009 ist auf die weltweite Finanzkrise sowie eine landesinterne Dürre zurückzuführen.

    Dementsprechend sieht die deutsche Germany Trade und Invest (GTAI) in ihren regelmäßigen gesamtwirtschaftlichen Einschätzungen Paraguay als ein Land mit vielen kompetitiven Vorteilen, dessen Entwicklung jedoch trotz Verbesserungen in den letzten Jahren noch immer durch administrative Hürden und Korruption sowie Rechtsunsicherheit gehemmt ist. Viele Vorteile des Landes wie niedrige Faktorkosten (insbesondere Lohn und Energie), aber auch die geringe Unternehmenssteuerlast, der große Absatzmarkt in den Nachbarländern oder die einfachen Einwanderungs- und Niederlassungsbedingungen können so nicht genutzt werden. Auch die nach wie vor mangelnde Infrastruktur des Landes sowie die schlechte Bildung der Bevölkerung verhindern ein weiteres wirtschaftliches Wachstum sowie Investitionen ausländischer Produktions- und Dienstleistungsunternehmen.

    2. Daten ohne Auswertung - Wissenschaft und Forschung zu Paraguays Wirtschaft

    Sucht man in der deutschsprachigen Literatur nach Informationen über Paraguay, trifft man zunächst hauptsächlich auf Veröffentlichungen (sowohl online als auch im Printbereich) zur Thematik des Auswanderns. Grenzt man die Suche auf wirtschaftsbezogene Informationen ein, dann stellt man fest, dass es insgesamt sehr wenig Monographien über die paraguayische Wirtschaft gibt Auch in Zeitschriften gibt es selten ausschließlich auf Paraguay bezogene Artikel. Die wenigen Artikel oder Bücher, die zu finden sind, beziehen sich überwiegend auf eine sehr begrenzte Anzahl von Themen: Entwicklungspolitik, Landwirtschaft, Korruption, soziale Ungleichheit, politische Entwicklung, selten auch (und eher in den 1970er/1980er Jahren) zu Bildung. Wird die Suche auch auf spanisch- und englischsprachige Quellen ausgeweitet, sieht das Bild nur wenig anders aus.

    Nach Analysen des Iberoamerikanischen Instituts (IAI) Berlin ist die wirtschaftswissenschaftliche Lateinamerikaforschung in Deutschland sehr begrenzt – sowohl an Universitäten als auch auf die vorhandenen wissenschaftlichen Stellen. Wirtschaftswissenschaftliche Professuren mit Lateinamerikabezug gibt es gegenwärtig an folgenden Universitäten: Flensburg, Göttingen, Heidelberg, Köln, Leipzig, Berlin und Mannheim. Nur eine davon, so die Studie, hat den Lateinamerikabezug explizit in ihrem Titel verankert, ebenso ist dies der Fall bei einigen Juniorprofessuren. Immerhin, dies zeigt der Vergleich der Autoren in der Studie, die sowohl 2009 als auch 2012 aktuelle Ergebnisse veröffentlichten, hat sich die Zahl der Stellen zwischen 2007 und 2011 erhöht: 2007 wies das IAI in ganz Deutschland nur 18 Stellen mit Lateinamerikabezug in der Wirtschaftswissenschaft auf, davon 13 an Universitäten (jedoch keine einzige Vollprofessur) und 5 an außeruniversitären Einrichtungen mit Forschungsbezug. 2011 waren es immerhin insgesamt 24 Stellen, davon 16 an Universitäten (im Vergleich zu 2007 wurde die zunächst gestrichene Professur an der FU Berlin wieder besetzt). An den außeruniversitären Einrichtungen ist zwar die Zahl der Planstellen gleich geblieben, jedoch die der Projektstellen auf 3 gestiegen. Zu diesen Einrichtungen gehören das Institut für Weltwirtschaft (Kiel) und das Ibero-Amerika Institut für Wirtschaftsforschung (Göttingen).

    In der deutschsprachigen Forschungslandschaft gibt es eine Reihe wirtschaftsorientierter bzw. sozialwissenschaftlicher Institutionen. Wenige verbinden dies jedoch explizit mit Lateinamerikabezug, und umgekehrt sind wenige regionalwissenschaftlich orientierte Institutionen wirtschaftsorientiert. Hierzu gehört vor allem mit 90 Wissenschaftlern das Forschungsinstitut GIGA in Hamburg, das Lateinamerika als eine von vier Weltregionen erforscht. Seinen Schwerpunkt legt es vor allem in seiner international vergleichenden Forschung (Comparative Area Studies). Von den Wissenschaftlern des GIGA, die alle gemäß der Matrixforschungsorganisation des GIGA sowohl einen bzw. mehrere Fachgebiete sowie einen oder mehrere Länderschwerpunkte aufweisen, haben mehrere Wissenschaftler einen expliziten Lateinamerikabezug (Stand 2014). Ausgewiesenes Paraguaywissen hingegen haben immerhin der kommissarische Präsident Detlef Nolte sowie gegenwärtig zwei Doktoranden.

    Daneben gibt es einige wirtschaftsorientierte Organisationen, die die lateinamerikanische Wirtschaft aus und für die Praxis analysieren bzw. dokumentieren. Hierzu gehören die diversen deutschen Auslandshandelskammern – eine davon sitzt auch in Paraguay –, die regelmäßig Daten zur Wirtschaft Lateinamerikas veröffentlichen. In noch aggregierterer Form erfolgt dies auch durch die bundeseigene Gesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI,

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