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Der König vom Stuttgarter Platz: Ein Ludenleben ohne Filter
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Der König vom Stuttgarter Platz: Ein Ludenleben ohne Filter

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In der Nachkriegszeit war der Stuttgarter Platz der bekannteste Rotlichtkiez von West-Berlin. Hier befanden sich Arbeiterkneipen neben Bars und Nachtclubs, Messegäste wurden von diesem Milieu ebenso magisch angezogen wie englische Besatzungssoldaten, die jedes Wochenende kräftig über die Stränge schlugen – was durchaus wörtlich zu nehmen ist, denn brutale Schlägereien waren an der Tagesordnung. Illegale Spielclubs gediehen in diesem Umfeld, die Polizei führte Razzien durch, Prostitution war allgegenwärtig und der Hauptgrund dafür, dass diese unscheinbare Ecke Berlins in allen gesellschaftlichen Schichten so beliebt war.
Einer der Männer, die hier das Sagen hatten, war Bernd Termer, der „König vom Stuttgarter Platz“. Ihm gehörten mehrere Bars, Nachtclubs und Cafés, er war ein bekannter Zuhälter und Besitzer einer museumsreifen Oldtimersammlung. Am Ende wurde er von der Polizei über „Aktenzeichen XY“ gesucht, von einem SEK-Kommando gefasst und vor Gericht gestellt. Erstmals erzählt er hier, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, vom Aufstieg und Niedergang des Stuttgarter Platzes. Spannend, drastisch und ungeschminkt schildert er sein bewegtes Leben, wie er vom Straßenbauarbeiter und Kohlenträger an die Spitze des Rotlichtmilieus aufstieg, wie es hinter dessen Kulissen zugeht – und warum diese Welt heute Vergangenheit ist.
LanguageDeutsch
Release dateNov 4, 2014
ISBN9783735715272
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    Der König vom Stuttgarter Platz - Bernd Termer

    54

    1

    Als ich nach Hause kam, wartete bereits die Polizei auf mich. Es waren nicht die harmlosen Streifenbullen in ihren properen grünen Uniformen, die mit ein oder zwei Hunnis stets zufrieden sind. Nein, es handelte sich um ausgebuffte, gut ausgebildete Jungs in eng anliegender, schwarzer Kampfmontur, ausgerüstet mit Helmen, deren dunkles Visier ihre Gesichter unkenntlich machte, durchschlagsstarken Pistolen und schusssicheren Westen. Das SEK, das Sondereinsatzkommando des Landeskriminalamts. Jene Truppe, die nur bei den ganz schweren Fällen ausrückt.

    Fällen, wie ich einer war.

    Ich bemerkte sie nicht gleich, sie hatten sich gut versteckt. Es war eine uneinsehbare Stichstraße in einem Berliner Villenviertel, das bereits in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als gute Gegend angesagt gewesen war.

    Knorrige alte Bäume beiderseits des Kopfsteinpflasters bildeten eine dichte Allee, die antiken Straßenlaternen hatten die Verwüstungen des Krieges unbeschadet überstanden. Jedes der großbürgerlichen Häuser, deren Stil von der Gründerzeit über Historismus und Jugendstil bis zum Bauhaus reichte, war von einer mehr oder minder hohen Mauer und einem Garten umgeben.

    Die Villa, die ich mir von meinem hart verdienten Geld geleistet hatte, war eine Festung. Die Außentüren hätten selbst einer Granate widerstanden. Das Panzerglas in den Fenstern und die Gitter aus gehärtetem Stahl sowie die immens teure Alarmanlage mit einer Direktverbindung zur Polizei verschafften mir ein halbwegs ruhiges und sicheres Gefühl. Zumal ich damals schon lange nicht mehr der einsame Wolf meiner frühen Jahre war. Ich war verheiratet, mein Sohn war knapp zehn Jahre alt. In den Kreisen, in denen ich mich bewegte, machte mich das verwundbar.

    In jener Nacht war ich allerdings allein, sogar mein Hund war nicht da. Ich hatte ihn für ein Tage in die Tierklinik gegeben, weil er Nierenprobleme hatte. Meine Frau und mein Sohn machten Urlaub auf Hawaii. Ich hatte in meinen Läden nach dem Rechten geschaut. Sechs waren es damals, sie alle liefen prächtig. Ich hatte keinen Grund zur Klage.

    Es war noch nicht so wie heute, da unsereins Frauen fast schon auf den Knien anflehen muss, dass sie für einen arbeiten. Ich meine richtig gute Frauen, die Stil und Klasse haben und nicht nur mit aufgespritzten Lippen und vergrößerten Brüsten protzen. Frauen, die in der Lage sind, ein paar zusammenhängende, sinnvolle Sätze halbwegs verständlich in deutscher Sprache herauszubringen, während sie ihren Piccolo trinken und die Gäste bezirzen.

    Solche Frauen sind Mangelware heutzutage. Niemand will mehr auf diese Weise arbeiten, den Leuten geht’s zu gut. Obwohl die Verdienstmöglichkeiten gerade deshalb sehr beachtlich sind. Das Milieu geht vor die Hunde.

    Ich trug sämtliche Einnahmen dieser Nacht bei mir. Ein kapitaler Fehler, ich ärgere mich noch heute darüber und darf gar nicht daran denken. Es war eine gute Nacht gewesen, ein Samstag, ich erinnere mich genau. Es war Grüne Woche, die alljährliche Landwirtschaftsmesse, und das bedeutete, dass es hoch herging bei uns. In Berlin wollten die Bauern, die sonst aus ihren Kuhställen nicht herauskamen, natürlich was erleben, und so zogen sie, am frühen Abend schon, hordenweise zum Stuttgarter Platz. Er liegt dem Messegelände am nächsten und ist sogar zu Fuß leicht erreichbar.

    Es war mein Revier. Hier war ich groß geworden, ich war der Platzhirsch. Es gab Leute, die ehrfürchtig von mir als dem „König, dem „König vom Stuttgarter Platz redeten. Ich sah mich, viel bescheidener, als Geschäftsmann. Als erfolgreichen Geschäftsmann, zugegeben. Ungefähr zwölf Prozent aller Einnahmen, die in den Bars, Spelunken und Kneipen der Gegend anfielen, gingen an mich, einer meiner kreativen Buchhalter hatte es mal ausgerechnet. So lief das über viele Jahre.

    Ich hatte noch einen Absacker getrunken, ein oder zwei Whisky-Cola, vielleicht auch drei, und war wohl deshalb etwas unaufmerksam. Sonst wäre mir der graue Lieferwagen mit der Aufschrift „Rohr frei!" (das fanden sie wohl witzig) gleich aufgefallen. In dieser Straße wohnten keine Handwerker, kein einziger, das hätten sie sich gar nicht leisten können. Auch der schwarze SUV mit den abgedunkelten Scheiben gehörte nicht hierher. An die beiden Typen mit den Sonnenbrillen, die darin saßen und scheinbar gelangweilt nach vorne blickten, erinnerte ich mich erst im Nachhinein. Dass jede zweite Straßenlampe nicht brannte, so dass es viel dunkler war als sonst, war ebenfalls nicht normal.

    Aber das alles fiel mir nicht auf, als ich mit meiner knallroten 57er Corvette in die Straße einbog. Klar, auffälliger ging es nicht, doch ich hatte ja nicht wirklich etwas zu verbergen. Die antiquierte Starrachse des alten Sportwagens gab jeden einzelnen Rumpler übers Kopfsteinpflaster direkt an meine Wirbelsäule weiter, diese Unbequemlichkeit war der einzige Nachteil dieser exklusiven Wohngegend. Ansonsten war es sicher, still und ruhig hier.

    Bis jetzt. Es war genau fünf Uhr achtundzwanzig. Ich weiß das so genau, weil ich immer auf die analoge Uhr am Armaturenbrett schaute, wenn ich nach Hause kam. Es war früher Sonntagmorgen. Ich öffnete das schmiedeeiserne Tor meines Anwesens mit der Fernbedienung und fuhr vors Haus. Der sonor blubbernde V8-Zylinder der Corvette, dessen Klang ich so sehr liebte, erstarb, als ich den Schlüssel drehte.

    Ich fuhr damals ausschließlich Oldtimer, die ich für viel Geld hatte restaurieren lassen. Ich besaß eine Sammlung, die rund 30 Stück umfasste, alle in Top-Zustand und auf Hochglanz poliert: mehrere Corvettes, darunter eine aus der legendären ersten Serie von 1954, eine von 1958 und eine von 1965. Sie wurde „Little Red genannt, weil sie nicht nur außen, sondern auch innen komplett rot war, inklusive der Ledersitze und des Lenkrads. Es folgten die Jahrgänge 1965, mit einem Splitted Window (also einem zweigeteilten Fenster), sowie 1967. Ein seltenes Schmuckstück war die 69er Corvette Cabrio „Bottlecoke, während meine 79er Corvette mit unglaublichen 7,4 Litern Hubraum und 500 PS punktete.

    Weniger sportlich, aber ebenfalls eine Augenweide war ein gelber 57er Ford Thunderbird, und bei meinem türkis-weißen 57er Ford Fairline blieben die Leute auf der Straße stehen, wenn er das komplette Dach automatisch im Kofferraum verstaute – heute fast normal, doch damals eine absolute Sensation. Bemerkenswert auch das rote 57er Bel Air Cabrio von Chevrolet sowie meine beiden Rolls Royce Phantom IV Cabrio. Jaguar war stark vertreten: zwei Jaguar E Cabrio aus den sechziger Jahren, ein XK 120, ein XK 150 und ein Mark II aus den Fünfzigern.

    Ein besonderes Schätzchen war ein VW Käfer Cabrio von 1979 mit Porsche-Motor und entsprechendem Fahrwerk, und natürlich die Porsches selbst: Ein legendäres 356 C aus den Sechzigern, ein Carrera Cabrio S4 aus neuerer Zeit und – als absolutes Highlight – ein Porsche 959. Dieses Teil war nur tausend Mal gebaut worden und galt als „Über-Porsche". Der Wagen war ein abgefahrener Technologieträger und wurde zu einem sagenhaften Preis von vierhundertzehntausend Mark verkauft. Er war damals einer der teuersten Wagen der Welt. Ich zahlte nur zweihundertfünfundsechzigtausend Mark dafür, an einen in Berlin prominenten Immobilientycoon namens Gutmann. Er verkaufte ihn mir, als seine Geschäfte etwas schlechter gingen, aber er hatte (das muss man dazusagen) noch ein zweites Exemplar in der Garage stehen. Nachdem ich den Wagen, der wie neu aussah, abgeholt hatte, kam ich wenige Kilometer weiter schon nicht mehr den Berg hoch: Die Kupplung war kaputt.

    „Das geht gar nicht, sagte ich zu Gutmann. „Zweihundertfünfundsechzigtausend Mark und die Karre fährt nicht.

    Ich blickte ihm intensiv in die Augen, doch meinem Blick wich er aus. Er wusste, dass er Mist gebaut hatte. Es war ihm mehr als peinlich.

    Schließlich lenkte er ein und ließ den Wagen auf seine Kosten reparieren, was nur recht und billig war. Fünfundzwanzigtausend Mark zahlte er dafür, zehn Wochen blieb der Wagen in der Werkstatt – was mir letztlich sehr entgegenkam, als die Polizei ihn verzweifelt suchte wie eine Nadel im Heuhaufen.

    Meine Sammlung wurde komplettiert durch einen Ferrari 456, ein weißes VW Käfer Cabrio, ein Mercedes Cabrio W 111 von 1970 sowie eine überaus feine Cobra mit sechs Litern Hubraum, Aluminiummotor und 500 PS.

    Natürlich standen die Wagen nicht einfach rum, wie sie das in Museen tun. Oldtimer sind wie Frauen. Sie müssen bewegt werden, dafür sind sie gebaut. Wenn man das nicht tut, kann man sie irgendwann vergessen. Meine Kumpels und ich – eine eingeschworene Truppe von Oldtimer-Liebhabern aus ganz Deutschland – fuhren nachts illegale Rennen über eine Viertelmeile auf der Straße Unter den Eichen, zwischen den Berliner Bezirken Steglitz und Zehlendorf. Einmal im Monat trafen wir uns im Hamburger Freihafen, den wir ebenfalls unsicher machten. Die beste Zeit dafür ist morgens um vier, da herrscht Totenstille überall. Sogar die Bullen schlafen. Meistens jedenfalls.

    Ich hatte gut damit zu tun, alle Autos regelmäßig zu bewegen. Ich musste Buch führen, dass ich keines meiner Schätzchen vergaß. Auch darin waren die Autos für mich wie Frauen.

    Jetzt also, an diesem unseligen Sonntagmorgen, als der Himmel kaum graute, saß ich in meiner 57er Corvette in der Einfahrt meiner Villa und freute mich auf einen entspannten Morgen. Ich stieg aus dem Wagen und atmete tief die feuchte Luft ein. Sie weckte wieder meine Lebensgeister.

    Dann brach die Hölle los.

    Von hinten stieß mich irgendwer mit brutaler Gewalt zu Boden, so dass ich mir Kinn und Knie aufschlug. Rund um mich Geschrei und gebellte Befehle, die ich nicht verstand. Verzerrte Geräusche aus diversen Funkgeräten, die aufgedrehten Motoren von schweren Autos, deren Reifen auf dem Kies der Einfahrt knirschten. Die Arme wurden mir schmerzhaft auf den Rücken gedreht, während ein Stiefel hart auf meinen Nacken drückte. Handschellen klickten. Man hätte denken können, ich sei der meistgesuchte Terrorist der Welt.

    Sie durchsuchten mich, und natürlich fanden sie das Geld. Es verschwand auf Nimmerwiedersehen in einem schwarzen Plastiksack, ebenso wie meine goldene Rolex mit Diamanten, die mir viel bedeutete.

    Danach wurden sie menschlicher. Einer bot mir sogar eine Zigarette an. Da meine Hände weiterhin gefesselt waren, steckte er mir seine in den Mund. Da er unlängst wohl eine große Menge Knoblauch gegessen hatte, hielt sich der Genuss in Grenzen. Ich sagte aber nichts.

    Der Trupp umfasste fünfzehn, zwanzig Mann. Anführer war ein miesepetriger Hauptkommissar namens Mittelstätt, der mir wortlos einen Wisch unter die Nase hielt: einen Durchsuchungsbeschluss, richterlich abgesegnet. Oben rechts auf dem Formular war ein rotes Kreuz, das hieß Gefahr im Verzug. Der Tatverdacht lautete auf Menschenhandel.

    „Öffnen Sie die Haustür oder sollen wir das für Sie tun?", fragte Mittelstätt mit einem sardonischen Lächeln.

    Offenbar hoffte er, dass ich mich weigerte, damit seine Leute mein Anwesen zu Kleinholz verarbeiten konnten. Doch so unvernünftig war ich nicht. Ich wusste, ich konnte nichts dagegen tun. Es war ein offizielles richterliches Dokument, das ihnen erlaubte, fast alles zu machen, was sie wollten. Also öffnete ich die Tür und führte sie ins Haus.

    „Tun Sie sich nur keinen Zwang an, sagte ich leichthin und machte eine einladende Handbewegung. „Mein Haus ist Ihr Haus.

    Mittelstätt grinste süß-säuerlich.

    „Sie haben wohl Ihren witzigen Tag", entgegnete er. Ich hatte ihm den Spaß verdorben. Dann ließ er seine Hunde von der Kette.

    Sie machten sich gleich an die Arbeit. Sehr behutsam gingen sie nicht gerade vor. Ich mag es nicht, wenn jemand meine Sachen anfasst, und schon gar nicht, wenn er nicht sorgsam mit ihnen umgeht. Das ist respektlos. Bald lagen Kleider auf dem Boden und Papiere waren überall verstreut. Ich will nicht sagen, dass sie mutwillig etwas zerstörten, aber man merkte schon, dass es keineswegs ihr Haus war. Mit ihren eigenen Sachen wären sie nicht so umgegangen.

    Innerlich kochte ich. Natürlich wusste ich, dass sie das finden würden, was sie suchten: Beweise für ihre lächerliche Anschuldigung. Ich hatte nie ein Hehl aus meiner Tätigkeit gemacht, aber mit Menschenhandel hatte die bestimmt nichts zu tun. Im Gegenteil: Die Frauen hatten darum gebettelt, bei mir arbeiten zu dürfen. Nicht für mich, das ist ein entscheidender Unterschied. Ich bin Geschäftsmann, ein respektierter Unternehmer. Niemand, der minderjährige Prostituierte im doppelten Boden eines Lastwagens über die deutsch-polnische Grenze schmuggelt.

    Doch genau das versuchten sie mir anzuhängen. Im Grunde hatte ich keine Chance. Ermittlungsrichter und Staatsanwälte können die Fakten – das ist zumindest meine Erfahrung – immer so drehen, dass es ihnen in den Kram passt. Dann bist du verloren. Du wanderst in den Bau. Auf Jahre.

    Ich kannte das schon. Schon der Gedanke an U-Haft jagte mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken. All meine Körperhaare stellten sich auf. Die Bullen in meinem Haus arbeiteten gerade intensiv daran, dass es wieder soweit kam. Alles, was sie brauchten, waren Beharrlichkeit, Spürsinn und Geduld.

    Und das wussten sie.

    Ich hatte diese Geduld nicht. Mich beherrschte nur ein Gedanke: Raus hier!

    Aber wie konnte ich das anstellen?

    Die SEK-Leute waren sich meiner inzwischen ziemlich sicher. Anders war es nicht zu erklären, dass sie mir die Handschellen abnahmen und nur einen einzigen Mann zu meiner Bewachung abstellten. Und eine Polizistin. Ja, zum Team gehörte wirklich eine Frau. Ist mir unverständlich bei dem hohen Risikofaktor, den solche Einsätze mit sich bringen. Manche Errungenschaften der Emanzipation erscheinen mir denn doch etwas fragwürdig. Nur mal angenommen, ich wäre bewaffnet gewesen? Und hätte geschossen? In meinem Umfeld war das ganz normal.

    Wir waren in der Küche im Erdgeschoss, zu dritt, während sich alle anderen im Haus verteilt hatten und eifrig nach Beweisen suchten. Wir tranken Kaffee und rauchten. Plötzlich wurde die Polizistin abgezogen: Mittelstätt wollte sich mit ihr unterhalten. Ich vermute, dass dies mehr ihrem Aussehen geschuldet war als einer dienstlichen Notwendigkeit. Für eine Polizistin sah sie verdammt gut aus, sie war groß, brünett und schlank, mit intensiven grünen Augen. Viel zu schade für eine Polizistin. Als Barfrau hätte ich sie sofort genommen. Aber sei’s drum: Meine Aussichten zu entkommen stiegen dadurch um hundert Prozent.

    Durch das Fenster ging nichts: Davor waren Gitterstäbe aus gehärtetem Stahl, viel stärker als jene im Knast. Ich hatte sie selbst einbauen lassen. Jetzt wurden sie mir zum Verhängnis. Es musste eine andere Möglichkeit geben.

    Ich weiß ziemlich gut über die Psychologie des Menschen Bescheid. In meinem Beruf ist das essentiell. Sie müssen Gäste sofort einschätzen können: Macht er Ärger oder nicht? Betrügt die Barfrau? Sie betrügt immer. Aber um wie viel? Hat dein Gegenüber soviel Ehre im Leib, dass du einen Vertrag per Handschlag mit ihm machen kannst? Wenn du ein paar Jahre im Geschäft bist, hast du auf solche Fragen sofort die richtige Antwort. Aus dem Bauch heraus. Der Bauch liegt fast immer richtig.

    Wenn jemand auf dich aufpassen soll, hilft eine Taktik todsicher: Du musst den Kerl zermürben. Ihn ermüden. Ihn nie zur Ruhe kommen lassen. Irgendwann wird er unaufmerksam. Diesen Moment musst du nutzen. Du hast nur diesen einen.

    Ich begann, scheinbar hektisch hin und her zu laufen, von einer Ecke in die andere. Ich wusste, das würde meinen Aufpasser nervös machen.

    „Ich brauche frische Luft", sagte ich.

    „Gute Idee, erwiderte er. „Aber kommen Sie mir ja nicht auf dumme Gedanken.

    „Wie könnte ich?, gab ich zurück und machte eine Kinnbewegung zu seinem Pistolenhalfter. „Ich bin doch nicht lebensmüde.

    Es schmeichelte ihm offenbar, dass ich ihn für so gefährlich hielt.

    Wir gingen zusammen raus. Ich sah mich unauffällig um. Wir waren allein. Alle anderen Polizisten waren im Haus und stellten die Bude auf den Kopf. Es regnete leicht, in den umliegenden Häusern brannten Lichter. Auf einigen Balkonen standen Leute, die neugierig zu uns herüberstarrten. Sie redeten und lachten. Einige von ihnen hatten Bier- oder Weingläser in der Hand, aus denen sie ab und zu tranken, wieder andere blickten durch Ferngläser. Aus einigen Fenstern hörte man leise Musik. Was sich vor und in meinem Haus abspielte, war wohl beste Abendunterhaltung für sie. Kostenloses Kino.

    Ich schaute mich nach einem Fluchtweg um. Das Tor und die Straße schieden aus, da hätten sie mich innerhalb weniger Minuten wieder geschnappt. Mit der Corvette zu fliehen, war zwar ein höchst reizvoller Gedanke (er erinnerte mich an zahlreiche amerikanische Actionfilme, die ich gesehen hatte), doch leider undurchführbar, da der „Rohr frei!"-Lieferwagen quer vor meinem Wagen stand. Es blieb nur eine Möglichkeit: rund ums Haus und über den Zaun, rein in Nachbars Garten. Und mich auf mein Glück verlassen.

    Mein Begleiter machte inzwischen einen ziemlich entspannten Eindruck auf mich. Er schien sich zu langweilen. Wahrscheinlich hätte er lieber mit den anderen mein Haus auf den Kopf gestellt. Von drinnen waren dumpfe Geräusche zu hören. Vermutlich warfen sie gerade die Möbel um. Ich wollte mir das besser gar nicht vorstellen.

    Ich hänge an meinem Besitz.

    „Wenn irgendwas kaputt geht, reiche ich Klage ein, sagte ich. „Die Möbel sind alt und wertvoll. Jugendstil und Biedermeier.

    Der Polizist zuckte mit den Schultern.

    „Manche Kollegen sind eben etwas stürmisch, erwiderte er. „Man muss das verstehen.

    Ich hatte dafür überhaupt kein Verständnis. Doch jetzt hatte ich andere Sorgen als die Unversehrtheit meiner Möbel. Sobald sie die Unterlagen hinter dem Kosmetikspiegel meiner Frau gefunden hatten (sie hatte keine Ahnung davon, was sich da verbarg), würden sie mir bestimmt sofort wieder Handschellen anlegen. Wegen Fluchtgefahr. Womit sie, nebenbei bemerkt, auch verdammt recht hatten. Ich dachte

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