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Der Perückentiger: Auf Liebe und Tod
Der Perückentiger: Auf Liebe und Tod
Der Perückentiger: Auf Liebe und Tod
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Der Perückentiger: Auf Liebe und Tod

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About this ebook

Der erste Teil der Trilogie erzählt die Geschichte von Tini und Tom. Sie, eine junge, liebenswerte Physiotherapeutin aus der rheinland-pfälzischen Provinz. Er, ein dubioser und zwielichtiger Typ aus Frankfurt a. M. - dem man als liebender Vater oder Mutter seine Tochter nicht anvertrauen möchte.
Im ersten Band wird die Handlung aus der Sicht von Tom erzählt. Die zwei werden von einem Kinderhändlerring gejagt. Schnell steht die Welt der unbekümmert und behütet aufgewachsenen jungen Frau auf dem Kopf. Zumal der Boss der Verbrecherbande, der in Deutschland als verstorben geglaubte biologische Vater von Tini ist.
Eine Jagd durch das philippinische Archipel beginnt. Mal sind sie Jäger und mal die Gejagten.
Wer ist Freund und wer Feind? Was ist Wahrheit und was Lüge? Besiegt der Mut der Verzweiflung, die Angst und die Liebe zueinander - den Hass? Wenn die Chance zu überleben bei unter 10% liegt, was würdest Du tun?
Kämpfen für das an was Du glaubst oder... .
LanguageDeutsch
Release dateDec 2, 2014
ISBN9783738665789
Der Perückentiger: Auf Liebe und Tod
Author

Peter Fleck

Peter Fleck hat über zehn Jahre in Südostasien verbracht und sich dort mit der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch an Kindern beschäftigt. Seine dortigen Erlebnisse und Erfahrungen hat er in einer Trilogie zusammen gefasst. Der erste Teil des "Perückentiger" wird aus der Perspektive eines ehemaligen Fremderlegionär und Straftäter erzählt. Im zweiten Teil, wird die Geschichte aus der Sicht seiner Freundin, die Tochter des Menschenhändlers berichtet und im dritten Teil - aus dem Blickwinkel des Syndikatboss. Mit jedem Band wird die Story komplexer und undurchsichtiger. Wer nach dem ersten Buch glaubte, die ganze Geschichte zu kennen.... Der Autor betreibt heute auf dem Hunsrück ein großes Gesundheit- und Fitnessstudio.

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    Book preview

    Der Perückentiger - Peter Fleck

    verlor.

    Die Traumfrau

    Susi Fuchs studierte Sozialpädagogik im sechsten Semester und hielt mich für einen netten Outlaw. Eine Zeit lang hatten wir viel Spaß mit- und ineinander. Verlieben konnte ich mich nicht in sie. Was wohl auch daran lag, dass ich eigentlich nur ihr Lifestyle-Lover war. Eine Art lebendes Schmuckstück, mit dem sie ihre Kommilitoninnen zu beeindrucken suchte. Als ich mich ernsthaft zu fragen begann, ob der immer mittelmäßiger werdende Sex mit ihr diese Farce überhaupt wert war, überredete sie mich, mit auf eine Party zu kommen. Irgendwo zwischen Bad Kreuznach und Idar-Oberstein sollte in einem winzigen Kaff eine Megafête steigen. Ich gab mich spröde und sträubte mich zunächst, weil ich hoffte, einen Weg zu finden, mit ihr Schluss zu machen, ohne viel Theater. Letztlich gab ich ihrer Bettelei nach und wir fuhren nach Sobernheim. Wo immer dies genau war.

    Es wurde eine lange öde Fahrt über die Dörfer. Stunden später erreichten wir ein verstecktes Tal des Soonwaldes. Hier wollte ich nicht tot über dem Zaun hängen. Selbst Hase und Igel sagten sich so weit draußen nicht mehr gute Nacht. Hier war nur der Hund begraben.

    Eine winzige Straße führte zu dem entlegenen Dorf mit dem mystischen Namen Auen. Ich war mir sicher, dies war die Straße zum Ende der Welt.

    Die Bässe einer weit entfernten Musikanlage drangen brummend in die Dunkelheit. Nur die aufgeblendeten Scheinwerfer des wieder ausgeliehenen Kadett C beleuchteten ausschnittartig das finstere Nichts. Ich begann es immer stärker zu bereuen, dass ich mich von Susi zu diesem Trip hatte überreden lassen.

    Lange vor dem gelben Ortsschild standen die ersten geparkten Autos. Die meisten Fahrzeuge waren bepflastert mit Aufklebern voller politischen Statements wie „Atomkraft nein danke, „Ich bremse auch für Kröten oder „Auf die Dauer Frauenpower". Hinter einer leichten Rechtskurve öffnete sich das enge Tal. Ein kleines Dorf, verborgen vor dem Rest der Welt und ganz bestimmt an dessen Ende liegend, empfing uns.

    Mit etwas Glück bekamen wir am anderen Ende des Ortes noch einen Parkplatz. Die wenigen Schritte bis zu dem Gebäude, über dessen Eingang auf einem Schild „Künstlerhof stand, waren schnell gegangen. Vor dem Hauseingang saßen zwei junge Männer auf der Treppe und rauchten einen Joint. Die Lautstärke der Musik hätte in Frankfurt längst einen Großeinsatz des Ordnungsamtes und der Polizei ausgelöst. Hier dagegen fuhr gerade die Freiwillige Feuerwehr mit Blaulicht vor und lieferte kistenweise Bier. Während die beiden Kiffer mit glänzenden Augen auf die Glut ihrer Tüte starrten, wurde von dem „Löschzug die Türe des roten Einsatzwagens aufgerissen.

    Schmunzelnd betraten Susi und ich das Haus. Es begann mir zu gefallen.

    Susi stellte mich als ihren „Aktuellen" vor. Okay, das war es, dachte ich mir. Ab jetzt bin ich dein Verflossener. Mit einem gequälten Grinsen sah ich von Susi zu unserer Gastgeberin. Tini lächelte mich an, wünschte uns viel Spaß auf ihrer Fête und war wieder weg.

    Woom! Einhundertsechzig Zentimeter Traumfrau. Braune Augen, volle weibliche Sinnlichkeit, dunkelbraune Haut. Lila Stiefel mit schwarzem Schaft, lila getigerte Leggins, ein superknappes lila Top und ein lila Tuch im dunkelblonden Haar. Meine Hormone drehten komplett durch, mein Gehirn repetierte ihren Namen gebetsmühlenartig. Was symmetrische Gesichtszüge, schmale Hüften und ziemlich viel Holz vor der Hütte doch bewirken können. Eine Braut sehen und mich verknallen, nun ja, dies war mir mit meinen dreißig Jahren schon öfter passiert, doch diesmal war es etwas ganz anderes. Tini faszinierte und erregte mich in einer Weise, dass nur lange geübte Machoroutinen mich daran hinderten, herumzustottern, zu sabbern und die Gesichtsfarbe zu wechseln, sobald sie mich ansah. Ich dagegen starrte sie an, als wäre sie die erste Frau, die mir jemals begegnet war und musste mich selbst zur Ordnung rufen, wenn mir meine eigene Gafferei auffiel. Entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten war ich unerklärlicherweise plötzlich sehr schüchtern und schaffte es einfach nicht, sie an diesem Abend anzuflirten. Ich war schon sehr lange nicht mehr derart heftig verknallt gewesen und so verstand ich nicht sofort, was sich gerade in mir abspielte.

    Unruhige Tage und schlaflose Nächte später traute ich mich endlich, sie anzurufen. Ihre Begeisterung über mein „Lebenszeichen" hielt sich leider ziemlich in Grenzen. Was weder meinem Ego noch meinem verliebten Herzen gut tat. Immerhin, sie hatte sich sofort an mich erinnert, dies tröstete mich ein wenig. Nach einer ziemlich üblen Beziehung mit einem Musiker schien sie die Schnauze von dubiosen Typen richtig voll zu haben, wie Susi mir erzählte. Da ich auf ihre Fragen nach meiner Arbeit und wo ich wohnte ausgewichen war, sah sie in mir anscheinend einen ebenso obskuren Macker.

    Womit sie völlig richtig lag. Nur zugeben konnte und wollte ich das nicht, ich wollte unbedingt einen guten Eindruck machen.

    Ralf, ein guter Freund aus Kindertagen, lieh mir seine Gold Wing, da er den ganzen Sommer in den USA sein würde. In meiner pechschwarzen hautengen Lederkombi, welche noch erstaunlich gut passte, einem Kampfjetpilotenhelm der Luftwaffe, der meine schulterlangen Dreadlocks kaum zu bändigen vermochte, tauchte ich unangemeldet bei ihr auf. Wenn sie auf diesen Auftritt nicht ansprach, dann wusste ich es auch nicht, sagte ich mir, als ich eine extra große Portion Parfüm auf mir verteilte.

    Ich bockte die schwere Maschine auf. Die Haustüre des Künstlerhofes stand weit offen. Aus dem ersten Stock war ein ziemlich heftiger, unschöner Streit zu hören. Falsche Zeit, richtiger Ort. Mist! In dem Moment, als ich mich enttäuscht zurückziehen wollte, hörte ich Tini entsetzt schreien.

    Ich sprintete die Treppe hoch und riss die Tür zur Küche auf. Mit der anderen Hand zog ich den Helm ab. Das aufgeklappte Stilett an ihrem Hals in der Hand eines langhaarigen blonden Mannes, welcher sich erschrocken zu mir umdrehte, ließ mich nicht zögern. Den Überraschungsmoment nutzend, knallte ich ihm den Helm voll auf die Fresse.

    Meine Instinkte und die in der Legion antrainierten Reflexe steuerten mich. Nicht denken, sondern handeln und zwar dem Drill entsprechend, sichert die größten Überlebenschancen. So war es mir eingetrichtert worden. Es ist wie Rad fahren oder schwimmen, einmal gelernt, bleibt die Reaktion immer gleich. Kaltblütig, emotionslos, beherrschtes Vorgehen. Ausschalten und/oder das Kontrollieren einer Gefahrenquelle.

    Es machte ein knirschendes Geräusch, als sein Nasenbein brach und dunkelrotes Blut über seinen Mund und sein Kinn zu laufen begann.

    Tini fand das ganze Szenario nicht prickelnd. Sie konnte ebenfalls deutlich hören, wie die Nase des blonden Messerhelden brach, als mein Helm eine punktgenaue Landung auf ihr machte. Der ließ das Messer fallen und versuchte, seine zertrümmerte Nase vor einem weiteren Hieb zu schützen. Er würgte laut, während ich das Klappmesser wegkickte.

    Wütend sah Tini mich an. Für einen kurzen Augenblick befürchtete ich, dass ich in eine Probe für eine Film- oder Theaterszene geplatzt war.

    „Seid ihr Vollidioten noch ganz sauber? Jetzt ist Schluss, Dieter, wir sind getrennte Leute. Verpiss dich ganz schnell, bevor du von mir auch noch eine bekommst." Sie wandte sich von ihm ab und zeigte auf mich.

    „Hier auftauchen und Leute platt kloppen, den, die…, sie suchte nach dem Wort „Helm, fand es aber nicht, „ääh, Keule schwingen. Ihr Kerle verhaltet euch alle wie die Neandertaler." Sie zitterte vor Aufregung. Woher sie die Sicherheit nahm, dass ihr Ex nicht zugestochen hätte, wusste ich nicht. Sein zuschwellendes Gesicht, die Blutspur von der Küche ins Bad sowie sein Dauergejammer ließen mich jetzt als brutaler Schläger erscheinen. Kaum war ihr Ex notdürftig verarztet und gegangen, beruhigte sie sich glücklicherweise wieder.

    Mit dem Idioten wäre ich auch alleine fertig geworden. Trotzdem danke, war alles, was sie dazu sagte. Blöd gelaufen für mich, ich wäre gerne ihr Held, ihr strahlender Ritter und Retter gewesen! Anstatt mich abzuknutschen, drückte sie mir einen Feudel und einen leeren Putzeimer in die Hand.

    Wir putzen gemeinsam die Sauerei weg. Mir war es ziemlich egal, ob ihr Gitarre spielender Ex-Freund gerade eben die Bullen anrief, um Anzeige gegen mich zu erstatten. Ich schwelgte im Bewusstsein, ihre Nähe zu bekommen und überlegte fieberhaft, wie ich sie für mich nach diesem Fiasko noch gewinnen könne. Sie hatte mich immerhin nicht gleich mit rausgeschmissen. Wie jeder Verliebte suchte ich natürlich nur nach den positiven Signalen.

    Hier beginnt sie, die ziemlich durchgeknallte Geschichte, die uns in Radio- und Fernsehstudios, Fünf-Sterne-Hotels, exklusive Beach Ressorts, in die heftigsten Elendsviertel Südostasiens, in Klöster, Guerilla Camps, Ministerien und Botschaften führen sollte.

    Tini ließ mich zunächst zappeln. In einem Anfall von Dreistigkeit sagte ich ihr, dass sie und nur sie, die Mutter meiner zukünftigen Kinder werden würde. Unverfrorenheit, gepaart mit Charme, funktioniert nicht immer, bei ihr war es erfreulicherweise, zumindest in diesem Moment, tatsächlich so.

    „Wie viele sollen es denn sein?", fragte sie mit gerunzelter Stirn und deutlich ironisch. Meinem Totalangriff auf ihr Herz traute sie noch nicht so ganz. Zumal ich zu bestimmten Fragen von ihr ausweichend und hinhaltend blieb.

    Tinis Lebensgeschichte war ungewöhnlich und eigentlich sollte sie als eigene Geschichte erzählt werden.

    Ihre Mutter war mit vierzig Jahren an Krebs gestorben. Solange ihre Mutter lebte, kannte sie ihren biologischen Vater nicht. Sie wusste nicht, wo er wohnte und was er trieb. Sie hatte niemals ein Foto von ihm gesehen und niemals einen Brief oder Kartengruß erhalten. Genau zwei Monate nach dem Tod ihrer Mama meldete er sich zum ersten Mal.

    Kurz und gut, er erzählte ihr, er züchte sibirische Tiger im subtropischen Klima der Philippinen. Er lud sie reumütig, mehr noch demütig zu sich ein.

    Sonne, Palmen, Strand und Meer findet fast jeder toll. Bei Tini ging dieses Gefühl, dieser Wunschtraum aber tiefer. Seit ihrer Kindheit besaß sie eine tief verwurzelte Sehnsucht nach genau dieser Ecke der Welt. Ein eigenartiges Heimweh nach einem Ort, den sie bewusst noch nie betreten hatte, doch den ihre Seele gut kannte, erfüllte sie. Für sie war das Leben in Südostasien ein Dauer-Déjà-vu. Dort wollte sie sein, nirgendwo sonst. Schon bei ihrem ersten Besuch verliebte sie sich in einer Weise in das Land, dass man glauben mochte, dass sie eine tiefe innere Verbindung zu ihm fühlte. Bei ihrem zweiten Besuch in Manila bot ihr Tiger Jim-Daktari, wie er genannt wurde, an, zu ihm zu ziehen und in seinem Tigeraufzuchtprogramm mitzuarbeiten. Ihr Papa des Herzens war und blieb ihr Stiefvater und der litt unter dem Gedanken, dass sie ans andere Ende der Welt gehen könnte. Tini wusste nicht, was sie tun sollte. Sollte sie ihrem Fernweh folgen oder sollte sie ihrem Papa zuliebe bleiben? Der Wunsch war da und wurde immer stärker!

    Bis ich Tini erzählte, wer und was ich bin bzw. war, vergingen einige Tage. Irgendwie verließ mich jedes Mal der Mut, wenn sie darauf zu sprechen kam.

    Ausweichend und es bei vagen Andeutungen lassend, versuchte ich mich mehrfach aus der Affäre zu ziehen. Die Angst, sie könnte als recht behütet aufgewachsene junge Frau, gleich wieder das Interesse an mir Gangster verlieren, nährte meine Selbstzweifel. Anlügen wollte ich sie nicht und deshalb drückte ich mich vor Antworten. Irgendwie musste ich aus diesem bescheuerten Dilemma raus und sie half mir dabei.

    Am reichlich gedeckten Frühstückstisch, wenige Meter von dem Ort entfernt, wo ich meinem Vorgänger das Nasenbein gebrochen hatte, schaute sie mich aus den Augenwinkeln an. Ohne eine Ankündigung oder Andeutung ließ sie einen Satz ab, der mir Wort für Wort im Gedächtnis haften geblieben ist.

    „Also entweder bist du ein Undercover-Polizist, ein Drogenhändler oder irgend so was Seltsames?" Es war eindeutig eine Frage und keine Feststellung. Dafür, dass Tini nicht einmal wusste, für was die Abkürzung JVA stand, bewies sie einen erstaunlich guten Riecher.

    Tini sah in mir etwas, was ich selbst schon lange nicht mehr in mir sehen konnte. Für sie war ich nicht der Söldner, der vorbestrafte Schwerverbrecher, sie sah in mir einen hitzköpfigen, aber liebevollen und zuverlässigen Mann. Einer, der sagt, was er denkt und tut, was er sagt. Seit vielen Jahren sah mich zum ersten Mal ein Mensch wieder als das, was ich war. Sah durch meinen Schutzpanzer hindurch, als würde er überhaupt nicht existieren.

    Die scheuklappenhafte Sichtweise der Knastbürokraten, die mir ihre Anpassungsstrategien als Resozialisierung verkauften, kapierte nicht das Geringste von mir. Die ebenso scherenschnitthafte, romantische Verklärung meiner Vergangenheit, wie sie die Szene und diverse Freundinnen von mir pflegten, wurde mir auch nicht gerecht. Tini gab mir eine Chance, mich selbst wieder zu finden, ich selbst zu sein.

    Noch etwas verband uns. Sie wollte unbedingt und ich musste unbedingt weg und so schlug sie mir vor, ihren „Erzeuger" zu fragen, wie sie ihren biologischen Vater nannte, ob wir gemeinsam in seinem Reservat arbeiten und leben dürften.

    „Du meinst als Tigerpfleger?" Ich war schon halb eingeschlafen, als sie mich in ihre Pläne einweite.

    „Ja klar", riss sie mich endgültig aus meinem Dämmerzustand. Hellwach setzte ich mich auf und blickte sie ungläubig an.

    „Du willst mit mir auf die Flucht gehen, verstehe ich dich richtig?" Sie legte den Kopf zur Seite und sah mich scheinbar grimmig an.

    „Falls du Pfeife es noch nicht bemerkt haben solltest. Ich liebe dich, seitdem ich dich die Treppe heraufkommen sah. Sie zog die Augenbrauen noch ein wenig enger zusammen. Da wusste ich zwar nicht, was für ein Bösewicht du doch bist, aber ich wusste, dass ich dich lieben werde. Also…, weiter ließ ich sie nicht kommen, ein langer intensiver Kuss stopfte ihr den Mund. Wir liebten uns, rauchten, tranken Wein, quatschten und liebten uns erneut. Wir schliefen eng aneinander gekuschelt ein, als die Vögel im Soonwald zu zwitschern begannen.

    Ihr Erzeuger war schnell angerufen und gab sich mir gegenüber erstaunlich direkt und wohlgesonnen.

    Es knisterte und knackte in der Leitung und nachdem Tini kurz mit ihm gesprochen hatte, reichte sie mir den Hörer weiter und nickte mir aufmunternd zu.

    „Meine Tochter scheint mit dir den Mann ihres Lebens gefunden zu haben. Sag mal, meinst du es ernst mit meinem Kind?"

    Dafür, dass er Tini kaum und mich gar nicht kannte, kam er ziemlich schnell auf den Punkt.

    „Falls du es nämlich ernst meinst, dann steht dir mein Haus offen, Junge." Bevor ich auch nur drei Sätze zu meiner Person sagte, machte er sich zu meinem Schwiegervater.

    „Nenne mich Jim, bot er mir an. „Für einen cleveren Kerl, wie du einer zu sein scheinst, findet sich bei mir auch noch ein Job. Mir ging dies alles etwas zu schnell. Um wirklich misstrauisch zu werden, fühlte ich mich allerdings zu sehr geschmeichelt. Mein schwacher Punkt.

    Das Leben auf der Flucht bekam mehr und mehr geheimnisvolle Züge. Da war ich aus dem Knast abgehauen, verliebte mich in ein Mädel vom Lande und nun so was.

    An echte Papiere heranzukommen war damals eigentlich kein Problem. Gefälschte Dokumente waren mir zu teuer, selten wirklich gut und in diesen Kreisen wimmelt es von Spitzeln der Polizei. Wesentlich leichter war es auf dem legalen Weg. Beim Standesamt Wiesbaden bekam ich eine beglaubigte Geburtsurkunde, ausgestellt auf den Namen meines besten Freundes. Mit der ging ich zur Einwohnermeldebehörde, erklärte alle Papiere wären verloren gegangen und ich bräuchte dringend neue. Eine Verlust- bzw. Diebstahlsanzeige später, neue Fotos abgeliefert, fertig. Das Risiko war minimal und überschaubar. Nur wenn mein Freund, mit dessen Daten ich reiste, überprüft würde, würde der Schwindel auffallen. Schnelligkeit war also der entscheidende Faktor. Innerhalb von wenigen Wochen besaß ich einen kompletten Satz an echten, falschen Dokumenten. Personalausweis, Führerschein, Reisepass, sogar Impfbuch und Visitenkarten. Ich hieß jetzt David Valentin und war 34 Jahre alt. Von Beruf war ich Programmierer, nicht verheiratet, keine Kinder. Es fühlte sich absolut fremdartig an, nicht mehr zu heißen, wie man hieß. Dies war mir schon in der Legion unangenehm gewesen. Meine innere Identität bestand allerdings nicht aus den Daten, die ich zurückließ. Sie gehören zu einem Menschen und sagen doch nichts aus. Trotzdem dauerte es einige Tage, bis ich mich an meine neue Legende gewöhnte und ich sogar den Mädchennamen meiner angeblichen Mutter ohne zu zögern aufsagen konnte.

    Damals

    Tiger Jim-Daktari hatte viele Namen. Jim war keiner davon! Geboren war er 1950 als zweites Kind der Eheleute Schmied unter dem Namen Jürgen Franz in der Nähe von Mainz. Jürgen war von Natur aus zu kurz geraden und durch das Leben zu kurz gekommen, fand er zumindest. In seiner Kindheit war er die bevorzugte Zielscheibe von Hohn und Spott der Gleichaltrigen. Wurden beim Sport Mannschaften gewählt, war er immer der Letzte, der ins Aufgebot kam.

    In seiner Jugend lernte er, dass die Mädels ihn ignorierten und Größe eben doch eine Rolle spielte. Jürgen war mit seinen limitierten körperlichen Attributen keine Konkurrenz für niemanden. Er streifte durch die rheinhessische Provinz und durch die benachbarte Rhein/Nahe Region. Immer auf der Suche nach Liebe. Aufmerksamkeit bekam er, wenn er zu reden begann. Mit seiner blumigen Ausdrucksweise verstand er zu überzeugen und recht schnell wusste er diese Gabe zu versilbern. Er brach seine Lehre als Schreiner ab und begann als Drücker Zeitungen zu verticken. Sein gutes Gespür für den „wunden Punkt" von Menschen machte ihn schnell erfolgreich. Kaum ein Tag, an dem er weniger als 100,00 DM einnahm, was damals wirklich eine Menge Kohle war. Als erstes legte er sich eine Isetta und schon ein Jahr später einen Borgward zu. Einen nicht geringen Teil seiner Einnahmen trug er zum Schuster ins benachbarte Hechtsheim. Der schusterte ihm Schuhwerk mit verdeckten Absätzen, welches ihn zehn Zentimeter größer erscheinen ließ. Die damals modischen Hosen mit weitem Schlag halfen dabei seine psycho-orthopädischen Treter komplett zu kaschieren.

    Alles hätte gut sein können, wenn Jürgen sich nicht selbst im Weg stünde. Seine vorgetäuschten 1,68 Meter waren nicht wirklich groß, nicht für einen wie ihn. Jürgen wollte nicht länger das Opfer von Missachtung sein und schon gar nicht wollte er übersehen werden. Man würde eines Tages zu ihm in Ehrfurcht aufsehen und würde man ihn nicht anbeten, würde man ihn eben fürchten.

    Was er nicht freiwillig und aus Hingabe bekam, kaufte er sich z. B. bei Nutten, und weil dies nicht wirklich befriedigend war, mampfte er sich täglich mehr voll. Während sein Bauchumfang wuchs, fielen ihm langsam die Haare aus. Er war wirklich keine Schönheit. Männlich war eindeutig anders, doch darauf wäre es nicht angekommen. Er besaß nämlich eine Gabe, die ihn deutlich von den meisten Männern unterschied, doch die hatte er noch nicht entdeckt. Jürgen hätte einfach nur ein liebenswürdiger Mann sein müssen, um gemocht zu werden, aber dieser Zug war längst abgefahren. Die einzigen Menschen, die ihn nahmen wie er war, waren seine Mutter und seine Schwester. Durfte man ihn bisher bedauern, vielleicht sogar bemitleiden, weil man verstehen kann, dass ständige Zurückweisung schmerzlich ist. So sehr begann er nun, es „allen denen heimzuzahlen", wie er es rechtfertigte, die ihn überragten.

    In Odernheim war Kirmes. In diesem kleinen Ort in der Nähe von Bad Kreuznach war Jürgen kein Unbekannter. Ihm fiel eine ausgesprochen hübsche Frau auf. Sie amüsierte sich mit ihren Freundinnen und wartete, bis man sie zum Tanz aufforderte. An der Theke ersoffen zwei Burschen ihren Frust, weil sie sich von ihr eine Abfuhr holten.

    „Habt euch wohl einen Korb geholt, was, Jungs.", spöttelte er.

    „Aber du hast bei der eine Chance., kam es gereizt zurück. „Das ist die Tochter vom Sobernheimer Wachtmeister, die lässt keinen ran., ergänzte er noch. Jürgen streckte sich auf dem Barhocker. Er saß sowieso meistens, weil dies sein Größenproblem am besten tarnte.

    „Klar kriege ich die, wenn ich dies will. Wetten?"

    „Einen Kasten Bier dagegen.", mischte sich der zweite Abgeblitzte erstmals ein. Jürgen schüttelte gelangweilt den Kopf.

    „Eine Flasche Whisky von jedem und wir sind im Geschäft."

    Die Wette galt.

    Bei einem Blumenhändler kaufte er alle Rosen auf und ließ sie vom Kellner zusammen mit einem Glas Sekt überreichen. Als Erika mit ihm morgens um zwei die Kirmes verließ und in seinen Borgward stieg, hatte sie kräftig einen sitzen. Was vor allem am reichlichen Wodka in ihrer Afri-Cola lag, den er mit einem Augenzwinkern und der Unterstützung von reichlich Trinkgeld heimlich beim Ober dazu bestellte. Nicht nur Jürgen war, auch Wodka ist geschmacklos!

    Ihr Widerstand fiel geringer aus, als er erwartete, denn die junge Kindergärtnerin war Alkohol schlicht nicht gewohnt. In dieser Nacht wurde Tini gezeugt.

    Am Freitag darauf kassierte er seine Siegprämien.

    Jim war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben.

    Ein UPS-Bote brachte eine Paketsendung mit einer Unmenge an Fotos, Diplomen, Ehrungen und Zertifikaten. Tiger Jim-Daktari gemeinsam mit Weltstars und Prominenz aus allen Bereichen des Lebens. Vor allem ließ er sich gerne mit den Mächtigen und Reichen des südostasiatischen Pazifikstaates auf unzähligen Fotos ablichten. Diese Bilder und Dokumente gaben ein Bild von einem respektablen Tierschützer ab. Ich fühlte mich ziemlich beschissen ihm gegenüber und fand schlicht nicht den richtigen Zeitpunkt, ihm etwas über meine Vergangenheit zu erzählen.

    „Pass auf, mein Junge, er war völlig enthusiastisch, „ich habe eine Idee. Wenn du in Deutschland die Werbetrommel für unser neues Tierparkkonzept rührst und sagen wir, hunderttausend Mark dabei herauskommen, bist du dabei. Mir leuchtete ein, dass der Wildlifepark Geld brauchte. Natürlich hatte er recht damit, dass wir es in Deutschland versuchen sollten, welches zu beschaffen. Einhunderttausend hatte ich allerdings nicht. Selbst der Rest aus der Beute war nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Anstatt ihn aufzuklären und ihn von der Unmöglichkeit der Realisierung seines Wunsches zu informieren, stimmte ich idiotischerweise zu.

    Wenige Tage später kam wieder eine schwere Expresssendung aus Manila an.

    Jim war der Vorsitzende einer Foundation, die tausend Hektar Land knapp zwei Autostunden nördlich von Manila besaß. Seine Idee, dort einen kommerziellen Wildlifepark zu gründen. Betuchte Investoren sollten die Möglichkeit haben, in abgetrennten Bereichen des Reservates eine komfortable Nippahütte zu kaufen oder zu mieten. Auge in Auge mit der Großkatze sozusagen. Mit diesen und den weiteren Einahmen aus Hotelvermietungen und Serviceangeboten könne die Anlage profitabel wirtschaften, rechnete er vor. Tini und ich bekämen ein Gehalt und könnten uns fortpflanzen, damit er bald Opa würde.

    Es war an der Zeit, ihn über mich aufzuklären.

    Obwohl ich ihn bei meiner „Beichte nicht sehen konnte, kam es mir so vor, als würde sie ihn nicht überraschen und als könnte ich sein virtuelles Grinsen wahrnehmen. Solange ich anständig mit seiner Tochter umginge, wäre dies für ihn alles Schnee von gestern. Das ein gesuchter Knacki nicht einfach mal aus dem Nichts eine Werbekampagne starten kann, nannte er lachend eine „echte Herausforderung.

    Tini blieb ziemlich gespalten in ihrer Haltung Tiger Jim gegenüber. Ihre Mutter war ihren kindlichen Fragen nach ihrem Vater meistens ausgewichen. Falls sie doch einmal etwas sagte, dann blieb es bei dunklen Andeutungen.

    Sie selbst hatte ihn bei ihren Besuchen in Manila als einen leicht meschuggen und skurrilen Doktor Doolittle kennengelernt. Alle Arten von Tieren, sogar Reptilien, schienen ihn zu lieben. In seinen Safariklamotten und Schuhen mit zehn Zentimeter hohen Absätzen war er ein landesweit bekanntes Original. Er war der Mann, der mit den Tigern sprach.

    Ihre Mutter konnte sie nicht mehr fragen und mit diesem Widerspruch konfrontieren. So entschied sie, dass die Konflikte ihrer Eltern nicht ihr Bier waren. Richtig nahe fühlte sie sich Jim allerdings nicht, dazu war er ihr etwas zu selbstverliebt.

    Dabei versuchte er auf seine wunderliche Art, ihre Liebe zu gewinnen. Er ließ sie mit großer Polizeieskorte wie einen Staatsgast vom Flughafen abholen. Jim organisierte Treffen mit Ministern und Senatoren oder lud Filmstars zum gemeinsamen Dinner ein. Sie traf den Chef der größten philippinischen Airline, bekam Gratistickets für Inlandsflüge geschenkt und begleitete ihren Vater zu Talkshows ins TV. Dass er den ganz großen Auftritt liebte, war nicht zu übersehen. Für sie war er nur ein seltsamer Vogel, etwas eigen, ziemlich schräg, leicht chaotisch und kapriziös.

    „Der hat einfach zu lange alleine gelebt", sagte sie mir.

    Die wenigen Wochen, welche sie miteinander verbrachten, waren voller absurder Erlebnisse gewesen. Als sie mir erzählte, dass er ein Toupet trage und er „seine Haare „Hut nannte und ihn ohne diese Kopfbedeckung keiner sehen durfte, krümmte ich mich vor lachen. Einmal drehte er völlig durch, als sie ihn vor dem Bad ohne seine haarige Kappe überraschte. Mit einem winzig kleinen Handtuch versuchte er abwechselnd seine Blößen und seinen Kopf zu bedecken. Zeternd lief er in sein Schlafzimmer und verbat ihr, jemals wieder irgendwo aufzutauchen, wo er ohne „Hut" wäre.

    Jeder hat seine Macken, bei ihm waren die Marotten eben etwas ausgeprägter.

    Selbst seinen Hang zu Nutten zu gehen, verstand er ihr gegenüber noch zu romantisieren. Er habe in seinem ganzen Leben nur ihre Mutter geliebt. Weil er sich als komischer Kauz präsentierte, stellte sie in jenen Tagen auch dies nicht in Frage. Seine Briefe waren erheiternd und unfreiwillig komisch. So schrieb er: „Mein God, Vater ist der Bürgermeister von Manila." Natürlich war sein Vater nicht der Gemeindevorsteher von der City of Manila. Er meinte den Godfather, also einen Taufpaten, aber auch dies stimmte natürlich nicht. Wie nichts stimmte, was er seiner Tochter erzählte. Als sie ihn darauf ansprach, berichtete er ihr von einer wilden Geschichte, wie er den Bürgermeister bei einem Attentatsversuch gerettet habe. Der habe ihn deshalb quasi adoptiert, dies wäre so üblich auf den Philippinen. Das Jürgen Franz ein notorischer Lügner sein könnte, wäre meiner Freundin im Traum nicht eingefallen. Was immer zwischen ihrer Mama und ihm gewesen war, sie glaubte an das Gute im Menschen und dass jeder Mensch sich ändern kann.

    Dass ihr Erzeuger gut mit Tieren konnte, reichte ihr als Charakterzeugnis aus. Seine Tiger liebten ihn geradezu, sobald sie ihn sahen, schnurrten sie und suchten seine Nähe. Verrückterweise schien sie diese Gabe auch zu besitzen und so schloss sie von sich auf ihren biologischen Vater. Sein guter Kern war eben für Menschen nicht so leicht zu erkennen, die nicht ungefährlichen Großkatzen sahen diesen wohl besser, dessen war sie sicher.

    Der Plan

    Die mir gestellte Aufgabe schien unlösbar! Keine Kohle, keine Kontakte und keinen blassen Schimmer davon, wie ich Werbung für dieses Projekt machen könnte. Etwas wenig, um nicht zu sagen nichts, was mich weiterbrachte. Alles, was ich besaß, waren seine Unterlagen und die Begeisterung meiner Süßen. Sie erstaunte mich immer wieder. Die Welt, in der ich lange genug lebte, kannte sie nur aus Filmen und Büchern. Wobei sie die Milieustudien der Profischreiberlinge oft genug für bare Münze nahm. Ein Krimi war für sie gut, wenn der ermittelnde Bulle besonders neurotisch, ein Trinker oder sonst ein Maniac war. Nach der Realschule hatte sie sich für eine Ausbildung zur Physiotherapeutin entschieden und sie mit Auszeichnung abgeschlossen. Sie war eine lebenshungrige, neugierige und mitfühlende junge Frau. Wie die meisten Frauen besaß sie den unbedingten Willen etwas umzusetzen, wenn sie es sich einmal vornahm.

    Wir stellten zunächst eine Mappe aus großformatigen Fotos, Plänen und seinen Auszeichnungen zusammen. Fast sechs Monate waren wir nun ein Paar und wussten eigentlich nicht weiter, außer eines, wir wollten nach Asien.

    Karma, Glück, keine Ahnung wie ich es nennen soll, aber uns würde in den kommenden Jahren, wann immer wir uns in schier aussichtslosen Situationen glaubten, der Zufall oder ein abgefahrenes Schicksal zur Hilfe kommen.

    Neben ihrer Arbeit in einer Reha-Klinik jobbte Tini jedes Wochenende an der Bar in einer Mainzer Großdiskothek. Der Laden suchte einen Türsteher. Ich konnte freundlich und falls notwendig auch grimmig gucken. Meine Autorität schien auszureichen und so bekam ich den Job. Da ich es auch noch hinbekam, einigermaßen intelligenten Smalltalk zu führen, machte man mich schon am dritten Abend zur Security in der VIP Lounge. Wenn ich mich im Spiegel betrachtete, musste ich grinsen. Lange Dreadlocks auf dem Kopf, brauner Teint und Man-in-Black-Outfit. Die Schickeria und die Halbweltgrößen, die hier verkehrten, waren zwar nicht meine Welt, doch für 200 Mark am Abend konnte ich deren prolliges Gehabe gut ignorieren. Typen, die in einer Disco für eine Pulle Billigfusel einen Hunderter zahlten, um den billigen, aber teuren Bräuten zu imponieren, waren für mich dämliche Schaumschläger. Tussis, die sich davon beeindrucken ließen, gehörten der Kategorie doofe Schlampen an. Die Gage war deshalb eine Art Schmerzensgeld für mich. Wenn diese unterirdischen „VIP"-Spinner sich das Hirn wegkoksen oder im Separee eine schnelle Nummer mit irgendeinem Flittchen brauchten, dann schaute man eben weg und denkt sich seinen Teil, war meine Devise.

    Es war einer dieser Abende, an denen alles schief lief, was schief laufen konnte. Zunächst wurde eines der Barmädchen an der Cocktailbar von einem mittelblonden Bodybuilder angegriffen. Ein südländischer Mann versuchte ein Messer mit in den Laden zu schmuggeln und ein russischstämmiger Typ versuchte mit den Taschen voller Pillen in den Laden zu kommen. So ging es munter weiter.

    Ein Mann, um die sechzig Jahre, wurde vom Geschäftsführer persönlich in die Lounge gebracht. In seinem grauen Geschäftsdress wirkte der distinguierte Herr etwas deplatziert in diesem Laden.

    Bei sich hatte er ein Küken von vielleicht 18 oder 19 Jahren, wenn sie nicht tatsächlich erst 17 war. Sie zogen, nach dem ihnen Schampus und Erdnüsse geliefert wurden, hinter sich den schweren Bühnenvorhang des Separee zu. Mein Job war es, dafür zu sorgen, dass sie dort ungestört blieben. Eine Stunde später erhielt ich über meinen Funkempfänger im Ohr die Anweisung, den Gast samt Frischfleisch zu seinem Wagen auf den Parkplatz zu begleiten.

    Ihnen einen Weg durch die verschwitzte und angetrunkene Meute zu bahnen, war kein Problem, sondern Routine geworden. An der Gardarobe bemerkte ich einen jungen Mann. Er starrte den alten Lüstling hasserfüllt an. Knast schärft die Sinne. Man wittert die Gefahr, bevor man sie sieht.

    Seine Körperhaltung, der Blick, die Anspannung, da knallt es gleich, ahnte ich. Bevor ich jedoch meinen ersten Eindruck in Abwehr umsetzen konnte, passierte es auch schon. So muss sich ein Personenschützer fühlen, wenn er merkt, dass er einen halben Schritt zu weit von seiner Schutzperson entfernt steht. Den unmittelbaren Angriff konnte ich zwar nicht mehr unterbinden, doch dem zweiten Schlag konnte ich gerade noch zuvorkommen. Schreie, Gedränge in der Lobby. Irgendwie schaffte ich es, den Heißsporn zu Boden zu werfen und ihn im Schwitzkasten zu halten. Im nächsten Moment waren die Kollegen zur Stelle und nahmen mir den wild um sich tretenden jugendlichen Irren ab. Offensichtlich schien er eigene Ansprüche auf die Kleine zu haben, die ihn ihrerseits hysterisch anschrie.

    Das Opfer stellte sich als Bernd Tobal, ein Kölner Fernsehproduzent vor. Er wollte keine Anzeige erstatten und alles diskret behandelt wissen. Kein Wunder, er trug einen Ehering, die Kleine nicht und wie seine Tochter sah sie auch nicht aus. Mir war es recht. Während ich im Büro seinen Kratzer auf der Stirn behandelte, erzählte ich ihm von den Plänen, die Tini und ich hätten. Er hörte nicht nur zu, er stellte mir auch Fragen.

    Als die Kollegen an der Türe sicher waren, dass wir ihn und das Mädchen ohne weitere Störung zu seinem Wagen bringen konnten, eskortierten wir sie zum Parkplatz.

    „Versprechen kann ich nichts, aber ruf doch mal diese Leute hier an, sag ihnen, du hättest die Nummer von mir. Sie sollen sich mal deine Story anhören." Er gab mir seine Karte und kritzelte fünf Namen und Telefonnummern auf ein Stück Papier. Bevor er einstieg, schob er mir zwei Fünfziger in die Reverstasche.

    Tobal schien einen guten Ruf unter seinen Kollegen zu haben. Wo immer ich anrief, man hörte sich geduldig an, was ich erzählte. Nach dem dritten Telefonat verstand ich, dass das Fernsehgeschäft mit Fakten und Tatsachen nichts anzufangen wusste. Die exklusive Story und gute Bilder waren wichtiger. Eine Geschäftsidee, gepaart mit Tierschutzaspekten interessierte kein Schwein.

    Redakteure können großzügig sein, so sie eine Geschichte nicht selbst verwerten. Neue Nummern, neue Namen, andere Sender und Verlage, immer verbunden mit dem Satz „Grüß mir den und den und die und die, viel Glück."

    Tini packte die Koffer. Ihr One-Way-Flug nach Manila war gebucht und bestätigt. Gegen fünf Uhr waren wir am Morgen ihres Abfluges eingeschlafen, um neun klingelte wieder der Wecker. Als der Flieger von Philippine Airlines in Frankfurt abhob, stand ich auf der Besucherterrasse, sah ihm hinterher, selbst nicht an meine Worte des Abschieds glaubend.

    „In spätestens acht Wochen bin ich bei dir, egal was passiert." Manila schien unendlich viel weiter weg zu sein in diesem Moment als nur achtzehn Flugstunden.

    Kurz vor Tinis Abreise waren wir in eine Polizeikontrolle geraten. Mein echter/falscher Führerschein funktionierte. Das ziemlich mulmige Gefühl in meiner Magengegend habe ich allerdings noch deutlich in Erinnerung, als der Uniformierte mich aufforderte auszusteigen und mir befahl, hinter den Kofferraum zu treten. Er sah mich dabei viel zu dienstlich für meinen Geschmack an. Die Tatsache, dass er und seine Kollegin mit der Hand nicht am Ballermann waren, entkrampfte mich ein wenig. Erleichtert nahm ich die Mängelanzeige über das defekte rechte Bremslicht entgegen und ließ mich einsichtig über meine Pflichten als Autofahrer belehren. Mein falscher-Ort-falsche-Zeit-Ansatz bekam mehr und mehr Risse. Glück und gute Ausweise alleine würden mir sicherlich nicht endlos zu Verfügung stehen. Mit den zwei Monaten bis zu meiner Ankunft, die ich Tini versprach, wollte ich mich selbst unter Druck setzen, auch wenn ich es für aussichtslos hielt, dass ich bis dahin tatsächlich genug Geld für Jims Projekt organisieren könnte.

    Tinis Wohnung war aufgelöst. Dies verkomplizierte meinen telefonischen Werbefeldzug. Es schien unmöglich, auch nur einen einzigen Zeitungsredakteur eines x-beliebigen Provinzblattes für das Konzept so zu begeistern, dass er darüber schrieb. Nun hockte ich in einem 76er VW Bus, welchen wir zu einem Campingbus ausgebaut hatten und wusste nicht mehr weiter. „Wenn du nichts zu verlieren hast, dann verliere das Nichts", würde in einigen Jahren ein buddhistischer Mönch zu mir sagen. Wäre man mir in jenem Augenblick mit diesem Satz gekommen, mein verständnisloses Gesicht hätte mich sofort als ignoranter Trottel entlarvt. Was machte ich falsch bzw. was machte ich nicht richtig?

    Über die Abfahrt Schwabing kam ich in der bayrischen Landeshauptstadt an. Ein tiefes Rot färbte den Abendhimmel, nach der Hitze des Tages kühlte es nur langsam ab. Da die ganze Telefonaktion nichts brachte, versuchte ich es nun persönlich. Das brachte schlagartig mehr Erfolg, die Film- und TV-Bräute bekamen einen Silberblick bei meinem Anblick und ich nutzte ihr wuschiges Balzverhalten für meine Zwecke.

    Mehrere Pressetermine waren vereinbart und am kommenden Tag war ich bei der Produktion „In der Wildnis" von Starshoot TV eingeladen. In einer Seitenstraße des ehemaligen Münchner Künstlerviertels fand ich den letzten Parkplatz und ging ziemlich komfortabel und genauso pessimistisch in meinem Campingbus pennen.

    „Mein Name ist David Valentin, ich habe einen Termin. Der Pförtner musterte mich, verglich meine Ansage mit einer Liste und meldete mich in der Redaktion der „In der Wildnis Show an und erklärte mir dann den Weg.

    Schnell war mein angeblicher Background erzählt. Ich wäre nach dem Abitur zur Kripo gegangen und Bulle bei der Frankfurter Sitte gewesen. Der Liebe wegen habe ich den Dienst quittiert, um mit meiner Frau Tini nach Asien zu gehen. Dort würden wir mit Jim zusammen Raubkatzen schützen. Dass diese frei erfundene Geschichte funktionierte, hatte ich natürlich gehofft. Dass sie eine derartige Wirkung bekam, wie sie es dann tat, damit rechnete ich allerdings nicht. Zweifel schien es keine mehr zu geben, die Story hatte das, was Medienmenschen lieben. Crime, Love und exotische Tiere.

    Leichte Bedenken ließen sich schnell zerstreuen. Warum ich auf keinem der vielen Fotos auftauchte, erklärte ich damit, dass ich der Fotograf gewesen bin und auch nicht so wichtig sei. Vergleichsweise verhielt es sich bei anderen Journalisten, irgendwie neigt man in der Branche dazu, voneinander abzuschreiben und nichts mehr zu prüfen. Tiger Jim bestätigte meine Identität und meinen Auftrag gegenüber der „Starshoot" Fernsehproduktion. Das philippinische Konsulat bestätigte die Existenz der Tierschutzorganisation, der die gesamte politische Elite des Landes angehörte, sowie die Echtheit der vorgelegten Dokumente. Den Rest glaubte man mir unbesehen und ungeprüft. Das war einfacher, als ich dachte.

    Jetzt ging alles wie von alleine, die Medienmaschine übernahm die Regie und ich wurde zum Rädchen in ihrem Getriebe.

    Damals

    Als Erika klar wurde, dass sie ein Kind bekam, wurde hastig die Hochzeit geplant. Sie war hochschwanger und ihr Bauch symbolisierte diese Mussehe schon überdeutlich. Sie war kreuzunglücklich mit Jürgen. Es war weder seine geringe Größe noch das lichter werdende Haar und auch mit seiner Wampe hätte sie zur Not leben können, es war seine Art, die sie abstieß. In seinen Geschichten war er immer der mutige Haudegen, der Grandiose, der Beste, der Allergrößte eben. Nichts war ihm unmöglich. Erika konnte seine Storys schon nicht mehr hören, als Tini geboren wurde. Nach der Geburt verweigerte sie sich Jürgen immer öfter. Zunächst mit Notlügen und dann mit noch mehr Notlügen. Als er sich nahm, was ihm als sein eheliches Recht zustand, wie er es nannte, zog Erika mit Tini wieder zu ihren Eltern. Als Dorfbulle fackelte Erikas Vater nicht lange und warf ihn ziemlich unsanft aus dem Haus, als sein Schwiegersohn bei ihnen auftauchte. Jürgens Schuldbewusstsein hielt sich in engen Grenzen.

    Die rheinland-pfälzische Diaspora wurde ihm jetzt zu klein. Jürgen zog es nach Mainz, wo vergleichsweise der Bär steppte. Im Rotlichtmilieu wurde er zunächst als sehr großzügiger Freier, mehr und mehr auch als exzellenter Hehler bekannt. Er kaufte und verkaufte heiße Ware, die er im Gangsterjargon „Schore" nannte. Auch die sehr begehrten Artikel aus den PX Stores der amerikanischen Besatzer konnte Jürgen in jeder gewünschten Menge besorgen. Die lokalen Zuhälterbosse waren seine unerreichten Vorbilder. Wie die mit Frauen und ihren Gegnern umgingen, imponierte ihm. Jürgen genoss es, wenn die Halbweltgrößen ihn in die Separees holten, um bei ihm Amikippen oder unverzollte Spirituosen zu bestellen. Vor allem eine kleine Gruppe von belgischen Luden beeindruckte ihn nachhaltig. Einer von ihnen besaß einen zahmen Gepard. Das Tier hörte auf den Namen James und zeigte ungewöhnlich viel Vertrauen ihm gegenüber. Was dem Zuhälter aus Belgien besonders imponierte.

    Seine Geschäfte liefen eine Zeit lang sehr gut, bis ihm die amerikanische Militärpolizei dann doch auf die Schliche kam. Die deutsche Zoll- und Steuerfahndung besorgte den Rest. Bei einer oberflächlichen Hausdurchsuchung fanden sie siebzehntausend Mark und viertausend US Dollar. Kistenweise Lucky Strikes und

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