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Achteinhalb Jahrzehnte: Erzählungen
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Achteinhalb Jahrzehnte: Erzählungen
Ebook96 pages1 hour

Achteinhalb Jahrzehnte: Erzählungen

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About this ebook

Was denkt ein gewöhnlicher Dieb, was macht eine alte, einsame Frau den lieben langen Tag, wer begegnet der Schwimmerin?
Wie kommt die Ewigkeit mit der Vergänglichkeit zurecht?
Streß im täglichen Leben, Schönheitswahn, Wut oder ein entspannender Abend an der Bar – über all das sprechen die Erzählungen, die spannend den Blick auf die Momente in unserem Leben werfen.
LanguageDeutsch
Release dateDec 4, 2014
ISBN9783732214631
Achteinhalb Jahrzehnte: Erzählungen
Author

Katharina Mälzer

Katharina Mälzer wurde in Hohenstein-Ernstthal geboren und lebt seit dem Studium der Chemie in Merseburg. Sie schrieb auch den Erzählband "Achteinhalb Jahrzehnte" und gab "Die Geschichten aus dem Leseturm" heraus.

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    Book preview

    Achteinhalb Jahrzehnte - Katharina Mälzer

    Schön

    Unverbesserlich

    Im Dunkeln hatte ich das Haus das erste Mal gesehen. Es sah erfolgversprechend aus.

    Dabei beließ ich es erst einmal.

    Ich sah gut aus. Hatte einen Waschbrettbauch, war insgesamt gut gebaut. Amely sprach vom Knackarsch.

    Aber das brachte nichts ein. Die Schule hatte ich geschmissen, die Lehre war nicht das, was ich mir erhoffte: Koch. Ich hatte mir das gut vorgestellt, mein Kumpel Ede hatte das erste Lehrjahr hinter sich. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Aber wie sollte das gehen, wenn die Teller vom Geschirrspülautomaten und nicht mehr von der Hand gewaschen werden, in die dann die Millionen fließen sollten. Ich versuchte es trotzdem, ging nach Österreich. Wusch auch Teller, lernte das Wichtigste, was man zum Kochen benötigte. Bediente die Leute, die in meinem Dialekt den von mir bereiteten Kaiserschmarrn bestellten. Ein bißchen Trinkgeld … Dann fand ich ein Portemonnaie, nahm zwei 20er Scheine heraus, den 50er ließ ich drin und legte diesen Rest vor die Bar. Eine Stelle, an die jedermann heran kam, die für mich nicht verräterisch war. Alles nahm ich nicht, ich traute mich nicht. So war es eher wie ein Teilen; ich nahm mir nur ein Stückchen. Später hatte ich gesehen, wie der Besitzer aufatmete, als er zunächst sein Portemonnaie fand, dann sah, daß neben dem Ausweis auch noch Geld drin war, der 50er Schein und das Kleingeld. Dieses Gesicht, dieser glückliche Blick, das Klopfen auf die Schulter seiner Frau – das alles gab mir Sicherheit, eine kleine Bestätigung dafür, daß ich es richtig gemacht hatte. Viele Portemonnaies gingen seither durch meine Hände, keiner der Besitzer kannte deren genauen Inhalt. Immer blieb etwas kleben, gerade soviel, daß auch ich etwas Geld besaß, und sowenig, daß niemand den Klau bemerkte.

    Ich wurde gelobt für meine Höflichkeit. Ich grüßte. Nicht einfach so. Ich grüßte die Leute persönlich. Ich schaute ihnen dabei in die Augen, nicht zu lange, es sollte nicht irritieren. Ein kleines Lächeln ließ ich um meine Lippen zucken. Ich trainierte das bei all den Leuten, die kamen und gingen. Das Trinkgeld fiel höher aus. Ich hätte zufrieden sein können.

    Leider vergriff ich mich, auch höher, gerade höher, was ja nicht meine Art war, sein sollte, ich nicht wollte ‒ nur ein einziges Mal – wieder in einem fremden Portemonnaie. Alles nahm ich diesmal, denn ich wurde gestört, griff in der Eile nach allen Scheinen. Halb Freude, halb Schreck, es waren 3 Hunderter. Es wurde geredet, getuschelt, wer hat wo und wie es gewagt, die Gäste zu bestehlen.

    Nun fühlte ich mich beobachtet. Lara, das Zimmermädchen, guckte auch so komisch und sagte den Kinobesuch, für den wir uns am Abend verabredet hatten, ab. Sie sagte auch nicht, ob es am Film, speziell an dem Film, lag: Theresa, die Diebin. Ein Film, den ich als Kind gesehen hatte. Ich hatte mir nur den Titel gemerkt, vom Inhalt wußte ich nicht mehr viel. Aber geweint hatte ich damals.

    Und nun? Auch jetzt hätte ich heulen können. Der Kopf drückte, der Bauch auch, es rumorte regelrecht in meinen Därmen, dabei hatte ich nichts Unrechtes, sondern nur von mir selbst Gekochtes gegessen, die rechte Schulter tat weh.

    Ich wurde zum Chef gerufen.

    Die Bauchschmerzen wurden stärker, ich ging auf die Toilette. Mein ganzes Elend schoß durch den Darm.

    Ich klopfte vorsichtig an die Tür des Chefs. Kein Herein. Ich stellte mich aufrecht hin, atmete tief ein, hob die Hand und pochte mit aller Kraft zweimal an die Tür. Auf Herein trat ich ein. Mein Herz klopfte bis zu Hals. „Setzen Sie sich."

    Fünf Minuten oder zehn oder eine halbe Stunde, da war ich wieder draußen. War versetzt worden. Vom Herd an die Bar. Meine Gedanken überschlugen sich, jubelten. Mehr Chancen für mich. Er hatte nichts gesagt über meine Verfehlung, vielleicht nichts bemerkt?

    Kein Kopfschmerz mehr, keine Bauchschmerzen. Ich riß die Arme nach oben, ließ sie kreisen.

    Ich mußte viel lernen. Kannte bisher nur Alkopops und Bier. Nun ging es um Gin und Rum, Weinbrand, Obstbrand oder Geist. Eis, gewürfelt, gecrasht. Ananas, Guave, Zitrone, Limette.

    Dieser süße Sirup, die Farben, die Glasformen.

    Und ich lernte viel. Tequila Sunrise, mit echt aufgehender Sonne, Bill Gates, für die Gäste mit dem härteren Durchhaltevermögen. Es machte Spaß. Ich schüttelte und rührte, mischte die besten Cocktails, zwirbelte die Flaschen durch die Luft, wurde schneller, besser.

    Und konnte es nicht lassen. Die Portemonnaies lagen so oft verführerisch auf der Bar, während die Gäste sich unterhielten, küßten, lachten. So ein Leichtsinn oder Übermut oder vielleicht auch ein Sicherheitsgefühl bei einem so netten, höflichen, zuvorkommenden, Trinkgeld so zögerlich annehmenden jungen Barkeeper wie ich es einer war.

    Ich weiß nicht, was es war. Warum ich ging. Das Geld stimmte, das legale als auch das andere. Es zog mich, es zog mich nordwärts, nach Hause, nach Halle. Es wartete niemand auf mich. Meine Mutter wohnte noch in Halle. Ob ich sie besuchen würde? Ich hatte keinen Kontakt mehr gehabt, seit ich von der Schule ging, fünf, sechs Jahre sind wohl seitdem vergangen. Besuchen könnte ich sie, vielleicht würde ich ihr etwas mitbringen, eine Goldkette oder ein paar Stiefmütterchen, lila mit gelb, die sie immer so mochte, oder einfach eine Schachtel der alten klassischen Hallorenkugeln.

    Gut, der Treff mit meiner Mutter war nicht so berauschend. Wir aßen gemeinsam die Hallorenkugeln, tranken lauwarmen Kaffee. Sie bereitete ihn zwar auch mit kochendem Wasser zu, er kühlte aber in der kalten Porzellankanne ab, da sie im Wohnzimmer erst noch nach den guten Tassen und einer Vase für die Stiefmütterchen suchte. Die Kette behielt ich dann doch in der Hosentasche.

    Ich traf Ede wieder. Er war ins Musikgeschäft eingestiegen. HipHop, er brannte seine CDs, gestaltete mit seinem Computer die Cover. Ich stieg mit ein. Mein Name stand mit drauf. Ich wurde in der Szene bekannt, gut Edes. Und ich lernte Leute kennen.

    Nur mit den Portemonnaies klappte es nicht so. Es gab zwar immer mal welche, in die ich unbemerkt hineinschauen konnte, aber der Inhalt erbaute mich nicht. Sogar Ede hatte nichts drin. Nur die Bankcard. Ede vertraute mir. Wir fuhren nach Leipzig, abends hatten wir in einer kleinen Kneipe einen Auftritt, wir spielten unsere CDs. Ede mußte noch Geld holen. Ich wartete vor der Bank auf ihn.

    Ede nahm mich danach mit zu sich nach Hause. Eine kleine Wohnung, in der auch seine 19jährige Schwester Anja wohnte. Anja hatte mit 16 ein Kind

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