Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen: Kurze Lebensgeschichte des Johann W. Erzählt und mit philosophischen Betrachtungen aufgepeppt von ihm selbst.
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Ohne Prüderie und tabulos erzählt Johann von seinen erotischen Erfolgen ebenso wie von seinen Enttäuschungen und Verirrungen.
Schöngeistern, die von einem Autor Herzensbildung und von der Lektüre Erbauung erwarten, wird von selbiger abgeraten.
Wolfgang Melzer
Wolfgang Melzer (Dr. rer. nat.) wurde in Bremen geboren und betreibt dort in freiberuflicher Tätigkeit ein chemisches Laboratorium. Schon frühzeitig entfaltete er eine Paralleltätigkeit in der Literatur. 2010 gewann er den 7. Wolfgang A.-Windecker-Lyrikpreis des FDA.
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Book preview
Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen - Wolfgang Melzer
Inhaltsverzeichnis
Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen
Impressum
Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen
Ich bin ein Zwerg. Nach den Regeln der Politischen Korrektheit bin ich kleinwüchsig, aber so reden schwächliche Naturen. Ich sage: Ich bin ein Zwerg. Ich messe exakt einhundertzweiunddreißig Zentimeter. An mir sind nur zwei Dinge groß: Mein Verstand und mein Gemächt. Die aber sind – meine ich - beeindruckend. Beide sind mir gleich wert, haben freilich beide den Nachteil, nicht sofort sichtbar zu sein. Die Größe seines Geschlechtsteiles öffentlich zu machen, verbietet die Erziehung. Die Größe seines Geistes zu offenbaren, ist gleichfalls schwierig, denn oft genug fehlt es an Köpfen, die fähig wären, ihn zu spiegeln. So sehen denn die Leute den Zwerg und sind zufrieden.
Die anderen sind stattlich und von imponierender Gestalt. Was zwergenhaft an ihnen ist, bleibt unbemerkt. Zwergenhafter Wille, zwergenhafte Ziele, zwergenhafte Probleme, zwergenhafte Schwänze, …, alles bleibt verborgen. Das ist ungerecht, aber natürlich völlig absichtslos. Wessen Absicht sollte das auch sein?!
Jedenfalls geben die anderen den Maßstab vor – und ich … bin der Zwerg.
Wobei: So ganz absichtslos kommt es vielleicht doch nicht dazu.
Durch meinen Wuchs neige ich - fast möchte ich sagen, seit meinem Eintritt in die Welt - zum besonderen Blickwinkel. Wer nicht weit gucken kann, der muss anders gucken. Ich zum Beispiel schaue nicht wie die Philosophen auf das Sterben, ich frage mich auch nicht, ob es ein Leben nach dem Tode gibt und was wir darüber wissen können. Ich schaue nach der anderen Seite, zur Geburt und frage nach dem Leben davor. Das ist schwierig schon wegen der Sprache, die mein Denken immer wieder einfängt und auf die vielbefahrenen Gleise setzt.
Sie fragen sich, was ich damit meine? Gut, ich will es erklären.
Wir reden gewöhnlich von „geboren werden einerseits und von „sterben
andererseits.
Folgt man der Sprache, dann ist die Geburt für den, der da auf die Welt kommt ein Widerfahrnis. Die Sprache kennt dafür nur die Leidensform. Wir haben kein Wort, das den Anteil des Kindes, seine Anstrengung, sein Tun beschreibt, wenn es sich auf die Welt quetscht. Der Mensch wird geboren. Und auch der Zwerg wird geboren. Wer da gebiert, das ist seine Mutter. Dem Ankömmling selber geschieht es. Wenn wir denken wie wir sprechen, und die meisten tun das ja wohl, dann nehmen wir die Rollen der Beteiligten auch genau so wahr und sehen das ganze Verdienst bei der Mutter. Dabei ist dieses „Er wird geboren." eine grobe Verzerrung der wirklichen Verhältnisse, weiß doch jeder oder könnte es wissen, dass der Fetus kräftig mit anpackt bei seiner eigenen Geburt. Sozusagen.
Dieselbe Verirrung des Ausdrucks am anderen Zipfel des Lebens. Wir sagen: „Einer stirbt., und es klingt für unsere Ohren, als trüge er dazu bei. Für die Tätigkeit des Auf–die-Welt-Strampelns haben wir kein Wort, das im Aktiv zu gebrauchen wäre, der Vorgang bleibt ein Erleiden, obwohl er Mut verlangt und höchst kräftezehrend ist. „Sterben
dagegen, für den Vorgang des Aus-der-Welt-Fallens tritt nur im Aktiv auf. „Er wurde gestorben. geht allenfalls als Kalauer durch. Von Selbstmördern abgesehen, wüsste ich nicht zu sagen, welchen Anteil ein Sterbender an seinem Sterben verrichtet. Der Vorgang widerfährt ihm. Meistens sogar gegen seinen Willen. „Sterben
kann man nicht „tun, so wenig wie zum Beispiel „siegen
. Trotzdem schwatzen die Philosophen davon, philosophieren hieße sterben lernen. Sterben ist keine Tätigkeit, trotzdem soll man sie erlernen können – was für ein Unsinn!
Die Philosophen sind fixiert auf den Tod und gelenkt durch die Sprache, deshalb drehen sich so viele Philosophien um den Tod und das, was danach kommt. Phantasieloses hasenherziges Gesindel! Sie haben Angst um ihr klägliches Ich und wollen es retten. Das treibt sie an. So wählen sie ihre Themen.
Die viel reinere Frage, die nur um der Erkenntnis willen gestellt wird, keine praktischen Folgen haben kann, ist die Frage: Was war vor der Geburt? Oder, wenn Sie es griffiger wollen: Gibt es ein Leben vor der Geburt und wie läuft es ab?
Ich male mir das aus wie in der Geschichte vom Chagrinleder. Die Große Mätresse übergibt jeder Seele oder was das ist, was da einmal Mensch werden will, eine Art Libido-Leder. Das macht dessen Wünsche wahr, begrenzt sie aber gleichzeitig, weil es – wie das berühmte Chagrinleder - mit jedem Wunsch kleiner wird, je nachdem, wie viel Liebesenergie der jeweilige Wunsch verbraucht hat. Allerding muss immer ein Mindest-Rest übrig bleiben, sonst ist das Geschöpf nicht lebensfähig.
Schattenhafte Erinnerungen, die davon erzählen, lassen mich glauben, dass es sich bei mir so begeben hat. Ich meine mich zu erinnern, mir als erstes einen scharfen Verstand gewünscht zu haben. Den benutzte ich dann, um über meinen nächsten Wunsch nachzudenken. Ich kam zu dem Schluss, dass es darauf ankommt, im Leben möglichst viel Lust zu erreichen. „Ein zuverlässiges Lustorgan mit großem Potential!", lautete daher mein zweiter Wunsch. Die Große Mätresse tat mir die Liebe und bescherte mir einen imposanten Penis, der heute, da ich ausgewachsen bin, schon im Ruhezustand eindrucksvolle 12 cm misst, vom Umfang gar nicht zu reden. Aufgerichtet bringt er es auf prachtvolle achtundzwanzig Zentimeter Fleischeslust. Ich hatte offenbar viel verlangt, denn die Große Mätresse schnitt ein gewaltiges Stück von meinem Leder. Nach zwei Super-Organen war Schluss, das Leder war nur noch ein kleiner Flecken. Der reichte zwar noch für ein lebensfähiges Individuum, an der restlichen Ausstattung musste aber straff gespart werden. So war es meine Absicht, ein lustvolles Leben zu führen, die mir diese unscheinbare Gestalt bescherte.
Ein schönes Beispiel dafür, dass wir selbst verantwortlich dafür sind, was aus uns wird. Im Guten wie im Schlechten, im Großen wie im Kleinen.
Meine Geburt war dann keine große Sache. Ich war nicht das erste Kind meiner Mutter. Die Wege waren gebahnt, meine Mutter wusste, was sie zu tun hatte. Auch ich wusste es. Ich legte all meinen Verstand und meine ganze Kraft in die Herausforderung, den engen Geburtskanal zügig hinter mich zu bringen. Gemeinsam schafften wir es geradezu routiniert. Meine Mutter presste, ich drückte mit den Beinen und nach zwei Stunden konzentrierter Arbeit rutschte ich - Kopf voran - in die Außenwelt. Sie nannte mich Johann. Alle waren zufrieden. Nur mein Penis fiel schon damals auf. Als mein Vater mich zum ersten Mal sah, nickte er mit dem Kopf und stellte zufrieden fest: „Der wird mal ein richtiger Kerl!"
Nun ja…
II
Mein Verhältnis zur Schule war zwiespältig. Der Unterricht