Gefühle im Unterricht: Die Kunst, liebevoll einen Kaktus zu umarmen
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Trotzdem gelingt ihm das "Überleben" vor der Klasse und das Verhältnis zu den Schülern und Schülerinnen entwickelt sich in eine ungeahnte Richtung....
Klaus Dreymann
Klaus Dreymann, Jahrgang 1945, hat sich seit seiner Kindheit für Fische, Amphibien und Reptilien interessiert, was sich dann später zum Studium eines Lehrers für Naturwissenschaften an der Oberstufe weiter entwickelte.
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Book preview
Gefühle im Unterricht - Klaus Dreymann
Danksagungen
Vorwort
Erwarten Sie keine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Schule, ich bin kein Wissenschaftler.
Studien über die Schule hat es genug gegeben aber sie haben die Schule bisher nicht grundlegend verändert.
Ich versuche die Schule als Insider zu beschreiben, als Lehrer mit knapp vierzig Jahren Praxiserfahrung vor Ort.
Natürlich habe ich während dieser Zeit zahlreiche Untersuchungen zu vielen Themenbereichen rund um Schule und Erziehung gelesen, aus denen ich alle möglichen Erkenntnisse gewonnen habe. (Siehe S. →) Im Laufe eines Lebens schreibt man sich dadurch sein eigenes Buch im Kopf zusammen.
Ich werde aber keine Studien zitieren – ich werde meine Eindrücke, Erfahrungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus meinem Unterricht so anschaulich wie möglich wiedergeben........
Praxisschock
Meine erste Unterrichtsstunde als Lehrer, irgendwann im September.
Guten Morgen, mein Name ist Dreymann, ich bin Euer neuer Gesellschaftskundelehrer
(Ich schreibe den Namen an die Tafel).
Kursbuch aufklappen und die Anwesenheit kontrollieren.
Diese Gedanken füllten seit Wochen mein Gehirn aus.
Dann nehmen Sie doch mal die Kerngruppe 8.13, die hätten jetzt Geschichte, die Feudalismuseinheit, Herr Kollege
hatte es geheißen.
Das Prinzip hatten sie uns ja an der Universität eingetrichtert: Motivationsphase, dann, auf dem entstandenen Schülerinteresse aufbauend, Wissen vermitteln, Übungs- und Anwendungsphase und zum Schluss den Lernzuwachs kontrollieren.
Fachlich fühlte ich mich sicher.
Fachlich hätten wir als Schüler damals unseren Lehrern auch kaum das Wasser reichen können. Aber es gab eben immer auch Stunden, in denen wir nichts lernten, Krawallstunden wie bei Dr. Grunwald, oder Stunden mit Langeweile oder mit Angst.
Ich wollte das alles anders machen, verständnisvoll sein, Ihr könnt ja mit mir reden. Wenn Ihr Probleme habt, könnt Ihr zu mir kommen, ich bin doch auf Eurer Seite ...
Die Klasse würde es schon merken, wenn jemand nett und freundlich ist, außerdem - lange Haare und Jeans sind bestimmt unverdächtig.
Ich hatte Angst.
Mein Stundenentwurf war schon lange fertig und die wichtigen Stellen hatte ich rot umrandet, Phasenwechsel, Methodenwechsel, Medien, Lehrerimpulse.
Ein paar Sätze, die ich sagen wollte, standen vorsichtshalber wörtlich und auch mit rot umrandet da und links die genauen Uhrzeiten. 8 Uhr Begrüßung, Vorstellung und Anwesenheitskontrolle:
Guten Morgen, mein Name ist Dreymann, ich bin Euer neuer Gesellschaftskundelehrer
(Ich schreibe den Namen an die Tafel). Kursbuch aufklappen und die Anwesenheit kontrollieren.
Ich hatte die Stunde schon ein paar Mal gehalten, in Gedanken, und sie hatte eigentlich jedes Mal geklappt.
Meine Angst nahm deutlich zu, je näher der Tag x kam, eine lampenfiebrige Angst mit merkbar höherem Zigaretten- und Kaffeekonsum.
Um 8 Uhr war ich dran und um 5 Uhr war ich schon wach, ich ging die Stunde noch mal durch mit Zigaretten und Kaffee. Die Arbeitsbögen hatte ich schon lange vorher abgezogen, das Lehnswesen sollte rankommen, eine eigentlich todsichere Sache. Und witzig wollte ich einsteigen mit Wie hieß denn der Bundeskanzler im Mittelalter?
Ich fuhr sehr früh los, es hätte ja unterwegs ein Verkehrsstau sein können oder das Auto springt nicht an oder ich finde keinen Parkplatz, nichts von alledem.
Der Hausmeister schloss gerade auf.
Ich hatte noch über eine Stunde Zeit.
Im Raum 5.02.01 sollte alles stattfinden, ich ging schon mal nachsehen, ein Raum ohne Fenster, mit Klimaanlagenrauschen wie im gesamten Gebäude. Alle Stühle ordentlich hochgestellt, Schwamm und Kreide vorhanden, Tafel gewischt, zurück in den Lehrerstützpunkt Gesellschaftskunde.
Die erste Kollegin kam, Na, ist heute der große Tag? Wird schon werden, wir haben ja alle mal angefangen ...
Nach und nach kamen die anderen, ich hatte die meisten schon mal gesehen, und unterhielten sich über das Fernsehprogramm, das Wetter oder organisatorische Dinge, holten Kursbücher aus ihren Fächern und stapelten Arbeitsbögen.
Kaffee und Zigaretten.
Na, geht's heute los? Schon aufgeregt? Die 8.13 haben Sie? Sind nicht ganz pflegeleicht, aber Sie werden das schon machen, toi, toi, toi...
Schreck, das Klingeln, es ist aber erst Viertel vor, die Schüler dürfen ins Gebäude. Zwei Jungen klopfen an die offene Tür Ist Herr Hellwig mal da? Wir sollen das Epi holen.
Sie schieben den Rollwagen raus, ganz nett eigentlich, kein Grund zur Angst, denke ich mit trockener Kehle.
Ich nehme die Umgebung nicht mehr im Normalzustand wahr. Nur noch flüchtige Eindrücke, diffuse Gesprächsfetzen, Prospekte von Lehrmittelinstituten auf den Tischen, der Kartenständer, draußen vorbeilärmende Schüler, eine schneidende Männerstimme Ist hier bald mal Ruhe, sonst könnt Ihr mich mal kennen lernen!
Wie sieht denn das hier wieder aus, heb' das Papier auf!
Das war ich aber nicht.
DU HEBST DAS SOFORT AUF !
Grabesstille draußen. Ein paar Kollegen um mich herum grinsen. Es ist fast acht. Ich nehme mein Kursbuch mit den anderen Papieren darin und gehe mit forschen Schritten raus in den Flur, nach links, fünf drängelnde Klassen vor ihren Räumen mit Schubsereien und ein paar Mappen, die den Weg versperren. Hier und da Beine von Schülern, die auf dem Boden sitzen, ich mache große Schritte darüber hinweg, meine Klasse steht ganz hinten links, sie verhalten sich wie alle anderen auch.
Als ich mit Kursbuch und Schlüssel in der Hand auf ihre Tür zugehe merken sie, was los ist Wer sind SIE denn?
Ich lächle unecht und schließe auf. Sie toben an mir vorbei in den Raum und reißen die Stühle von den Tischen, ein paar davon knallen hörbar auf den Boden.
Ich schließe die Tür hinter mir, Gedankenfetzen blitzartig und alle durcheinander, schweißige Handflächen, ob sie das wohl merken.....?
Sie müssen das doch sehen, hoffentlich nicht, und die Unruhe in meinem Rücken, ich drehe mich um und suche den Lehrertisch da ganz hinten irgendwo, während ich penetrant freundlich oder leutselig langsam in die Runde blicke, keinen richtig sehe, nur bunte Körperkulissen und Bewegungen, unsicher, wie nach Alkohol aber nicht gelöst, peinlich und nicht ich selbst, wie in der Tanzstunde damals als ich ausgerutscht bin.
Ich bin schon viel näher am Lehrertisch und meine Stundenplanung ist aus dem Kopf, Angst, wir haben damals ein paar neue Lehrer zum Brüllen gebracht, zu Klassenbucheinträgen provoziert, und gerade ich bin so ein Schüler gewesen.
Ich drehe mich zur Klasse, stehe irgendwie ungeschickt schräg, weiß auch nicht genau, warum ich mich nicht setze, bleibe oben, will wohl den Überblick oder dass sie mich alle sehen können und vielleicht Respekt haben, ruhig sind, endlich ruhig sind.
Keine Reaktion, als ob ich nicht da bin. Ich warte wohl erst mal von wegen Beruhigung und Adrenalin, es muss ja jetzt irgendwas passieren.
Sie wühlen über und unter den Tischen und kloppen sich, werfen mit irgendwelchen Sachen, lachen schrill und versuchen sich gegenseitig zu überschreien, blinzeln manchmal in meine Richtung aber ohne irgendein Anzeichen von Erwartung oder Respekt.
Ich nestle an dem Kursbuch herum, als hätte ich da noch was zu erledigen, kann dadurch wenigstens die Augen senken.
Ob das draußen zu hören ist, dieser Lärm? Wo ist der Stundenentwurf, ich stehe immer noch irgendwie da, blätternd, finde ihn dann mit feuchten Fingern, Guten Morgen, mein Name, ich bin Euer
, wie sollen die mich hören, es guckt kaum jemand, ob ich laut werden soll …?
Guten MORGEN, mein Name ist DREYMANN, ich bin Euer neuer GK-Lehrer
höre ich meinen Mund und stehe schnell mit dem Rücken zu ihnen, schreibe, die Kreide bricht, den Namen, Wie heißen Sie? Dreifuß, Einmann, Zweifrau
, genau wie früher in der Grundschule, oder immer wenn ich in einer neuen Klasse als Schüler meinen Namen sagen musste, Kichern, oder nein, eigentlich meckerndes Lästern.
Ich drehe mich um, es muss ja irgendwann doch mal losgehen und ich habe wohl immer noch das Krampflächeln im Gesicht, bloß nicht zurück-schlagen, nicht autoritär sein, nicht schimpfen, nicht mal böse kucken, nicht so sein, wie die Lehrer und Lehrerinnen damals.
Aber ich bin doch nicht so einer, wieso ist die Klasse dann so, ich will doch freundlich mit denen umgehen, ...hat man Sie mit DEN Haaren überhaupt als Lehrer zugelassen?
Hitze wallt hoch, wie reagiert man jetzt, ich kann mich wenigstens mit meinen Augen an dem Fragesteller festmachen, Ich bin Euer neuer GK-Lehrer
sage ich und meine Kehle, überhaupt alles im Mund ist trocken, klebt aneinander. Ich setze mich irgendwie beiläufig schräg auf die Tischkante, beuge mich ein bisschen nach vorn, will wohl Zugeneigtheit zeigen, nicht wie es mir wirklich geht. Wenn sie Angst mitkriegen lachen sie mich aus.
Ich muss hier was leisten. Wenn sie Unsicherheit mitkriegen machen sie mich fertig, in der Uni war das immer völlig anders.
Ich bin doch kein autoritärer Lehrer, wenn ich nett bin werden sie mich schon verstehen.
Ich warte immer noch und suche eine Lücke in der Lärmkulisse. Ich will jetzt anfangen. Was mache ich, wenn es keinen stillen Moment gibt? Ich warte unruhig, es steigt Wut in meinen Hals, jetzt nicht ausrasten, nicht alles verderben, oder vielleicht nur mal jetzt am Anfang, damit ich überhaupt was sagen kann, ich kann's ja später wieder zurücknehmen oder ihnen erklären.
Ich darf nicht wütend sein, ich lächle mit Schweiß auf der Oberlippe und eigentlich überall. Einer zieht einem Mädchen den Stuhl weg, muss ich jetzt nicht helfen, sie könnte sich verletzen? Ich klebe am Tisch, mein Oberkörper wippt etwas vor und zurück, sie lachen brüllend schadenfroh über das Mädchen, das sich nun heftig auf den Fußboden gesetzt hat. Sie steht auf und versucht dem Jungen eine zu knallen, er rennt weg über seinen Tisch, kommt in meine Nähe, ich halte ihn fest, am Oberarm, wohl doch mit Gewalt. Das Mädchen erreicht uns und ich flüstere mit beiden, die Klasse starrt gespannt in meine Richtung, was macht der jetzt wohl, ich will kein Aufsehen, flüstere Jetzt setzt Euch bitte beide ruhig wieder hin ...
hebe dabei wohl die Augenbrauen, ABER DER HAT ANGEFANGEN
schreit sie, Du setzt Dich bitte auch hin
versuche ich verzweifelt unter Ausschluss der „Öffentlichkeit zu flüstern,
Is ja unjerecht hier, gebense dem doch 'n Eintrag ...
Ja, sorgense mal für Ruhe... brüllt von irgendwo einer, lautes Lachen in einer anderen Ecke. Die beiden setzen sich, kloppen sich aber immer noch ein bisschen, das ist jetzt der Moment, denke ich,
Ich bin also Euer neuer GK-Lehrer und klappe das Kursbuch auf:
Angermann -
Hier -
Apitz -
Hier hängter -
Böhm -
Fehlt schreien mehrere und das Gemurmel schwillt wieder an,
Berger - ...
BÄRRGÄRR - eine Mädchenhand zeigt sich -
Bylik -
BYLITSCH heiße ick ! Lachen, -
Cabriolet tosender Lärm, Brüllen
Tschabrilo heißt der, können wohl nicht lesen? Die Tür geht auf, ein Junge stutzt kurz, setzt sich dann hin, die Tür knallt laut zu,
Wer bist Du denn? -
Wer sind Sie denn? - ich merke meine Aggressionen immer heftiger -
Jetzt werde hier nicht frech, warum kommst Du erst jetzt?
Ich musste noch mit Frau Wabke sprechen --!
So, und wie heißt Du nun?
Köhler, genannt Schummi, Herr Lehrer!
Wieder das allgemeine Brüllen, ich versuche es zu ignorieren,
Daberkow -
Hier -
Delenschke-
Hier hängter!"
-Also jetzt reißt Euch mal `n bisschen zusammen -Dietrichs
-eine Hand - Greinert
-Is nich mehr da, is in de Sonderschule jekomm’, oder inne Klapsmühle
- Könnt Ihr nicht mal ein bisschen leiser sein?
- Machen Se sich nüscht draus, da ham sich die andern ooch schon dran jewöhnt!
- Höhnisches Lachen Sehn Se sich lieber vor, wir ham schon janz andere fertich je- macht ...
- Heinrich
- Hier hängter
- Müller
- Welcher ?
- Müller, Peter
- Der kommt immer ne Stunde später, is'n Sozialfall
- Müller, Wolfgang
- Jestorben
-- schallendes Meckern -- Ne, hier bin ick -
- sie machen, was sie wollen, es ist schon eine Viertelstunde um, ich komme mit der Planung nicht mehr hin, die Tür geht auf, knallt bis an die Wand, Tach Jevat ter, ick musste meiner armen alten Oma noch Wein und Kuchen bringen
–
Mein Schädel platzt fast vor Wut JETZT WERD'HIER NICHT NOCH FRECH !
Heißt Du Peter Müller?
- Richtig, Meister, sind ja ein kluges Kerlchen ...
- ich versuche irgendwas herunterzuschlucken - Turan
- eine Hand - Kutluay
- ein Finger - Weber
- Hier, icke!
- Weinstein
--- WEINSTEIN
- Ja, ja, is ja jut, dit is so laut hier, man kann ja sein eigenes Wort nich verstehn!
- Dann seid doch mal leiser ---
Wörle
- Fehlt ooch
- Zeltner
- ZU BEFEHL!
steht auf und salutiert - Jetzt lasst mal diese Kindereien ...
Jetzt werden se nich noch frech!
Wut im Bauch - ICH SOLL WOHL IN MEINER ERSTEN STUNDE SCHON EINEN TADEL VERTEILEN ?!?!
--Tun Se sich keen Zwang an, sowat sammeln wir
--- tosendes Gebrüll, Meckern und schallendes Lachen, minutenlang kommt es mir vor, nicht aus der Rolle fallen, es sind ja nur