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Geschichten mit langer Leitung: Skizzen von der Erdgastrasse -zweiter Band-
Geschichten mit langer Leitung: Skizzen von der Erdgastrasse -zweiter Band-
Geschichten mit langer Leitung: Skizzen von der Erdgastrasse -zweiter Band-
Ebook625 pages8 hours

Geschichten mit langer Leitung: Skizzen von der Erdgastrasse -zweiter Band-

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About this ebook

Und nun der zweite Band der Geschichten mit „langer Leitung“, Trassenskizzen. Mal mit groben literarischen Strichen, mal mit feinen. Die DDR auf der größten Baustelle im Ausland, untergliedert in verschiedenen Abschnitten. Geschehnissen von denen meist nur die Beteiligten wussten, Geschehnissen in den achtziger Jahren in der damaligen Sowjetunion.
LanguageDeutsch
Release dateJan 30, 2015
ISBN9783738693515
Geschichten mit langer Leitung: Skizzen von der Erdgastrasse -zweiter Band-
Author

Frank Kminkowski

Frank Kminkowski arbeitete drei Jahre lang in verschiedenen Berufen an der Trasse. Als letztes als Großhebezeugführer. Inzwischen lebt er in Berlin, Prenzlauer Berg.

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    Book preview

    Geschichten mit langer Leitung - Frank Kminkowski

    Inhalt

    VORWORT

    EISZEIT

    MIT DOPPELTEM BODEN IM KREML SCHWEIGEN

    HÄRTETEST

    GRETE

    TOPOGRAPHIE

    NATASCHA

    VERTRAGSENDE

    IWAN IWANOWITSCH BEKOMMT EINE NEUE HÜTTE

    GROSSE URSACHE KLEINE WIRKUNG

    MASKERADE

    KRANFAHRERIN UND SCHIPPE

    ZEICHEN SETZEN

    WILLI DER BOXER

    DER PATENONKEL

    Vorwort

    Wiederholungen langweilen im allgemeinen. Und trotzdem das Vorwort wird das gleiche sein wie im ersten Band. Zum nochmaligen Durchdenken und Erinnern. Dazu sind unter anderem Denkmale da.

    Im März neunzehnhundertsechsundachtzig schrieb ich in mein kurz danach aus vielerlei Gründen in den Müll geworfenes Tagebuch: In einem Monat gehe ich in die Sowjetunion an die „Trasse", größte Industriebaustelle der DDR im Ausland. Möchte dort etliches mehr an Geld in drei Jahren verdienen als mir in gleicher Zeit zu Hause möglich wäre; möchte mich möglichst beruflich verändern; Dinge erleben, die aus vielerlei Gründen in der DDR kaum möglich sind; die Sowjetunion kennen lernen, wie sie offiziell nicht existiert; wenn genügend Zeit ist und meine literarischen Fähigkeiten sich als ausreichend zeigen, werde ich versuchen, ein paar Geschichten und Anekdoten aus dieser Zeit aufzuschreiben.

    Wäre ich im anderen Teil Deutschlands geboren worden, hätte es mich vielleicht woanders hin verschlagen, umtriebig wie ich damals war, vielleicht auf irgendeine Großbaustelle in Norwegen, Kanada, Afrika, China, oder ich wäre, wenn es möglich gewesen wär, vielleicht zur See gefahren.

    „Trasse" nannte man Teilabschnitte einer gigantischen Erdgasleitung, einschließlich notwendiger Infrastruktur, die durch die DDR errichtet werden sollte.

    In ihre Gesamtheit sollte sich die Leitung über etliche tausende von Kilometern, vom tiefen Osten der Sowjetunion aus, in der Stadt Urengoi, fast auf Höhe des Polarkreises gelegen, bis an die Grenzen von Ungarn und der damaligen CSSR, bis hin in die Stadt Ushgorod, erstrecken, später dann noch darüber hinaus weiter in westliche Richtung.

    Gestützt auf die Erfahrungen der ersten Trasse, der „Druschba-Trasse", deren Arbeiten drei Jahre dauerten und neunzehnhundertsiebenundsiebzig abgeschlossen wurden, begann die DDR mit ihrer Tätigkeit im Februar neunzehnhundertzweiundachtzig.

    Da in wichtigen Bereichen der DDR nichts ohne Politik ging, wurden diesmal die Teilstücke der „Trasse als „Zentrales Jugendobjekt Erdgastrasse deklariert. Wieder setzte die Parteiführung der DDR dem Jugendverband FDJ den Hut auf.

    Der größte Teil der Trassenerbauer bestand wie bei der „Druschba-Trasse" wieder aus Tausenden von jungen Leuten.

    Ich kam im Frühjahr neunzehnhundertneunundachtzig von der „Trasse zurück. Mein Bankkonto zeigte sich satt gefüllt; beruflich hatte ich mich verändert; viele Dinge erlebt, die sich zwischen Tragik und Komik bewegten, natürlich auch der damaligen Zeit geschuldete normale Dinge, und hatte aus meinem Blickwinkel das Leben in der Sowjetunion, wie sie in offizieller Leseart der DDR nicht vorkam, ausgiebig beobachtet. In meinem Kopf hatten sich jede Menge Geschichten und Anekdoten der „Trasse angesammelt: Geschichten und Anekdoten, von denen ich wusste, dass sie in der DDR niemals veröffentlicht werden würden, selbst wenn ich sie in das umgeformt hätte, was ich unter Literatur verstand und verstehe.

    Zeiten ändern sich, Menschen auch - nun ist Zeit für mich zu schreiben. Meine Erinnerungen kommen als gestaltete Literatur daher. Es geht auf den zweiten Blick um ein Jahrhundertbauwerk, angeblich.

    EISZEIT

    „N ebel, Nebel, was für 'n Scheißwetter"; Bemme zieht die verquollene Bauwagentür hinter sich zu und schaltet das Licht an. Strom kommt von einem in der Nähe tuckernden mobilen Notstromaggregat.

    „Nebel - Nebel - und Selbstgespräche sind die liebsten mir, Bemme löst die Schleife an seinem mit Kunstfell gefütterten Schutzhelm, setzt ihn ab, hängt das gelbe Ding an einen der rostigen Nägel der Garderobe, die aus einem grob gezimmertem Brett besteht, auf dem jedes Mitglied seiner Brigade namentlich verewigt ist. „Ordnung muss sein.

    Bemmes unsteter Blick fällt auf eine Gestalt, die, eingehüllt in eine alte Decke, auf einer der wackligen Bänke liegt.

    Die Gestalt öffnet blinzelnd in das Licht des Bauwagens die Augen und murmelt: „Klar, doch Nebel, Bemme - Nebel und Kälte wie in ‘nem sibirischen Bärenarsch."

    „Hm, du Arsch – man könnte ja 'n wenig heizen, oder? - so wie du möchte ich auch mal mein Geld verdienen. Bemme stößt die auf der Bank liegende Gestalt unsanft an, greift sich in den Bart und versucht ein paar der kleinen Eiszapfen, die sich dort gebildet haben, zu entfernen. Bei zwei der Zapfen kommen Bemmes Finger zurecht, bei anderen nicht. Er betrachtet mit zusammengezogenen Augenbrauen die rechte Hand: „Au – Scheiße, Scheiße auch noch mal. Hab mich anscheinend verletzt. Merkt man bei dem Frost draußen fast gar nicht!

    Bemmes Blick sucht die Waschschüssel, abgenutzte Ding steht auf dem Ofen, Wasser darin ist dreckig und hat nicht mehr als drei, vier Grad. „Macht nichts - nichts. Was uns nicht umbringt - macht uns hart." Vorsichtig wäscht Bemme sich die Hände, tupft sie mit einem löchrigen Handtuch ab.

    Kurtchen, die massige Gestalt auf der Bank, wickelt sich aus seiner Decke, steht ächzend auf und schielt kopfschüttelnd auf Bemmes Hände: „Habt ihr kein Jod an Bord. In meinem Kackbraunen – im Pass, da hab ich auf jeden Fall welches."

    Bemme hebt leicht die breiten Schultern und öffnet den Verbandskasten des Bauwagens. Jod findet er keins, nur Pflaster, Verbandszeug und eine Packung Kopfschmerztabletten.

    Kurtchen, mit richtigem Vornamen eigentlich Karl, eilt polternd mit seinen Filzstiefeln nach draußen, kommt mit dem Verbandskasten seines Passbusses wieder. Das Jod ist zwar überlagert, tut aber noch seine Wirkung.

    „Kann man das Zeug auch trinken?", fragt Bemme mit kurzem Seufzer, um das Brennen auf seiner Hand runter zu schlucken.

    Kurtchen faselte was von Selbstmörder und Idiot und spendiert kopfschüttelnd Zigaretten, nimmt einen tiefen Lungenzug, hustet kurz und meint: „Hättest du, Bemme, in der Schule richtig aufgepasst, könntest du dein Geld auch wie ich - wie'n seliger Kutscher – ja - auch so verdienen. Hatte sitzend auf dem Rücken nur eine meiner schwer erkämpften gewerkschaftlichen Pause eingelegt."

    Bemme schnaubt verächtlich durch seine wuchtige Nase und meint: „Wenn ich richtig gekämpft hätte, du alte Frostbeule, dann würde ich ganz woanders die erste Geige spielen."

    Er besieht sich nochmals interessiert die verarztete Hand und diagnostiziert: „Bis zum Abendessen im Wohnlager is' die Sache längst vergessen. Zur Not gibt’s Besteck."

    „Besteck für 'n Geigerspieler! Ha, ha, ha!", Kurtchen lacht laut.

    „Glaubst du nicht - was? Ich kann, kann Geige und einiges mehr spielen - wirklich. Hätt ich mich damals in Dresden an der Musikhochschule auf eine zweite Aufnahmeprüfung vorbereitet - wer weiß, alter Lenkradhalter du … "

    Kurtchen verzieht das Gesicht und meint: „Ich weiß nur, dass ich bei mir woanders mal gerne wieder spielen lassen würde. Aber hier - hier gibt’s ja nur Wald und Bäume. 'n paar Siedlungen der Iwans, bei denen man nicht genau weiß, ob da im Winter überhaupt jemand haust. Bemme, wo steht deine Bude, deine heimatliche, mein ich?"

    „Tarandt. Tarandter Forst, mein Gutster. Schon mal was von gehört?"

    Kurtchen schüttelte den Kopf und meint, sich mit knubbliger Hand durch den Bart fahrend: „DDR - unser sozialistisches Vaterland - klein, aber so klein nun auch wieder nicht."

    Bemme nickt bestätigend und will wissen, was die Uhr des Busfahrers gerade meldet. Seine eigene Zwiebel, wie er zum Bedauern eingestehen muss, hat bei seinem kleinen Betriebsunfall draußen, nicht mehr auffindbar, der Schnee geschluckt.

    Kurtchen schiebt den linken Ärmel seiner gepflegten Wattejacke hoch: „Welche Zeit willst du wissen, Berliner, Moskauer oder Permer Zeit? „Die Zeit auf’m Mond, alte Nase - du!

    „Es ist exakt siebzehn Uhr fünfzehn, vier Sekunden nach Permer Zeit. Sonnabend, zehnter Januar. Vor drei Tagen hat der Iwan Weihnachten gefeiert."

    „Okay. Ich trommele die Leute zusammen. Haben für heute genug gekleecht." Bemme begibt sich nach draußen.

    Kurtchen vernimmt wie nach und nach die Motorsägen verstummen, als letztes der Motor des Raupenschleppers. In der Dunkelheit und durch den Nebel wirken seine Scheinwerfer wie hinter Watte.

    Bemmes Brigade findet sich im Bauwagen ein. Handschuhe werden ausgezogen, Zigaretten angezündet, gesprochen wird kaum, zu eng ist man Tag und Nacht miteinander verbunden. Der Frost tut sein Übriges. In den Bärten der Männer zeigen sich wie bei Bemme nach seinem Betreten des Bauwagens kleine Eiszapfen.

    Kurz vor achtzehn Uhr sitzen alle, Schutzhelme gegen ihre Tschapkas eingetauscht, im geheizten Passbus. Als letzter erscheint Bemme, hatte ordnungsgemäß die Bauwagentür verschlossen und das Notstromaggregat ausgeschaltet. Jeder der Förster hat im Bus seinen Stammplatz.

    Bemme sitzt wie immer vorne. Der Sitz ist wie in allen Passbussen längs zur Fahrtrichtung montiert. Warum auch immer - die sowjetischen Konstrukteure wissen bestimmt warum.

    Bemme sieht abwechselnd auf seine vor sich hin dösenden Leute, ab und zu in den dichten Nebel. „Vier Meter Sichtweite", schätzt er laut.

    Kurtchen nickt: „Nebel wie im November zu Hause. Schnee scheint auch noch mehr gefallen zu sein. Russisches Land - unbegreifliches Land."

    Er schaltet in einen niedrigeren Gang: „Hätte ich nicht mein Tacho, könnte man denken, wir stehen. Von wegen vier Meter, sind doch höchstens zwei noch." Langsam kommt der Bus vorwärts. Ab und zu streifte er die bereiften Bäume. Er fährt die Schneise entlang, die die Förster vor Wochen geschlagen haben.

    Auf Kurtchens Stirn bilden sich kleine Schweißperlen. Er setzt seine Tschapka ab, zündet sich eine Zigarette an und meint zu Bemme: „Pass mal 'n bisschen mit auf, Chef. Sag Bescheid, wenn wir abbiegen müssen!"

    Bemme brubbelt, dass er eigentlich Feierabend habe, nicht Kurtchens Chef sei und versucht, guten Willen zeigend, sich trotzdem noch zu orientieren, überschlägt in Gedanken, wann sie ungefähr an die Abzweigung kommen müssen, bei der der Bus abbiegen muss, späht kurz zum Wecker, den der Busfahrer in der Mitte auf seinem Armaturenbrett befestigt hat.

    Irgendwann flucht Kurtchen plötzlich: „Mist - so ein verdammter Scheiß noch mal! Wir sind zu weit gedüst! Sieh - Bemme! Da steht die Rostlaube, Wagen der Iwans, der russischen Waldarbeiter! Wir sind drei Kilometer zu weit gefahren! So ein Scheiß aber auch."

    „Dein scheiß Wecker scheint Frost bekommen zu haben. Eigentlich müssten wir laut meinen Berechnungen ganz woanders sein. Dreh um und düs langsam zurück!" Bemme versucht seinen Heimatdialekt zu unterdrücken und redet in Hochdeutsch auf den Busfahrer ein.

    Kurtchen winkt ab und meint: „Umdrehen - Umdrehen geht hier nicht, Chef. Wir sind hier in 'ner Talsenke. Ich weiß nicht, was unter dem scheiß Schnee steckt. Die weiße Kacke geht mir jetzt schon bis an die Achsen." Der Bus fährt langsam weiter.

    Komsomolze, der ebenfalls im vorderen Teil des Busses sitzt, seine Filzstiefel ausgezogen und das Gespräch von Kurtchen und Bemme belauscht hat, setzt sich aufrecht hin, reibt sich die müden Augen und meint laut an Kurtchen und Bemme gewandt: „Wenn die Russen ihren Wagen seit dem Herbst nicht bewegt haben, gibt’s geradeaus, irgendwann hinterm nächsten Hügel, noch 'n Abzweigung - vergessen, Männer?"

    „Nee", Bemme erinnert sich.

    Die Abzweigung wird gefunden.

    Kurtchen kurbelt am Lenkrad, der Bus biegt ab. Die meisten der rauhen Fahrgäste hören auf zu dösen. Geschichten machen die Runde. Geschichten über Wetterkapriolen, die die Förster alle hier irgendwann mal im Permer Raum erlebt haben.

    Komsomolze klatscht in die dreckigen Hände und lacht laut auf: „Ja, ja - wir mussten schon mal 'n Bus fast dreißig Meter weit mit vereinten Kräften schieben! - Schöne Scheiße, das, im scheiß Schlamm!"

    Der Passbus bewegt sich langsam vorwärts.

    Kurtchen bremst und deutet nach vorne, deutet in den Nebel und meint: „Schieben müsst ihr erstmal nicht, aber heben! Da liegt 'n Baum quer über den Weg!"

    Alle bis auf ihn steigen aus. Vierzehn Paar Filzstiefel tasten sich zu dem Baum durch. Der Schnee reicht bis an die Schäfte der Stiefel. Die Gesichter der Förster drücken nichts als Gleichgültigkeit aus.

    Der Baum entpuppt sich als Bäumchen. Kein Problem für harte Jungs.

    Der Bus kann weiterfahren.

    Komsomolze steckt sich genüsslich seine langen Bartenden in den Mund, spuckt sie wieder aus und schreit nach einer Verpflegungskiste: „Wenn wir so weiter tuckern, kommen wir erst morgen Mittag im Wohnlager an! "

    Die Schweißperlen des Busfahrers verändern ihre Intensität und Größe.

    Nach zwei Kilometern ungefähr stoppt Kurtchen wieder den Bus: „Hat irgendwer von euch Helden 'n Motorsäge bei! Stamm da draußen werdet ihr schwerlich zur Seite rücken können!"

    Alle steigen wieder aus, besehen sich den Baum.

    „Russische Birke", stellt Bemme fachmännisch fest.

    „Solche Kaventsmänner von Birken hat die Heimat nicht zu bieten", meint müde grinsend Komsomolze.

    Der Weg ist etwas breiter als der Bus lang. Jetzt soll und muss Kutscher Kurtchen zeigen, wie er sein Fach beherrscht. Seine Zirkellei dauert und dauert.

    Schließlich steht der Bus in entgegengesetzter Fahrtrichtung.

    Die Förster steigen wieder ein.

    Kurtchen will wissen: „Und nun, Männer, was nun?"

    Bemme überlegt kurz: „Und nun - nun fahren wir wieder bis zur Schneise. Vierzig Meter Breite wird doch wohl zum Umfahren von vielleicht auch dort umgefallenen Bäumen genügen - Los ab! Schneise - und dann in Richtung Rohr. Japaner, die Rohrschlepper dort werden wir schwerlich übersehen - obwohl - bei denen werden inzwischen bestimmt auch schon die Lichter ausgeblasen …"

    „Die pfiffigen Kerle haben 'n Starterdienst, Komsomolze trinkt nach Feierabend nicht nur mit den Förstern Bier, kennt sich auch bei anderen Gewerken aus, kennt wie alle aber auch die Öffnungszeiten der Küche. „Prima - primissiwo! trompetet er aus breiter Brust: „Ich hoff, dass irgendwer von euch Knalltüten in seinem Spind 'n Dauerwurst und 'n Leib Kommisbrot gebunkert hat!"

    „Kaum vorstellbar, vorstellbar aber, dass wir unsere Nahrung heute flüssig zu uns nehmen können - vorausgesetzt wir kommen überhaupt noch an." Bemme zündet sich eine Zigarette an, schielt zu Kurtchen rüber.

    Der Busfahrer stiert angestrengt nach draußen und versucht die Fahrt, so gut es geht, etwas zu beschleunigen. Innerlich zittert er und denkt, wenn unter dem Scheißschnee hier, oder hinter der bleichen Suppe von Nebel irgendwas Blödes lauert, sind wir geliefert.

    Nach einer halben Stunde meldet sich Komsomolze wieder, hebt den Zeigefinger und meint: „Männer, ich hätte da 'n Vorschlag zu machen. Ich schlag vor, wir fahren heute einfach 'n bisschen weiter. Wohnlager lassen wir Wohnlager sein. Mal sehen wie lang das Rohr eigentlich wirklich ist. Vielleicht kommen wir irgendwie irgendwann zu Hause an. Statt einsames Duschen mit Waldschraten schön mit Mamma rekeln in der eigenen Badewanne - sofern man eine hat. Sind ja nur noch schlappe dreitausend, oder viertausend Kilometer. Perm - Moskau - Berlin - und von da aus paar zerquetschte Kilometer noch hin bis zu den Heimatkaten!"

    Bemme schüttelt mitleidig den Kopf: „Dein Vorschlag hat mehrere Haken, mein Freund. Erstens: Verläuft die Trasse anders als du dir in deinem Spatzenhirn vorstellst - sie verläuft, nehmen wir Perm als Ausgangspunkt, schräg südlich in die Ukraine und hört da irgendwann auf. Einen Abzweig gibt es auch in Richtung Moskau. Aber eigentlich - eigentlich wissen wahrscheinlich Gorbatschow und Honecker nur, wo sie wirklich lang läuft. Alles geheim. Trasse, gesamte Leitung die, die ist 'n strategisches Objekt. Zweitens: Ich bin erst vor ein paar Tagen eingereist, wie ihr wisst. Ich will zu Hause nicht meinen Nachbarn in unserer guten Stube mit meiner Frau bei irgendwelchem Spielchen überraschen!"

    Alle lachen, klatschen wie bei einer geglückten Landung im Flugzeug, bis auf Kurtchen, der scheint sich zum Kettenraucher zu entwickeln, schnorrt sich bei Bemme ‚ da seine aufgeraucht, schon die dritte Zigarette.

    Irgendwann tauchen aus dem Nebel die ersten Rohrschlepper auf. Schwach beleuchtet wirkten sie wie riesige gefährlich Tiere in unnatürlichem Farbton zwischen kräftigem Gelbbraun und schwachem Orange.

    „Japaner in Sibirien", kommentiert Komsomolze.

    Bemme schüttelt den Kopf und weist ihn zurecht: „Als Metapher kann man 's gelten lassen, ansonsten aber - Freund Blase - sind wir hier im Ural, Gebirge benannt nach berühmtem Fluß."

    Komsomolze winkt ab und meint, dass er schon immer gerne auf seine Klugscheißer von Lehrer gepfiffen und einen gelassen habe.

    In einem an der Seite stehenden Bauwagen funzelt Licht. Dass der Schornstein qualmt, ist selbst in nächster Nähe nicht zu erkennen. Verschwimmende Gespensterlandschaft alles ringsum.

    Kurtchen blickt auf seinen Tacho. Der Bus ist einen Umweg von zwanzig Kilometern gefahren.

    Vom Rohr aus geht es dann ziemlich flott bis zum Wohnlager.

    Als der Wald verlassen wird, hört der Nebel auf. Dafür setzt dichter Flockenwirbel ein. Kurtchen kämpft gegen die Zeit, weiß, dass er verlieren wird und schnorrt sich noch eine Zigarette von Bemme.

    Der Bus kommt gegen zwanzig Uhr dreißig im Wohnlager an. Der Speisesaal bietet ein ungewohntes Bild. Normalerweise gibt es sonnabends Disko - Männerschubsen. Frauen gibt es nur wenige im Wohnlager. Die Männer ziehen sich nach dem Abendbrot meist erst gar nicht um. Warum auch und für wen? Diesmal scheint die Sache anders zu sein. Der Speisesaal zeigt sich gut besucht. Fast alle der meist jungen Männer und die paar anwesenden jungen Frauen haben sich umgezogen. Vorne, in Nähe der Essenausgabe, sieht man aufgebaute Instrumente.

    „Fressen mit Musik!" Komsomolze klatscht wieder mal fröhlich in die Hände.

    Bemme begibt sich eilig zur Essenausgabe, will versuchen, Essen zu organisieren.

    „Bisschen spät, was?" eine der Köchinnen deutet auf die Uhr des Speisesaals.

    Bemme stemmt die Fäuste in die Seiten: „Was heißt hier zu spät -lieber spät als nie? Kein Herz für die hart arbeitende Bevölkerung, Mädchen, wirst doch wohl für uns noch irgendwo was Essbares auftreiben können - wenn nicht, schick ich dir 'n Rudel zweibeiniger Wölfe in deine gut gewärmte Fressfabrik!"

    Die Köchin redet mit irgendeinem Koch.

    Der Koch bequemt sich an die Luke, scheinbar gibt er den Schichtleiter: „Essen kannste haben, Mann, aber nur noch kaltes. Kalte Spiegeleier. Kalte Bratkartoffeln. Kalte Bockwürste. Brot und Schmalz."

    Bemme pfeift mit zwei Fingern seine Leute rann.

    Vor den ersten Bissen am Tisch dringt ein Murren aus den bärtigen Mündern der Förster.

    Heiner, der jüngste der Truppe, rekrutiert in Gransee, einer verschlafenden Kreisstadt im Bezirk Potsdam, wo zu Hause der Stammbetrieb der Förster angesiedelt ist, wird von Bemme nach zwei Flaschen Schnaps geschickt.

    Der Südschwede, ein im Erzgebirge beheimateter Riese, übernimmt freiwillig das Organisieren von Bier.

    Die Förster beginnen ihr kaltes Mahl mit einem halben Plastikbecher voll Schnaps, wenigsten das wärmt.

    Rings um die Förster scheint man alkoholmäßig schon weiter zu sein. Überall wird gelärmt, gelacht, getrunken und geraucht. Eine riesige Rauchwolke liegt über den rohen Tischen und Bänken.

    Irgendwo ruft jemand laut in den Saal: „Anfangen! Anfangen!"

    Von einem anderen Tisch bekommt er Beifall, mehrere Trassenerbauer stimmen mit ein.

    Ein wildes Pfeifkonzert beginnt.

    Schließlich klatscht und pfeift fast der ganze Saal.

    Die Sängerin der Band tritt auf, entschuldigte sich sichtlich nervös für die Verzögerung, eine Gitarrensaite musste erst noch gewechselt werden, ist beim Stimmen gerissen.

    „Scheiß was auf Gitarrensaiten, kleines Bleichgesicht! Ausziehen, Mädchen - aus- zieh - hen!" der Südschwede hat sich schon eine zweite Füllung aus seinem Plastikbecher genehmigt. Mit kalte Bockwurst und halb geöffneter Faust deutet er eine heiße obszöne Geste an.

    Der Sängerin wird rot und fühlt sich immer noch nicht wohl in ihrer Haut. Lampenfieber kennt sie ja, aber so was - wie so was hier - na schönen Dank auch, liebe Mama.

    Die Männer der Band erlösen sie aus ihrer misslichen Lage, begeben sich an ihre Instrumente.

    Ihr Auftritt wird mit Pfiffen und Beifall honoriert.

    Der dürre Rhythmusgitarrist trägt eine Tschapka und eine gelbbraune typische russische Wattejacke. Die Füße des Hungerhakens stecken in Jesuslatschen.

    „Komischer Vogel, diese Type, 'n glattes Vorkommnis", meint laut kommentierend Komsomolze.

    Das Lärmen der Trassenerbauer wird durch den Schlagzeuger der Band übertönt, ein Vorkommnis anderer Art. Er schlägt plötzlich wie wild auf seine Gerätschaften ein und erntet ein kollektives: „Aha" der Trassenerbauer.

    Die Band fällt rhythmisch in sein Getrommel mit ein, improvisiert so etwas wie einen Blues und beginnt zu spielen.

    Die Sängerin wirft sich unter leichten Verrenkungen in die Spur und beweist, dass sie richtig singen kann.

    Nach jedem Titel gibt es tosenden Beifall der Trassenerbauer. Das nochmalige Gegröle des Südschweden nach nackter Haut der Sängerin geht im allgemeinen Lärm unter. Die Band spielt gängige Titel, englische und amerikanische. An die offizielle Vorgabe von sechzig Prozent DDR Titel und vierzig Prozent aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet wird sich nicht gehalten. Wer will hier fern der Heimat den Kulturguru spielen?

    Die Band hat zwei Eigenkompositionen im Repertoire, Komponist der Rhythmusgitarrist, gibt die Sängerin quasselnd nach Erklingen selbiger zu verstehen. „Hängt mit unserer Einstufung zusammen, Leute, äh Männer!"

    „Interessiert keine Sau!" der Südschwede ist beim dritten Plastikbecher angelangt.

    Nach einer halben Stunde legt die Band eine Pause ein.

    Irgendwo fällt ein Trassenerbauer von seiner Bank. Wird unter lautstarkem Gegröle von seinen Kollegen wieder hochgehieft.

    Eine Frauenstimme kreischt in dem allgemeinen Lärm hinein.

    Der Südschwede hämmert auf die Tischplatte, hebt die zerzausten Augenbrauen und kommentiert die Sache auf seine Art: „Der ist wohl grad in aller Öffentlichkeit hier einer abgegangen!"

    „Mir geht auch gleich einer ab, wenn sich hier nicht der nächste in die Spur macht, um Nachschub an Bier für uns zu holen, nur Fusel saufen, macht besoffen", Bemme zwinkert, stellt dienstlichen Ausdruck seines Gesichts zur Schau, in dessen Folge auf seiner wettergegerbten Stirn sich ein paar Furchen bilden.

    Der Südschwede deutet auf Heiner.

    Der hebt leicht die Schultern und meint: „Immer ich, immer uff die kleinen."

    „Wer sonst. Greenhorn is' Greenhorn", der Südschwede zückt ein paar Rubel und drückte sie dem Granseeer, der nicht viel kleiner als er ist, in die Hand.

    Heiner zählt rasch nach, schüttelt den Kopf und bittet den Rest der Brigade auch noch um mildtätige Spenden, da er ja selber noch kein Trassenmillionär sei. Er erhebt sich, stellt sich am Getränkeausschank an und verlangt eine Kasten Bier.

    Einzelne Pfiffe erklingen.

    Nicht nur die Förster hämmern mit ihren leeren Bierflaschen auf das Wachstuch des Tisches.

    Der Sicherheitschef, Obersicherheitsnadel die, ein Menschen, der den wenigsten der Trassenerbauern vor Ort bekannt ist, wendet sich an den Sekretär des Jugendverbandes.

    Der Sekretär des Jugendverbandes, das Blaulicht, junger Mensch mit größerem Bekanntheitsgrad, begibt sich zur Band und redet auf sie ein. Sie solle doch – bitte schön nach ihrer Zigarette - weiter spielen, Getränke gehen selbstverständlich den ganzen Abend lang aufs Haus.

    Heiner schleppt das Bier an und meint in die bärtige Runde blickend: „Konez - als nächstes schafft sich ein anderer für euch Suffdrosseln, oder ich bekomm 'n Überstunde angeschrieben."

    „Nicht so spitz - kleines Greenhorn", der Südschwede greift in den Kasten und öffnet sich mit seinem Feuerzeug eine Flasche.

    Bemme murmelt was von Lehr- und Herrenjahre, grinst väterlich in seinen Bart hinein und greift ebenfalls nach einem Bier.

    Von irgendwoher aus dem Saal brüllt jemand: „Eiszeit! Eiszeit! Eis -Zeit! – Eis", andere Trassenerbauer fallen mit ein. Der Saal kocht und ist kurz davor zu explodieren. Sechshundert wild gewordene Kerle und die paar anwesenden Frauen machen sich lautstark Luft.

    Die Obersicherheitsnadel schielt zum Blaulicht.

    Das Blaulicht schielte zur Band.

    Die Band nimmt ihre Instrumente auf.

    Die Sängerin hält sich mit spitzen Fingern das Mikrophon vor den geschminkten Mund und nickt ihren Kollegen zu. Zwei Titel der Rolling Stones werden kurz hintereinander interpretiert.

    In die eintretende Pause hinein kommt es wieder im Chor aus dem Saal: „Eiszeit! Eiszeit!"

    Die Sängerin stimmt schweißgebadet in den Chor mit ein.

    Die Band tut nichts, ist irritiert.

    Der Rhythmusgitarrist setzt sich seine Tschapka verkehrt herum auf. Keinem der Musiker scheint klar zu sein, was hier eigentlich vorgeht. Die Obersicherheitsnadel stößt das Blaulicht an.

    Das Blaulicht kratzte sich am Bart und meint: „Keine Ahnung was -Genosse?"

    „Nee, aber", der Sicherheitschef ist erst seit zwei Monaten an der Trasse, will so richtig nicht zugeben, dass er wirklich keine Ahnung hat.

    Bemme beobachtet, sichtlich belustigt, die beiden Typen, die Lackschuhe die.

    Der Schlagzeuger versucht es inzwischen mit einem Solo, was den Saal etwas zu beruhigen scheint.

    Bemme nickt seinen Leuten zu, erhebt sich abrupt und schreitet zielstrebig nach vorne zur Band.

    „Jetzt bin ich aber gespannt?!" der Südschwede deutet seinem Chef hinterher und klopft Heiner voller Begeisterung auf die Schulter.

    Der Granseeer meint: „Bemme wird doch nicht etwa dem Schlagzeuger paar aufs Maul geben wollen."

    Will er nicht. Bemme versucht mit der Sängerin zu reden, muss, um sich verständlich zu machen, ihr ins Ohr brüllen.

    Der Schlagzeuger, aufmerksam geworden, beendet sein Solo. Bekommt nur mäßigen Beifall.

    Und wieder schallt es aus dem Saal: „Eiszeit, Eiszeit." Das Brüllen und Grölen wird durch lautstarkes Trampeln unter den Tischen begleitet.

    Die Sängerin blickt hilflos zu ihren Mitstreitern.

    Bemme geht zum Rhythmusgitarristen und brüllt dem, wie vorher der Sängerin, ebenfalls was ins Ohr.

    Der Rhythmusgitarrist kapiert. Sein Gitarre wechselt den Benutzer. Der musikalische Hungerhaken sieht auf Bemmes rechten Handrücken: „Wird das funktionieren, Kollege?"

    „Geht nicht - gibt’s nicht, mein Gutster!" Bemme lässt sich das Plekt-rum reichen, begibt sich ans Mikrophon.

    Die Gitarre kling, Bemme singt: „Berge spucken Lava aus in den silberklaren Mond … doch wo bleibt der Mensch, der sich daran freut. Eiszeit,

    Erst begleit zaghaft der Schlagzeuger Bemmes Darbietung, dann fallen die anderen Musiker improvisierend mit ein. Irgendwie kommt man zurecht.

    Der Südschwede stiefelt nach vorne und fordert die Sängerin zum Tanzen auf.

    Was sollte das arme Wesen nun tun?

    Auf der Tanzfläche tummeln sich schon ein paar männliche Trassenerbauer. Der Schichtleiter und die Köchin, immer noch in ihrer Arbeitsbekleidung, legen in Gummistiefeln eine langsame Sohle auf den kahlen Zementboden.

    „ … Eiszeit, Eiszeit …", den Refrain und Bruchstücke des Textes kennen die meisten der Trassenerbauer.

    Die Obersicherheitsnadel greift sich ein Bier, stößt erleichtert mit dem Blaulicht an.

    Der Saal brodelte, wer noch einigermaßen nüchtern ist, steht auf.

    Die Sängerin lässt sich langsam vom Südschweden über die Tanzfläche schieben.

    „Eiszeit" muss zweimal wiederholt werden.

    Peter Maffay, geboren in Rumänien, wohnhaft im Westen Deutschlands, hätte sich sicherlich arg gewundert über die seltsame Interpretation seines Liedes durch die ostdeutschen Trassenerbauer.

    Komsomolze zieh mit einem Ruck Heiner zu sich rann und küsst voller Begeisterung dessen erhitzte Wangen: „Man oh man - oh man, dieser Bemme! Ich dacht, der Knallkopp kann nur Bäume fällen und auf Quietschkommoden fiedeln."

    Der kleine große Heiner bekommt melancholisch glänzende Augen.

    Bemme bleibt noch weiter vorne bei der Band, hat noch mehr Titel auf der Pfanne. Die Band lässt ihn gewähren. Der Rhythmusgitarrist besorgt sich in der Zwischenzeit Glühwein mit doppeltem Weinbrand drin. Der arme Kerl hatte sich auf der Zugfahrt zwischen Moskau und Perm erkältet.

    Schließlich stimmt Bemme den Schneewalzer an.

    Nun gibt es kaum eine Frau noch im Saal, die nicht mit auf die Tanzfläche muss.

    Der krummbeinige Komsomolze dreht selig mit Heiner ein paar Runden, dann klatscht er beim Südschweden ab. Zum Schluss bilden alle Förster einen Kreis und tanzen um die inzwischen entspannt wirkende Sängerin, die ihren vom Zentralrat des Jugendverbandes gut bezahlten Trassenjob nun erstemal los ist.

    In der nächsten Pause begibt sich hustend und schniefend der Hungerhaken, der Rhythmusgitarrist, zu Bemme und meint: „Jetzt haben wir aber was gelernt. Hätten wir gewusst, dass Eiszeit hier eure Hymne ist, wir hätten uns, kannste mir globen, drauf eingestellt - hätten wir uns. Kannst de Text und Noten rüberwachsen lassen. Wir fahren morgen weiter zu 'n andern Standort."

    Bemme schüttelt bedauernd den Kopf: „Text ja - richtige Noten no. Bin 'n Autodidakt: Volkskünstler so zusagend. Kapiert. Willst de deine Rotze und deine Husterei loswerden, musste heiße Milch mit Wodka trinken: altes russisches Hausmittel. Ansonsten wende dich mal an das Blaulicht, Blödmann kann dir vielleicht paar neue, oder gediente Filzstiefel organisieren. Mit Sandalen nach Russland, auf solch beknackte Idee kann wahrscheinlich nur ein echter Musiker kommen."

    Komsomolze und Heiner wachen Sonntag zur Mittagszeit fast gemeinsam mit dem Südschweden in ihrem Zimmer auf. Im Gegensatz zu ihnen hat der Kerl einen Brummschädel und fragt sich benommen, warum es ihm nicht gelungen war, die Sängerin mit auf die Bude zu schleppen.

    Der musikalische Hungerhaken sitzt inzwischen, ausgestattet mit dem Text von „Eiszeit" und ein paar brauchbaren Filzstiefeln, gemeinsam mit seiner Band in Kurtchens Passbus.

    Kurtchen blickt besorgt zum Himmel, hat eine richtige Fernfahrt und endlich mal eine Frau an Bord.

    Bemme organisiert im Med-Punkt am Nachmittag einen vernünftigen Verbandskasten und überlegt, ob er sich nicht irgendwo bei den Russen für ein paar Rubel eine gebrauchte Balalaika besorgen soll - wär ja auch mal 'n Einsatz, erlernen kann man vieles. Das Wichtigste aber wäre erstmal ’ne neue Armbanduhr.

    MIT DOPPELTEM BODEN IM KREML SCHWEIGEN

    Professor Nabel blinzelte munter in die Sonne und streifte mit kurzem Seitenblick den plumpen Menschen da neben sich. Der Kerl gefiel ihm aus einem unbestimmten Bauchgefühl heraus nicht. So plump die Gestalt, so plump auch sein Reden. Da der Professor nun endlich auch mal was sagen musste, meinte er zusammenfassend: „Aha, ich verstehe. Nun ist mir endlich richtig klar, wie man eigentlich an die Trasse kommt. Man bewirbt sich beim Jugendverband oder beim Rat des Kreises beim Amt für Arbeit, füllt einen Fragebogen aus, wird angenommen, oder warum auch immer abgelehnt, besucht einen einwöchigen Lehrgang, lässt sich intensiv vom Arzt untersuchen, bekommt eine Spritze gegen Zeckenbisse, unterzieht sich einem Aidstest und wird dann von den jeweiligen Betrieben, die hier arbeiten, angefordert." Um seine Worte zu unterstreichen, nickte der Professor bedächtig, was nicht unbedingt zu seiner jungendlich sportlichen Erscheinung passte, und stopfte sich in aller Ruhe seine teure Meerschaumpfeife. Warum die allgemeine Öffentlichkeit in der DDR über die Bewerbungen für das Jugendobjekt Trasse kaum Kenntnisse besaß, darüber hatte er bisher noch nicht nachgedacht.

    Helge, der Sekretär des Jugendverbandes des Standortes, zündete sich, weniger bedächtig, eine billige Zigarette an, klemmte sie zwischen seine aufgeworfenen dicken Lippen, nickte ebenfalls und meinte: „So ungefähr läuft die Sache ab, Genosse Nabel, aber es gibt auch Ausnahmen, mich zum Beispiel, ich wurde kommandiert - und dann, dann gibt es noch Leute, die direkt von ihren DDR-Betrieben hergeschickt werden, Stammpersonal - nebensächlich. Durchschnittsalter hier ist so fünfundzwanzig bis fünfunddreißig. Ich selbst bin achtunddreißig, auch nebensächlich, er lachte kurz auf und meinte weiter redend: „Am besten, Professor, ich zeig dir erstmal die Örtlichkeiten hier im Wohnlager, später dann fahren wir mit einem der Linienbusse raus zu Baubase und Baustelle, damit du so etwas wie einen allgemeinen Eindruck bekommst, was hier so mit den cirka sechshundert Jungs abläuft. Als erstes aber, Genosse, als erstes ein handfestes Frühstück im Speisesaal. Wichtige Sache hier, vernünftige rundum Verpflegung die.

    Es war kurz vor neun Uhr, prächtiger russischer Sommerhimmel vor einer der langgestreckten Verwaltungsbaracken, Wohnlager, Standort Perwomaiski.

    Am Abend wusste der Professor, was im Detail die Infrastruktur des Wohnlagers betraf, wusste, dass auf der Baubase vorbereitende Arbeiten und Montagen für die Baustelle durchgeführt wurden, wusste, was ein Verdichter ist, dass er in der DDR hergestellt worden war, wie viel Tonnen so ein Koloss wog und dass meist mehrere dieser Dinger auf einer der Baustellen montiert wurden, wusste, wozu eine Gaskühlung erforderlich ist, wie sie funktionierte und vieles mehr. War ja nicht unintelligent, der jugendlich wirkende Professor. Außerdem hatte er vor vielen Jahren als junger Student im Studentensommer selber mal drei Wochen auf einer Großbaustelle der Industrie gearbeitet, in der Petrolchemie in Schwedt, allerdings nicht im Ausland eben, und schon gar nicht im gepriesenen Bruderland Sowjetunion. Was er wiederum nicht so richtig wusste, war, wie er den jungen Leuten hier nach zwölf Stunden Arbeit noch mit dem Thema von Einheit von Wirtschafs und Sozialpolitik kommen sollte - und eigentlich - eigentlich war er ja auch kein Hochschullehrer, der sich ausgiebig mit sozialistischer Ökonomie beschäftigte, sondern Dozent für Philosophie an der Humboldtuniversität in Berlin. Der stellvertretende Direktor hatte ihn vor den Semesterferien zu sich gerufen und gesagt: „Na - Genosse Nabel, wie wär’s mal mit vier Wochen Sommerfrische in der Sowjetunion - Trasse, hast du sicher über Presse und Fernsehen schon mal was von gehört. Man braucht dort mal jemand, der unsere Jugendfreunde dort ideologisch ein wenig auf den neuesten Stand bringt - allgemeine Philosophie, Wirtschafts- und Sozialpolitik - bisschen mit den jungen Leuten dort reden, kannst du doch, paar kleine Vorträge vielleicht halten, ihre Meinung zu diesem und jenem erforschen, und nun ja, sprichst ja auch passables Russisch - hilft dir vielleicht ein wenig. Was seine Russischkenntnisse mit den Trassenerbauern zu tun haben sollte, war dem Professor nicht klar gewesen. Auch hielt sich der stellvertretende Direktor bedeckt, wie die Humboldtuniversität dazu kam, sich um die Belange der nicht studierenden Arbeiterjugend zu kümmern. Auf konkrete Nachfragen des Professors hin hatte sich der stellvertretende Direktor nur vage gegeben, hatte aus den geputzten Fenstern der altehrwürdigen Universität „Unter den Linden gedeutet und gemeint: „Oberen Genossen von drüben haben den speziellen Wunsch geäußert, dass einer von unseren gestandenen Lehrkräften hier mal … „Von drüben konnte vielerlei bedeuten. Konnte zum Beispiel Staatsrat, Ministerrat oder Zentralkomitee bedeuten. Die Gebäude der jeweiligen Institutionen lagen ja alle in der Nähe der Humboldtuniversität. Dass der Wunsch eine verklausulierte Anordnung war, hatte der stellvertretende Direktor ohne viel Nachdenken begriffen, teilte er dem Professor aber auch nicht mit, nur soviel, dass er ein paar aussagekräftige Berichte in doppelter Ausführung nach der Reise auf seinen Schreibtisch erwarte.

    Russischkenntnisse benötigte der Professor auf der Baustelle nicht, er hatte zwar ein paar vermeintliche Sowjetbürger dort gesehen, aber die schienen mit den Bauarbeitern aus der DDR nichts direkt zu tun zu haben, höchstens vielleicht mit irgendwelchen deutschen Bauleitern.

    Sekretär Helge hatte nach Absprache mit dem Professor vorgeschlagen, in den nächsten Tagen mit ihm ein Forum zu veranstalten und machte einen großen Aushang im Schaukasten des Wohnlagers: „Professor Nabel aus Berlin – Humboldtuniversität - referiert am … um … zu Grundfragen der marxistisch-leninistischen Philosophie und den ökonomischen Grundgesetzes des Sozialismus. Anschließend allgemeine breite Diskussion."

    Der Tag, an dem das Forum durchgeführt werden sollte, kam.

    Sekretär Helge und Professor Nabel betraten kurz vor zwanzig Uhr im Wohnlager den Versammlungsraum.

    Was sie empfing war gähnende Leere und ein paar Schmeißfliegen, die träge in der abendlichen Hitze im Raum umher surrten.

    Helge kratzte sich die verschwitzte Stirn, verzog sein Funktionärsgesicht und meinte: „Eigentlich keine neue Erfahrung, die man hier macht, die Jungs haben nach Feierabend andere Interessen. Aber sollst mal sehen, Professor, wir werden das Kind schon schaukeln. Lass mich mal machen. Herbst, Winter und Frühling hier hab ich ja auch so meinen Dreh für solche Sachen. Da lass ich einmal im Monat die Schichtbusse eine Stunde später zwecks politischer Schulung der Jugendfreunde von der Baustelle fahren. Kann sich keiner so richtig dann ausschließen. Schlepp dich, Professor, in den nächsten Tagen einfach zu einer Zusammenkunft der im Frühjahr per hoher gesellschaftlichen Auszeichnung - Vaterländische Verdienstorden in Silber - hoch dekorierten Jugendbrigade „Safranow des Baumontagekombinats Halle - Baufacharbeiter, ich organisiere das schon. Wir reden draußen auf der Baustelle nach Feierabend in einer der Baracken dann mit den Männern.

    Gelangweilte, desinteressierte Gesichter kannte Professor Nabel von der Universität schon her, denn selbst Studenten der Theologie mussten sich obligatorisch mit Marxismus-Leninismus beschäftigen, ganz zu Schweigen von den Studenten der Botanik oder der Veterinärmedizin. Um Kühe fachmännisch zu besamen, muss man eben auch wissen, wie Milch mit ideologischem Quakt im Sozialismus schmecken würde. Gedankengänge, die der Professor der Philosophie kaum hatte.

    Sekretär Helge stellte den Professor vor und redete zwanzig Minuten lang über die aktuelle politische Situation in der Welt, speziell über die Hochrüstung der westlichen Welt und deren Auswirkungen auf den Sozialismus in der Sowjetunion und der DDR. Das ganze hörte sich an, als wenn Helge die Leitartikel des „Neuen Deutschland" der vergangenen Woche zusammengefasst und alles nochmals oberflächlich wiederkäute. Dann sollten allgemeine Fragen gestellt werden.

    Niemand meldete sich, gelangweilt sahen die bärtigen Gesichter aus dem Fenster, ein paar der hoch dekorierten Bauarbeiter schielten missmutig zum Professor.

    Der räusperte sich vernehmlich, hätte gerne zu seiner Pfeife gegriffen, unterließ es aber, da das Rauchen, wie er inzwischen auch wusste, in den Baracken verboten war und sagte: „Na ja, Männer, nun also ich mal eben jetzt. Also wie ihr gehört habt, bin ich von Hause aus studierter Philosoph, Philosoph wie etwa so Karl Marx, Friedrich Engels, Hegel, Kant, Lenin, oder meinetwegen auch Sokrates, der mit Xanthippe, seiner berühmten Frau laufend Ärger bekommen - ich meine, man sollte, wir also sollten …"

    „Peng!! Edmund, einer der Baufacharbeiter, ließ demonstrativ seinen Schutzhelm vom Tisch aus auf den Boden des Raums knallen und unterbrach somit den Professor; hob den Helm in aller Ruhe wieder auf, putzte, obwohl er spiegelblank war, ihn sinnloser Weise kurz mit seinen muskulösen nackten Unterarm und murmelte laut: „Entschuldigung Herr Professor, aber falls Sie und dieser Kumpel Helge da es noch nicht bemerkt haben sollten, draußen sind etwas über fünfunddreißig Grad im Schatten, hier drinnen wahrscheinlich noch etliche mehr. Wir haben nach zwölf Stunden endlich Feierabend, im Wohnlager gibt’s halbwegs gekühltes Bier und Sie wollen uns hier mit irgendwelchen Weibern von irgendwelchen Leichen, philosophischen oder nicht, äh, egal, also damit kommen, Verstorbenen roten Heiligen, Weibern, die wir hier selber kaum haben, äh, aber immerhin Bier, hochgestochene Philosophie als solche interessiert mich nicht, letztendlich zählt doch wohl nur die eigene, äh, Problem ist, äh, dass mich mit meiner niemand so richtig ernst zu nehmen scheint.

    „Kann mitunter passieren, Jugendfreund", Professor Nabel strich sich durch seine modisch frisierten grauen Haare und verwies nochmals darauf, dass man sich doch an der Trasse duze und er hier sei, um über alles zu reden.

    „Genau", der plumpe Sekretär Helge nickte zustimmend, freute sich, dass nun doch jemand den Mut fand, den Mund zu öffnen. Auch wenn die Sache höchstwahrscheinlich irgendwie daneben zu gehen schien und wollte wissen, was denn Edmund neben Bier und kaum vorhandenen Frauen auf der Baustelle noch so für Probleme habe.

    „Sache äh - ist die, Umstand äh der … Edmund erzählte in umständlichem Bauarbeiterdeutsch, dass er eine Eingabe an den Staatsrat in Berlin gemacht habe. Die Eingabe war von über zwanzig Trassenerbauern unterschrieben gewesen, nicht nur von den Männern seiner Brigade. Und zwar ging es darum, dass er, Edmund, zwar nach seinen drei Jahren Trasse seine Autokarte überreicht bekommen habe, aber der IFA Vertrieb zu Hause in seinem Heimatbezirk Gera nicht in der Lage war, seinem Wunsch nach einem Lada 07 zu erfüllen. Könne noch etliche Jahre dauern, hatte man ihn vertröstet. Was sollte der Mist … Der Staatsrat hatte mit einem zweiseitigem Schreiben, das angeblich im Auftrag von Erich Honecker, dem Staatsratsvorsitzenden, verfaßt worden war, geantwortet. Aus dem amtlichen Schreiben ging hervor, dass es Lieferprobleme durch die sowjetische Seite gäbe. Sehr merkwürdig das Ganze, denn in Gera fuhren hin und wieder nagelneue Ladas seines gewünschten Typs rum. Da ihm die Sache aber auf den Nägeln brannte und er annahm, dass der Staatsrat nicht gelogen habe, habe er, Edmund, diesmal aber von etwas mehr als dreißig Trassenerbauern unterschrieben, eine Eingabe an Gorbatschow losgelassen, in Russisch, übersetzt durch die Chefdolmetscherin des Baumontagekombinats vor Ort. Das ganze Schriftstück habe er im vergangenen Herbst abgesendet. Reaktion bisher gleich Null. Von irgendwelchen Streiks in der Autoindustrie der Sowjetunion habe er bisher natürlich noch nichts gehört, nur dass die Planaufgaben im Land der Russen stets und ständig alle über-und erfüllt worden und werden … Edmund holte tief Luft, sah weder Sekretär Helge noch Professor Nabel an und meinte: „Also wo, bitte schön, meine Herren, klemmt da die Säge, erkläre man mir mit einfachen Worten mal, äh, ohne irgendwelche Hochrüstung oder irgendwelche Frauen von irgendwelchen toten Philosophen mit ins Spiel zu bringen, meiner Frau zu Hause hab ich jedenfalls, äh, einen Lada 07 versprochen. Und was man verspricht, kann man schon, äh, im Kindergarten lernen, was man verspricht, dass soll man halten, ansonsten hält es meine Frau vielleicht mit einem anderen strammen Kerl, der Lada fährt.

    Irgendwer lachte.

    Der Professor sah fragend zu Helge; Sekretär Helge massierte sich nachdenklich die Nasenwurzel, hatte Bauchschmerzen, weil Edmund mit mehreren nicht bestellten Unterschriften dem Staatsrat auf die Pelle gerückt war, und fühlte sich ansonsten aber nicht befleißigt, irgendwas zu sagen.

    Professor Nabel überlegte kurz, ob man ihn nicht etwa auf diese Baustelle hier her geschickt habe, um das Problem Auto philosophisch zu lösen. Schob die Sache aber sofort als abwegig beiseite, lächelte und fragte Edmund, was denn mit einem anderen Autotyp sei, schließlich produziere die DDR ja auch selber Autos.

    „Äh, ja, Wartburg und Trabant ist immer im Angebot, vielleicht auch irgendwo 'n Pferd oder 'n mobiler Esel, äh, Drahtesel vielleicht auch, aber ich Esel will nun mal - äh, womit würden Sie denn, Professor, ihrer Xanthippe denn äh …"

    Jetzt lachte nicht nur einer aus der Jugendbrigade.

    Der Professor schüttelte den Kopf und erklärte mit wichtiger Miene, dass er überhaupt kein Auto besitze, nicht mal eine Fahrerlaubnis habe.

    Fand Baufacharbeiter Edmund äußerst interessant und hatte sofort eine logische Erklärung bei der Hand. Er vermutete, dass der Professor entweder farbenblind wegen seinem vielen Bücherlesen sei oder vielleicht als Lehrer an einer Universität mit eigenem Chauffeur ausgestattet sei.

    Alles Quatsch. Der Professor erklärte, dass er leidenschaftlicher Radfahrer sei und in Berlin das Nahverkehrsnetz hervorragend ausgebaut.

    Wollte Edmund eigentlich nicht wissen, denn er hatte ja eigentlich ein anderes Problem, er hakte diesbezüglich nun konkret - äh - beim Berufsjugendlichen Helge nach.

    Sekretär Helge rollte etwas mit den Augen, breitete die Arme aus, drehte kurz Däumchen und meinte, dass es genau betrachtet doch eigentlich wichtigere Probleme als die Bereitstellung von bestimmten Automarken für die Trassenerbauer gäbe.

    Wer keine Pluspunkte sammeln will, sammelt eben das Gegenteil davon.

    Nun hatten fast alle was zu sagen. Zum Schluss fragte Edmund, ob denn er, Helge, etwa keine Autokarte in Empfang nehmen werden, und wenn doch, ob er dass ihm zustehende Geschoss dann als Solidaritätsgut nach Nicaragua oder Angola senden werde, damit die dort ihre Kaffeeernte pünktlich einfahren können, damit er, Helge, äh, in seinem Büro pünktlich jeden Morgen zu Schichtbeginn seinen Kaffee schlürfen könne und dabei geruhsam über den bedrohten Weltfrieden nachdenken könne.

    Helge schielte zum Professor.

    Professor Nabel, der begriffen hatte, dass mit eine Motivation an die Trasse zu gehen, natürlich die Autokarte war, dachte kurz nach, ärgerte sich über den unintelligent argumentierenden Sekretär des Jugendverbandes und fragte den Berufsjugendlichen, ob er denn wisse, ob es beim Obersten Sowjet auch so etwas wie einen Eingabenstelle gäbe.

    Wusste Helge nicht, wusste ja nicht mal, wie die Postadresse von Gorbatschow sei und wo man die herbekommen könnte. Er gab zu bedenken, dass Edmunds Eingabe vielleicht überhaupt nicht auf Gorbatschows Schreibtisch gelandet war.

    „Na dann kümmer dich mal, muss ich ja täglich auch tun", die Ansage kam nicht von Edmund sondern vom Leiter der Jugendbrigade Fritze, einem bärtigen gemütlich dreinschauenden Zweizentnermensch, der die Fäuste ballte.

    „Wie soll ich mich denn kümmern - …?! Helge drehte schon wieder Däumchen.

    „Sollst dich kümmern, in dem du schleunigst mit dem Professor mal nach Moskau reist und der Sache auf den Grund gehst - man, man, man, vorher könnt ihr ja im Mausoleum Lenin einen Besuch abstatten und über gewisse Grundsatzfragen diskutieren", Jugendfreund Fritze schien genervt zu sein, und dass nicht nur wegen der Hitze im Raum oder dem während der Schicht zeitweilig ausgefallenen Betonmischer.

    Professor Nabel schüttelte abweisend den Kopf, nicht etwa weil er wusste, dass meist Individualreisen bezug Sowjetunion verboten waren, oder er den gebührenden Respekt gegenüber Lenin vermisste, sondern eher wegen der zutage tretenden Unfähigkeit des Sekretärs des

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