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Mehr als du denkst: Eine Geschichte über die Tücken der Liebe
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Mehr als du denkst: Eine Geschichte über die Tücken der Liebe

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Mehr als du denkst ist eine Geschichte über die Tücken der Liebe. Sie erzählt, was geschehen kann, wenn man der Liebe nicht genug vertraut und davon, was geschehen kann, wenn man es doch tut. Ethan O’Hare, ein junger Erwachsener aus Massachusetts, erzählt in diesem Buch die Geschichte von Emily Rose Kline und wie er sie für sich gewinnt. Wie sie sich aus den Augen verlieren und sich dann wieder begegnen. Erst eine hautnahe Begegnung mit dem Tod zeigt Ethan, was er zu tun hat. Doch reicht seine späte Einsicht noch aus, um ihre Liebe zu retten? Dies ist eine Geschichte mit tausend Facetten, hundert Gefühlen und unzähligen Wendungen. Eine Lovestory, die jede Leserin und jeden Leser in ihren Bann ziehen und das Weglegen des Buches verunmöglichen wird.
LanguageDeutsch
Release dateMar 11, 2015
ISBN9783735706904
Mehr als du denkst: Eine Geschichte über die Tücken der Liebe
Author

Matthias Ganz

Geboren 1991, lebt Matthias Ganz in einem Vorort der Schweizer Grossstadt Winterthur. Aufgewachsen in einer ländlichen Umgebung, entdeckt der junge Schweizer schon in seiner Schulzeit seine Begeisterung fürs Schreiben. Dutzende Male beginnt er mit einer Geschichte, doch fertiggestellt hat er sie nie. Die Geschichte von Mehr als du denkst trägt er über eine sehr lange Zeit mit sich herum, bis er sich schliesslich doch dazu entschliesst, sie zu Papier zu bringen.

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    Mehr als du denkst - Matthias Ganz

    Mehr als du denkst ist eine Geschichte über die Tücken der Liebe. Sie erzählt, was geschehen kann, wenn man der Liebe nicht genug vertraut und davon, was geschehen kann, wenn man es doch tut. Ethan O’Hare, ein junger Erwachsener aus Massachusetts, erzählt in diesem Buch die Geschichte von Emily Rose Kline und wie er sie für sich gewinnt. Wie sie sich aus den Augen verlieren und sich dann wieder begegnen. Erst eine hautnahe Begegnung mit dem Tod zeigt Ethan, was er zu tun hat. Doch reicht seine späte Einsicht noch aus, um ihre Liebe zu retten? Dies ist eine Geschichte mit tausend Facetten, hundert Gefühlen und unzähligen Wendungen. Eine Lovestory, die jede Leserin und jeden Leser in ihren Bann ziehen und das Weglegen des Buches verunmöglichen wird.

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Sie

    Eins

    Zwei

    Drei

    Vier

    Fünf

    Sechs

    Sieben

    Acht

    Neun

    Zehn

    Elf

    Zwölf

    Dreizehn

    Vierzehn

    Fünfzehn

    Die Bestattung

    Danksagung

    Erst einmal ein grosses Dankeschön, dass Sie sich dafür entschieden haben, Mehr als du denkst zu lesen und dieser Geschichte die Chance zu geben, sich in Ihr Herz zu schleichen und es sich dort bequem zu machen.

    Eine kleine Anmerkung an dieser Stelle. Dieses Buch hat, auch wenn es manchmal so scheinen mag, keinerlei Verbindung zu wahren Begebenheiten. Jegliche in der Geschichte vorkommenden Personen sind genau am gleichen Ort entstanden wie der Rest der Geschichte: direkt zwischen meinen beiden Ohren, etwa fünf Zentimeter oberhalb meiner Nase – in meiner Fantasie.

    Ich wünsche viel Vergnügen beim Lesen.

    Matthias Ganz

    Ihre kurzen braunen Haare bringen ihr süsses, makelloses Gesicht wundervoll zur Geltung. In ihren grünen Augen entdeckt man, wenn man ganz genau hinsieht, einige Farbkleckse, als würde man direkt in einen Wald voller farbenfroher herbstlicher Blätter sehen. Sie hat die reinste Haut, die ich jemals gesehen habe, und ich liebe es, meine Fingerspitzen sanft über ihre Schultern gleiten zu lassen. Wenn sie mir ihr Lächeln schenkt, geht für mich die Sonne auf, und ich fühle das ganze Glück auf der Welt in mir. Ihre humorvolle, stets aufgestellte und liebevoll neckische Art erfüllt jeden gemeinsamen Moment mit purer Freude, und ihre Zuneigung ist das schönste aller Gefühle, die ich jemals spüren durfte. Wenn sie in meinen Armen liegt und ihren Kopf vertraut an meine Brust legt, fühle ich mich wie der zufriedenste, glücklichste und auch dankbarste Mensch auf dieser wundervollen blauen Kugel.

    Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen.

    Die Geschichte von Emily Rose Kline.

    Eigentlich ist es keine besonders lange oder anspruchsvolle Strecke von Boston nach Fairhaven, und doch zerrt sie heute ganz speziell an mir. Die Bäume mit den farbenfrohen Herbstgewändern ziehen zuhauf an mir vorbei, während ich meinen Blick starr geradehaus auf die Strasse gerichtet halte. Die Ärmel meines weissen Hemdes hochgekrempelt, friere ich beinahe ein wenig in dem Wind, der durch das weit geöffnete Seitenfenster hereinströmt. Ich war seit Jahren nicht mehr in Fairhaven, und ich frage mich, ob es sich wohl verändert hat. Wer kennt mich noch und – noch viel wichtiger – wen kenne ich denn noch? Ich fahre gerade über die Highway-Verzweigung, an der ich sonst immer nach Cape Cod abbog. Cape Cod, wo ich sie das erste Mal sah und wo unsere Geschichte begann.

    Der Motor meines Wagens heulte auf, als ich das Gaspedal ein erstes Mal durchdrückte. Viele sagen, man solle die Finger von Leasingangeboten lassen, dies konnte ich jedoch nicht nachvollziehen. Was war denn so schlimm daran, ein Auto zu fahren, das noch zwei Jahre lang einer Bank gehören würde? Ein gewisses Risiko, dass sich das Auto zu einem Haufen Schrott zusammenlegt, besteht immerhin auch bei einem nichtgeleasten Wagen, oder etwa nicht? Ich hielt an der roten Ampel an der Kreuzung direkt vor meiner alten Schule. Erinnerungen kamen hoch. An meine damaligen Lehrer, die mir ständig einzureden versucht hatten, dass aus mir nie etwas Anständiges werden würde. Ich denke, ich war kein leichter Schüler für meine Lehrer. Sie haben es mir allerdings auch nicht gerade einfach gemacht, sie zu mögen. Mein Schultherapeut meinte, dass ich wohl als Kind zu wenig Aufmerksamkeit von meinen Eltern erhalten hätte und ich nun in der Schule probierte, dieses Defizit wettzumachen. Infolgedessen versuchte ich mir die Anerkennung von Mitschülern zu verdienen, indem ich täglich meine Aufführung des rebellischen Teenagers zum Besten gab. Er lag vermutlich recht mit seiner Behauptung, aber das hätte ich ihm nie im Leben zugestanden.

    Es hupte hinter mir. Während ich in Gedanken versunken war, hatte die Ampel wieder auf Grün gewechselt, ohne dass ich es bemerkt hatte. Vor lauter Schreck trat ich das Gaspedal voll durch und raste mit quietschenden Reifen und ausgestrecktem Mittelfinger an der Fairhaven High vorbei. Der Spätsommer ist meine absolute Lieblingszeit hier. In Neuengland ist es zu dieser Jahreszeit einfach traumhaft schön, weshalb ich mich entschied, noch etwas an der Küste entlang bis nach Cape Cod hochzufahren. Es war einfach wundervoll, wie mir die Sonne direkt in mein dezent von der Sommersonne gebräuntes Gesicht schien. Meine klaren dunkelblauen Augen verbargen sich hinter meiner Pilotensonnenbrille, und mein kurzes braunes Haar wirbelte durch den hereinströmenden Wind, während sich die Sonne langsam in Richtung Horizont zu begeben schien. Durch die Hügel schlängelte sich der Grand Army of the Republic Highway. Er führt meilenweit durch dichte Wälder, und nun, da der Herbst in Massachusetts Einzug hielt, zeigten diese sich von ihrer farbenfrohesten Seite.

    Einige wenige Bäume strahlten bereits schon in dem für hier typischen knallorangen Kleid. Dabei hatten wir erst Ende August. Beim Anblick dieses Naturschauspiels sprudelten in mir die Glücksgefühle. Eine unbeschreibliche Energie durchströmte mich, was dazu führte, dass ich lauthals aus dem offenen Fenster schrie, um der ganzen Welt meine Freude kundzutun. Nun ja, vielleicht halt auch bloss den paar wenigen Tieren, die gerade die neuenglischen Ahornwälder durchstreiften, durch die mich der Highway führte. Die Sonne hatte den Horizont dort draussen, in den Weiten der Cape Cod Bay, schon beinahe erreicht, als ich an meinem Lieblingsplatz ankam. Dort, ganz abgelegen von jeglichen Menschenmassen, erklomm ich per Wendeltreppe den Leuchtturm am Race Point, von dessen Plattform aus man den meiner Meinung nach schönsten Sonnenuntergang der Welt geniessen kann. Ich stülpte die Kopfhörer über die Ohren, um mit ein wenig Musik den sonst schon spektakulären Anblick durch eine ganz spezielle Melodie perfekt zu machen. So würde ich in Zukunft jedes Mal an diesen einen unvergleichlichen Moment zurückdenken, sobald ich diesen einen Song hören sollte. Dass ich mich schlussendlich für ein Lied der Gruppe Daughtry entschied, sollte sich schon bald als schicksalhafte Wahl herausstellen. Aber dazu später.

    Nachdem die Sonne ihre letzten Strahlen in meine Richtung gesandt hatte, machte ich mich wieder auf den Heimweg. Um wieder auf den Highway zu gelangen, musste ich erst einmal durch das von Touristen belagerte Örtchen Provincetown hindurchfahren. Naja, wohl eher schleichen. Die vielen Menschen, die durch den Ort hindurchzogen, machten jeden Zebrastreifen zur Qual für die Autofahrer. Ich fragte mich gerade, ob wohl schon Menschen vor einem Fussgängerstreifen in ihrem Wagen eingeschlafen waren, als ich sie entdeckte. Dort stand sie am Strassenrand – Keira. Sie war die beste Freundin meiner kleinen Schwester Emma, und deshalb war sie oft bei uns zu Hause zu Besuch. Vor zwei Jahren waren wir uns auch etwas nähergekommen und hatten uns ineinander verliebt. Ein Jahr lang waren wir dann ein Paar, bevor wir merkten, dass wir uns auseinandergelebt hatten. Da sie aber weiterhin die beste Freundin von Emma war, konnte ich ihr natürlich schlecht ausweichen, und so blieben wir in Kontakt. Unterdessen konnten wir uns wieder ganz normal im selben Raum aufhalten, ohne dass eine komische Stimmung herrschte. Gerade blickte sie in meine Richtung und entdeckte mich hinter dem Steuer.

    Sichtlich froh, ein bekanntes Gesicht zu erblicken, winkte sie mich zu sich rüber. Eine geschätzte Ewigkeit und mindestens hundertvierundachtzig Fussgänger später konnte ich dann auch wirklich zu ihr rüber an die rechte Strassenseite fahren. Kaum stand der Wagen still, streckte sie schon ihren Kopf durch das offene Beifahrerfenster herein. Ihr blumiger Duft breitete sich umgehend in meinem Wagen aus.

    »Hey Tany, was machst du denn hier? Und seit wann fährst du denn bitte solch eine krasse Karre?«, eröffnete sie das Gespräch.

    »Komme gerade vom Race Point, hab mir dort den Sonnenuntergang angesehen. Und du, bist du ganz alleine hier?«, wollte ich von ihr wissen.

    Sie sei mit ein paar Freundinnen zum Sonnen und Schwimmen hergefahren, und die eine, die gefahren sei, habe früher wieder weggemusst, weshalb sie nun nicht wisse, wie sie nach Hause kommen solle.

    »Was für ein glücklicher Zufall, dass ich gerade noch einen Platz frei hab …«, scherzte ich.

    Doch anders als erwartet, freute sie sich über diese Nachricht nicht sonderlich und meinte stattdessen:

    »Emily muss auch noch mit. Hast du auch noch einen zweiten freien Platz? Ich kann sie ja nicht einfach alleine lassen!« Sie deutete auf ein Mädchen, das ganz alleine auf der weissen Bank vor dem Souvenirshop sass und in unsere Richtung blickte, während sie ihre Beine vor- und zurückschaukeln liess.

    Ich lächelte.

    »Alles einsteigen bitte, nächster Halt: Fairhaven.«

    Die Autotür war noch gar nicht ganz zugefallen, da machte sich Keira auch schon über die Audioanlage her. Ich liess sie gewähren, denn wie ich von meiner Schwester wusste, hatte sie einen guten Riecher für situationsgerechte Musik. Und so machten wir uns auf den Weg. Ich am Steuer, Kiri als DJ auf dem Beifahrersitz und Emily als Begleitperson auf der Rückbank. Keiras Begleitung schien etwas introvertiert und ruhig zu sein, was so gar nicht zu ihrem sonstigen Freundeskreis passte. Immer wieder sah ich über den Rückspiegel nach hinten, weil es mich total verwunderte, wie ruhig und teilnahmslos sie sich verhielt. Was war das bloss für ein Mädchen? Emma hatte recht gehabt. Keira traf mit jedem Song genau auf den Punkt. Wir feierten zu zweit jedes einzelne Lied, als wäre es unser absoluter Lieblingshit. Es machte riesig Spass, ganz besonders, weil es Keira war, die neben mir sass. Meine Schwester und Keira Middlehoff waren schon seit der Grundschule befreundet, da die beiden nicht nur stets die gleichen Kassen besuchten, sondern auch noch in derselben Strasse wohnten. Da meine kleine Schwester immer ihre Freundinnen zum Spielen nach Hause brachte, hatte ich als Teenager ein gewisses Mädchentrauma. Vielleicht hatte ich deswegen ausser Keira noch keine andere Freundin gehabt. Ich wurde von allen Mädels der Schule gerne als tröstende Schulter genutzt, und die Aussage »Lass uns nur Freunde sein« stand an erster Stelle der Top Ten der meistgehörten Aussagen meines Lebens. Doch Keira war anders. Im Gegensatz zu den anderen Freundinnen meiner Schwester unterhielten wir beide uns, obwohl wir einst ein Paar gewesen waren, recht oft. Mir verschlug es noch immer jedes Mal den Atem, wenn sie mich anlächelte. Ich kannte keine Frau mit einer reineren Haut und weisseren Zähnen. Ihre liebevolle, weiche Mädchenstimme wünschte ich mir stets an meinem Ohr, und ihre tiefblauen Augen hätte ich stundenlang bewundern können. Ich fragte mich manchmal sogar, wie lange sie wohl brauchte, um ihre Haare am Morgen zu stylen, denn Keira mit ungestyltem Haar war ein Phänomen, das noch selten ein Mensch erlebt haben dürfte, seit sie den Gebrauch von Haarspray für sich entdeckt hatte. Während ich gedankenversunken in ihre Augen starrte, wedelte sie mit der Hand vor den meinen umher.

    »Erde an Ethan, sind Sie noch da?«

    Ich zuckte zusammen, was bei Keira einen Lachkrampf auslöste.

    »Ich sehe, das hat sich nicht verändert. Wohin haben deine Gedanken dich denn nun wieder entführt?«, wollte sie von mir wissen, während sie immer noch über die Wiedererweckt-von-den-Toten-Schreckattacke lachte.

    »Nirgends. Bin nur etwas müde«, log ich.

    Mittlerweile hatte sich die Nacht über uns ausgebreitet. Kurz nach neun bog ich in die Maple Street ein. Nur drei Häuser neben unserem Haus befand sich das der Middlehoffs. Ich schraubte die Lautstärke zurück und parkte direkt davor.

    »Tany, du bist der Beste! War ‘ne coole Fahrt, müssen wir echt mal wiederholen«, verabschiedete sich Keira.

    Ich nickte. Ich erschrak, als sich die Hintertür meines Wagens öffnete. Ich hatte Emily komplett vergessen.

    »Emily, richtig? Gehst du mit zu Kiri oder soll ich dich auch gleich nach Hause fahren?«, fragte ich das unbekannte Mädchen.

    Emily schaute mich an, als habe sie meine Frage nicht verstanden und meinte: »Ich wohne aber nicht gerade in der Nähe.«

    Ich winkte sie nach vorne auf den Beifahrersitz. Vorsichtig streckte sie den Kopf zur Tür herein, und ich betrachtete sie das erste Mal überhaupt richtig. Im schummrigen Licht, das die mickrigen Deckenlämpchen ausstrahlten, konnte ich aber selbst aus dieser kurzen Distanz nicht wirklich viel von ihr erkennen. Nur ihre Augen leuchteten mir entgegen, als würde man einer Katze im Dunkeln mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchten.

    »Du kennst mich doch gar nicht und hast noch kein Wort mit mir gesprochen. Weshalb solltest du mich bitte den weiten Weg nach Acushnet fahren wollen?«, fragte sie mich mit strenger Miene.

    »Das ist es ja … Was, wenn das meine letzte Chance ist, um noch ein Wort mit dir zu wechseln?«, entgegnete ich ihr und grinste sie an. Mit dieser Antwort hatte sie offensichtlich nicht gerechtet, und noch bevor sie sich ein Gegenargument überlegen konnte, witzelte ich weiter: »Ausserdem ist der Wagen neu, und ich würde ihn gerne ein wenig in Acushnet rumführen.«

    Ich bemerkte ein Lächeln in ihrem Gesicht, und dann setzte sie sich ganz vorsichtig auf den Beifahrersitz. Bevor sie sich jedoch wirklich entspannt in die Sitzlehne reinfallen liess, musterte sie mich noch von oben bis unten.

    »Wieso siehst du mich so an?«, fragte ich sie.

    »Wer weiss, vielleicht bist du ein Verbrecher, und ich möchte dich schon identifizieren können, wenn ich zur Gegenüberstellung antreten müsste«, sagte sie mit ernstem Ton und dazu passendem Gesichtsausdruck.

    Ich sah darauf etwas verwirrt aus der Wäsche und wusste auch nicht genau, was ich antworten sollte. Dann fing sie an zu lachen.

    »Ich mache nur Witze«, gab sie mir zu verstehen.

    Auch wenn ich über ihren Scherz nicht gerade erfreut war, musste ich über die Ausführung selbst etwas schmunzeln. Ich streckte ihr meine Hand entgegen, um mich vorzustellen.

    »Ich bin Ethan. O’Hare.«

    »Emily. Weitere Namen muss man sich bei mir verdienen. Vor allem, wenn man so ein potenziell gefährlicher Mann ist«, scherzte sie mit einem spitzen Lächeln und einem Augenzwinkern.

    »Wie viele hast du denn?«

    »Es gibt noch zwei weitere.«

    »Also heisst das, ich habe Checkstufe eins von drei erfolgreich abgeschlossen?«, formulierte ich die Situation zu meinen Gunsten um.

    »Sie läuft gerade zwar noch, aber den Vornamen hab ich dir jetzt einmal vorgeschossen!«

    Wir sahen uns an, bereit, weitere übertrieben ernst vorgetragene Argumente von uns zu geben. Ein Lächeln auf ihrem Gesicht vermittelte mir jedoch, dass sie dieses Thema gerade abgeschlossen hatte. So startete ich den Motor und fuhr los. Am Hafen und der Highschool vorbei, über den Highway und dann bis nach Acushnet alles geradeaus – ich kannte den Weg nur zu gut. Einmal pro Woche besuchte ich den Friedhof hier, wo sich das Grab meines besten Kumpels aus der Schulzeit befand. Er war ein typisches Mobbingopfer gewesen. Etwas pummelig, rote Haare, überdurchschnittlich gute Schulnoten, und dazu kam noch seine Leidenschaft für Comicbücher, die er jeden Tag durch ein entsprechendes Superhelden-T-Shirt zum Ausdruck brachte. Eines Tages durchstreifte er das Kieswerk und wurde dabei von einem Baggerfahrer übersehen. Viele behaupteten, er habe sich absichtlich unter die Baumaschine geworfen, um den Qualen des Gemobbtwerdens zu entgehen. Ich bin mir aber ganz sicher, er wäre dazu niemals fähig gewesen. Dafür war er zu stark – und auch zu stolz darauf, er selbst zu sein. Ich dachte damals, er sei mit mir befreundet, um von meiner Beliebtheit zu profitieren. Doch ich merkte schon bald nach seinem Ableben, dass ich damit falsch gelegen hatte. Nur dank seiner Güte und seinem Sinn für Gerechtigkeit bin wohl nicht auf die falsche Bahn gerutscht und habe auch nie versucht, anderen Menschen Schlechtes zu tun. Er hat mich gelehrt, immer aufrichtig zu sein und anderen zu verzeihen. Ruhe in Frieden, Carl!

    Die Fahrt dauerte nun sicher schon über drei Minuten, und noch hatten wir seit dem kleinen Flirt am Anfang kein Wort mehr gesprochen.

    »Nur weil du vorher mit mir gesprochen hast, heisst das nicht, dass ich mich damit zufriedengebe, ich will Worte …«, versuchte ich eine Unterhaltung zu beginnen. Mein Versuch trug sogleich Früchte.

    »Sorry. Diesmal war ich mit den Gedanken woanders. Über was würden Sie sich denn gerne mit mir unterhalten, Mister O’Hare?«, sagte sie.

    Mister O’Hare. Aus ihrem Mund tönte mein Nachname wie etwas ganz Spezielles. Ich wollte mehr von ihr erfahren, doch sie meinte darauf bloss:

    »Lass uns ein Spiel spielen. Du stellst mir drei Fragen, und ich beantworte dir diejenige, die mir am besten gefällt okay?«, schlug sie vor.

    Ich nickte und überlegte mir, welche Fragen ich ihr stellen wollte.

    »Bist du so weit?«, fragte ich.

    »Leg los«, antwortete sie.

    »Okay. Was gefällt dir am besten an dir? Welches ist dein Lieblingssong? Was willst du in deinem Leben unbedingt erreichen?«, wollte ich von ihr wissen.

    Sie atmete laut aus, was mir das Gefühl gab, drei wirklich gute Fragen gestellt zu haben. Ich irrte mich.

    »Sorry, zur dritten Frage bedarf es der Checkstufe zwei. So etwas wie eine Lieblingsmusik oder ein Lieblingsgericht habe ich nicht, also wähle ich die Frage Nummer eins.«

    Kurz, knapp und auf den Punkt gebracht. Kein Wort verliess ihren Mund, ohne zuerst einen Qualitätscheck durchlaufen zu haben. Ich hatte ohne Zweifel noch nie eine Frau wie sie getroffen. Ich war wohl wieder kurz abgeschweift, denn Emily sah mir gerade mit einem schiefen Blick entgegen, der nur diesen Schluss zuliess.

    »Passiert dir das öfters?«, fragte sie.

    »Was meinst du?«, wollte ich darauf wissen.

    »Dass du einfach ins Nichts abschweifst. Passiert dir das öfters?«

    Da wurde mir bewusst, dass ich ihre Antwort auf meine Frage verpasst hatte. Es war irgendwie eigenartig. Ich konnte ihrem Blick noch nicht einmal entnehmen, welche Emotion hinter ihren Worten steckte.

    »Findest du das etwas Schlechtes?«

    »Ach nein, da hast du mich falsch verstanden«, meinte sie. »Mir selbst passiert das ja auch andauernd. Ich habe bisher einfach noch niemanden kennengelernt, dem es genauso geht.«

    Ich war erleichtert und fragte sie, ob ich nochmals drei Fragen stellen dürfe. Sie willigte ein.

    »Wohin verschlägt es dich in deinen Gedanken? High Heels oder Ballerinas? Ach, und wo muss ich denn jetzt hier abbiegen?«

    Und dann kamen sie. Ihre ersten Worte, die nicht auf sich warten liessen.

    »Geradeaus bis zur Kirche, dort links abbiegen, und dann kannst du gleich wieder rechts in die Boylston Street einbiegen«, beschrieb sie mir den Weg.

    Sie grinste so sehr, dass sich ihre Mundwinkel am Hinterkopf wieder getroffen hätten, wenn da nicht noch ihre Ohren gewesen wären. Mist! Ich hätte einfach fahren und die Orientierungsfrage durch eine andere ersetzen sollen. Vermutlich merkte sie mir an, dass es mich fast ein wenig nervte, denn auf einmal zogen sich ihre Mundwinkel wieder auf Normalposition zurück.

    »Bist du jetzt traurig?«, frage sie mit einem unüberhörbar ironischem Unterton.

    »Diese Anschuldigung werfe ich zurück, Miss …!«

    Sie musste lachen.

    »Guter Versuch, Mister. Meinen Nachnamen gibt’s trotzdem erst ab Checkstufe drei«, witzelte sie erneut.

    Obwohl ich Emily gerade erst kennengelernt hatte, empfand ich sie als etwas ganz Besonderes. Vielleicht weil ich das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit auf ein Mädchen traf, das mich nicht direkt als Teddybären für schlechte Zeiten abstempelte. Womöglich lag es aber auch an ihrer ganz eigenen und unvergleichlichen Art, nichts von sich preiszugeben, wenn man es sich nicht verdiente. Am liebsten wäre ich noch die ganze Nacht mit ihr durch die Gegend gefahren, um alles über sie zu erfahren, doch da kam ihre Strasse.

    »Hier gleich wieder rechts. Du kannst mich dann dort gleich rechts rauslassen, ich gehe den Rest«, sagte sie, während sie auf die Einfahrt in die Boylston Street deutete.

    Ich hoffte insgeheim, dass sie noch neben mir im Auto sitzenbleiben würde, um noch ein wenig zu quatschen, doch diese Hoffnung zerstörte sie sogleich, indem sie direkt, als der Wagen zum Stillstand kam, die Tür öffnete, um auszusteigen. Sie stieg aus dem Auto, drehte sich noch einmal zu mir um und bedankte sich für den Fahrdienst.

    »Ich würde Sie gerne wiedersehen, Mister O’Hare. Ich bin jedoch eine grosse Verfechterin der Schicksalstheorie. Wenn es das Richtige ist, werden wir uns noch einmal treffen. Ich wünsche eine gute Nacht!«, sagte sie, und bevor ich etwas gegen ihr Vorhaben einwenden konnte, schubste sie bereits die Tür zu.

    Ich sah ihr noch zu, wie sie die Strasse entlangschlenderte und dann etwas später in der Dunkelheit verschwand. Ich musste sie wiedersehen, soviel war sicher.

    Heute jedoch fahre ich an der Ausfahrt vorbei. Weiter in Richtung Fairhaven auf einem Weg, den ich gehofft hatte, nie antreten zu müssen. Ich hoffe noch immer, einen Anruf zu bekommen, dass alles nur ein Witz sei und ich wieder umdrehen könne. Doch tief in meinem Innern ist mir bewusst, dass dies nicht geschehen wird. Mir ist bewusst, dass alles einen Grund hat und dass das Schicksal jederzeit zuschlagen kann. Doch manchmal braucht man halt einfach etwas Zeit, um etwas zu verstehen. Was das Schicksal anbelangt, war sowieso Emily schon immer die Energischere von uns beiden gewesen.

    Die Nacht war kurz gewesen. Nicht, weil ich noch aus war oder so etwas. Vielmehr konnte ich vor lauter Gedanken, die mir durch den Kopf streiften, nicht einschlafen. Insbesondere die Begegnung mit Emily hatte irgendetwas in mir geweckt, das sich nicht mehr schlafen legen wollte. Ich schleifte meinen noch müden Körper den Flur entlang in die Küche, um zu frühstücken. Meist musste ich samstags arbeiten, an diesem Tag jedoch hatte ich ausnahmsweise frei. Den ganzen Sommer über war viel los gewesen, und nun war es an der Zeit, etwas Überzeit abzubauen, bevor die Herbstsaison beginnen würde. Die Hälfte der Milch landete wie gewohnt neben der Schüssel mit den Cornflakes. Was meine Eltern gerne als Nicht-zielen-Können oder als schusseliges Verhalten einstuften, war meiner Meinung nach nur die beste Art und Weise, das Milch-zu-Cornflakes-Verhältnis stets auf einem gleichbleibend guten Niveau zu halten. So langsam, aber sicher taute ich auf. Unterdessen konnte ich meine Augen auch schon wieder gänzlich öffnen. Ich stellte mich unter die Dusche, putzte mir die Zähne und zog mich an. Für Ende August war das Klima relativ mild und kühl, was mich veranlasste, meine Lieblingsjacke aus dem Schrank hervorzukramen. Eine braune Lederjacke, die mir fast schon ein bisschen zu klein war.

    Ich hatte sie mir vor ein paar Jahren in New York gekauft, und auch wenn sie schon völlig abgetragen aussah, war sie immer noch eines meiner allerliebsten Kleidungsstücke. Inzwischen war mein Energielevel wieder auf einem guten Niveau angelangt, und ich setzte mich wieder ans Steuer meines Wagens. Für diesen Tag waren keine grösseren Routen geplant. Bloss ein kleiner Ausflug über den Acushnet River nach New Bedford zu meinem Kumpel Linus. Zusammen mit Carl waren Linus und ich früher ein tolles Team und die besten Kumpels gewesen. Während Carl und ich bei den Mädels jedoch meistens abblitzten, war Linus der Inbegriff eines Frauenhelden – wenn auch bloss auf selbsternannter Basis. Unterdessen war er zu seiner Freundin gezogen, und tatsächlich wollte er ihr auch schon bald einen Heiratsantrag machen. Hätte ihm das einer in der Highschool erzählt, hätte er diese Person wohl für nicht ganz voll genommen. Durch die nun etwas weitere Entfernung und natürlich auch dadurch, dass Linus auch möglichst viel Zeit mit seiner Zukünftigen verbringen wollte, waren unsere Treffen zuletzt immer seltener geworden. Deshalb genoss ich die Zeit, die wir zusammen hatten, auch umso mehr.

    Ich bog auf die Green Street ein und folgte dieser bis zur Fairhaven High. Während ich an der Kreuzung zur Hauptstrasse darauf wartete, dass die Strasse frei wurde, um darauf einzubiegen, fiel sie mir auf. Direkt vor der Schule, auf der Holzbank bei der Bushaltestelle, sass sie. Was hatte Emily denn am Samstag in der Schule zu suchen? War das die von ihr angesprochene, schicksalhafte zweite Chance für mich? Die Strasse wurde frei, ich fuhr zu ihr rüber, liess das Beifahrerfenster runter und pfiff ihr zu. Sie hob ihren Kopf, und das

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