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Der Ring der Offenbarung: Roman
Der Ring der Offenbarung: Roman
Der Ring der Offenbarung: Roman
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Der Ring der Offenbarung: Roman

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About this ebook

Der frisch getrennt lebende Armin Blumenberg verreist zum ersten Mal alleine mit seiner kleinen Tochter Dorit. Eigentlich wollte er mit ihr gemütlich das magische Andalusien im Süden Spaniens erkunden. Stattdessen geraten sie in eine Hetzjagd nach einem mysteriösen Ring, der aus einem Kloster gestohlen wurde. Nur der amtierende Abt darf die wundersame Wirkung des Rings kennen. Um das Geheimnis zu wahren, werden seit Jahrhunderten keine lebenden Mitwisser geduldet. Ständig auf der Flucht stolpern die beiden deutschen Urlauber von einem Albtraum in den nächsten.


In seinem dritten Roman erzählt Harald J. Krueger hinreißend vergnüglich, wie der ahnungslose Sonntagsvater sein fantasievolles Töchterchen wochentags kennen lernt. Zudem erfährt der Leser von Menschen und Orten in Andalusien, die Touristen meist verschlossen bleiben. Vor allem aber fesselt die atemberaubende Spannung bis zur letzten Seite.
LanguageDeutsch
Release dateMay 7, 2014
ISBN9783735726308
Der Ring der Offenbarung: Roman
Author

Harald J. Krueger

Harald J. Krueger wurde 1950 in Berlin geboren. Er wuchs in Hamburg auf. Viele Jahre arbeitete er als Manager in Unternehmen der Lebensmittelbranche. Mit 50 Jahren begann er, was er schon immer wollte, spannende Romane mit einem geheimnisvollen Hauch Übersinnlichem zu schreiben.

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    Book preview

    Der Ring der Offenbarung - Harald J. Krueger

    Für Wiebke

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Kapitel 50

    Kapitel 51

    Kapitel 52

    Kapitel 53

    Kapitel 54

    Kapitel 55

    Kapitel 56

    Kapitel 57

    Kapitel 58

    Kapitel 59

    Kapitel 60

    Kapitel 61

    Kapitel 62

    Kapitel 63

    Kapitel 64

    Kapitel 65

    Kapitel 66

    Kapitel 67

    Kapitel 68

    Kapitel 69

    Kapitel 70

    Kapitel 71

    Kapitel 72

    Kapitel 73

    Kapitel 74

    Kapitel 75

    Kapitel 76

    Kapitel 77

    Kapitel 78

    Kapitel 79

    Kapitel 80

    Kapitel 81

    Kapitel 82

    Kapitel 83

    Kapitel 84

    Kapitel 85

    Kapitel 86

    Kapitel 87

    Kapitel 88

    Kapitel 89

    Kapitel 90

    Kapitel 91

    Kapitel 92

    Kapitel 93

    Kapitel 94

    Kapitel 95

    Kapitel 96

    Kapitel 97

    Kapitel 98

    Kapitel 99

    Kapitel 100

    Kapitel 101

    Kapitel 102

    Kapitel 103

    Kapitel 104

    Kapitel 105

    Kapitel 106

    Kapitel 107

    Kapitel 108

    1.

    Armin Blumenberg schob mit dem Fuß seine Reisetasche einen Schritt vorwärts. Jetzt standen nur noch drei Touristenpaare vor ihm. Auch sie wollten ihr Gepäck abgeben für den Flug von Frankfurt nach Malaga. Als ob es helfen würde, schaute Armin zum hundertsten Mal zu den Eingangstüren. Karin, seine Noch-Ehefrau, hätte mit der kleinen Dorit schon längst eintreffen müssen. Hier sollte er die viereinhalbjährige Tochter übernehmen.

    Die Reise würde in jeder Hinsicht eine Premiere werden. Zum ersten Mal, seit sie sich vor zehn Jahren kennen gelernt hatten, würde er ohne Karin in Urlaub fahren. Zum ersten Mal würde der Sonntagsvater eine ganze Woche alleine mit Dorit verbringen. Obendrein sollte es für die Kleine ihr Flugdebüt werden. An sich schon aufregend genug, befand Armin.

    Ein Rentnerpaar drückte ihm die Kofferkarre in den Rücken. Erst jetzt bemerkte Armin, dass es weiterging. Übergemächlich hob er seine Nylontasche hoch und setzte sie einen halben Meter vor. Nur noch zwei Paare vor ihm. Wollte Karin ihn etwa versetzen? Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Das wäre nicht ihre Art. Als Rechtanwältin hätte sie wahrscheinlich sogar noch Bedenken wegen etwaiger Schadensersatzansprüche. Außerdem hatten sie gestern Abend ja auch noch telefoniert. Ob das Schalterfräulein ihm überhaupt zwei Bordkarten aushändigte, ohne das Kind gesehen zu haben? Wohl kaum, bei der heutigen Sicherheitshysterie.

    Ob er zur Not alleine abfliegen würde, wollte er sich lieber nicht durchdenken. Dorit überbrückte den Graben zwischen Karin und ihm. Sie lebten jetzt schon seit Januar, fast sechs Monate, getrennt. Die Sonntage verbrachte Armin mit Dorit. Beim Abholen und Bringen traf er Karin flüchtig. Auch wenn es jedes Mal stach, freute er sich, sie zu sehen, sogar heute.

    Armin musste aufrücken. Jetzt wurde das pummelige Frauenpaar vor ihm bedient. Er käme als nächster dran. Ohne Dorit kam keine Freude über das rasche Einchecken auf.

    2.

    Am gleichen Sonntag, auch um 7:15 Uhr, aber nicht auf dem Frankfurter Flughafen sondern im Kloster bei Jimena, hundert Kilometer südwestlich von Malaga, im tiefsten Süden Spaniens, wartete der Abt des Benediktiner Klosters ebenso sehnsüchtig. Unruhig wechselte sein Blick von der Kirchturmuhr zur zwei Kilometer langen Klosterzufahrt. Von dem schmalen Fenster seiner Kammer im ersten Stock hätte er die Aussicht auf das Tal mit der Orangenplantage genießen können. Doch heute verstellten Sorgen seinen Blick. Für ihn hing die Zukunft des Klosters an dem Besuch von Don Alfonso Domecq. Seine Spende könnte sie für die nächsten Monate retten. Die Höhe der Spende stand für den Abt in direktem Zusammenhang zum optimalen zeitlichen Ablauf. Und der schien zunehmend gefährdet.

    Bei der Frühmesse hatte der Abt die Brüder noch zum Raunen gebracht. Seit Donnerstag hatten sie täglich gemeinsam um Gottes Hilfe für das Kloster gebetet. Heute, am Sonntag, hatte er ihnen den Besuch des großzügigen Sherry-Barons angekündigt. In Wahrheit wusste der Abt schon seit Mittwoch davon. Er hoffte, dass der Herr ihm diese kleine List verzieh. Diente sie doch nicht nur seinem Ego sondern stärkte vor allem den Glauben in die Kraft des gemeinsamen Gebets. Was stand ihnen bevor, wenn Don Alfonso Domecq sich verspäten sollte?

    Dabei waren die Voraussetzungen optimal. Kein Wölkchen am tiefblauen Junihimmel drohte die Sonne zu verdunkeln. Das würde jedoch bald wenig nützen. Nach den jahrhundertealten Aufzeichnungen würde heute nur von 7:32 bis 7:37 Uhr die optische Sensation der Zeremonie stattfinden. Ohne diese Blendung fühlten sich die Besucher nicht erleuchtet. Ohne Erleuchtung spendeten sie wenig. Das Geld brauchte das Kloster dringend. Es war zwar Eigentümer des Korkeichenwalds am Hang hinter dem Kloster und der Orangenplantage im Tal davor, doch die Pachteinnahmen tröpfelten spät und spärlich. Trotz Selbstversorgung mit Obst, Gemüse und Fleisch brauchten die fünfundzwanzig an sich anspruchslosen Mönche ständig Geld. Erst gestern erinnerte Izan, der Küster, zum dritten Mal wie dringend ihr Kleintransporter repariert oder besser ganz ersetzt werden müsste. Bislang mahnte der Stapel unbezahlter Rechnungen noch stumm. Nur mit Geld ließe sich ihr klösterliches Leben aufrechterhalten. Diese weltliche Abhängigkeit ihres religiösen Eifers verdross den Abt. Sehnsüchtig streifte sein Blick die Zufahrtsstraße entlang. „Bitte lass ihn rechtzeitig eintreffen."

    3.

    „Hallo Vati", rief Dorit und riss Armin aus der gleichen stummen Fürbitte. Erleichtert drehte er sich um. Karin eilte mit Dorit an der linken und der Lederreisetasche in der rechten Hand an der Warteschlage entlang zum Schalter. Die beiden Diätopfer vor Armin wurden noch abgefertigt. Dorit riss sich los und stürmte zu ihrem Vater. Der hockte sich nieder, um sie zu umarmen. Sie hatten sich seit einer Woche nicht gesehen. Karin stand in ihrem azurblauen Hosenanzug daneben. Sie hatte sich schon gedacht, dass Armin in Jeans und seiner unvermeidlichen Weste reisen würde. So hätte sie sich nie auf dem Flughafen präsentiert.

    Freudig glucksend nahmen die beiden schweren Urlauberinnen die Bordkarten entgegen und begaben sich auf die Suche nach ihren Traummännern. Das Rentnerpaar hinter Armin befürchtete durch die Begrüßung, den Abflug zu verpassen.

    Armin richtete sich auf und überreichte dem Schaltermädchen den Flugschein. Wenn man selbst an der Reihe ist, geht alles so schnell, dass man sich wundert, warum es vorher so lange dauerte. Diesmal beklagte sich Armin nicht über die Warterei. Die beiden Reisetaschen verschwanden im Schlund des Gepäcklabyrinths. Armin erhielt die Bordkarten.

    Seufzend drängten die Pensionäre mit der überladenen Gepäckkarre an den Schalter. Die Blumenbergs sammelten sich am unbenutzten Nebenschalter. Armin strich sich verlegen durch die Wellen seines hellbraunen Haars.

    Die kleine Blonde fragte: „Wo ist denn unser Flugzeug?"

    Das erlöste die Eltern aus ihrer Sprachlosigkeit.

    „Das suchen wir jetzt gleich mal", lachte Armin.

    „Dorit, du bleibst immer bei Vati", mahnte Karin. Sie presste besorgt die Lippen. Ihre zarten Gesichtszüge wirkten dadurch noch ernster als sonst.

    Zögernd überwand sie sich: „Na, dann schöne Reise.

    Armin, versprich mir, dass ihr nicht nach Marokko übersetzt!"

    Armin nickte und bemühte sich, sein Dauergrinsen zu unterdrücken.

    „Bis bald Mutti."

    Er sah, wie Karin mit den Tränen kämpfte. Zügig zog er mit der Tochter zur Sicherheitskontrolle.

    4.

    Der Abt hörte Reifen auf dem Sandweg zum Kloster knirschen. Ein schwarzer Mercedes näherte sich langsam. Das Kloster bestand aus vier Gebäuden, die einen Innenhof umschlossen. Der einzige Klostereingang befand sich in der Mitte des vorderen Querhauses. In diesem einstöckigen Wirtschaftstrakt wohnte links Izan, der Küster. Rechts kochten und wuschen die Mönche. Hinter der Küche, im Längsgebäude, aßen die Mönche an einer langen Tafel im Refektorium. Im Stockwerk darüber war die Bibliothek untergebracht.

    Gegenüber auf der anderen Seite des Innenhofs schliefen die Mönche in kargen Zellen. Die Kapelle bildete das hintere Quergebäude. In der Ecke zwischen der Kirche und der Bibliothek überragte ein schlanker Glockenturm die Dächer. Durch den schmalen Rundgang weit oben ähnelte er einem Minarett. Auch einige Torbögen und Kacheln verrieten den maurischen Ursprung.

    Erleichtert bekreuzigte sich der Abt und verließ seine Zelle. An der Tür vom Innenhof zur Kapelle traf er auf Izan, den schlaksigen Küster. Der Abt japste: „Er kommt. Ist alles vorbereitet?"

    Der Atem des 60-jährigen verkürzte sich von Jahr zu Jahr.

    Der fast vierzig Jahre jüngere Küster nickte. Das Sprechen wurde hier möglichst vermieden.

    „Bring Don Alfonso Domecq bitte sofort zum Ostaltar."

    Izan schritt im flinken Mönchsgang zum Klostereingang. Der Abt huschte in die dunkle Kapelle. Im Raum hing noch der Weihrauch der Frühmesse. Der Abt bekreuzigte sich und kniete vor dem Marienaltar im Osterker nieder. Nur die beiden armdicken Kerzen neben der lebensgroßen Maria gaben dem Seitengewölbe ein unruhig schummriges Licht. Die heilige Jungfrau saß im lila Gewand und hielt mit beiden Händen das liegende Jesuskind. Eine nackte Puppe mit goldener Haut. Eine vergilbte Spitzendecke verhüllte dessen Scham und die rechte Hand der Mutter. Der Abt drehte sich um und vergewisserte sich, dass er allein war. Dann griff er mit der linken Hand unter das Tuch und fummelte. Es dauerte nur einen Atemzug. Dann zog er sie zurück. In der hohlen Hand verbarg er den Ring der Unbefleckten. Im weiten Ärmel seiner Kutte schob er ihn auf den rechten Zeigefinger. Dabei schaute er sich wieder besorgt um. Er fühlte sich unbeobachtet. Pedantisch zupfte er das Deckchen des Heilands so weit es der Anstand erlaubte zurück.

    Schritte näherten sich. Die Zeiger seiner Armbanduhr standen auf 7:29. Erleichtert tupfte er sich die Schweißperlen vom Kopf und glättete den weißen Haarkranz. „Gott sei Dank, noch rechtzeitig!", befand er und versank in andächtiger Betstellung.

    5.

    Zur gleichen Zeit betrat Paco seine Wohnung in Algeciras, der Hafenstadt bei Gibraltar. Er nahm an, wie üblich mit stummem Vorwurf, aber ebenso sehnsüchtig erwartet zu werden. Am Abend vorher hatte ihn seine Frau Ana angefleht, sie nicht wieder alleine zu lassen. Aber Paco, der Stämmige, ließ sich nicht aufhalten. Er hatte ihr sogar noch eine gelangt, als sie sich an ihn klammerte.

    „Bitte bleib!", hatte sie geheult.

    Der grausträhnige Krauskopf hatte sie angekläfft: „Ich geh, wann ich will, und komm, wenn es mir passt." Brutal hatte er die Tür hinter sich zugeknallt.

    Er blieb öfter mal über Nacht fort. Bislang traf er Ana am nächsten Morgen mit verquollenem Gesicht an. Heute saß Ana nicht wie früher mit ihrem Leidensblick auf dem Sofa. Paco schaute auf die Schnörkeluhr auf der Kommode im Wohnzimmer. Er vermutete, dass Ana am Sonntag um 7:30 Uhr noch im Bett lag. Er ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Das schmutzige Geschirr vom Abendessen dünstete sauer in der Spüle.

    Paco nahm das letzte saubere Glas aus dem Geschirrschrank, füllte es am Wasserhahn randvoll und trank es mit drei Schlucken leer. Das löschte den Brand des nächtlichen Bier-Wein-Sherry-Gelages. Sein grauhäutiges Hohlwangengesicht belebte sich. Trotzdem sah er für seine vierzig Jahre ganz schön alt aus. Er beschloss, sich noch ein Weilchen ins Bett zu legen.

    Das Doppelbett im Schlafzimmer sah unbenutzt aus. Verärgert lief Paco durch die Wohnung. Im Flur vermisste er Anas Kommunionfoto. Auf dem sah sie noch aus wie die Jungfrau Maria. Die schwammige 40-jährige von heute war weg. Im Bad entdeckte Paco auf dem Klodeckel einen Papierstreifen. Auf ihm lag Anas goldener Ehering. Auf dem Papier, es war die Rückseite eines Supermarkt-Kassenzettels, waren nur zwei Wörter mit einem blauen Filzschreiber geschmiert: ‚Me voy’ (Ich hau ab).

    Paco grabschte sich den Ring, steckte ihn in die Hosentasche und stürmte ins Schlafzimmer. Er riss die Kleiderschranktür auf. Der Schrank war fast leer. „Soll sie doch, die Zicke!", grollte er. Ihn ärgerte mehr ihre Eigenmächtigkeit als ihr Verschwinden. Er durchsuchte die Wohnung, um festzustellen, was die blöde Kuh sonst noch mitgenommen hatte. Im Badezimmerschränkchen fand er weniger Cremedosen und Lippenstifte als sonst. In der Küche vermisste Paco gar nichts. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Besorgt rannte er ins Wohnzimmer.

    Ein Glück, das Buch stand noch am Platz, erkannte Paco schon an der Tür. Vorsichtig nahm er die dicke Bibel aus dem offenen Regalfach des Wohnzimmerschranks. Es war ihr einziges Buch - das obligatorische Geschenk des Pfarrers zur Hochzeit. Paco blätterte durchs Alte Testament.

    „Dieses verdammte Miststück", fluchte er. Immer hastiger durchwühlte er die Seiten. Schließlich schüttelte er die Heilige Schrift nur am Deckel haltend. Kein einziger Geldschein flatterte auf den Boden. Die gemeine Sau war mit seinem Geld abgehauen. Fassungslos vor Wut warf er sich aufs Sofa.

    Seit Jahren deponierte Paco Geldscheine in der Bibel - seine Spardose, seine hohe Kante. Nie hatte er an der Sicherheit dieses Verstecks gezweifelt. Wer klaut schon eine Bibel? Außerdem kam er sich wie ein wohltätiger Spender vor, wenn er einen großen Schein zwischen die Seiten legte. Er hatte zwar noch nie etwas gespendet, stellte sich das Gefühl aber so vor. Selbst Paco biss manchmal bei seinen Gaunereien schlechtes Gewissen. Dann linderte solch eine ‚Spende’.

    Wie könnte er möglichst rasch seine Notreserve wieder aufstocken? Verbittert holte er Anas Ring aus der Hosentasche, zerrte seinen Ehering vom Ringfinger und knallte beide auf den flachen Holztisch vor sich. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. Noch nie hatte er sich so betrogen gefühlt. Voller Hass starrte er auf das bisschen Gold. Das brachte ihn auf eine Idee.

    6.

    Armin beobachtete, wie Dorit, immer wenn ein neues Flugzeug auftauchte, von der Wartebank aufsprang, zum Fenster hüpfte und juchzte: „Ist das unser Flugzeug?" Dabei lief sie furchtlos den Vorbeihastenden vor die Gepäckwagen. Armin blieb jedes Mal das Herz stehen.

    Als sie wieder neben Armin saß, flüsterte er ihr ins Ohr: „Weißt du eigentlich, dass es auch lebendige Gepäckwagen gibt, die von alleine rollen?"

    Dorit schaute ihren Vater ungläubig an.

    „Doch, doch, die gibt es. Sie sind selten und überaus scheu. Aber wenn du hier still sitzen bleibst, kannst du welche entdecken."

    Dorits große blaue Augen prüften jeden Gepäckwagen, der den Gang entlang kam. Ihr Köpfchen mit dem blonden Pferdeschwanz drehte sich anmutig von links nach rechts. Armin hoffte, sie so bis zum Einsteigen an den Platz zu fesseln.

    „Da, da, da!, aufgeregt fuchtelte Dorit mit den Armen, „da kommt eine ganze Herde.

    Im ersten Augenblick stutzte Armin selbst. Mindestens ein Dutzend ineinander geschobene Gepäckkarren näherte sich von rechts. Dann sah er den türkisch aussehenden Schieber in der Flughafenuniform dahinter.

    „Siehst du den Mann am Ende? Der bringt sie in den Stall zurück."

    „Ach Quatsch, das ist eine Herde. So viele kann gar keiner schieben. Der tut nur so. Das ist ein Angeber. Einige Männer sind so."

    Endlich wurde ihr Flug aufgerufen. Behinderte und Reisende mit Kindern sollten als erstes einsteigen.

    7.

    „Mein Gott, sieht der behindert aus", erschrak der Abt, als er sich umdrehte und Don Alfonso in der Kapelle erblickte. Er kannte ihn als hageren Asketen. Seine aufrechte Haltung zeichnete ihn früher besonders aus. Heute stand er gebeugt auf einen Ebenholzstock mit Silberknauf gestützt. Der linke Arm zitterte unkontrolliert. Das Gesicht hing schief. Nur die stahlgrauen Augen erinnerten an seine ehemalige Dominanz.

    Dass man in wenigen Jahren so verfallen kann, erschütterte den Abt. Was ihm selbst wohl noch bevorstand?

    Der Besucher kannte die Prozedur seit Jahrzehnten. Reden brauchten sie deshalb jetzt nicht. Der Abt stützte ihn beim Niederknien und lehnte den Stock an die Wand. Don Alfonso schaute ihn fragend an. Der Abt nickte auffordernd. Sanft legte der Gast beide Hände auf den Oberkörper des goldenen Jesuskinds. Er schloss die Augen und senkte den Kopf.

    Verstohlen blickte der Abt zum hohen, schmalen Fenster. Still bedankte er sich beim Herrn für die perfekte zeitliche Fügung. Nun stellte er sich hinter den Knienden. Er atmete tief ein, hielt die Luft an und kniff die Lippen, als ob er einen Schmerz erwarten würde. Dabei ließ er lediglich die Hände über dem Kopf des Gläubigen schweben. In der ersten Sekunde schauderte der Abt, überwand den Reflex aber sofort. Es war ihm nie gelungen, diese Reaktion zu unterdrücken. Die Wirkung überwältigte ihn immer wieder. Sobald sich der Ring dem Kopf näherte, offenbarte sich dessen Inhalt. Nicht nur,

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