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GEGEN EIN THEATER DER OHNMACHT: Nichts ist gross, was nicht wahr ist
GEGEN EIN THEATER DER OHNMACHT: Nichts ist gross, was nicht wahr ist
GEGEN EIN THEATER DER OHNMACHT: Nichts ist gross, was nicht wahr ist
Ebook325 pages3 hours

GEGEN EIN THEATER DER OHNMACHT: Nichts ist gross, was nicht wahr ist

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About this ebook

Natürlich ist das Unternehmen maßlos. Wann je hätte in den letzten Jahren jemand es gewagt, SO über Theater zu schreiben. Und doch! Hier wird endlich einmal wieder ein Buch für alle die vorgelegt, die als Theaterbegeisterte eine wirkliche Herausforderung suchen. GEGEN EIN THEATER DER OHNMACHT ist ein Buch, geschrieben gegen die Macht der bloß „irgendwie“ Kundigen. Ein Buch, das Mut macht und einer eigenständigen Lektüre klassischer Texte das Wort redet.
LanguageDeutsch
Release dateJan 27, 2011
ISBN9783842304543
GEGEN EIN THEATER DER OHNMACHT: Nichts ist gross, was nicht wahr ist
Author

Ulrich Bitz

Ulrich Bitz, geboren 1958 in Aschaffenburg, lebt als freiberuflicher Literaturwissenschaftler, Lektor, Übersetzer und Dramaturg in Hamburg und Frankfurt / Main. Studium der Germanistik, Geschichte und Politischen Wissenschaften in Würzburg und Hamburg; Promotion 1989 mit einer Arbeit über die Edition der Dramen von Hans Henny Jahnn.

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    Book preview

    GEGEN EIN THEATER DER OHNMACHT - Ulrich Bitz

    Studierenden

    Prolog

    1.

    Theater ist der Ort, an dem unser Erkennen zu sich selbst finden sollte. Keine „Supertotale, keine „Großaufnahme und keine „Schnitte" … Stattdessen: Schicksale von Menschen, verkörpert in Echtzeit, in Echtgröße. Theater ist zu allen Zeiten der öffentliche Raum, in dem gesellschaftliche Wirklichkeit, unsere, ob wir wollen oder nicht, Verhandlungssache ist. – Erinnern wir uns für einen Moment des Chors der alten Griechen. Ich weiß, wir haben heute keinen Chor mehr auf der Orchestra. Bei uns hat er still & stumm, ohne um seine einstige Größe zu wissen, in einem „Zuschauerraum" Platz genommen. Aber was wäre – so frage ich mich –, wenn das, was die Griechen mit dem Chor verbanden, das gespiegelte Publikum, uns heute, im 21. Jahrhundert, wieder zur Verfügung stände? – – Der Choreut und der Zuschauer bildeten damals eine Einheit. Als griechischer Bürger entfaltete sich für mich in der Verbindung aus Spielendem und dem Spiel Zusehendem die Einheit von Sehen & Erfahren im Wechsel der ICH- zur ER-Perspektive. Als Choreut spielte ich das INNEN einer Figur als AUSSEN, wie ich als Zuschauer um das INNEN im AUSSEN dessen wußte, was ich auf der Orchestra sah, da ich es im Jahr zuvor selbst dort „gespielt" hatte …

    2.

    Lesen heißt, für einen Moment der Erkenntnis Zeit zu opfern, Lebenszeit. Als Lesender entferne ich mich auf Zeit von meinem zu lebenden JETZT, um im Erkennen des mir Fremden zu einer Erfahrung zu kommen, mit der ich nach meiner „Rückkehr in die gesellschaftliche Wirklichkeit aller ein „kommendes JETZT gestalten kann … Wer einmal einem kleinen Kind zugeschaut hat, wie es lernt, nach einem Gegenstand zu greifen und ihn in seinen Händen zu halten, weiß, was ich meine. Das Greifen ist der erste, das Halten der zweite und das in den Mundnehmen der dritte Schritt. Es ist ein weiter Weg, bis sich eine Erkenntnis durch uns in Gebrauch nehmen läßt. – Die Gewißheit, einen Gedanken zu schmecken, bevor man ihn zur Anwendung bringen kann, wie fremd ist sie uns doch. Aber eben genau darum geht es! Um die Aneignung des uns Fremden mit seinem ihm und nur ihm eigentümlichen Geschmack. (Das Erwachsengewordensein am „Leben" schließt den korrekten Gebrauch von Erkenntnis nicht notwendigerweise mit ein; wer einmal den Weg eines Menschen vom vielversprechenden Energiebündel KIND hin zum angepaßten Nervenbündel eines in sein Mittelmaß verstrickten Erwachsenen beobachten durfte, begreift, worum es mir hier geht.) – Für das Theater zu lesen, bedeutet, mit dem Ziel zu arbeiten, daß eine Erkenntnis für mehr Menschen als nur mich erfahrbar sein muß, sonst ist sie als solche sinnlos. Im Entwurf auf ein je Konkretes liegt für einen Theaterbesessenen der Unterschied zur Literaturwissenschaft und deren Umgang mit Lektüre. Dort erschöpft man sich in der Regel im Schöpfen von Saisionalem „und / oder" Symbolischem an den Brunnen der Theorie. Wobei selbst der fähigste Literaturwissenschaftler die Quellen seiner als Vernunft vergossenen Texterkenntnisse verunreinigt (durcheinanderwürfelt!, ist man als Dramaturg geneigt, zu spotten). Naturgemäß geht diese bereits im Ansatz verlorene Kunst der WISSENSCHAFT für die an Dichtkunst Interessierten nie ohne Magenverstimmung, ja, mitunter sogar übelste Vergiftungen ab. – – JETZT! Hier & heute. Gegen ein Theater der Ohnmacht. Nichts ist groß, was nicht wahr ist, meine Freunde. Wer verschwendet schon gern Lebenszeit in den Wartezimmern der …, wo es doch lediglich darum gehen kann, ein gutes Stück Theater zu genießen?

    3.

    Johann Christoph Gottsched wählt mit seinem „Versuch einer Critischen Dichtkunst (1730) und seinem Kompendium „Die deutsche Schaubühne (1741-1745) den Weg von der Theorie zur Praxis. Er dekretiert „par ordre de mufti, was Theater zu sein habe. Drei Jahrzehnte später geht Lessing in seiner „Hamburgischen Dramaturgie den umgekehrten Weg und lädt die Theatererfahrenen seiner Zeit ein, mit ihm am Schreibtisch zu ordnen & entfalten, was als Kunstform THEATER seit jeher auf der Suche nach einem verständigen Publikum ist. Lessings „Dramaturgie" ist vor allem eine Schule des Sehens & Erfahrens. Als solche soll sie zurückwirken auf die Bühnen seiner Zeit: Die Frage nach Erfolg oder Mißerfolg bei den Zuschauern und die Antwort auf Mißerfolg oder Erfolg bei den Theaterschaffenden stehen für ihn im Zentrum seiner Arbeit. Das Sprechen über Schauspiele, Stücke und … als Theatertexte zeigt Lessings Interesse: Es geht ihm stets um die richtige Wirkung, eine, die den Zuschauer nicht nur unterhält, sondern auch dessen Herz & Verstand gewinnt. Nach Lessing befördert Theater gesellschaftliche Veränderung. Aufklärung – die berühmt berüchtigte – kann für ihn also nur ein Schritt unter vielen sein auf dem Weg hin zu einer besseren Zukunft für alle. – Lessings große Leistung besteht darin, daß er, statt eine Regelpoetik zu verfassen, Theorie und Praxis in ein neues Drittes überführt. Als Zuschauer „sehe" ich und als Leser erfahre ich im nach- & vorhinein meinen Theaterbesuch. Lessing bringt mir die Gesetze des Theaterschaffens nahe. Er zeigt mir das, was ich wirklich gesehen habe, und das, was für mich als Zuschauer eigentlich zu sehen gewesen sein sollte. – Was jedem – auch heute noch – die Sprache verschlagen müßte, ist die schier unendliche Fülle seines Wissens über Dichtkunst & Theater. Griechen und Römer, das Mittelalter in Frankreich und England, das Italien, Spanien, Deutschland seiner Gegenwart: Sein Schreibhorizont suggeriert, daß hier einer die endlosen Weiten der … durchwandert und mich, den Leser, an dem teilhaben läßt, was den schöpferischen Prozeß seit Anbeginn der Zeit ausmacht. Als Leser der „Hamburgischen Dramaturgie" – so Lessings grandiose Geste – kann ich mich jederzeit einschalten in die …, sofern ich eine Bedingung erfülle: Ich habe mit ihm auf Augenhöhe zu verkehren. Dieser Kunstgriff sorgt dafür, daß ich verstumme (mir fehlt es ja letztlich an dem dafür notwendigen Wissen) Und! Damit wird aus der stummen dialogischen eine eindringlich monologische Struktur, die mich auf elegante Weise mit Wissen versorgt, ohne mich als vernunftbegabtes Wesen in meiner Eitelkeit zu kränken. – Kehre ich so gestärkt an meinen Platz im Zuschauerraum zurück, fühle ich mich theaterbewußt und frei, weil ich zusammen mit einem Wissenden glücklich die Herausforderungen der … meistern durfte. Ich weiß fortan, worauf von mir zu achten ist, damit wir, Lessing und ich, das Theater zu sehen bekommen, das wir als die besten, weil mitleidigsten Menschen unserer Zeit verdienen.

    4.

    „Ach ja, das ist aber mal interessant … So oder ähnlich sind die Kommentare, wenn ein Dramaturg während einer Podiumsdiskussion versucht, seine Aufenthaltsgenehmigung im theatralischen Grenzverkehr zwischen Publikum und Theaterleuten vorzuzeigen. Eine Karikatur eben, wie es so viele an unseren „Häusern gibt, wenn dort geostermeiert, gethalheimert oder was weiß ich nicht alles getrieben wird, weil Behörden ohne jegliche Scham vorgeben, Kunst „machen zu dürfen. Wer heute als Dramaturg am Theater „unterwegs ist, flüchtet sich ins intellektuell Insolvente wolkiger Erklärungen. Ein Spezialist eben, heißt es, stets auf dem Sprung, um jemandem genau dort etwas zu erklären, wo jegliches Erklären bereits an sein natürliches Ende gekommen ist, weil ja jeder in diesen rationalitätsbefreiten Zonen immer schon alles weiß. Der Dramaturg – so verkörpert – ist Staffage aufgeblasener & aufgedunsener Egos. Er gibt das dressing ab für die …, dessen flachköpfige Theatermacher immer bedürfen, weil sie beim Anrichten von Leichtverderblichem wie Bühnentexten von Haus aus Angstmenschen sind. – – In der Praxis (dem Irrlichtern & Taumeln einer Produktion auf dem Weg hin zur Premiere) hat der Dramaturg stets das zu sein, was von Schauspielern und Regisseuren & Bühnenbildner gerade nicht „gebraucht wird (also alles vom „Animateur, der das auf der Leseprobe einstudierte „Clublied noch mal hören will, bis hin zum Totengräber, der theaterpragmatische Idiotien mit Würde zu ihrer letzten Ruhe bettet). Der Dramaturg muß, wenn die sich selbst schöpfende Bühnenwelt zwischen Krampf & Wellness Gestalt anzunehmen beginnt, genau der Störenfried sein, der der „Produktion zu ihrem Glück gerade noch gefehlt hat. Er ist – im Bild gesprochen – der Hirtenhund, dessen Regie-, und Schauspieler-Schafe (und was weiß ich für Schafsnaturen noch) immer bedürfen, um des näherrückenden Premierendatums wegen nicht an sich selbst zu verzweifeln. Der Dramaturg und niemand sonst treibt die „Heerde" der Theaterschaffenden durch das Nimmerland des verführerisch Epigonalen …

    5.

    Wie erneuere ich die Fülle der Lesarten gegen das bereits von allen Gespielte, gegen das von mir Gewußte, gegen das zutiefst Gewöhnliche an einem Klassiker? Wie wird mir als Theaterbesessener das an einem Text Vertraute von neuem zum Unheimlichen & Unausweichlichen, zu dem, was von mir endlich verstanden werden muß, obwohl ich genau weiß, daß es für mich am Ende nie zu verstehen sein wird? – Je größer das Kunstwerk im Verständnis seiner Zeit, desto größer die Hilflosigkeit, mit der es von der Öffentlichkeit in Besitz genommen wird. Große Kunst wirkt nach Nietzsche stets tonisch. Jeder von uns kennt das Phänomen. Mitunter begegnet einem jemand, der verlautbart, daß ihn ein Kunstwerk angefaßt habe, „irgendwie. Wer von diesem Punkt aus den Sprung vom Irgendwie zum Konkretum schafft, dem begegnet Büchners „ehernes Gesetz, wie es uns alle in unserem „Leben" und Erfahren von Kunst bestimmt. – In Gestalt eines von den Alten überlieferten Rätsels tritt einem hier das Neue entgegen: Ich verstehe nicht, also bist du. Am Ende, wenn wir als Theaterschaffende für einen Moment geworden sind, was uns zu lesen aufgegeben war, müssen wir als Menschen das vom Kunstwerk über uns gesprochene Urteil annehmen und wählen, was wir retrospektiv spekulierend als das Verständnis unserer Zeit dem klassischen Text andienen wollen. – Als ein vom Theater Besessener trete ich einem klassischen Text gegenüber auf wie Shakespeares Hamlet. Doch im Unterschied zu Hamlet frage ich mich mit Blick auf die vor mir liegenden „Probenzeit", die ja stets auch eine Zeit auf Probe für mich ist: Nicht sein oder sein, das ist hier …

    6.

    Das Tragische? In einer Welt, in der beinahe jeder als Kundiger global & universal einsetzbar ist, gilt das Tragische nicht länger als notwendige, geschweige denn als hinreichende Bedingung für die Existenz von uns Menschen. Heute erscheint uns ALLES & NICHTS tragisch, bei dem irgend jemand zu Schaden kommt oder gar – wie wir das nennen – mit dem „Leben" bezahlen muß. Die Griechen wußten noch, warum im Tragischen nur die Besten der Besten sich selbst gegenübertreten und die Größe ihrer Existenz erfahren durften. Aber vielleicht saßen ja auch sie nur einem Mythos auf. Glaubt man den Geschichtsschreibern, kommt kein Großer hinsichtlich des Tragischen seiner Existenz über eitles Geschwätz hinaus. Selbstzeugnisse der Größe haben auf mich seit jeher hohl gewirkt. Darf man darum aber auch schon annehmen, daß das Tragische nie ohne Größe und Größe nie ohne das Tragische auskommt? Womöglich waren die Griechen einfach nur kluge Leute und haben das Tragische mit Absicht dort belassen, wo es sich seiner Größe gemäß entfalten konnte.

    7.

    Vielleicht ist das Verhältnis von Tragik und Größe ja dieser besonderen Zeugenschaft geschuldet, mit der ich als Zuschauer dem Spiel von Figuren beiwohne, die das „Leben" nachahmen. Weil ich mit meinen eigenen Augen sehe, schaue ich Größe, fremde, die auf mich, den zur Freiheit Verurteilten, reinigend wirkt. (Was hier nach den Griechen wie reinigend wirken soll, ist uns Jetztgenossen allerdings kaum noch verständlich.) Wie, so wäre zu fragen, kann mich die tragische Größe einer Figur (einem vielköpfigen Rund gezeigt) meine Existenz erfahren lassen, der ich doch den Menschen um mich herum nie als groß gelte mit meinem Tun? Wie entdecke ich in der Darstellung fremder Größe mein und nur mein Schicksal?

    8.

    Das Verfehlen des richtigen Maßes, das für die Griechen in der Tragödie zum Ausdruck kommt, fordert von mir, daß ich die Größe eines Menschen nicht vom Tragischen her, sondern daß ich das Tragische eines Menschen von dessen Größe aus (und sei diese auch noch so klein) zu verstehen suche. – Mit der Wirklichkeit des Tragischen sehen wir uns wie damals die Griechen von einem Paradox in die Schranken gefordert: Das für mich als Zuschauer zu sehende große Tragische läßt mich meine tragische Größe erfahren, ohne daß ich dazu verurteilt bin, es am eigenen Leib zu erleben. – – Ach, meine Freunde, warum bloß verwechseln wir Gewißheit, die fremde, unverzagt mit Selbstgewißheit, der eigenen? Wer Ohren hat zu sehen, der weiß doch, wohin das führt, wenn alle im Theater skandieren „Ich bin doch nicht blöd!"

    1. Stück

    1.

    Der Star der Jugend von Verona Mercutio als alter ego von Romeo und der frankophile Hooligan Tybalt als alter ego von Julia … Vielleicht hat die Amme ja doch recht, wenn sie das 14jährige Mädchen bei ihrem ersten Auftritt, noch bevor wir im Publikum eine Chance hatten, unsere Julia kennenzulernen, ladybird (Flittchen) ruft! Es wäre nicht das erste Mal, daß eine Mutter auf ihre Tochter abfärbt. – Julias Tränen um Tybalt, sind sie tatsächlich geflossen oder nur groß ausgespielte Pose? Muß Julias Welt nicht Anteil haben am tattätlichen Chaos, das im Hause Capulet herrscht? Wer kann da – eingezwängt zwischen einem jähzornigen Vater und einer botoxverhärmten Mutter – schon normal bleiben? Zur Frühreife geboren und dieser ganz speziellen Gier nach Fremdsein bestellt – ist es das, was ich als Publikum – auch heute noch – zu sehen bekommen muß? – – Hört Julia eigentlich Mercutios Geschrei vor der Gartenmauer? Eben! Muß sie Romeo darum nicht für Veronas obergeilsten Stecher halten? Und! Setzt Mercutios Geschrei die „Dame des Hauses" nicht auch ein wenig unter Erfolgsdruck? Bekommt der falsche Melancholiker gar aus diesem Grund eine Show geboten, eine heiße, hinter dem Fenster. Frei nach dem Motto: Heißes Tank Girl geht zu Bett, mal sehen, was unser Jack Kerouac look-a-like mit den Sonetten und dem schnellsten Kuß von Verona darauf für eine Antwort hat. – Wer das große Gefühl erwartet, der testet das Gegenüber, das männliche, schon mal, radikal, wie stets, wenn Frau jung ist: „Ich habe Blut, so jugendliches, so warmes Blut, als eine. Also! In der berühmt berüchtigten Balkonszene wird nicht nur „getönt, sondern auch gezeigt, was Frau in spe so hat und wie hoch Mädchen bereit ist, den Einsatz im Spiel um … zu treiben.

    2.

    Ist Mercutios Tod nicht einfach bloß ein Patzer des Dichters? Immerhin entschwinden mit seinem Dahinscheiden im Hausflur Spektakel & Witz von Veronas fehdenfreudiger Jugend. Oder folgt Shakespeare in seiner „most excellent and lamentable tragedy" einem doppelten gameplan? Auf das Komische im Tragische! Auf das Tragische im Komische! Ist das des Dichters Parole? – Damit Fortuna und ihr elisabethanisches Räderwerk an den Figuren Romeo & Julia ihre Arbeit tun können, darf das Schaustück „Romeo und Julia" nicht nur als Tragödie weiter vor sich hin …, sondern muß als Komödie sich auch zu neuen, noch nicht gekannten Höhen aufschwingen. Liebe ist für beide Hauptfiguren ein großes Gefühl. Wenn sie einander als Mädchen und Junge gegenüberstehen, erfahren sie sich in dem, was mit ihnen & durch sie geschieht, als groß, überwältigend und dem angemessen, was sie an der Schwelle zum Erwachsenwerden für sich erträumt haben. Wir jedoch, die Zuschauer & Zuschauerinnen, müssen ein seltsam verwirrtes, mit der Katastrophe flirtendes jugendliches Teenie-Pärchen sehen. Für uns proben ein kleiner Jedermann und eine kleine Jederfrau aufgerieben zwischen Stutenromantik & Aggro Verona die Liebe als das, was sich – heute würde wir sagen – fürs Herz downloaden läßt. – Also! Ein hormongepeitschtes Pärchen, das am Leben scheitert, weil das der Normalität unterstellte Grandiose ein Trugbild ist, das für alles taugt bloß nicht für hohe Click-Zahlen bei MySpace. Da taumelt jemand in sein ach so tragisches Ende, statt wie bollywoodüblich mit der Aussicht auf ein erfülltes Leben in die Wüste des Realen entlassen zu werden. – Für uns, die nun mal zur Abwechslung wirklich Liebesversehrten im Parkett, müssen die …, die Romeo & Julia hinsichtlich der Welt hegen & pflegen, muß deren Untergang auf der Bühne komisch bis absurd, ja als „Veronas Welt" daherkommen. Wenn dann auch noch der Irr- & Unsinn der Figuren in einer deren Naivität geschuldeten Intimität zu sehen sind, wir also das Große am Gefühl Liebe erleben können, dann wird vielleicht auch dem ein oder anderen „Kontaktanzeigenaufgeber" im Publikum klar, warum einer wie Romeo ein Interesse daran haben muß, daß das mabhörige Großmaul Mercutio endlich stirbt –

    3.

    Der Chor! Klischees über Klischees und die auch noch mittelmäßig dargeboten. Das Ganze kommt nicht als von interessierter Seite vorgetragene Einführung daher, sondern hört sich eher an wie die Erfüllung einer lästigen Pflicht. Dirty old men spüren des Wodkas reinster Seele hinterher. – Warum aber dann nur Chorauftritte vor dem I. und II. Akt? Und kein Epilog. Sobald sich die Tragödie auf den Fortgang der Liebe von Romeo & Julia konzentriert, bleibt der Chor entweder stumm oder ist schon abgegangen. Eine Auseinandersetzung mit der Tragödie muß sich dieser Leerstelle annehmen. – „Romeo und Julia umfaßt 3099 Zeilen und entspricht damit der durchschnittlichen Länge eines Shakespearetextes: „Es ist ein Rätsel, wie die Schauspieler soviel Text in so kurzer Zeit bewältigen konnten; sie müssen schnell, ohne Pause und ohne stummes Spiel in vorwiegend stationärer Position deklamiert haben. Moderne Spielweisen lassen solch ein Tempo nicht entfernt zu; bei vollem Text würde die Shakespeare-Aufführung heute mehr als doppelt solange dauern, wie in der Ursprungszeit. Suerbaums Kommentar läßt außer acht, daß die „zwei Stunden", von denen der Chor spricht, auch eine Zeitangabe sein können, die nicht die Bühnenzeit wiedergibt, sondern die subjektive Wahrnehmung des Chors widerspiegelt. Die aber muß (auch) als Wertung gelesen werden. Zumal der Schluß von Prolog I („Und wir, wobei wir sehr auf Nachsicht zählen, / wolln das verbessern, was dem Text mag fehlen.) einen deutlichen Fingerzeig auf den „Unernst gibt, mit dem der Chor seinem „Geschäft nachgeht. Bezieht man das „Wir nicht auf die Bühnengesellschaft, die „Romeo und Julia" spielt, sondern auf den Chor, so bedeutet das, daß unsere „most excellent and lamentable tragedy" womöglich nicht nur in dessen Augen überholungsbedürftig ist …

    4.

    Voraussetzung für den Aufbau der Liebesgeschichte ist die Zertrümmerung der Zentralperspektive, der zufolge es sich bei der Tragödie „Romeo und Julia" um die Liebesgeschichte zweier Menschen mit angeschlossenem Figurenpark handelt. Indem ich die Perspektive der einzelnen Figuren rekonstruiere und deren Eigeninteresse etabliere, schaffe ich mir die Möglichkeit, über den Zusammenstoß von Figurenkonstellationen, die nichts mit der

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