Die Beute Mensch: Ein Kiel-Krimi
Von Rüdiger Fröhlich
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Rüdiger Fröhlich
Rüdiger Fröhlich wurde 1968 in Hamburg geboren. Er studierte in Kiel Sportwissenschaften, Pädagogik und Psychologie und arbeitet heute als Redakteur für die Saarbrücker Zeitung.
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Die Beute Mensch - Rüdiger Fröhlich
Noon
Der zweite Fall von Kathrin van Busche
Schellhorn bei Preetz, 18. August
Die zwei dunkelroten Kanus lagen gut vertaut am Steg des Segelvereins Schellhorner Gilde, in der Nähe von Preetz am Lanker See. Eine Formation Graugänse zog über den nahe gelegenen Fußballplatz hinweg und machte dabei einen Heidenlärm. Langsam ging die Sonne über dem See unter. Henning Bahlo – ein blonder Zwei-Meter-Hüne – suchte im umliegenden Gestrüpp nach Feuerholz. Auf dem Rasen des abgezäunten Platzes gab es einen großen Holztisch mit Bänken und eine feste Feuerstelle. Bahlos Paddelkollege Gero Hansen deckte den Tisch, würzte die Grill-Steaks und machte sich ein Bier auf. Hansen war nur 1,71 Meter groß, hatte ein dickes Bäuchlein, braune, lange Haare und kräftige Oberarme. Die Zelte hatten die beiden gar nicht aufgebaut, da alle fünf Paddler bei dem prächtigen Wetter unter freiem Himmel schlafen wollten. Jan-Malte Christiansen, Swantje Engelhardt und Kathrin van Busche schwammen noch im See.
»Hau mal die Hacken in den Teer!», schrie der Fahrkartenkontrolleur des Fördedampfers »Laboe». Der junge Mann mit dem kleinen Ziegenbärtchen und dem Nasenring trug eine dunkelblaue Hose, eine dunkelblaue Arbeitsweste und ein beigefarbenes Baseball-Cappy. An der Anlegestelle in Kiel-Schilksee waren bereits fast alle Gäste an Bord – nur ein Pärchen versuchte noch auf den letzten Drücker aufs Schiff zu kommen. Der Ehemann lief schwer bepackt mit Kühltasche, Sonnenschirm, Strandmatten und einem großen schwarzen Rucksack auf dem Rücken zum Dampfer.
»Los, Muddi! Wir wollen losfahren!« Die Frau im mittleren Alter schaute nun bitterböse zum Kontrolleur und vor allem zu ihrem Mann hinüber – und ging betont langsam. Sie trug ein Baby auf dem Arm, hatte ein kleines Mädchen an der Hand und schimpfte lauthals los: »Das mache ich nicht noch mal mit! Ich muss die Kinder tragen und du, du, du, du – du kannst mich mal!« Alle Passagiere schauten mitleidsvoll zum Ehemann hinüber. »Aber Schatz, ich schleppe doch die ganzen anderen Strandsachen», versuchte er sich zaghaft zu wehren. Der Kontrolleur hatte ein Einsehen und wartete auf die Frau mit ihren Kindern: »Das nächste Mal geht das aber auch schneller, Muddi!«, sagte er, holte die kleine Stahlbrücke ein und löste die Taue. Der Dampfer Laboe fuhr nun endlich weiter auf der Kieler Förde in Richtung Innenstadt.
Im Wasser des Rheins spiegelte sich die Silhouette der Stadt in faszinierenden Farben wider. Der matte Lichtschimmer der Rheingoldhalle glänzte auf den Wellen des Flusses in gelb, der des Doms in orange und der des Hilton-Hotels in blau. Johann Holstein hörte die Autos auf der Theodor-Heuss-Brücke und die Geräusche aus dem kanadischen Film »Die große Verführung« aus dem Open-Air-Kino in der Reduit, einer alten französischen Festungsanlage. Die Reduitkaserne entstand beim Ausbau der Festung Mainz Anfang des 19. Jahrhunderts.
»Vielleicht hätte ich den Urlaub doch nicht absagen sollen «, überlegte der Sportjournalist. Nach der tollen Fußball-WM im eigenen Land war ganz Deutschland noch von Klinsmanns Jungs verzaubert. Ein Jubelrausch in Schwarz-Rot-Gold und ein neues, positives Gefühl von Patriotismus machten sich in ganz Deutschland breit. Johanns Club, der FSV Mainz 05, hatte kurz vor Saisonbeginn noch ein absolutes Highlight, das er natürlich nicht verpasst hatte. Ein Freundschaftsspiel gegen den FC Liverpool, das die Elf vom Mainzer Coach Jürgen Klopp sensationell mit 5:0 gewann. 5:0 gegen den Champions-League-Sieger von 2005! »Das war der absolute Hammer«, dachte Johann und träumte von den Toren durch Feulner, Damm, Jovanovic, Amri und Pupalovic. Stark, wie Azaouagh und Feulner gekonnt die Fäden im Mittelfeld gezogen hatten.
Aber hatte sich das alles gelohnt? War der lang ersehnte Urlaub mit Kathrin nicht doch wichtiger? Was sie wohl jetzt gerade treibt? Ein für den Rhein selten großes Containerschiff fuhr durch die Nacht. Unheimlich wirkte das weiße Licht am Bug – starke Wellen kamen ans Ufer des kleinen Strandes an dem Getränkestand in Mainz-Kastel. Johann trank sein Glas Spätburgunder aus, holte sich sein Pfandgeld und ging zu seinem schwarzen Audi TT.
Kathrin van Busche und ihr Arbeitskollege Jan-Malte Christiansen schwammen genüsslich im Wasser des Lanker Sees und alberten herum. »Na los, Kathrin. Wer als Letzter am Steg ist, muss den Abwasch machen.«
Christiansen wartete die Antwort gar nicht ab und startete blitzschnell per Kraulschlag. Van Busche war jedoch eine exzellente Schwimmerin und kraulte ebenfalls volle Pulle los. Das Wettschwimmen ging knapp an den 1,84 Meter großen Mann mit dem durchtrainierten, braun gebrannten Body.
»Na, da kann Frau Kommissarin ja sportlich doch noch einiges verbessern«, meinte Christiansen mit einem feisten Grinsen im Gesicht und setzte sich erschöpft auf den Bootssteg.
»Warte nur ab, das nächste Mal erwisch’ ich dich und zieh’ dich dann in die Tiefe«, konterte van Busche, die ebenfalls nach dem Spurt durchs Wasser tief durchatmen musste.
Die letzten Sonnenstrahlen des Sommertages spiegelten sich auf der Wasseroberfläche. Ein Reiher flog über den See. Nun kam auch Swantje Engelhardt, eine alte Schulfreundin aus Jan-Malte Christiansens Zeit am Heikendorfer Gymnasium, aus dem Wasser. Engelhardt badete oben ohne und spielte ganz bewusst mit ihren sexuellen Reizen. Sie hatte eine blonde Kurzhaarfrisur, blaue Augen und große, pralle Brüste. »Die will sich nur an Jan-Malte ranschmeißen «, dachte sich Kathrin van Busche wieder einmal. Jan-Malte Christiansen war Chef der Pressestelle bei der Kieler Polizei – und ziemlich gut aussehend! Er war ein völlig untypischer Norddeutscher: tiefschwarze Haare und dunkelbraune Augen – Christiansen passte eigentlich besser in eine TV-Serie nach Palermo als nach Kiel in die Kriminalpolizeidirektion. Die drei trockneten sich ab, holten aus einer großen, blauen Kanutonne, die die Paddler zur Kühlung von Getränken halb im See versenkt hatten, fünf Bier und gingen über den Bootssteg zum Lagerplatz.
Der Fördedampfer Laboe fuhr über die Stationen Laboe, Friedrichsort, Möltenort und Mönkeberg weiter in Richtung Anlegestelle Bellevue.
»Ich lass’ mich von dir scheiden! Nachher wären ich und die Kinder dann in Schilksee geblieben, oder was?«, giftete die »Muddi« weiter. »Dann hätten wir am Strand übernachten können, oder wie?«
Ihr Mann entschuldigte sich nun tausendmal, ohne eigentlich zu wissen, wofür. Er wollte einfach seine Ruhe haben und zahlte bei dem Fahrkartenkontrolleur die Karten für die Fahrt bis zur Station Seegarten. »Mein keifendes Weib ist inzwischen zweifelsohne die Hauptattraktion auf dem Dampfer«, dachte er. Die rote Fahne am Bug der »Laboe« wehte im Wind. In der Abenddämmerung wurde es auf dem Schiff nun merklich kühler. Der Kontrolleur streifte kurz seine dunkelblaue Arbeitsweste ab, um einen Pullover unterzuziehen. Es war für heute die letzte Fahrt des Fördedampfers. Die frisch aufkommende Brise der Förde tat ihm nach dem heißen, sonnigen Arbeitstag auf See gut.
Henning Bahlo und Gero Hansen hatten in der Zwischenzeit ein schönes Feuer entfacht. Sie saßen an der Feuerstelle und Bahlo blätterte in seinem Lieblingsbuch »Der Canadier« von Bill Mason. Kathrin van Busche trug einen eng anliegenden, schwarzen Badeanzug. Sie holte ihr hellblaues, großes Handtuch und wickelte sich fürs Umziehen in ihm ein – quasi als Umkleidekabine in freier Natur! Swantje Engelhardt und Jan-Malte Christiansen hingegen zogen blank und schlüpften rasch in ihre Klamotten. Plötzlich kam der Platzwart Peter Böhrnsen mit seinem niedlichen Mischlingshund Mira vorbei. Der Clubpräsident höchstpersönlich hatte den Kanuten das Campen auf dem Platz erlaubt und von seiner Frau gab es sogar noch am Nachmittag Kaffee und Kirschkuchen.
»Unfassbar freundlich – so sind eben nur die Norddeutschen «, meinte Engelhardt.
Böhrnsen hatte sogar noch ein Kännchen Kaffeesahne fürs morgige Frühstück mitgebracht. Er setzte sich auf ein Bier mit ans Lagerfeuer.
»Gib mal das Buch her«, meinte van Busche zu Bahlo, ihrem Nachbarn von oben aus der Wrangelstraße. Letztes Jahr hatte sie Henning Bahlo und Gero Hansen auf einer sehr lustigen Party im Haus kennen gelernt. Sie dachte immer, der kräftige Zwei-Meter-Kerl Bahlo sei Sportstudent. In Wirklichkeit studierte er aber mit Hansen so ziemlich das Unspektakulärste, was sie sich vorstellen konnte: Ur- und Frühgeschichte auf Magister!
Johann Holstein öffnete per Knopfdruck sein Cabrio und düste von dem kleinen Parkplatz an der Reduit los über die Theodor-Heuss-Brücke auf die Rheinallee. Er war in Gedanken bei »seiner« Kathrin und schaute abwesend auf die prachtvoll beleuchtete Stadt. Der Blondschopf bog in die Frauenlobstraße ein und suchte nach einem Parkplatz. Trotz Anwohnerparkens war es um diese Zeit fast aussichtslos, einen guten Abstellplatz zu finden. Doch Holstein hatte heute Glück: Direkt am Frauenlobplatz parkte er seinen TT, schloss das Verdeck und ging zu Fuß über den Platz zu seinem Haus. Er wohnte im fünften Stock über einer Bäckerei. Es duftete im Haus nach frischen Backwaren. So wurden die exakt 100 Treppenstufen bis zu seiner Zwei-Zimmer-Wohnung unter dem Dach per Geruch »versüßt«. Beim Hinaufsteigen überlegte er, ob er bei Kathrin anrufen sollte. Sie hatten sich nach ihrem heftigen Streit über den abgesagten Nordfrankreich-Urlaub schon acht Tage nicht mehr gesprochen. »Aber sie könnte sich eigentlich auch mal melden«, dachte Holstein trotzig und holte sich eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. Es war ein 2001er Riesling Kabinett von seinem Stammweingut Dautermann in Ingelheim. Er öffnete den Wein und schenkte sich ein Glas ein. »Lecker, wie der nach Pfirsich schmeckt!« Johann Holstein warf sich auf sein Bett, genoss den Wein und zappte ziellos durchs TV-Programm.
Großes