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Das deutsche Gesundheitssystem - unheilbar krank?: Wie das Gesundheitssystem funktioniert und wie es erneuert werden muss
Das deutsche Gesundheitssystem - unheilbar krank?: Wie das Gesundheitssystem funktioniert und wie es erneuert werden muss
Das deutsche Gesundheitssystem - unheilbar krank?: Wie das Gesundheitssystem funktioniert und wie es erneuert werden muss
Ebook431 pages5 hours

Das deutsche Gesundheitssystem - unheilbar krank?: Wie das Gesundheitssystem funktioniert und wie es erneuert werden muss

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About this ebook

Das deutsche Gesundheitssystem ist krank: Die Kosten steigen und steigen. Zwei parallele Versicherungssysteme (PKV und GKV) bewirken Fehlsteuerungen und Zweiklassenmedizin. Die Abhängigkeit der GKV-Beiträge vom Lohn/Renteneinkommen führt zu absurden Umverteilungen. Die Lasten eines Systems mit immer mehr Rentnern müssen von immer weniger berufstätigen Versicherten getragen werden.
Dieses Buch wendet sich an den interessierten Bürger und Beitragszahler: Es beschreibt das derzeitige System, behandelt seine Probleme und entwirft ein neues System:
- GKV und PKV werden durch ein integriertes Krankenversicherungssystem ersetzt.
- Eine einheitliche Bürgerpauschale beseitigt die willkürliche Umverteilung, die Solidarität wird auf die wirklich Bedürftigen konzentriert. Die Krankenversicherung wird für den demographischen Wandel fit gemacht.
Das neue Gesundheitssystem setzt zwei Reformgedanken um, die sich heute in der Politik unvereinbar gegenüberstehen: Es folgt der Forderung von SPD und Grünen nach Abschaffung der PKV und führt die von vielen Konservativen propagierte Bürgerpauschale ein.
LanguageDeutsch
Release dateJun 1, 2015
ISBN9783739271095
Das deutsche Gesundheitssystem - unheilbar krank?: Wie das Gesundheitssystem funktioniert und wie es erneuert werden muss
Author

Hannes Merten

Der Autor: Dr. Hannes Merten, Dipl.-Kfm., Jahrgang 1945, wohnhaft in München, hat Betriebswirtschaftslehre studiert. Während seiner beruflichen Tätigkeit war er Vorstandsvorsitzender und Gesellschafter eines Softwareunternehmens. Er ist verheiratet und hat 3 Kinder.

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    Book preview

    Das deutsche Gesundheitssystem - unheilbar krank? - Hannes Merten

    Vorschlägen.

    1Fakten zum deutschen Gesundheitssystem – wie es funktioniert

    Vorbemerkung: Dieses Kapitel soll dem interessierten Laien eine Übersicht zu den Fakten des deutschen Gesundheitssystems geben. Der hieran weniger interessierte Leser kann gleich zu Kapitel 2 springen, dort werden die Probleme des Systems besprochen.

    Zur Einstimmung gibt Abb. 1 die wichtigsten Zahlen des Jahres 2012 wieder. Links die Einnahmenseite, also die Finanzierung des Gesundheitssystems. Rechts die Ausgabenseite, 300 Mrd. € kostete das System im Jahre 2012. Diese Zahl entspricht ziemlich exakt dem Bundeshaushalt 2014 in Höhe von 296,5 Mrd. €. Zu diesen Ausgaben für Gesundheit kommen noch 52 Mrd. € Einkommensleistungen hinzu, also die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das Krankengeld.

    Abb. 1: Finanzierung und Ausgaben des deutschen Gesundheitssystems

    Quelle : Statistisches Bundesamt

    Die wichtigsten Positionen auf der Finanzierungsseite stellen die Krankenversicherungen dar, die im Folgenden behandelt werden. Anschließend wird ausführlich auf die Ausgabenseite, also die Leistungserbringung, eingegangen.

    1.1 Die Versicherungsseite

    Deutschland ist in Sachen Krankenversicherung zweigeteilt. Ende 2012 waren 69,7 Mio. Bürger in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert, 9,0 Mio. hingegen waren Versicherte einer privaten Krankenversicherung (PKV). Die Beitragseinnahmen der GKV betrugen 172 Mrd. € im Jahre 2012, hinzu kommen 14 Mrd. € Bundeszuschuss. Die PKV erzielte im selben Jahr im Bereich Vollversicherung Einnahmen in Höhe von 25,8 Mrd. €.

    In Deutschland besteht seit Anfang 2009 Versicherungspflicht. Dieser Pflicht kann sich nur ein immer kleinerer Teil der Bevölkerung entziehen, somit sind nahezu alle 81,7 Mio. Bürger in einem der beiden Krankenversicherungssysteme versichert.

    1.1.1 Gesetzliche Krankenversicherung GKV

    Die 69,7 Millionen Mitglieder der GKV teilen sich in 3 Gruppen auf: Erstens abhängig Beschäftigte bis zur Versicherungspflichtgrenze in Höhe von 4.575 € monatlich (Pflichtversicherte), zweitens können sich Bezieher höherer Monatsverdienste) und Selbstständige statt in der PKV freiwillig in der GKV versichern. Hinzu kommen als dritte Gruppe die Rentner, soweit sie vor Bezug der Rente GKV-Mitglieder waren. Bei allen 3 Gruppen sind nicht berufstätige Ehegatten und Kinder jeweils kostenlos mitversichert. Man unterscheidet daher in Mitglieder, das sind die Beitragszahler, und in Familienangehörige. Beide Gruppen zusammen bilden die Versicherten.

    Abb. 2: Versichertenstruktur der GKV in Mio.

    Quelle: Bundesministerium für Gesundheit: Mitgliederstatistik KM1

    Im Jahre 2013 gab es 134 gesetzliche Krankenkassen. Ihre Zahl ist seit der Zulassung des Wettbewerbs zwischen den Kassen im Jahre 1994 stark geschrumpft, damals waren es noch 1.152 Kassen.¹

    Seit 2011 betragen die Beitragssätze der GKV einheitlich 15,5 Prozent. Die Beiträge sind prozentual abhängig vom monatlichen Gehalt/Lohn der abhängig Beschäftigten, deshalb spricht man von einkommensabhängigen Beiträgen.² Dieser Begriff wird eine wichtige Rolle in diesem Buch spielen. Ab 1.1.2015 wurde der einheitliche Beitragssatz auf 14,6 % gesenkt, hinzu kommt aber ein Zusatzbeitrag. Dieser wird von jeder Kasse individuell festgelegt, beträgt jedoch ganz überwiegend 0,9 %. In der Summe bleibt es somit bei den meisten Kassen bei 15,5 Prozent. Die Beitragsberechnung erfolgt nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die seit 1.1.2015 bei 4.125 € liegt. Der Beitrag beträgt bei 15,5 Prozent also maximal 639,38 € monatlich. Am unteren Ende beginnt die Beitragspflicht ab einem Verdienst von 450,01 €, das ergibt einen Beitrag von monatlich 69,75 €. Die Spreizung der Beiträge ist also enorm hoch.

    Der Leser mag angesichts der Höhe der Beiträge erschrecken, aber gemach! Die Arbeitgeber bezahlen einheitlich 7,3 Prozent³, die meisten Mitglieder selbst also nur 8,2 %.⁴ Bis zum Jahre 2005 zahlten Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils genau die Hälfte der 15,5 Prozent, seither leisten die Arbeitnehmer 0,9 % mehr. Damit wird das Krankengeld, also die Lohnfortzahlung durch die Krankenkasse nach 6 Wochen Krankheit⁵, nun ausschließlich durch die Arbeitnehmer finanziert. Diese Änderung wurde zur Senkung der Lohnnebenkosten eingeführt. Dabei wurde zugleich der Arbeitgeberbeitrag eingefroren, zukünftige Erhöhungen sind also allein von den Mitgliedern über die Zusatzbeiträge zu tragen. Diese Gesetzeslage kann allerdings jederzeit wieder geändert werden.

    Bis Ende 2014 wurden die Zusatzbeiträge als Absolutbeträge erhoben und mussten direkt von den Mitgliedern an die Krankenkasse bezahlt werden, wurden also nicht vom Arbeitgeber vom Lohn einbehalten. Sie wurden deshalb sehr stark von den Versicherten wahrgenommen, was häufig je nach Höhe des Zusatzbeitrages zu einem Wechsel der Krankenkasse führte. Dies wiederum zwang die Krankenkassen zu Sparsamkeit. Diese beitragsdämpfenden Wirkungen wurden auf Betreiben der SPD durch die Neuregelung der Zusatzbeiträge ab 2015 beseitigt (Vgl. hierzu die Ausführungen auf S.133).

    Es gibt etliche von den 15,5 Prozent abweichende Sondertarife, etwa für Studierende und Auszubildende. Eine Besonderheit stellen auch die 2,5 Mio. Arbeitslosengeld II Empfänger (Hartz IV) dar. Sie sind pflichtversichert, aber persönlich beitragsfrei gestellt. Dafür erhält der Gesundheitsfonds von den Jobcentern etwa 140 € per Monat je ALG II Empfänger. Bei Minijobs (450 Euro Jobs) führt der Arbeitgeber 13 % des Lohns pauschal an die Krankenkassen ab, der Arbeitnehmer ist abgabenfrei. Das machte im Jahre 2012 in der Summe aller 7,4 Mio. Minijobs 2,768 Mrd. € aus. Der Beschäftigte erhält hieraus aber keinen Anspruch auf Krankenversicherung, die Krankenkassen vereinnahmen also dieses Geld ohne direkte Gegenleistung. Allerdings sind so gut wie alle Minijobber anderweitig versichert, entweder als Angehörige oder in einem ersten versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis.

    Bis 2009 wurden die Beiträge direkt an die Krankenkassen bezahlt. Seit 2009 werden sie an den neu geschaffenen Gesundheitsfonds abgeführt, der die Gelder wiederum an die Krankenkassen verteilt. Diese erhalten vom Gesundheitsfonds eine einheitliche Grundpauschale pro Versichertem plus alters-, geschlechts- und risikoadjustierte Zu- und Abschläge zur Deckung ihrer standardisierten Leistungsausgaben. Durch diesen Risikostrukturausgleich (RSA)⁶ wird das unterschiedliche Krankheitsrisiko der Versicherten kalkuliert in Abhängigkeit vor allem vom Alter und Geschlecht, aber auch vom Bildungsstand und der sozialen Situation. Seit 2009 werden dabei auch die tatsächlichen Erkrankungen der Versicherten berücksichtigt (Morbiditätsorientierter RSA, kurz Morbi-RSA). Krankenkassen mit älteren und kranken Versicherten erhalten somit mehr Finanzmittel als Krankenkassen mit überwiegend jungen und gesunden Versicherten. Der Risikostrukturausgleich ist eine der kompliziertesten Angelegenheiten der GKV.⁷

    Die GKV basiert auf der Beitragspflicht für Arbeitseinkommen aus abhängiger Beschäftigung. Andere Einkommen wie z. B. Kapitalerträge und Mieteinnahmen sind beitragsfrei. Bei den Rentnern werden dann analog die aus der früheren Berufstätigkeit erworbenen Rentenansprüche zugrunde gelegt. Deshalb sind neben den gesetzlichen Renten auch Firmenrenten beitragspflichtig. Kurz gefasst sprechen wir in diesem Buch von den „Lohn- und Renteneinkommen" als Basis der Beitragsberechnung.

    Bei den Rentnern werden die Arbeitgeberbeiträge von den Rentenanstalten übernommen, diese treten also an die Stelle der Arbeitgeber. Die Beiträge der Rentner sind erheblich niedriger als die der Aktiven, da ja auch die Renten niedriger sind als die Löhne und Gehälter. Dieser Effekt tritt just zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Rentner entsprechend ihrem Alter zunehmend höhere Krankheitskosten verursachen. Dieser Widerspruch wird im Abschnitt 2.2.4 noch zu diskutieren sein (S.63).

    Eine besondere Gruppe bilden die knapp 5,2 Millionen freiwillig in der GKV Versicherten: Diese haben in aller Regel ein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung über der Versicherungspflichtgrenze (4.575 € monatlich ab 1.1.2015) und können sich daher in der PKV versichern. 2,8 Mio Mitglieder dieser Gruppe ziehen es jedoch vor, sich freiwillig in der GKV zu versichern und zahlen dann die Höchstbeiträge. Hinzu kommen 2,4 Mio Selbstständige, die sich unabhängig von der Höhe des Einkommens statt in der PKV in der GKV versichern können. Bei freiwillig Versicherten werden nicht nur die Lohneinkommen, sondern auch alle anderen Einkommensarten (selbständige Arbeit, Kapitalerträge etc.) bei der Beitragsbemessung berücksichtigt. Dies erfolgt aber wie bei allen GKV Mitgliedern nur bis ist nur Beitragsbemessungsgrenze (4.125 €).

    Insgesamt erhielt die GKV im Jahre 2012 von allen Mitgliedern 172 Mrd. € an Beiträge. Das waren pro Mitglied im Durchschnitt 3266 € im Jahr oder 272 € pro Monat. Tatsächlich versteckt sich hinter diesem Durchschnitt eine enorme Schwankungsbreite der Beiträge. Immerhin können Sie, verehrter Leser, so feststellen, ob Sie (zusammen mit ihrem Arbeitgeber oder der Rentenanstalt) mehr oder weniger als der Durchschnitt bezahlen.

    Als Folge der Abhängigkeit der Beiträge von den Bruttolöhnen und -gehältern sind die Einnahmen der GKV stark konjunkturabhängig. Gute Konjunktur bedeutet: höhere Löhne, weniger Arbeitslose, mehr Beiträge. Eine Faustformel besagt, dass ein Prozent Steigerung der beitragspflichtigen Entgelte 1 Mrd. Mehreinnahmen für die GKV bringt.⁸ Schlechte Konjunktur bedeutet hingegen: Kurzarbeit, mehr Arbeitslose, weniger Beiträge.⁹ Aktuell sind bei guter Konjunktur die Überschüsse der Krankenversicherung erheblich (ca. 28 Mrd. € hatten sich per Ende 2012 angesammelt). Als erste Maßnahmen zur Behebung dieses Problems wurden bereits die Praxisgebühr abgeschafft und für 2014 der Bundeszuschuss um 3,5 Mrd. auf 10,5 Mrd. gekürzt. Manche Krankenkassen denken über Leistungsausweitungen nach. Auf die Idee, Rückstellungen für schlechtere Zeiten zu bilden, was zugleich konjunkturpolitisch erwünscht wäre, kommt bei den zuständigen Gremien und Politikern aber niemand. Die Hardliner des Umlageverfahrens bestreiten sogar die Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen.

    Damit sind wir bei der heiligen Kuh der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung angekommen, dem Umlageverfahren. In der GKV werden (wie in der Rentenversicherung) die Ausgaben einer Periode grundsätzlich aus den Einnahmen dieser Periode gedeckt. Man bildet also keine Rücklagen für schlechtere Zeiten oder für das Alter, man lebt von der Hand in den Mund. Da bei GKV und Rentenversicherung die Einnahmen vor allem von den Jüngeren bestritten werden, die Ausgaben hingegen mehr bei der älteren Generation anfallen, spricht man auch hochtrabend von Generationenvertrag. Mehr dazu im Abschnitt 1.3 demographische Entwicklung.

    Leistungskatalog

    Ein zentrales Element der GKV ist der Leistungskatalog. Er legt fest, was die Krankenkasse tatsächlich bezahlt. Der Leistungskatalog ist für alle Kassen der GKV gesetzlich vorgeschrieben und muss daher weitgehend einheitlich sein. Geringfügige Abweichungen können in der Satzung der Krankenkasse festgelegt sein (Satzungsleistungen). Der Leistungskatalog umfasst:

    - Leistungen zur Verhütung von Krankheiten

    - Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten

    - Leistungen zur Behandlung einer Krankheit

    - Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

    Der Leistungskatalog ist sehr umfangreich. Sehr pauschal kann man sagen, dass die Krankenkassen alles bezahlen, was medizinisch erprobt und sinnvoll ist. Der medizinische Fortschritt führt ständig zu Erweiterungen des Leistungskataloges. Ein permanentes Thema sind Akupunktur und Naturheilverfahren. Hier sind im Laufe der Zeit etliche Behandlungsmethoden in den Katalog aufgenommen worden.

    Medizinisch fragwürdige Leistungen wie der Augendrucktest und die Messung des PSA-Wertes bleiben hingegen ausgeschlossen. Manchmal wurde der Leistungskatalog auch aus Kostengründen verkleinert:

    - Beim Zahnersatz werden nur sogenannte Festzuschüsse bezahlt, die bei weitem nicht zur Deckung der Behandlungskosten ausreichen.

    - Brillen werden nur in besonderen Fällen bezahlt, z. B. bei Kindern. Die Zahlung ist dann aber auf die Gläser beschränkt.

    - Kuraufenthalte werden nur noch in sehr geringem Umfang bezuschusst.

    - Abgeschafft wurden etliche exotische Leistungen wie z.B. die Erstattung von Beerdigungskosten.

    Sehr viele Leistungen werden zwar erstattet, aber die Patienten müssen eine Selbstbeteiligung leisten:

    - Bei Arzneimitteln ist in den meisten Fällen 10 % des Preises zu bezahlen (Vgl. S.38)

    - Bei stationären Behandlungen (Krankenhaus, Vorsorge, Rehabilitation) sind je Tag 10 € zuzuzahlen.

    - Bei Hilfs- und Heilmitteln beträgt die Zuzahlung10 % der Kosten.

    - Abgeschafft wurde zum 1.1.2012 die Praxisgebühr in Höhe von 10 € je Quartal.

    Die von den Patienten zu zahlenden Selbstbeteiligungen machten etwa 5 Mrd. € jährlich aus, die sich durch den Wegfall der Praxisgebühr um 2 Mrd. € verringert haben. Von den verbleibenden 3 Mrd. € betreffen knapp 2 Mrd. die Zuzahlungen bei Arzneimitteln.¹⁰

    Die prozentualen Beteiligungen müssen in aller Regel mindestens 5 € ausmachen und sind auf 10 € begrenzt. Für die Zuzahlungen gilt eine Überforderungsregel: Die Summe der Zuzahlungen eines Versicherten einschließlich seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen soll 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt nicht übersteigen. Wird diese Belastungsgrenze erreicht, stellt die Krankenkasse eine Bescheinigung aus, durch die der Versicherte von allen weiteren Zuzahlungen befreit ist.¹¹

    Für die Erstattungen gemäß Leistungskatalog gilt eine weitere heilige Kuh der GKV, das Sachleistungsprinzip. Die Leistungserbringer rechnen direkt mit den Krankenkassen ab. Der Patient bekommt also keine Rechnung und kennt die Kosten der Behandlung nicht.

    Das „Bedarfsdeckungsprinzip ist ein weiterer Leitsatz der GKV. In §70 SGB V heißt es: Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Im selben Paragraphen wird aber auch betont, dass die Behandlung wirtschaftlich sein muss und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Schließlich ist von einer humanen Krankenbehandlung" die Rede – ein typischer Fall für unkonkrete gesetzliche Vorschriften im Gesundheitswesen.

    Eine wichtige Einrichtung der gesetzlichen Krankenkassen ist der Medizinische Dienst der Krankenversicherung MDK. Diese Institution ist sozusagen der Sachverständige der Krankenkassen. Die Mitarbeiter des MDK prüfen z.B. bei den Versicherten stichprobenartig das Vorhandensein von Arbeitsunfähigkeit und die Notwendigkeit einzelner medizinischer Leistungen, insbesondere von Kuren. Bei den Leistungserbringern können sie z. B. die Angemessenheit und Dauer einer Krankenhausbehandlung und die Korrektheit der Abrechnung prüfen. Mit Einführung der Pflegeversicherung wurde die Feststellung der Pflegebedürftigkeit eine der Hauptaufgaben des medizinischen Dienstes.

    1.1.2 Private Krankenversicherung PKV

    Bismarck war 1883 bei der Gründung der Krankenversicherung für gewerbliche Arbeiter der Meinung, die Angestellten müssten nicht einbezogen werden, denn sie könnten selbst für sich sorgen. Erst 1971 wurde die GKV für alle Angestellten vollständig geöffnet. So sahen sich bestimmte Gruppen der Angestellten und Selbständigen veranlasst, private Entsprechungen zur gesetzlichen Krankenversicherung zu organisieren. Diese wurden zumeist für bestimmte Berufsgruppen gegründet (Vorläufer waren die Versicherungswerke der Zünfte).

    So entstanden die privaten Krankenkassen. Heute gibt es ca. 40 private Krankenkassen, etwa je zur Hälfte in den Rechtsformen Aktiengesellschaft (gewinnorientiert) und Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (Überschüsse bleiben im Unternehmen oder werden an die Mitglieder ausgeschüttet).

    Gemäß Gesetz können sich abhängig Beschäftigte mit einem Monatsverdienst über der Versicherungspflichtgrenze und Selbständige in der PKV versichern. Hinzu kommen die Beamten, die so gut wie immer Mitglieder in der PKV sind.¹² Die Abgrenzung über die hohe Versicherungspflichtgrenze (4.575 €) führte zur heutigen Einschätzung der PKV als Verein der Bessergestellten. Historisch gesehen war die Versicherungspflichtgrenze aber eher eine Grenze für die Versicherungsberechtigung¹³ in der gesetzlichen Krankenversicherung. Da diese Grenze sehr niedrig war und die gesetzliche Versicherung auf Arbeiter beschränkt war, mussten sich alle Anderen wie oben beschrieben über private Organisationen versichern. Erst durch die systematische Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze und die generelle Erweiterung der GKV wurde die PKV zu einer eher exklusiven Angelegenheit.

    Die PKV hat knapp 9 Mio. sogenannte Vollversicherte. Von diesen sind 4,7 Mio. Selbständige oder abhängig Beschäftigte mit einem Gehalt über der Versicherungspflichtgrenze, 4,2 Mio. sind Beamte (sogenannte Beihilfeberechtigte)¹⁴. Die Beitragseinnahmen ohne Zusatzversicherungen betrugen 25,8 Mrd. €, macht 2880 € jährlich je Versicherten bzw. 240 € monatlich. Dieser Durchschnitt ist optisch niedrig, denn die Beamten sind nur mit 30 bis 50 Prozent ihrer Krankheitskosten in der PKV versichert. Den Rest zahlt der Staat als Beihilfe.

    Abb. 3: Versicherte PKV

    Quelle: Zahlenbericht PKV 2012

    Die Zahlen der Abb. 3 weisen auch die Angehörigen aus. Diese sind in der PKV nicht wie in der GKV kostenlos mitversichert, sondern müssen selbst Beiträge zahlen. Diese sind aber bei Kindern (ca. 1,5 Mio. Kinder unter 18 Jahre in der PKV) entsprechend ihrem geringen Krankheitsrisiko niedrig.

    Die Beiträge in der PKV sind nicht einkommensabhängig wie in der GKV, sondern risikokalkuliert¹⁵. Sie richten sich nach dem persönlichen Krankheitsrisiko des Versicherten, welches vor allem von Geschlecht, Alter, Lebensgewohnheiten und Vorerkrankungen abhängt. Dabei können auch bestimmte Krankheiten, die bei Versicherungsbeginn bereits aufgetreten oder absehbar sind, von der Versicherung ausgeschlossen werden. Die Versicherung kann auch Antragstellern mit besonders hohen Risiken die Aufnahme verweigern. Man spricht hier von einer Risikoselektion, wer hohe Krankheitsrisiken hat, landet eher in der GKV. Diese Faktoren dürfen aber laut Gesetz nur beim Abschluss der privaten Krankenversicherung oder bei einem Tarifwechsel eine Rolle spielen, nicht mehr danach in Abhängigkeit vom tatsächlichen Krankheitsverlauf.

    Weiterhin werden die Tarife durch ihren jeweils unterschiedlichen Leistungsumfang bestimmt. Schließlich beeinflussen Art und Höhe von Selbstbeteiligungen die Beitragshöhe wesentlich. Die folgende Abbildung zeigt Monatstarife für jeweils 30 und 50 jährige Männer und Frauen (2012). Sie zeigen eine enorme Bandbreite und dies bei durchaus vergleichbarem Leistungsumfang. Die Entscheidung für eine Versicherungsgesellschaft und einen bestimmten Tarif ist bei Eintritt in die PKV daher äußerst schwierig.

    Abb. 4: Tarife PKV 2012 per Monat

    Quelle: Wirtschaftswoche 4/2012

    Die Abbildung zeigt den großen Einfluss von Eintrittsalter und Geschlecht auf die Tarife. Ab 2013 werden nur noch sogenannte Unisextarife angeboten, da die EU bei Neuabschlüssen die Unterscheidung der Tarife nach Geschlecht nicht mehr erlaubt. Da die Krankheitskosten sich aber tatsächlich abhängig vom Geschlecht erheblich unterscheiden, war hier eine vollständig neue Mischkalkulation notwendig. Im Ergebnis sind die neuen Unisextarife eher im oberen Bereich gelandet, also im Bereich der bisherigen Frauentarife.¹⁶ Hier ein Beispiel für die neuen Unisextarife 2013:

    Mittlerer Leistungsschutz ohne Krankentagegeld:

    Wie in der GKV trägt der Arbeitgeber knapp die Hälfte der Versicherungsprämie, dabei gelten die Regeln der GKV. Insbesondere können die Zuschüsse im Maximum nicht höher sein als bei der GKV. Die Selbständigen müssen natürlich den ganzen Beitrag selbst bezahlen. Bei den Beamten gibt der Staat keinen Zuschuss zur Versicherungsprämie, sondern er trägt 50 – 70 % der Krankheitskosten über die Beihilfe.¹⁷ Für den Rest ist der Beamte dann mit entsprechend niedrigerer Prämie bei der PKV versichert. Hier ein Beispiel:

    Mittlerer Leistungsschutz mit Zweibettzimmer ohne Krankentagegeld:

    Ein Schutz gegen Verdienstausfall ist für Beamte nicht erforderlich, da der Staat bei Erkrankung das Gehalt zeitlich unbegrenzt weiterbezahlt. Der Staat gibt auch für die Familienangehörigen eine Beihilfe, also für die nicht berufstätige Ehefrau und für Kinder. Abb. 5 zeigt die Höhe der Beihilfe in %.

    Abb. 5: Höhe der Beihilfe für Beamte und deren Angehörige

    Der Beamte muss die nicht von der Beihilfe abgedeckten Kosten der Familienangehörigen in der PKV selbst versichern, für die Ehefrau also mit etwa 150 €, je Kind etwa 70 € monatlich. Bei zwei und mehr Kindern erhält der Beamte selbst 70 % statt 50 % Beihilfe, also eine Entlastung.

    Nun zum größten Unterschied zwischen PKV und GKV. Es gilt nicht das Umlageverfahren, sondern das Kapitaldeckungsverfahren: Es werden Alterungsrückstellungen gebildet, damit die Tarife im Alter nicht so stark wie die Krankheitskosten steigen. Es findet also eine Vorsorge für das Alter statt. Daher wurden z. B. 2012 die Beitragseinnahmen der PKV in Höhe von 25,8 Mrd. € nicht vollständig für Leistungen und Verwaltungskosten verwendet. Etwa 3 Mrd. € wurden zusammen mit den 8 Mrd. € aus Kapitalerträgen in die Alterungsrückstellungen gesteckt, die Ende 2012 166 Mrd. € betrugen.¹⁸ Die Ausgaben für Leistungen betrugen gut 18 Mrd. €.¹⁹

    Ein nüchtern rechnender Kaufmann wird begeistert sein: Es wird Geld für die steigenden Ausgaben der Zukunft zurückgelegt, dieses Geld wiederum vermehrt sich über Kapitalerträge. Dennoch ist es in der PKV zu erheblichen Beitragssteigerungen gekommen. Der Spiegel berichtet, die Beitragssteigerungen in der PKV seien von 1985 bis 2005 doppelt so stark angestiegen wie in der GKV (Spiegel Nr.31 28.7.2008). Die Ausgaben für die ambulante Behandlung stiegen konkret von 2000-2010 um 38,9 Prozent (GKV 28,6 %) ²⁰. Deshalb konnten keine ausreichenden Alterungsrückstellungen gebildet werden (Vgl. S.89).

    Die Gründe für den Anstieg der Ausgabensind komplex, vor allem sind zu nennen:

    Der medizinische Fortschritt führt zu Kostensteigerungen.

    Die Lebenserwartung ist stärker als in den Tarifen kalkuliert angestiegen.

    Die PKV hat anders als die GKV keine Möglichkeiten, über Budgetierungen kostendämpfend auf die Leistungserbringer einzuwirken.

    Die Tarife für junge Neuversicherte wurden und werden bewusst attraktiv gehalten, also nicht ausreichend mit Altersrückstellungen kalkuliert, um mit der Konkurrenz wettbewerbsfähig zu sein, und zwar innerhalb der PKV und gegenüber der GKV.

    Zusätzlich werden Tarife nach etlichen Jahren für Neuzugänge geschlossen, um neue Tarife attraktiv kalkulieren zu können. Die geschlossenen Tarife vergreisen dann, bekommen also nicht den gesunden Zuwachs jüngerer Versicherter.

    Die Beitragssteigerungen sind in der PKV nicht nur hoch, sondern hinzu kommt, dass der Beitrag nicht wie in der GKV mit Rentenbeginn sinkt. Im Gegenteil, er steigt im Alter weiter an. Die Abb. 6 zeigt beispielhaft das Prinzip:

    Abb. 6: Schematischer Prämienverlauf PKV und GKV in Abhängigkeit vom Alter

    Für in der gesetzlichen Rentenkasse versicherte Rentner kommt erschwerend hinzu, dass der Krankenkassenzuschuss der Rentenanstalt für PKV-Versicherte wesentlich niedriger ist als der bisherige Arbeitgeberanteil vor Rentenbeginn. Zudem sinkt ihr Bruttoeinkommen mit Rentenbeginn gegenüber dem letzten Arbeitseinkommen stark, wenn sie überwiegend von der gesetzlichen Rente leben. Im Ergebnis können sich viele Rentner ihre Beiträge zur PKV nicht mehr leisten. Es wurde daher vom Gesetzgeber ab 1.1.2009 die Möglichkeit geschaffen, innerhalb der PKV in einen sogenannten Basistarif wechseln zu können.²¹ Dessen Leistungen entsprechen in etwa denen der gesetzlichen Krankenkasse, die Behandlung als Privatpatient entfällt also. Für die Versicherungen besteht Kontrahierungszwang, ein Risikozuschlag ist nicht zulässig. Der Basistarif darf maximal dem Höchstbetrag der GKV entsprechen. Er ist häufig etwas günstiger als dieser, da ein Teil der Alterungsrückstellungen des Versicherten in den Basistarif mitgenommen werden kann. Für besonders Hilfsbedürftige kann der Basistarif um 50 % reduziert werden. Per Ende 2011 waren 26.000 Mitglieder der PKV im Basistarif versichert, der Basistarif ist also die Ausnahme. Er wird trotzdem viel diskutiert, da er eine Annäherung von PKV und GKV beinhaltet. Dies auch, da ein Wechsel von der PKV zurück zur GKV sehr schwierig ist: Arbeitnehmer müssen eine bestimmte Zeit wieder ein Gehalt unterhalb der Versicherungspflichtgrenze beziehen²², Selbständige müssen zusätzlich die Selbstständigkeit aufgeben. Bei beiden Gruppen darf der Wechselwillige nicht älter als 55 Jahre sein.²³

    Ebenfalls schwierig und von den Krankenkassen natürlich nicht gewollt ist ein Wechsel von einer privaten Krankenkasse in eine andere. Hier geht es vor allem darum, dass die Altersrückstellungen nicht mitgenommen werden können und somit verloren gehen. Gesetzliche Änderungen seit dem 1.1.2009 haben daran nicht allzu viel geändert. Weiter hemmen vor allem eine erneute Gesundheitsprüfung und ein höheres Eintrittsalter in der neuen Versicherung den Wechsel. Die PKV schreibt sich regelmäßig Dinge wie Wettbewerb und freier Markt auf die Fahnen – der erschwerte Wechsel innerhalb der PKV konterkariert diese hohen Ansprüche.

    1.1.3 Zusatzversicherungen der PKV für GKV-Versicherte

    Ein interessanter Zwitter im System der Krankenversicherungen sind die Zusatzversicherungen. Sie werden von der PKV angeboten, richten sich aber vor allem an GKV-Versicherte. Über diese Zusatzversicherungen können letztere ihren Krankheitsschutz bzw. Behandlungskomfort relativ preiswert erhöhen. Die wichtigsten Versicherungen in diesem Bereich sind (in Klammern die aktuelle Zahl der aktiven Policen 2012²⁴):

    - ambulante Leistungen (7,7 Mio. Policen):

    Hier werden Tarife für Leistungen angeboten, die nicht von der GKV übernommen werden. Beispiele sind Brillen, Heilpraktikerbehandlung und Naturheilverfahren.

    – Wahlleistungen im Krankenhaus (5,7 Mio. Policen): Diese betreffen vor allem die Chefarztbehandlung und die

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