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Elefanten? Gibt es hier nicht
Elefanten? Gibt es hier nicht
Elefanten? Gibt es hier nicht
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Elefanten? Gibt es hier nicht

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About this ebook

Vier Jahre leben und arbeiten im ländlichen Süden Tansanias - für Birgit Pötzsch und Harald Bollermann geht ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Anschaulich und ehrlich erzählen sie von ihren Versuchen, den Alltag der Menschen zu teilen, in einer fremden Sprache zu unterrichten und mit den gegenseitigen Erwartungen und Vorurteilen zurechtzukommen. Von fröhlichen Nachbarinnen, überschwemmten Straßen, furchterregenden Busfahrten und verhexten Kindern wird berichtet, aber auch von den eigenen Grenzen, den blinden Flecken, die uns immer wieder die offene Sicht auf andere Kulturen versperren.
Ein Buch für alle, deren Afrika- Bild nicht fertig ist, die genau hinsehen wollen und über sich selbst schmunzeln können.
LanguageDeutsch
Release dateJun 5, 2015
ISBN9783739289380
Elefanten? Gibt es hier nicht
Author

Harald Bollermann

Harald Bollermann, geb. 1944 in Lage/ NRW. Schulbesuch und Abitur in Lage und Detmold, Studium der Theologie. Berufliche Tätigkeit als Pfarrer und Superintendent in der Lippischen Landeskirche. Seit 2007 im Ruhestand. Von 2010- 2014 als MAP und ehrenamtlicher Dozent an der Bibel- und Handwerkerschule Matema/ Tanzania.

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    Book preview

    Elefanten? Gibt es hier nicht - Harald Bollermann

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Grüße aus Daressalam : 16. 12. 2010

    Mein Dienstbeginn: 18. 12. 2010

    Angekommen: 21. 12. 2010

    Mama Afrika: 27. 12. 2010

    Missionars-Leben: 30. 12. 2010 (Harald)

    Neujahr: 1. 1. 2011

    Mit-Esser: 3. 1. 2011

    Hinter-Gründe: 11. 1. 2011 (Harald)

    Erster Schulbesuch: 12. 1. 2011

    Abenteuer Reisen: 14. 1. 2011

    Schöner Wohnen: 25. 1. 2011

    Schule hat begonnen: 31. 1. 2011

    Verbuscht?: 7. 2. 2011

    Mein erster (Sprach-) Schultag: 10. 2. 2011

    Schuljubiläum: 28. 2. 2010

    Lebens-Fragen: 1. 3. 2011

    Die Unaussprechlichen: 24. 3. 2011 (Harald)

    Stromrationierung: 26. 3. 2011

    Wie gefällt mir Tansania?: 2. 4. 2011

    Auf kolonialen Spuren: 8. 4. 2011

    Nichts Besonderes: 17.4.2011 (Harald)

    Osterurlaub: 30. 4. 2011

    Never ending Story: 5. 5. 2011

    Die berühmteste Tasse des Landes: 11. 5. 2011

    Habari gani?: 15. 5. 2011

    Zwergenschule: 20. 5. 2011

    … und sie ist schwarz: 27. 5. 2011

    Ende gut, alles gut: 30. 6. 2011

    Wir kommen: 10. 6. 2011

    Schönes Leben?: 30. 6. 2011

    Pole!: 14. 7. 2011

    Von wegen Mission: 15. 7. 2011

    Umzug in Sicht: 20. 7. 2011

    Der Nyassa-See: 21. 7. 2011

    Interkurelle Kommunikation: 1. 8. 2011

    Trautes Heim! Glück!: 5. 8. 2011

    Tagelöhnerarbeit: 8. 8. 2011

    Arbeitgeber: 17. 8. 2011

    Die Seekisten sind da: 30. 8. 2011

    Was ist guter Unterricht?: 5. 9. 2011

    Böse Geister: 10. 9. 2011

    Kleine Schritte: 11. 9. 2011

    Taufe: 13. 9.2011

    Umzug bei Nacht: 17. 9. 2011

    Nomen est Omen: 20. 9. 2011

    Ich bin die Neue: 24. 9. 2011

    Komplimente: 30. 9. 2012

    Wohin?: 3. 10. 2011

    Grundschule: 10. 10. 2011

    Große Beerdigung: 19. 10. 2011

    Eine Hochzeit nach drei Todesfällen: 1. 11. 2011

    Kein Problem: 15. 11. 2011

    Umstrittenes Thema: 20. 11. 2011

    Ehrlich jetzt: 15. 12. 2011

    Weißer, gib mir Süßes: 2. 1. 2012 (Harald)

    Neues Jahr, neues Glück: 25. 1. 2012

    Wir helfen Afrika: 30. 1. 2012

    Bücherzimmer: 14. 2. 2012

    Erziehungsmaßnahmen: 15. 2. 2012 (Harald)

    Konfliktgespräch: 19. 2. 2012

    Kinderreichtum: 25. 2. 2012

    Der erste Freitag im März: 2. 3. 2012

    Sie können auch anders: 5. 3. 2012

    Eine andere Art Respekt: 16. 3. 2012

    Besuch aus Deutschland: 18. 3. 2012 (Harald)

    With a little help from my friends: 21. 3. 2012

    Das Leben der anderen: 26. 3. 2012

    Geld her: 3. 4. 2012

    Auf der Eisenbahn: 20. 4. 2012

    Es regnet: 21. 4. 2012

    Die Innovation des Jahres: 25. 4. 2012

    Wer die Gemeinschaft stört: 26. 4. 2012

    Heilungserfolg: 29.4.2012

    Ey, Alter: 5. 5. 2012

    Zwischenfall: 8. 5. 2012

    Women’s Lib: 13. 5. 2012

    Fleisch ist mein Gemüse: 17. 5. 2012

    Statt Aufklärung: 19. 5. 2012

    Gäste sind ein Segen: 30. 5. 2012

    So nah und doch so fern: 15. 6. 2012

    Sprache und Zugehörigkeit: 22. 6. 2012

    Wir sind wieder hier …: 4. 8. 2012

    Kahlschlag: 6. 8. 2012

    Wahlverwandtschaften: 23. 8. 2012

    Schwierige Partnerschaft: 30. 8. 2012

    Hängengeblieben: 13. 9. 2012

    Bürgerbeteiligung: 21. 9. 2012

    Lieber Gott, gib mir Geduld: 4. 10. 2012

    Erst der Spaß und dann die Arbeit: 15. 10. 2012

    Give me money: 31. 10. 2012

    Noch zehn Tage bis zum Examen: 12. 11. 2012

    Augsburger Puppenkiste: 15. 11. 2012

    Freundinnen: 17. 11. 2012

    Das Glück der Maurerkelle: 20. 11. 2012

    Malarone: 29. 11. 2012

    Amts-Zebra: 30. 11. 2012 (Harald)

    Ein bisschen schwanger: 5. 12. 2012

    Zeitreise: 8. 12. 2012

    Volkskunst: 9. 12. 2012

    Die » Goetzen« alias »Liemba«: 20. 12. 2012

    Auf Heu und auf Stroh: 27. 12. 2012 (Harald)

    Der Spagat der Frauen: 10. 1. 2013

    Tue Gutes und zeig es vor: 15. 1. 2013 (Harald)

    Hau weg: 18. 1. 2013

    Stromsperre: 5. 2. 2013

    Moral und Anstand: 9. 2.2013

    Interreligiöse Übergriffe: 13. 2. 2013

    Du gehörst miiiir!: 19. 2. 2012

    Wasser im Haus: 21. 2. 2013

    Nachhilfe: 27. 2. 2013

    Reisanbau: 18. 3. 2013

    Die Bilder im Kopf: 24. 3. 2013

    Er ist auferstanden!: 31. 3. 2013

    Jagdsaison: 3. 4. 2013

    Geldwäsche: 8. 4. 2013

    Karneval der Küken: 12. 4. 2013

    Extended family: 20. 4. 2013

    Stammessprache: Latein: 1. 5. 2013 (Harald)

    Kindheitsmuster: 6. 5. 2013

    Wer bestimmt unser Leben?: 13. 5. 2013

    Wie im Schlaf: 17. 5. 2013

    Family First: 20. 5. 2013

    Kein Platz für Rumpelstilzchen: 15. 6. 2013

    Interkulturelle Kleiderfragen: 21. 6. 2013

    Machtspielchen: 5. 9. 2013

    Gerne groß: 9. 9. 2013

    Der Herr hat‘s gegeben ...: 12. 9. 2013

    Erfahrungswissen: 17. 9. 2013

    Status und Symbole: 20. 9. 2013

    Kuckuckskinder: 27. 9. 2013

    Selbsthilfe: 12. 10. 2013

    Korrekte Kleidung: 26. 10. 2013

    Sponti-Fete: 28. 10. 2013

    Pflegende Angehörige: 4. 11. 2013

    Die Sache mit dem Fisch: 17. 11. 2013

    Entscheidungsfindung: 30. 11. 2013

    Ein Brief vom König: 4. 12. 2013

    Paroles paroles: 7. 12. 2013

    Gast sein: 10. 12. 2013

    Männerträume: 11. 12. 2013

    Eine Seefahrt: 14. 12. 2013

    Keeeksä: 17. 12. 2013

    Es begab sich aber zu der Zeit ...: 26. 12. 2013 (Harald)

    Nachwort

    Vorwort

    »Normalerweise gehen die Kinder weit weg und die Eltern müssen sich Sorgen machen. Bei uns ist das andersrum – da stimmt doch was nicht.« So etwa fasste eines unserer erwachsenen Kinder seine Sicht der Dinge zusammen. Und drängte auf regelmäßige Lebenszeichen und Berichte aus Tansania, damit die Familie die Sache aus der Ferne beobachten könne.

    Ende 2010 sind wir in Daressalam gelandet, mit der Absicht, mindestens vier Jahre in Tansania zu bleiben. Im Auftrag des Leipziger Missionswerks (LMW) sollte Birgit Pötzsch als »Dozentin an der Bibel- und Handwerkerschule Matema« arbeiten. Harald Bollermann war die interessante Funktion eines »MAP«, eines »Mitausreisenden Partners« zugefallen. Wir waren gut vorbereitet auf unseren Einsatz, unser Missionswerk hatte uns gründlich mit Informationen über die Arbeitsbedingungen an der Schule, die Geschichte der Beziehungen zu Tansania, die Erwartungen an uns versorgt. Als wir uns Anfang Dezember »plötzlich« bei 35° am Flughafen von Daressalam unter dem berühmten Betondach mit den stilisierten Schirmakazien wiederfanden, hatten wir trotzdem alle einschlägigen Zweifel und Befürchtungen im Herzen, die zu so einer Unternehmung gehören.

    Unsere Berichte haben wir von Anfang an ordentlich abgeliefert, wie es sich für brave Eltern gehört. Aus den kurzen Schilderungen, zu denen später auch Freundinnen und Kollegen Zugang hatten, ist dieses Buch entstanden. Es ist kein Reisebericht mit spektakulären Abenteuern, sondern eine Reihe von Momentaufnahmen aus unserem Alltag in einem kleinen Dorf im Südwesten Tansanias. Wir erzählen und beschreiben, wie es uns ergangen ist bei unseren Versuchen, mit den Menschen in guten Kontakt zu kommen, uns den Gepflogenheiten des Landes anzupassen und kulturelle Hintergründe zu verstehen. Natürlich ist unsere Sicht beschränkt durch unsere mitgebrachten Einstellungen, eigene kulturellen Prägungen und unsere blinden Flecken. Afrika kann man weder verstehen noch erklären, alle einschlägigen Versuche sind Konstruktionen. Die Form der Kurzberichte ohne inhaltliche Verknüpfung haben wir beibehalten, um deutlich zu machen, dass es sich um subjektive Wahrnehmungen, kleine Bruchstücke handelt, die sich beim Lesen zu einem Bild fügen mögen.

    Wer wir sind? Harald Bollermann hat viele Jahre als Gemeindepfarrer und Superintendent gearbeitet und ist seit einigen Jahren pensioniert. Birgit Pötzsch ist ebenfalls Pfarrerin und war zuletzt als Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) tätig. Beide hatten wir Erfahrungen in der kirchlichen Partnerschaftsarbeit und in Gremien der Missionswerke gesammelt und wollten nun die Chance ergreifen, längere Zeit in Afrika zu leben und zu arbeiten und damit die Perspektive zu wechseln. Weiter aufschieben konnten wir unseren Traum nicht mehr, mit neunundfünfzig bzw. siebenundsechzig Jahren gibt es kein »vielleicht später«.

    Als einige Freundinnen drängten: »Ihr solltet eure Berichte als Buch herausgeben, das ist auch für andere interessant!«, haben wir zunächst abgewinkt. Zu kompliziert, zu riskant, zu privat. Nun haben wir uns doch dazu entschlossen, alles nochmal durchgesehen, allzu Persönliches, Vorläufiges, Ironisches gestrichen. Alle Namen wurden verändert, garstige Aussagen über Menschen und Gegebenheiten abgemildert. Niemand soll bloßgestellt werden, auch nicht diejenigen, die das Buch gar nicht lesen können.

    Mögen unsere Aufzeichnungen dazu beitragen, das Land Tansania und seine Menschen besser zu verstehen und weiter zu lieben.

    Birgit Pötzsch und Harald Bollermann

    Grüße aus Daressalam

    16. 12. 2010

    MELDET EUCH! Ich hab's genau im Ohr. Aber es hat nun doch fast zwei Wochen gedauert, bis wir die Sache angehen. Zuerst mussten wir mal schlafen, denn ich war bei der Abreise ein bisschen krank und wir beide total erschöpft. Und dann wollte die Internetverbindung nicht klappen. Man muss ein Modem kaufen und mit einer Telefonkarte bestücken und der PC muss auch noch mitspielen. Das macht dann auch wieder müde.

    Unsere letzten Wochen in Deutschland waren richtig hart. Banken und Behörden, Ersatzbrille, Internationaler Führerschein, Zahnarzt, Visum. Computer, Medikamente und Bücher einkaufen. Wohnung auflösen, Auto verkaufen, Arbeit an die Nachfolgerin übergeben, Büro räumen, Seekisten packen. Und dann die ganzen Abschiede. Ooooh.

    Das Gefühl, nun endlich hier zu sein, ist unbeschreiblich. Seit über einem halben Jahr begleiten uns jeden Tag Fragen: Wollen wir das wirklich? Sind wir nicht ein bisschen oder ziemlich alt für so was? Was kommt da auf uns zu? Einsamkeit, Ungeziefer, Hitze, Feindseligkeit, Krankheiten? Und halten wir das aus? »Ihr seid aber mutig«, war wohl der häufigste Kommentar unserer deutschen Kollegen und Freundinnen. Häufig klang es eher nach »Ihr seid wohl total bescheuert«. Vielleicht liegt mutig und bescheuert ja unmittelbar nebeneinander in diesem Fall. Aber jetzt sind wir hier. Die Fragen sind noch da, aber die Entscheidung ist gefallen, darum haben sie kein großes Gewicht mehr. Wir sind in Tansania! Und nicht nur mal auf Urlaub, sondern um hier für einige Jahre zu leben und zu arbeiten. Das ist jedenfalls unser Plan.

    Wenn wir mal gerade nicht irgendwo rumliegen und dösen, lesen oder Vokabeln lernen, rollen wir Daressalam auf. Ganz langsam natürlich, denn es ist wirklich heiß. Ziemlich selten dudelt irgendwo ein Weihnachtslied. Melodie deutsch, Text kiswahili, Schmelz amerikanisch. Das ist immer etwas befremdlich, denn sonst ist hier gar nichts weihnachtlich. Ich erinnere mich an die Klagen einiger Leute in den zurückliegenden Jahren, es käme ja gar keine Weihnachtsstimmung auf. Was auch immer das ist–hier ist es nicht.

    Mein Dienstbeginn

    18. 12. 2010

    Der Programmpunkt für die ersten Tage im Land hieß: »Akklimatisieren«. Damit ist jetzt genug, wir haben uns endlich auf die Reise nach Matema gemacht. Rund tausend Kilometer mit dem Bus bis weit in den Süden des Landes. Gleich beim Einsteigen wurde Haralds Handy gestohlen. Ein Trick – und wir sind darauf reingefallen. Ein Mann hat Harald in eine unsinnige Diskussion verwickelt und er war so darauf konzentriert, sich zu wehren, dass er das Handy nicht festgehalten hat. Zitat: »Ich wusste ja, dass es irgendwann geklaut wird. Aber dass es gleich am ersten Tag passiert …« Schon sind wir um eine Erfahrung reicher.

    Die Busfahrt konnten wir auch nicht recht genießen, denn der Fahrer ist geheizt wie verrückt und hat so halsbrecherisch überholt, dass ich mehrfach dachte, unser Tansaniaaufenthalt könnte sehr frühzeitig enden. Zwischendurch hatte ich solche Angst, dass ich vorschlug, wir sollten lieber aussteigen. Aber was hätten wir dann machen sollen, mitten in der Pampa, ohne Sprach- und Ortskenntnisse? Es fahren ja nur diese Busse und es ist bekannt, dass die Fahrer meistens zu schnell fahren und die Unfallzahlen steigen, weil Busse und Straßen in schlechtem Zustand sind. Es scheint eine Art Wettrennen zwischen den Bussen der verschiedenen Gesellschaften zu geben. Die vielen Wracks am Straßenrand erzählen von den Verlierern.

    Zwischendurch gab es zwei Pausen, je zehn Minuten für Klo und Essen kaufen. Am Frauenklo eine lange Schlange von Wartenden. Da kann man sich nur noch Pommes und ein Stück Huhn in einer Plastetüte schnappen und wieder zum Bus rennen. Eine Frau fehlt noch, der Busfahrer hupt durchdringend und fährt dann ohne sie ab. Später, an einer der Haltestellen wäre das fast wieder passiert, Harald war leichtsinnigerweise ausgestiegen. Zehn, zwanzig Busse stehen hintereinander, wenn man sich die Farbe nicht merkt, hat man verloren. Und unser Bus war langsam immer weiter vorgerückt, statt stehenzubleiben. Ich musste meine geballte Autorität und Gestik aufbringen, damit der Fahrer freundlicherweise ein paar Minuten wartete und ich meinen Liebsten einfangen konnte. Bei aller Erschöpfung nach fünfzehn Stunden Fahrt bzw. Raserei waren wir am Ende froh, dass wir überhaupt in Tukuyu angekommen waren.

    An der Bushaltestelle in Tukuyu hatte ein Empfangskomitee aus zwei Mitgliedern der Kirchenleitung tapfer auf uns gewartet und geleitete uns nun im Dunkeln zum Hotel. Damit war auch gleich klar: Dies ist mein offizieller Dienstbeginn und mein künftiger Arbeitsort. Wir sind also nicht zum Spaß hier. Das ist schon ziemlich aufregend. Am nächsten Tag eine kleine Führung und eine Vorstellungsrun-de im Verwaltungsgebäude der Diözese (die Konde Diözese ist eine der zweiundzwanzig lutherischen Landeskirchen in Tansania, die zusammen die Evangelisch Lutherische Kirche in Tansania / ELCT bilden). Insgesamt war unser Empfang so freundlich und herzlich, dass wir uns gleich wieder ein bisschen entspannen konnten. »Karibuni-Willkommen«, sagten alle Mitarbeitenden, denen wir vorgestellt wurden. Anschließend wurden wir mit unserem Gepäck in ein Auto verfrachtet. Auf Nebenwegen würden wir nach Matema fahren, erklärte uns unser Begleiter, denn das Auto habe keine Versicherung und man wolle der Polizei nicht auffallen. Die Nebenwege sind ungeteert und voller Steine und Löcher. Die Straße schlängelt sich durch Hügel und Felder und die Landschaft ist einfach ein Traum. Alles ist grün und der Boden offenbar fruchtbar. Die Dörfer zwischen den Feldern wirken gepflegt und einladend, kleine Häuser aus Ziegelsteinen oder Bambusrohren und Lehm, Gärten, Felder, Teeplantagen. Ab und zu weist ein Schild auf eine nahe Grundschule hin. Hier werden wir leben, es ist unglaublich.

    Angekommen

    21. 12. 2010

    Wir sind in Matema! Das könnt ihr euch nicht vorstellen. Ein kleines Dorf direkt am See. Also wirklich klein. Wir sind am ersten Tag weit gelaufen und haben Matema gesucht, weil es auf der Karte aussieht, als läge es weiter links. Und hier ist ja eigentlich nur ein Markt, ein Krankenhaus und ein paar Häuser. Aber da kommt weiter nichts, das IST Matema.

    Der Markt besteht aus etwa fünfzehn »Läden«, teils Bretterbuden, teils Tische mit einer Plane gegen die Sonne. Sie verkaufen Gemüse, Kleidung oder Haushaltskram. Stapelweise bunte Plasteschüsseln, Leinen mit Stoffen, Kanister mit Öl. Es gibt auch Frisöre und Getränkehändler. Und leider auch Kneipen. Leider, denn der Tansanier an sich liebt es offenbar laut. Das hatten wir schon auf der Busfahrt festgestellt. Die Anlagen bis zum Anschlag aufgedreht, völlig übersteuert und gern stundenlang die immer gleiche Kassette. Dabei ist die hiesige Popmusik für unsere Ohren keineswegs gut anzuhören. Kurze Melodiesequenzen mit wenigen Harmonien, die sich ständig wiederholen, und das Ganze immer aus voller Kehle gebrüllt. Keine Rede von Trommelmusik und Afri-Folklore. Im Moment bekümmert uns vor allem, dass unser zukünftiges Wohnhaus direkt gegenüber einer solchen Krachmaschine steht. Wir werden da ganz bestimmt verrückt.

    Der See ist klar und kühl und es gibt keine Bilharziose, wie sonst in fast allen afrikanischen Binnengewässern. Wir werden jeden Tag baden und die Hitze kann uns nichts anhaben. Und der Krach auch nicht, das wär doch gelacht. Bisher sind wir fest entschlossen, alles gut zu finden, oder zumindest so hinzunehmen, wie es kommt. Wir haben vorläufig eine Wohnung im alten Missionshaus von 1911 bezogen mit zwei Zimmerchen – was für ein Luxus! Frühstück gibt es unten auf der Terrasse des kirchlichen Hostels, Mittagessen in einer der Marktbuden, abends Salat und manchmal auch Brot, je nach Angebot. Morgens lernen wir Vokabeln, mittags spazieren wir durchs Dorf und probieren sie aus. Da gibt es viel zu lachen, was ja nicht die schlechteste Form der Kontaktaufnahme ist. »Ihr werdet das schnell lernen, macht euch keine Sorgen!«, sagt Rehema, die uns jeden Tag das Frühstück macht und sich geduldig für unsere Sprachübungen zur Verfügung stellt. Das möchten wir schon gern glauben, aber ... Andererseits müssten die Leute es wissen, wir sind ja nicht die ersten Weißen, die sich hier einfinden. Freiwillige, also Jugendliche, die nach dem Abi die Welt sehen wollen, Ärztinnen, Ärzte, Krankenschwestern, die dem Krankenhaus helfen, alle möglichen Praktikanten, Helfer und Abenteurer waren vor uns hier und werden nach uns kommen. Für uns ist es ein aufregender Anfang, ein Start ins Unbekannte, für die Bewohner des Dorfes eine eingespielte Sache. Leute wie wir kommen und gehen. Wir wissen nicht recht, was uns hier erwartet – die anderen aber scheinen zu wissen, was sie von uns zu erwarten haben. Gib mir einen Stift, sagt ein kleiner Junge, der an uns vorbeiläuft. Offenbar sind Weiße auch dafür bekannt, dass sie zu viele Kulis haben.

    Mama Afrika

    27. 12. 2010

    Ich brauche dringend was zum Anziehen. Wirklich. Ein paar T-Shirts habe ich mitgebracht, zwei Röcke. Natürlich ist alles schnell gewaschen und ebenso schnell wieder trocken. Aber trotzdem. Nur – wo kauft man hier ein? Es kommt gelegentlich ein junger Mann mit einem Sack voll Altkleider durchs Dorf. Er schüttet seinen Sack einfach vor einem Haus aus und die Nachbarinnen laufen zusammen und gucken, ob etwas Brauchbares dabei ist. Die Männer und die Kinder tragen fast ausschließlich abgelegte Kleidung aus Europa oder den USA. Die Aufdrucke auf den T-Shirts sind manchmal verblüffend, wenn sie einem hier in Ostafrika über den Weg laufen. Da wirbt ein Sanitätshaus aus Bayern um Kunden, eine Abiklasse schickt ihr Motto in die Welt und sogar irgendein längst vergangener Kirchentag ist noch präsent. Ein deutscher Fußballverein nennt sich »Elf kleine Arschlöcher«. Gewiss hat der junge Mann mit dem Hemd keine Ahnung, was auf seiner Brust steht.

    Frauen bevorzugen die traditionelle Kleidung, also Rock und Oberteil aus dem gleichen Stoff. Diese Sachen gibt es nicht fertig zu kaufen, sie werden maßgeschneidert. Vor etlichen Häusern stehen Nähmaschinen, da wird sich wohl was machen lassen. Am Tag vor Heiligabend war es so weit. Mary sitzt mit ihrer Tretnähmaschine gleich neben den Tomaten auf dem Markt.

    Sie kann kein Wort Englisch, ist aber sehr fröhlich und hat vor allem Geduld. Ich habe mir die Bestellung im Wörterbuch zusammengesucht. »Kannst-du-nähen-Kleid-ich?« frage ich. Sie kann. »Wann?«, will Mary wissen. Die einzige Zeitangabe, die ich kenne, heißt morgen. Aber morgen ist Weihnachten. Ich probiere es also mit »morgen-morgen-morgen«. Wir verstehen uns prima.

    Ich setze meinen gesamten Wortschatz ein, um das Kleid zu beschreiben. Entscheidende Begriffe wie weit und eng verwechsele ich offenbar im Eifer des Gefechts, denn Mary kann es nicht glauben. Die anderen Marktfrauen beteiligen sich interessiert an der Beratung und amüsieren sich offenbar köstlich. Mary misst an mir herum und schreibt Zahlen in ein Buch. Derweil sitzt Harald auf einem Schemel und erinnert mich entfernt an die bräsigen Männer, die in Deutschland auf den Sofas vor den Umkleidekabinen abgesetzt werden.

    Heute konnten wir das Kunstwerk abholen. Es kneift etwas unter den Armen, aber Mary ist von ihrer Arbeit begeistert. »Mama Afrika! Du siehst gut aus!«, lacht sie. »Kleid-sehr-schön-danke«, stammele ich.

    Missionars-Leben

    30. 12. 2010 (Harald)

    In einer Ecke des alten Missionarshauses, dessen Veranda uns als eine Art Ersatzwohnzimmer dient (hier sitzen wir, um zu lesen, zu schreiben oder wenn

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