Elefanten? Gibt es hier nicht
By Harald Bollermann and Birgit Pötzsch
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About this ebook
Ein Buch für alle, deren Afrika- Bild nicht fertig ist, die genau hinsehen wollen und über sich selbst schmunzeln können.
Harald Bollermann
Harald Bollermann, geb. 1944 in Lage/ NRW. Schulbesuch und Abitur in Lage und Detmold, Studium der Theologie. Berufliche Tätigkeit als Pfarrer und Superintendent in der Lippischen Landeskirche. Seit 2007 im Ruhestand. Von 2010- 2014 als MAP und ehrenamtlicher Dozent an der Bibel- und Handwerkerschule Matema/ Tanzania.
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Book preview
Elefanten? Gibt es hier nicht - Harald Bollermann
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Grüße aus Daressalam : 16. 12. 2010
Mein Dienstbeginn: 18. 12. 2010
Angekommen: 21. 12. 2010
Mama Afrika: 27. 12. 2010
Missionars-Leben: 30. 12. 2010 (Harald)
Neujahr: 1. 1. 2011
Mit-Esser: 3. 1. 2011
Hinter-Gründe: 11. 1. 2011 (Harald)
Erster Schulbesuch: 12. 1. 2011
Abenteuer Reisen: 14. 1. 2011
Schöner Wohnen: 25. 1. 2011
Schule hat begonnen: 31. 1. 2011
Verbuscht?: 7. 2. 2011
Mein erster (Sprach-) Schultag: 10. 2. 2011
Schuljubiläum: 28. 2. 2010
Lebens-Fragen: 1. 3. 2011
Die Unaussprechlichen: 24. 3. 2011 (Harald)
Stromrationierung: 26. 3. 2011
Wie gefällt mir Tansania?: 2. 4. 2011
Auf kolonialen Spuren: 8. 4. 2011
Nichts Besonderes: 17.4.2011 (Harald)
Osterurlaub: 30. 4. 2011
Never ending Story: 5. 5. 2011
Die berühmteste Tasse des Landes: 11. 5. 2011
Habari gani?: 15. 5. 2011
Zwergenschule: 20. 5. 2011
… und sie ist schwarz: 27. 5. 2011
Ende gut, alles gut: 30. 6. 2011
Wir kommen: 10. 6. 2011
Schönes Leben?: 30. 6. 2011
Pole!: 14. 7. 2011
Von wegen Mission: 15. 7. 2011
Umzug in Sicht: 20. 7. 2011
Der Nyassa-See: 21. 7. 2011
Interkurelle Kommunikation: 1. 8. 2011
Trautes Heim! Glück!: 5. 8. 2011
Tagelöhnerarbeit: 8. 8. 2011
Arbeitgeber: 17. 8. 2011
Die Seekisten sind da: 30. 8. 2011
Was ist guter Unterricht?: 5. 9. 2011
Böse Geister: 10. 9. 2011
Kleine Schritte: 11. 9. 2011
Taufe: 13. 9.2011
Umzug bei Nacht: 17. 9. 2011
Nomen est Omen: 20. 9. 2011
Ich bin die Neue: 24. 9. 2011
Komplimente: 30. 9. 2012
Wohin?: 3. 10. 2011
Grundschule: 10. 10. 2011
Große Beerdigung: 19. 10. 2011
Eine Hochzeit nach drei Todesfällen: 1. 11. 2011
Kein Problem: 15. 11. 2011
Umstrittenes Thema: 20. 11. 2011
Ehrlich jetzt: 15. 12. 2011
Weißer, gib mir Süßes: 2. 1. 2012 (Harald)
Neues Jahr, neues Glück: 25. 1. 2012
Wir helfen Afrika: 30. 1. 2012
Bücherzimmer: 14. 2. 2012
Erziehungsmaßnahmen: 15. 2. 2012 (Harald)
Konfliktgespräch: 19. 2. 2012
Kinderreichtum: 25. 2. 2012
Der erste Freitag im März: 2. 3. 2012
Sie können auch anders: 5. 3. 2012
Eine andere Art Respekt: 16. 3. 2012
Besuch aus Deutschland: 18. 3. 2012 (Harald)
With a little help from my friends: 21. 3. 2012
Das Leben der anderen: 26. 3. 2012
Geld her: 3. 4. 2012
Auf der Eisenbahn: 20. 4. 2012
Es regnet: 21. 4. 2012
Die Innovation des Jahres: 25. 4. 2012
Wer die Gemeinschaft stört: 26. 4. 2012
Heilungserfolg: 29.4.2012
Ey, Alter: 5. 5. 2012
Zwischenfall: 8. 5. 2012
Women’s Lib: 13. 5. 2012
Fleisch ist mein Gemüse: 17. 5. 2012
Statt Aufklärung: 19. 5. 2012
Gäste sind ein Segen: 30. 5. 2012
So nah und doch so fern: 15. 6. 2012
Sprache und Zugehörigkeit: 22. 6. 2012
Wir sind wieder hier …: 4. 8. 2012
Kahlschlag: 6. 8. 2012
Wahlverwandtschaften: 23. 8. 2012
Schwierige Partnerschaft: 30. 8. 2012
Hängengeblieben: 13. 9. 2012
Bürgerbeteiligung: 21. 9. 2012
Lieber Gott, gib mir Geduld: 4. 10. 2012
Erst der Spaß und dann die Arbeit: 15. 10. 2012
Give me money: 31. 10. 2012
Noch zehn Tage bis zum Examen: 12. 11. 2012
Augsburger Puppenkiste: 15. 11. 2012
Freundinnen: 17. 11. 2012
Das Glück der Maurerkelle: 20. 11. 2012
Malarone: 29. 11. 2012
Amts-Zebra: 30. 11. 2012 (Harald)
Ein bisschen schwanger: 5. 12. 2012
Zeitreise: 8. 12. 2012
Volkskunst: 9. 12. 2012
Die » Goetzen« alias »Liemba«: 20. 12. 2012
Auf Heu und auf Stroh: 27. 12. 2012 (Harald)
Der Spagat der Frauen: 10. 1. 2013
Tue Gutes und zeig es vor: 15. 1. 2013 (Harald)
Hau weg: 18. 1. 2013
Stromsperre: 5. 2. 2013
Moral und Anstand: 9. 2.2013
Interreligiöse Übergriffe: 13. 2. 2013
Du gehörst miiiir!: 19. 2. 2012
Wasser im Haus: 21. 2. 2013
Nachhilfe: 27. 2. 2013
Reisanbau: 18. 3. 2013
Die Bilder im Kopf: 24. 3. 2013
Er ist auferstanden!: 31. 3. 2013
Jagdsaison: 3. 4. 2013
Geldwäsche: 8. 4. 2013
Karneval der Küken: 12. 4. 2013
Extended family: 20. 4. 2013
Stammessprache: Latein: 1. 5. 2013 (Harald)
Kindheitsmuster: 6. 5. 2013
Wer bestimmt unser Leben?: 13. 5. 2013
Wie im Schlaf: 17. 5. 2013
Family First: 20. 5. 2013
Kein Platz für Rumpelstilzchen: 15. 6. 2013
Interkulturelle Kleiderfragen: 21. 6. 2013
Machtspielchen: 5. 9. 2013
Gerne groß: 9. 9. 2013
Der Herr hat‘s gegeben ...: 12. 9. 2013
Erfahrungswissen: 17. 9. 2013
Status und Symbole: 20. 9. 2013
Kuckuckskinder: 27. 9. 2013
Selbsthilfe: 12. 10. 2013
Korrekte Kleidung: 26. 10. 2013
Sponti-Fete: 28. 10. 2013
Pflegende Angehörige: 4. 11. 2013
Die Sache mit dem Fisch: 17. 11. 2013
Entscheidungsfindung: 30. 11. 2013
Ein Brief vom König: 4. 12. 2013
Paroles paroles: 7. 12. 2013
Gast sein: 10. 12. 2013
Männerträume: 11. 12. 2013
Eine Seefahrt: 14. 12. 2013
Keeeksä: 17. 12. 2013
Es begab sich aber zu der Zeit ...: 26. 12. 2013 (Harald)
Nachwort
Vorwort
»Normalerweise gehen die Kinder weit weg und die Eltern müssen sich Sorgen machen. Bei uns ist das andersrum – da stimmt doch was nicht.« So etwa fasste eines unserer erwachsenen Kinder seine Sicht der Dinge zusammen. Und drängte auf regelmäßige Lebenszeichen und Berichte aus Tansania, damit die Familie die Sache aus der Ferne beobachten könne.
Ende 2010 sind wir in Daressalam gelandet, mit der Absicht, mindestens vier Jahre in Tansania zu bleiben. Im Auftrag des Leipziger Missionswerks (LMW) sollte Birgit Pötzsch als »Dozentin an der Bibel- und Handwerkerschule Matema« arbeiten. Harald Bollermann war die interessante Funktion eines »MAP«, eines »Mitausreisenden Partners« zugefallen. Wir waren gut vorbereitet auf unseren Einsatz, unser Missionswerk hatte uns gründlich mit Informationen über die Arbeitsbedingungen an der Schule, die Geschichte der Beziehungen zu Tansania, die Erwartungen an uns versorgt. Als wir uns Anfang Dezember »plötzlich« bei 35° am Flughafen von Daressalam unter dem berühmten Betondach mit den stilisierten Schirmakazien wiederfanden, hatten wir trotzdem alle einschlägigen Zweifel und Befürchtungen im Herzen, die zu so einer Unternehmung gehören.
Unsere Berichte haben wir von Anfang an ordentlich abgeliefert, wie es sich für brave Eltern gehört. Aus den kurzen Schilderungen, zu denen später auch Freundinnen und Kollegen Zugang hatten, ist dieses Buch entstanden. Es ist kein Reisebericht mit spektakulären Abenteuern, sondern eine Reihe von Momentaufnahmen aus unserem Alltag in einem kleinen Dorf im Südwesten Tansanias. Wir erzählen und beschreiben, wie es uns ergangen ist bei unseren Versuchen, mit den Menschen in guten Kontakt zu kommen, uns den Gepflogenheiten des Landes anzupassen und kulturelle Hintergründe zu verstehen. Natürlich ist unsere Sicht beschränkt durch unsere mitgebrachten Einstellungen, eigene kulturellen Prägungen und unsere blinden Flecken. Afrika kann man weder verstehen noch erklären, alle einschlägigen Versuche sind Konstruktionen. Die Form der Kurzberichte ohne inhaltliche Verknüpfung haben wir beibehalten, um deutlich zu machen, dass es sich um subjektive Wahrnehmungen, kleine Bruchstücke handelt, die sich beim Lesen zu einem Bild fügen mögen.
Wer wir sind? Harald Bollermann hat viele Jahre als Gemeindepfarrer und Superintendent gearbeitet und ist seit einigen Jahren pensioniert. Birgit Pötzsch ist ebenfalls Pfarrerin und war zuletzt als Dozentin am Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) tätig. Beide hatten wir Erfahrungen in der kirchlichen Partnerschaftsarbeit und in Gremien der Missionswerke gesammelt und wollten nun die Chance ergreifen, längere Zeit in Afrika zu leben und zu arbeiten und damit die Perspektive zu wechseln. Weiter aufschieben konnten wir unseren Traum nicht mehr, mit neunundfünfzig bzw. siebenundsechzig Jahren gibt es kein »vielleicht später«.
Als einige Freundinnen drängten: »Ihr solltet eure Berichte als Buch herausgeben, das ist auch für andere interessant!«, haben wir zunächst abgewinkt. Zu kompliziert, zu riskant, zu privat. Nun haben wir uns doch dazu entschlossen, alles nochmal durchgesehen, allzu Persönliches, Vorläufiges, Ironisches gestrichen. Alle Namen wurden verändert, garstige Aussagen über Menschen und Gegebenheiten abgemildert. Niemand soll bloßgestellt werden, auch nicht diejenigen, die das Buch gar nicht lesen können.
Mögen unsere Aufzeichnungen dazu beitragen, das Land Tansania und seine Menschen besser zu verstehen und weiter zu lieben.
Birgit Pötzsch und Harald Bollermann
Grüße aus Daressalam
16. 12. 2010
MELDET EUCH! Ich hab's genau im Ohr. Aber es hat nun doch fast zwei Wochen gedauert, bis wir die Sache angehen. Zuerst mussten wir mal schlafen, denn ich war bei der Abreise ein bisschen krank und wir beide total erschöpft. Und dann wollte die Internetverbindung nicht klappen. Man muss ein Modem kaufen und mit einer Telefonkarte bestücken und der PC muss auch noch mitspielen. Das macht dann auch wieder müde.
Unsere letzten Wochen in Deutschland waren richtig hart. Banken und Behörden, Ersatzbrille, Internationaler Führerschein, Zahnarzt, Visum. Computer, Medikamente und Bücher einkaufen. Wohnung auflösen, Auto verkaufen, Arbeit an die Nachfolgerin übergeben, Büro räumen, Seekisten packen. Und dann die ganzen Abschiede. Ooooh.
Das Gefühl, nun endlich hier zu sein, ist unbeschreiblich. Seit über einem halben Jahr begleiten uns jeden Tag Fragen: Wollen wir das wirklich? Sind wir nicht ein bisschen oder ziemlich alt für so was? Was kommt da auf uns zu? Einsamkeit, Ungeziefer, Hitze, Feindseligkeit, Krankheiten? Und halten wir das aus? »Ihr seid aber mutig«, war wohl der häufigste Kommentar unserer deutschen Kollegen und Freundinnen. Häufig klang es eher nach »Ihr seid wohl total bescheuert«. Vielleicht liegt mutig und bescheuert ja unmittelbar nebeneinander in diesem Fall. Aber jetzt sind wir hier. Die Fragen sind noch da, aber die Entscheidung ist gefallen, darum haben sie kein großes Gewicht mehr. Wir sind in Tansania! Und nicht nur mal auf Urlaub, sondern um hier für einige Jahre zu leben und zu arbeiten. Das ist jedenfalls unser Plan.
Wenn wir mal gerade nicht irgendwo rumliegen und dösen, lesen oder Vokabeln lernen, rollen wir Daressalam auf. Ganz langsam natürlich, denn es ist wirklich heiß. Ziemlich selten dudelt irgendwo ein Weihnachtslied. Melodie deutsch, Text kiswahili, Schmelz amerikanisch. Das ist immer etwas befremdlich, denn sonst ist hier gar nichts weihnachtlich. Ich erinnere mich an die Klagen einiger Leute in den zurückliegenden Jahren, es käme ja gar keine Weihnachtsstimmung auf. Was auch immer das ist–hier ist es nicht.
Mein Dienstbeginn
18. 12. 2010
Der Programmpunkt für die ersten Tage im Land hieß: »Akklimatisieren«. Damit ist jetzt genug, wir haben uns endlich auf die Reise nach Matema gemacht. Rund tausend Kilometer mit dem Bus bis weit in den Süden des Landes. Gleich beim Einsteigen wurde Haralds Handy gestohlen. Ein Trick – und wir sind darauf reingefallen. Ein Mann hat Harald in eine unsinnige Diskussion verwickelt und er war so darauf konzentriert, sich zu wehren, dass er das Handy nicht festgehalten hat. Zitat: »Ich wusste ja, dass es irgendwann geklaut wird. Aber dass es gleich am ersten Tag passiert …« Schon sind wir um eine Erfahrung reicher.
Die Busfahrt konnten wir auch nicht recht genießen, denn der Fahrer ist geheizt wie verrückt und hat so halsbrecherisch überholt, dass ich mehrfach dachte, unser Tansaniaaufenthalt könnte sehr frühzeitig enden. Zwischendurch hatte ich solche Angst, dass ich vorschlug, wir sollten lieber aussteigen. Aber was hätten wir dann machen sollen, mitten in der Pampa, ohne Sprach- und Ortskenntnisse? Es fahren ja nur diese Busse und es ist bekannt, dass die Fahrer meistens zu schnell fahren und die Unfallzahlen steigen, weil Busse und Straßen in schlechtem Zustand sind. Es scheint eine Art Wettrennen zwischen den Bussen der verschiedenen Gesellschaften zu geben. Die vielen Wracks am Straßenrand erzählen von den Verlierern.
Zwischendurch gab es zwei Pausen, je zehn Minuten für Klo und Essen kaufen. Am Frauenklo eine lange Schlange von Wartenden. Da kann man sich nur noch Pommes und ein Stück Huhn in einer Plastetüte schnappen und wieder zum Bus rennen. Eine Frau fehlt noch, der Busfahrer hupt durchdringend und fährt dann ohne sie ab. Später, an einer der Haltestellen wäre das fast wieder passiert, Harald war leichtsinnigerweise ausgestiegen. Zehn, zwanzig Busse stehen hintereinander, wenn man sich die Farbe nicht merkt, hat man verloren. Und unser Bus war langsam immer weiter vorgerückt, statt stehenzubleiben. Ich musste meine geballte Autorität und Gestik aufbringen, damit der Fahrer freundlicherweise ein paar Minuten wartete und ich meinen Liebsten einfangen konnte. Bei aller Erschöpfung nach fünfzehn Stunden Fahrt bzw. Raserei waren wir am Ende froh, dass wir überhaupt in Tukuyu angekommen waren.
An der Bushaltestelle in Tukuyu hatte ein Empfangskomitee aus zwei Mitgliedern der Kirchenleitung tapfer auf uns gewartet und geleitete uns nun im Dunkeln zum Hotel. Damit war auch gleich klar: Dies ist mein offizieller Dienstbeginn und mein künftiger Arbeitsort. Wir sind also nicht zum Spaß hier. Das ist schon ziemlich aufregend. Am nächsten Tag eine kleine Führung und eine Vorstellungsrun-de im Verwaltungsgebäude der Diözese (die Konde Diözese ist eine der zweiundzwanzig lutherischen Landeskirchen in Tansania, die zusammen die Evangelisch Lutherische Kirche in Tansania / ELCT bilden). Insgesamt war unser Empfang so freundlich und herzlich, dass wir uns gleich wieder ein bisschen entspannen konnten. »Karibuni-Willkommen«, sagten alle Mitarbeitenden, denen wir vorgestellt wurden. Anschließend wurden wir mit unserem Gepäck in ein Auto verfrachtet. Auf Nebenwegen würden wir nach Matema fahren, erklärte uns unser Begleiter, denn das Auto habe keine Versicherung und man wolle der Polizei nicht auffallen. Die Nebenwege sind ungeteert und voller Steine und Löcher. Die Straße schlängelt sich durch Hügel und Felder und die Landschaft ist einfach ein Traum. Alles ist grün und der Boden offenbar fruchtbar. Die Dörfer zwischen den Feldern wirken gepflegt und einladend, kleine Häuser aus Ziegelsteinen oder Bambusrohren und Lehm, Gärten, Felder, Teeplantagen. Ab und zu weist ein Schild auf eine nahe Grundschule hin. Hier werden wir leben, es ist unglaublich.
Angekommen
21. 12. 2010
Wir sind in Matema! Das könnt ihr euch nicht vorstellen. Ein kleines Dorf direkt am See. Also wirklich klein. Wir sind am ersten Tag weit gelaufen und haben Matema gesucht, weil es auf der Karte aussieht, als läge es weiter links. Und hier ist ja eigentlich nur ein Markt, ein Krankenhaus und ein paar Häuser. Aber da kommt weiter nichts, das IST Matema.
Der Markt besteht aus etwa fünfzehn »Läden«, teils Bretterbuden, teils Tische mit einer Plane gegen die Sonne. Sie verkaufen Gemüse, Kleidung oder Haushaltskram. Stapelweise bunte Plasteschüsseln, Leinen mit Stoffen, Kanister mit Öl. Es gibt auch Frisöre und Getränkehändler. Und leider auch Kneipen. Leider, denn der Tansanier an sich liebt es offenbar laut. Das hatten wir schon auf der Busfahrt festgestellt. Die Anlagen bis zum Anschlag aufgedreht, völlig übersteuert und gern stundenlang die immer gleiche Kassette. Dabei ist die hiesige Popmusik für unsere Ohren keineswegs gut anzuhören. Kurze Melodiesequenzen mit wenigen Harmonien, die sich ständig wiederholen, und das Ganze immer aus voller Kehle gebrüllt. Keine Rede von Trommelmusik und Afri-Folklore. Im Moment bekümmert uns vor allem, dass unser zukünftiges Wohnhaus direkt gegenüber einer solchen Krachmaschine steht. Wir werden da ganz bestimmt verrückt.
Der See ist klar und kühl und es gibt keine Bilharziose, wie sonst in fast allen afrikanischen Binnengewässern. Wir werden jeden Tag baden und die Hitze kann uns nichts anhaben. Und der Krach auch nicht, das wär doch gelacht. Bisher sind wir fest entschlossen, alles gut zu finden, oder zumindest so hinzunehmen, wie es kommt. Wir haben vorläufig eine Wohnung im alten Missionshaus von 1911 bezogen mit zwei Zimmerchen – was für ein Luxus! Frühstück gibt es unten auf der Terrasse des kirchlichen Hostels, Mittagessen in einer der Marktbuden, abends Salat und manchmal auch Brot, je nach Angebot. Morgens lernen wir Vokabeln, mittags spazieren wir durchs Dorf und probieren sie aus. Da gibt es viel zu lachen, was ja nicht die schlechteste Form der Kontaktaufnahme ist. »Ihr werdet das schnell lernen, macht euch keine Sorgen!«, sagt Rehema, die uns jeden Tag das Frühstück macht und sich geduldig für unsere Sprachübungen zur Verfügung stellt. Das möchten wir schon gern glauben, aber ... Andererseits müssten die Leute es wissen, wir sind ja nicht die ersten Weißen, die sich hier einfinden. Freiwillige, also Jugendliche, die nach dem Abi die Welt sehen wollen, Ärztinnen, Ärzte, Krankenschwestern, die dem Krankenhaus helfen, alle möglichen Praktikanten, Helfer und Abenteurer waren vor uns hier und werden nach uns kommen. Für uns ist es ein aufregender Anfang, ein Start ins Unbekannte, für die Bewohner des Dorfes eine eingespielte Sache. Leute wie wir kommen und gehen. Wir wissen nicht recht, was uns hier erwartet – die anderen aber scheinen zu wissen, was sie von uns zu erwarten haben. Gib mir einen Stift, sagt ein kleiner Junge, der an uns vorbeiläuft. Offenbar sind Weiße auch dafür bekannt, dass sie zu viele Kulis haben.
Mama Afrika
27. 12. 2010
Ich brauche dringend was zum Anziehen. Wirklich. Ein paar T-Shirts habe ich mitgebracht, zwei Röcke. Natürlich ist alles schnell gewaschen und ebenso schnell wieder trocken. Aber trotzdem. Nur – wo kauft man hier ein? Es kommt gelegentlich ein junger Mann mit einem Sack voll Altkleider durchs Dorf. Er schüttet seinen Sack einfach vor einem Haus aus und die Nachbarinnen laufen zusammen und gucken, ob etwas Brauchbares dabei ist. Die Männer und die Kinder tragen fast ausschließlich abgelegte Kleidung aus Europa oder den USA. Die Aufdrucke auf den T-Shirts sind manchmal verblüffend, wenn sie einem hier in Ostafrika über den Weg laufen. Da wirbt ein Sanitätshaus aus Bayern um Kunden, eine Abiklasse schickt ihr Motto in die Welt und sogar irgendein längst vergangener Kirchentag ist noch präsent. Ein deutscher Fußballverein nennt sich »Elf kleine Arschlöcher«. Gewiss hat der junge Mann mit dem Hemd keine Ahnung, was auf seiner Brust steht.
Frauen bevorzugen die traditionelle Kleidung, also Rock und Oberteil aus dem gleichen Stoff. Diese Sachen gibt es nicht fertig zu kaufen, sie werden maßgeschneidert. Vor etlichen Häusern stehen Nähmaschinen, da wird sich wohl was machen lassen. Am Tag vor Heiligabend war es so weit. Mary sitzt mit ihrer Tretnähmaschine gleich neben den Tomaten auf dem Markt.
Sie kann kein Wort Englisch, ist aber sehr fröhlich und hat vor allem Geduld. Ich habe mir die Bestellung im Wörterbuch zusammengesucht. »Kannst-du-nähen-Kleid-ich?« frage ich. Sie kann. »Wann?«, will Mary wissen. Die einzige Zeitangabe, die ich kenne, heißt morgen. Aber morgen ist Weihnachten. Ich probiere es also mit »morgen-morgen-morgen«. Wir verstehen uns prima.
Ich setze meinen gesamten Wortschatz ein, um das Kleid zu beschreiben. Entscheidende Begriffe wie weit und eng verwechsele ich offenbar im Eifer des Gefechts, denn Mary kann es nicht glauben. Die anderen Marktfrauen beteiligen sich interessiert an der Beratung und amüsieren sich offenbar köstlich. Mary misst an mir herum und schreibt Zahlen in ein Buch. Derweil sitzt Harald auf einem Schemel und erinnert mich entfernt an die bräsigen Männer, die in Deutschland auf den Sofas vor den Umkleidekabinen abgesetzt werden.
Heute konnten wir das Kunstwerk abholen. Es kneift etwas unter den Armen, aber Mary ist von ihrer Arbeit begeistert. »Mama Afrika! Du siehst gut aus!«, lacht sie. »Kleid-sehr-schön-danke«, stammele ich.
Missionars-Leben
30. 12. 2010 (Harald)
In einer Ecke des alten Missionarshauses, dessen Veranda uns als eine Art Ersatzwohnzimmer dient (hier sitzen wir, um zu lesen, zu schreiben oder wenn