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Bitfäule: Eine Erlangen-Geschichte
Bitfäule: Eine Erlangen-Geschichte
Bitfäule: Eine Erlangen-Geschichte
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Bitfäule: Eine Erlangen-Geschichte

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Dieses Buch macht Angst. Wem? Allen, die heute in der modernen Welt leben und aktiv am Geschehen teilnehmen. Das heißt: Jedem, der nur ein einziges soziales Netzwerk nutzt. Um es genau zu sagen: Man muss nicht einmal an irgendetwas aktiv teilnehmen, denn selbst wer im Koma auf der Intensivstation liegt, wird elektronisch verwaltet und nimmt auf diese Art am Geschehen teil.
Angefangen hatte alles damit, dass man auf den sorgsam aufbewahrten, mühevoll aufgenommenen Musik-Kassetten plötzlich nach 20 Jahren beim „Abspielen“ kaum noch etwas hören konnte, obwohl der Kassettenrecorder einwandfrei in Ordnung war. Es geschah in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dass alle sich darüber wunderten, wie es sein konnte, dass die schönen Hits aus den Siebzigern wie durch Zauberhand von ihren Kassetten verschwunden waren.
Aber was jetzt kommt, hat eine neue Dimension. Nicht bloß für den Einzelnen, sondern für die ganze Welt. Der schleichende Datenverlust geht um. Es droht der große, alles vernichtende Datenverlust. Sein Name: Bitfäule. Ein Horror-Szenario. Aber Martin Saum, ein Bürger mittleren Alters aus Erlangen, der bisher immer unterschätzt wurde, wird dafür sorgen, dass die Welt deshalb nicht untergeht. Nebenbei wird der bis dahin immer als Verlierer geltende Mann auch noch die Frau seines Lebens kennen lernen.
LanguageDeutsch
Release dateAug 31, 2015
ISBN9783739258423
Bitfäule: Eine Erlangen-Geschichte

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    Book preview

    Bitfäule - Petra Fastermann

    gereicht.

    Das Leben zieht so dahin und ereignislos vorbei

    Erst nach Feierabend wird es angenehm

    Nach der Arbeit geht Martin nach Hause und schaltet den Computer ein. Der steht auf dem Schreibtisch in seinem alten Kinderzimmer, in dem er nicht viel verändert hat. Was er an Möbeln besitzt, reicht ihm aus und kann seinetwegen so bleiben. Es genügt ihm, alle paar Jahre die Matratze für sein Bett auszuwechseln – genau dann, wenn sie durchgelegen ist. Seine Mutter kümmert sich um die neue Bettwäsche. Meist gibt es neue, wenn Lidl, Aldi oder Penny ein Sonderangebot mit abstrakten Mustern haben. Martin stört das nicht, denn beim Schlafen hat man ja die Augen zu.

    Martin sammelt Datenspeichergeräte. Das hat sich zu einer kleinen Leidenschaft von ihm entwickelt. Seien dies Kassettenrekorder, die Datasette von seinem ersten C64-Heimcomputer oder Diskettenlaufwerke in unterschiedlichen Größen – von 8 Zoll bis 3 Zoll, einer von Amstrad verwendeten Größe. Besonders stolz ist er auf seinen Sinclair Spektrum mit Microdrive, einer kleinen Kassette mit einem Endlosband, das die aufgezeichneten Daten nur sehr widerwillig preisgibt. Gleichzeitig ist die Ausrüstung für seinen aktuellen Computer immer umfangreicher geworden. Sein Computer-Equipment ist auf dem neuesten Stand: Große Solid-State-Disk statt einer Magnet-Festplatte, Surround-Kopfhörer, eine wassergekühlte Grafikkarte, kalibrierbarer Monitor. Das gehört zu den wenigen Dingen, die ihm wichtig sind und für die er gern Geld ausgibt. Meist sitzt Martin bis spät in die Nacht vor seinem Computer. Mutter bringt ihm einen zweiten Abend-Snack und ein Gute-Nacht-Bier, bevor sie schlafen geht. „Martin, hier ist noch was für dich. Mach’ aber nicht mehr so lang, du musst doch morgen wieder zur Arbeit. Nacht." Sie redet nicht viel. Das macht sie so angenehm, denn Martin kann Leute, die dauernd etwas erzählen wollen, nicht ausstehen. Mutter ist Ende sechzig und noch gut in Schuss. Aber sie erlebt nicht mehr viel. Dennoch könnte sie dauernd aus den guten alten Zeiten erzählen, aber damit verschont sie den Sohn. So gut waren die alten Zeiten gar nicht, aber da hängen die guten Erlebnisse dran. Andere Menschen interessierten sich für sie, die Sorgen und Enttäuschungen des Lebens hatten sich noch nicht tief in die Seele gegraben.

    Überhaupt kümmert Mutter sich wie ein schweigender Schatten um alles. Das hat sie schon immer getan. Monika Saum ist eine ruhige Frau. Sie hängt an ihrem Sohn, aber klebt nicht penetrant. Sie macht ihm andere Frauen nicht mies. An ihr liegt es also nicht, dass Martin Saum keine Freundin hat und nicht auszieht. Wenn es nach ihr geht, kann der Sohn bleiben oder gehen. Sie kommt allein zurecht, kümmert sich aber gern um alles. Sie hat immer schon Martins Leben organisiert, obwohl sie außerdem gearbeitet hat. Seit sie Rentnerin ist, hat sie Zeit, es ihm noch angenehmer als zuvor zu machen. Rund um die Uhr. Mutter Saum ist bescheiden und bedürfnislos. Noch mehr als ihr Sohn, der ebenfalls keine hohen Ansprüche hat. Mutter Saum ist für Martin immer eine Art Kumpel gewesen, der sich ein bisschen ausnutzen lässt. Der stets mehr gibt, als er zurückbekommt. Solche soll es geben. Zusammen kommen die zwei deshalb sehr gut zurecht.

    Fast das Einzige, womit Mutter Saum ihrem Sohn auf die Nerven gehen kann, ist ihr Spaß an Gesellschaftsspielen. Für Martin ist es in Ordnung, wenn Mutter eine Freundin oder zwei einlädt und die Frauen im Wohnzimmer zusammen Schafskopf spielen. Aber es ergreift ihn eine geradezu unendliche Unlust, wenn Doppelkopf gespielt wird und er mitmachen muss, weil eine vierte Person für das Spiel benötigt wird. Natürlich hat Martin nicht das Herz, seiner Mutter den Spaß zu verderben. Für den vierten Mann, der bei dem Spiel gebraucht wird, muss es als Belohnung für den Einsatz an einem solchen Abend aber mindestens vier Flaschen Bier geben. Allzu oft geschieht das allerdings nicht, dass Martin beim Spieleabend dabei sein muss. Diese Abende, so meint Martin, seien „keineswegs vergnügungssteuerpflichtig. Spätestens wenn es etwas zu essen gibt und eine von Mutters langjährigen Freundinnen unweigerlich wieder einmal die Geschichte vom kleinen Martin erzählt, der beim gemeinsamen Omelette-Essen als Fünfjähriger die Sorge hatte, dass in der Eierspeise giftige „fliegende Pilze enthalten sein könnten, sinkt Martins Laune endgültig unter den Gefrierpunkt.

    Sich zu Hause mit der Hausautomatisierung interessant beschäftigen

    Wenn Martin von seiner Arbeit nach Hause kommt, kann er sich jedoch in der Regel ausschließlich seinen privaten Forschungen widmen. Das ist es, wodurch ihm das Leben gelegentlich sinnvoll erscheint. Viel Zeit verbringt er damit, die Hausautomatisierung, die er zu seinem eigenen Vergnügen und – anfänglich – zum großen Unverständnis seiner Mutter eingerichtet hat, zu optimieren. Immerhin ist es ihm inzwischen gelungen, Mutter vom grundsätzlichen Nutzen einer Hausautomatisierung zu überzeugen. Dass einiges einfacher und vieles sicherer wird, hat als Argument ausgereicht, um sie doch ein bisschen dafür zu begeistern. So lässt sich jetzt zentral von allen Räumen aus das Licht ein- und ausschalten sowie die Temperatur steuern. Beim Verlassen der Wohnung kann Mutter am Display sehen, ob irgendwo versehentlich noch ein Fenster offen ist. Martin freut sich, wenn seine Mutter Teile der Haussteuerung gelegentlichem Besuch halb souverän vorstellen kann. Dann ist er manchmal geradezu stolz auf sie.

    Trotzdem fragt sich Mutter Saum oft verständnislos, warum ihr Sohn Gefallen daran findet, endlose Stunden damit zu verbringen, Lichtschalter zu hacken. Gelingt ihm das, verschafft ihm ein gehackter Lichtschalter ein regelrechtes Glücksgefühl, wenn auch nur vorübergehend. Besonders praktisch und erfreulich findet Martin an seiner Hausautomatisierung, dass er damit seiner Mutter von seinem Kinderzimmer aus das Licht im Wohnzimmer ein- und ausschalten kann. Das ist ein verabredetes Zeichen dafür, um ihr mitzuteilen, dass er gerade an sie denkt und nichts dagegen hätte, wenn sie ihm ein Bier oder ein Wurstbrot brächte.

    Open-Source-Software programmieren

    Außerdem beschäftigt Martin sich mit der Programmierung von Open-Source-Software, weil er eigentlich gern teilt und außerdem unterbewusst an eine bessere Welt glaubt. Das will er sich selbst jedoch nicht eingestehen. Denn Gutmenschen nerven ihn nur, und er will auf keinen Fall einer von denen sein. Ebenso würde sich Martin streng dagegen wehren, als „Nerd bezeichnet zu werden. Noch mehr ärgert ihn die seiner Einschätzung nach gesteigert dumme Bezeichnung „Computerfreak, aber so etwas würde wohl nur seine Tante über ihn sagen. Mögen manche vielleicht „Nerd und „Computerfreak auch für Ehrentitel halten. Martin sieht sich als Angestellter im festen Beschäftigungsverhältnis, der bei seiner Mutter wohnt. Das Alltägliche ist für ihn das Normale. Alltag ist, dass Martin bei seiner Mutter wohnt. So ist es für ihn normal. Da ist es ihm gleichgültig, wenn die Leute über ihn als „Muttersöhnchen" reden. Völlig gleichgültig. Man kann es eben nicht immer allen recht machen. Wozu auch, und was hätte er denn davon?

    Wenn Kollegen aus Neugier oder um ihn nach eigener Einschätzung „aus der Reserve zu locken Martin fragen, was er denn so in seiner Freizeit ohne Freundin „treibe, erklärt Martin: „Ich gehe Flaschen sammeln, um damit mein Gehalt aufzubessern." Mit dieser Auskunft erstickt er meist jede weitere Nachfrage im Keim. Gut so!

    Tierfilme im Fernsehen anschauen

    Was ihn wirklich interessiert und womit er sich beschäftigt, würde er denen sowieso nicht sagen wollen. Martin ist auch sicher, dass sie es gar nicht wissen möchten.

    Martin sieht zum Beispiel gern fern. Zu seiner Entspannung schaut er am liebsten Tierfilme. Bei denen gibt es meist keine aufgeregte Handlung zu verfolgen, wenn nicht gerade gezeigt wird, wie ein Löwe ein Gnu reißt. Bei so etwas schaltet Martin um, weil er das nicht leiden kann. Die Filmmusik gefällt ihm bei den Tierfilmen meist besonders gut, denn sie unterstützt die Empathie mit den gezeigten Geschöpfen viel besser als in einem Spielfilm, findet Martin. Zum Zeitvertreib und aus Spaß zeichnet Martin manchmal mit seinem Computer Tierfilme auf. Nachträglich trennt er aufwendig mit einer von ihm verbesserten Software Musik und Kommentar des Films voneinander, um sich später den Film nur mit der Musik noch einmal separat anzusehen. Der Spaß und das Spiel daran sind, dass er versucht, sich den entsprechenden Kommentar zur Szene wieder in Erinnerung zu rufen: Eine Gnu-Herde sucht nach frischem Futter, ein Pferdepaar pflanzt sich fort.

    Regelmäßig „Aktenzeichen XY" schauen, um vielleicht helfen zu können

    Außerdem sieht Martin regelmäßig „Aktenzeichen XY ... ungelöst wegen der seiner Ansicht nach gut gemachten Kurzfilme. Den „Tatort oder ähnliche Kriminalserien mag er weniger, weil ihm die Szenen zu erfunden scheinen und er den ganzen Kult, der darum gemacht wird, deshalb nicht verstehen kann. Trotzdem schaut er recht oft den „Tatort und passt bei jeder Sendung genau darauf auf, ob Fehler gemacht werden, welche ein richtiger Polizeikommissar oder ein richtiger Staatsanwalt nicht machen würden. Wenn bei der Arbeit am Montag in der Kantine die Kollegen begeistert den „Tatort des Vorabends besprechen, dämpft Martin regelmäßig die Stimmung: Sein Beitrag zu diesen Gesprächen ist, welche Recherche- und Umsetzungsfehler er bei der Sendung bemerkt hat. Das heißt, wie weit die erfundene Kriminalsendung von der Wirklichkeit abweicht. Er wundert sich immer wieder darüber, dass das keinen zu interessieren scheint und manche Kollegen ihn für seine genauen und richtigen Beobachtungen nahezu anfeinden. „Aktenzeichen XY" hingegen sieht er gern, weil alles echt ist. Das ist alles ernst, und die Kriminalpolizei bittet um Mithilfe. Bei jeder Sendung hofft Martin darauf, vielleicht einen Beitrag dazu leisten zu können, ein Verbrechen aufzuklären. Bisher hat er jedoch noch nie Gelegenheit gehabt, mit einem zweckdienlichen Hinweis anrufen zu können. Als 1999 nach dem Tiefgaragenmörder aus Erlangen gefahndet wurde, lag Martin zwei Wochen mit Grippe im Bett. Wie sollte er da eine Beobachtung gemacht haben? Wenn er heute daran denkt, wird er immer noch ärgerlich über die verpasste Chance.

    Silvia Schiller

    Frankfurt

    Wenn Silvia Schiller einen Raum betritt, geht die Sonne auf. Sie ist das personifizierte Klischee der Bilderbuch-Traumfrau: groß, blond, schlank und langbeinig. 37 Jahre alt, die ihr aber niemand ansieht. Sie gibt sich auch ein bisschen Mühe, damit das so bleibt. So versucht sie, sich so ausgewogen wie möglich zu ernähren. Außerdem hat sie ein Faible für Slow Food; also ein genussvolles, bewusstes Essen. Nach Möglichkeit isst sie nur regionale Speisen. Silvia weiß, was sie will. Ihr Job: Stewardess. Dass sie immer schon gut aussah, hat ihr sicher das Leben leichter gemacht als anderen, denen dieses Glück nicht von Geburt an mitgegeben ist. Sie ist geschieden – jung gefreit, früh bereut. Es hat ihr stets geholfen, dass sie grundsätzlich optimistisch war. So hat sie sich vom Ehemann im Guten getrennt. Sehen muss sie ihn in diesem Leben nicht mehr, denn Gewimmer wie „wir können doch gute Freunde bleiben" liegt ihnen beiden nicht. Schluss ist Schluss, und so ist jeder zufrieden: Er in der gemeinsamen Eigentumswohnung, die sie zusammen einmal gekauft haben. Sie mit dem, was er ihr dafür ausgezahlt hat. Jetzt wohnt sie allein in einem gekauften Ein-Zimmer-Apartment in Frankfurt. Mehr braucht sie nicht, weil sie sowieso meist unterwegs

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