(M)ein Circustraum: Urlaubserlebnisse einmal anders
()
About this ebook
Michaela Kaiser
Mein Name ist Michaela Kaiser und ich bin 1955 in Berlin geboren. Seit nunmehr zehn Jahren lebe und arbeite ich in Beckum; warum das Schicksal mich mit Beckum belohnt hat, weiß ich bis heute nicht. Ich habe schon in frühester Kindheit gerne geschrieben und gelesen, meine jetzigen Bücher sind ergo eine logische Folge meines Berufes, meiner Hobbys und Vorlieben. Bevor ich also in der Püttstadt gelandet bin, war ich in den meisten europäischen Ländern als Artistin unterwegs. Jedes Jahr in einem anderen Land, jede Woche in einer anderen Stadt, immer auf Achse und selten lange an einem Ort. Als Kind bin ich mit meinen Eltern, ebenfalls Circusartisten, in Italien, Österreich, Ungarn, Rumänien, dem ehemaligen Jugoslawien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland aufgetreten. Später bin ich mit meinem damaligen Ehemann in den Skandinavischen Ländern, Niederlande, Schweiz und lange auch in Deutschland mit dem Circus Krone unterwegs gewesen. Wir haben die Tradition meiner Eltern, einer Reiterdarbietung, fortgeführt und sind damit mehrmals im Fernsehen aufgetreten, u. a. bei „Stars in der Manege“ mit Fritz Wepper, „Salto Mortale“ mit Dunja Rajter, „Circus meines Lebens“ mit Luise Ullrich, „Schwarzwaldmädel“ mit Rudolf Prack, „Mario und der Circus“, „Montagsmaler“, „Worldchampionsships in London“, „Ollies Artistenshow“, „Circus Circus“ mit Freddy Quinn und im Blackpool Tower Circus. In verschiedenen Kinofilmen haben wir die des Reitens unkundige Filmstars gedoubelt: „Phantom des großen Zeltes“ mit Rene Deltgen, „Romanze eines Pferdediebes“ mit Yul Brynner, „Die drei Leben der Tomasina“ mit Patrick McGoohan. Da ich mit drei Jahren das erste Mal in der Manege aufgetreten bin, habe ich nach 35 Artistenjahren den roten Ring jüngeren Kollegen überlassen und mich in der Folge zehn Jahre lang der reisenden Gastronomie gewidmet. Als das Unternehmen, bei dem mein jetziger Lebensgefährte als Betriebsleiter beschäftigt war, mit der Euroumstellung Insolvenz anmelden musste, bin ich, unerwartet und überraschend, in Beckum gelandet. Jetzt lebe und arbeite ich also in dem schönen Städtchen an der Werse. Pferde habe ich keine mehr, dafür zwei Hunde, die mit mir, meinem Lebensgefährten und meinen Vater unser Haus bevölkern. Unser letzter Adoptivhund, er stammt aus der verhinderten Tötung in Ungarn, lebt erst seit einem halben Jahr bei uns. Ohne Hunde könnte ich nicht froh werden, sie gehören zu meinem Leben, genauso wie das Schreiben.
Read more from Michaela Kaiser
Bleib wach und lies!!: Gedankenwolken Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsCircus - ohne Wenn und Aber Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Related to (M)ein Circustraum
Related ebooks
In Cuxhaven: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEine Flucht nach vorn: Drogen, Gott & Rock 'n' Roll Band 1 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer will nur spielen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGo East 2014: Eine Reise in die Ex-DDR Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsOut of Freilassing: Abenteuer des Katers Luke Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVom Tatort bis zu den lieben Schnecken: Dieses Buch soll deine Lebensgeister wecken Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsÜberall zu Hause, nirgendwo daheim Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKuhstallaffäre: ein Frankenkrimi Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMax M. Häfele und der Millionendieb Rating: 1 out of 5 stars1/5Irrlicht und Feuer Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIch bin die Freude meines Alters: Alte und neue Geschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Geheimnis der Maunski Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsÜber die Wupper und zurück Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsHangover-Storys: Die irrsten Sauf- und Raufgeschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRousseaus Traum Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie wundersame Dame im Spiegel: Eine etwas andere Hundegeschichte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNaheliegend: Humorvolle Geschichten aus Monzingen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUmba: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNormal passiert da nichts Rating: 0 out of 5 stars0 ratings24 Toedliche Geschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNacht über dem Himmel Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPilgerreise Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGamaschen Fynn: ....ein Kater erzählt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSpukende Vogelfalter Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNacht über Maspalomas Rating: 0 out of 5 stars0 ratings110 Gedichte: meistens gereimt formstreng und von unterschiedlichem Versmaß oft lustig manchmal auch nicht, aber immer knackig Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTrotzdem schade, dass die Jugend vorbei ist: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLeichte Böden: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchöne Festtage: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZweistromland: Roman Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Reviews for (M)ein Circustraum
0 ratings0 reviews
Book preview
(M)ein Circustraum - Michaela Kaiser
Inhaltsverzeichnis
Teil 1
Ankunft
Der erste Tag
Abbautag
Aufbau in Ansbach
Es ist viel zu tun
Eine Nachtfahrt
Schon wieder verschlafen
Kaffeemangel
Elfenbeinstadt
Am Sonntag
Onyx
Halbzeit
Nacht und Nebel
Reifen und Gas
Noch eine Woche
Es ist Samstag
Platzreinigung
Teure Brötchen
Endlich viel Platz
Pannenhilfe
Westfalenhalle
Unterwegs mit dem Senior
Fotos und Dankeschön
Der letzte Tag
Teil 2
Acht Reifen Richtung Minden
Eine Tennisnacht
Die falsche Kneipe
Postamt Dortmund
Besuch bei Krone
Der Schuhkauf
Kino fällt aus
Gaskauf
Vorkommando
Stanislaus
Stanislaus die Zweite
Junggesellenkontrolle
Die Anzeige
Kamerafieber
Feiertag
Geburtstag
Kino
Nochmal Unna
Das Angebot
Winterlich
Sturmwarnung
Eine Autofahrt
Der letzte Stanislaus
...und tschüss
Die letzte Stadt Freitag
Die letzte Stadt Samstag
Die letzte Stadt Sonntag
Prolog
Teil 1
19. Oktober – 3. November 1984
Ankunft
Als ich heute Nacht um 3:30 Uhr auf dem Circusplatz in Aalen ankomme, fühle ich mich, als wäre ich nach Hause zurückgekehrt und ich kann sagen, dass ich selten in meinem Leben so glücklich war. Ich stelle mein Gespann seitlich neben den Zaun und schalte den Motor aus. Der Platz ist dunkel, eine tiefe und geheimnisvolle Stille liegt über der Zeltstadt. Ich kann es fast noch nicht glauben, dass ich jetzt hier bin. Nach so vielen Jahren, wieder dabei zu sein, wenn auch nur für kurze drei Wochen...leise schließe ich die Autotür, greife zu den stets präsenten Zigaretten und lehne mich an die noch warme Motorhaube. Mein Glimmstengel erhellt die Nacht als einziges Lebenszeichen, tief atme ich ein und fast augenblicklich werden Kindheitserinnerungen wach … dieser unvergleichliche Circusgeruch nach Sägemehl, Dung und Leinwand … wie habe ich das vermisst!
Die ersten elf Jahre meines Lebens habe ich in solchen Zeltstädten verbracht, Zeltstädten mit berühmten Namen: Sarrasani, Kreiser-Barum, Krone, Giganten der Nachkriegszeit, immer unterwegs, immer auf Achse. Mein Vater war als Maler bei diesen Unternehmen angestellt, meine Mutter eine versierte Schneiderin, ich konnte mir kein anderes Leben vorstellen. Die oftmals wechselnden Schulbesuche störten mich nicht, denn mein Leben war der Circus und ohne ihn … nein, das war kein Leben. Und dann kam doch alles anders. Plötzlich hieß es:
Der Bub geht in den großen Ferien zur Oma!
Und ich wurde in den Zug gesetzt und nach Bitterfeld geschickt. Als ich nach sechs Wochen wiederkam … kein Circus mehr. Der bunte Circuswagen, nun in einem tristen flaschengrün, war in einem Hinterhof geparkt und ich sollte in eine feste Schule gehen. Die Mutter sei krank, hieß es, wir müssen jetzt sesshaft werden. Meine Verzweiflung, meine Tränen, meine Sehnsüchte wurden hinweg gewischt, weder Vater noch Mutter zu Erklärungen bereit und ich war allein, allein mit dem, was mir die Erinnerungen an den Circus gelassen hatten.
Langsam komme ich in die Wirklichkeit zurück, als mir die Kippe die Finger versengt. Ich trete sie aus und mache mich an einen Rundgang. Jacomo hatte gesagt, ich soll ihm Bescheid sagen, wenn ich ankomme, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er das auch um diese Uhrzeit gemeint hat. Ich werde bis morgen früh warten, dann kann er mir einen Stellplatz zuweisen, bis dahin geht es auch ohne Stromanschluss. Langsam umrunde ich das Areal. Hier und da ist ein Zaunteil nicht richtig eingehängt und ich richte es leise. Am hinteren Platzende schließen die Tierzelte das Gelände ab und ich höre Kaugeräusche, leises Schnauben und einen dumpfen Schlag, wahrscheinlich eines der Pferde, das gegen die hölzerne Boxenwand schlägt.
Weiter um die nächste Ecke stehen die Campingwagen, sauber aufgereiht, mit exaktem Abstand, aber auch hier kein Laut, kein Lichtschein, alles schläft. Am Haupteingang sind die Fassaden- und Kassencontainer fest verschlossen, irgendwo klingelt ein Telefon. Um diese Uhrzeit, denke ich verwundert, aber da ist es schon wieder still. Ich beende den Rundgang und komme wieder an meinem Campingwagen an. Der Motor des Chevrolet knackt leise beim Abkühlen und endlich spüre ich die Müdigkeit der langen Fahrt. Ich beschließe, die Katzenwäsche sein zu lassen, falte meine zwei Meter in das schmale Bett und bin augenblicklich eingeschlafen.
Der erste Tag
Aus meinem traumlosen, erschöpften Schlaf weckt mich am frühen Morgen der dröhnende Motor eines Gabelstaplers. Es ist schon Ende Oktober und die herbstliche Kühle hat sich bis in mein Bett geschlichen. Hätte ich doch besser gestern Abend noch die Gasheizung angeworfen! Na ja, es hilft nix, raus aus den Federn und rein in die feucht-kalten Klamotten. Rasieren ist nicht heute morgen und für den ersten, wichtigen Koffeinschub fehlt mir der Stromanschluss.
Also marschiere ich erst einmal zum Bürowagen, um mich anzumelden. Einige Frühaufsteher rufen mir ein fröhliches: „Hallo!" zu und der Staplerfahrer braust an mir vorbei. Im Büro sind Rainer und seine Schreiberlinge schon fleißig. Hier bekomme ich auch meinen ersten Kaffee und kann mich ein wenig aufwärmen.
„Hat es doch geklappt mit dem Urlaub! freut sich Rainer. Wir hatten in den letzten Wochen öfters miteinander telefoniert und er war immer sehr besorgt gewesen, dass ich dann doch nicht kommen würde. Sein faltiges Gesicht, a-la trauriger Hund, verzieht sich zu einem Grinsen. „Glaub ja nicht, dass du hier auf der faulen Haut liegen kannst, wir finden schon was, um dich zu beschäftigen!
Daran habe ich keinen Zweifel, zumal ich auch schon von einigen Artisten Aufträge bekommen habe. Hier einen Camping neu lackieren, dort ein Führerhaus vom LKW ausbessern und bei einigen Requisiten ist noch etliches zu tun. Ich habe natürlich allen zugesagt. Nebenbei möchte ich noch recht viele Fotos schießen, auch davon sind schon viele vorbestellt, und dann wechseln wir ja alle zwei Tage die Stadt.
„Ja, weiß ich schon, jetzt geh ich erst mal und suche Jacomo, ich möchte doch gerne den Camping stellen und vielleicht irgendwo eine Mütze Strom abkupfern!"
Jacomo ist nicht nur der betriebseigene dumme August, sondern auch noch der Platz- und Fahrzeugmeister. Er bestimmt, wer, wo und wie seinen Campingwagen stellen darf und wehe, es stellt sich einer ohne sein Einverständnis in die Reihe! Dann ist Schluss mit lustig!
Ich finde Jacomo in der offenen Tür zu seinem Camping, als er gerade dem Hund seines Bruders zu erklären versucht, dass der morgendliche Spaziergang ausfallen muss und dieser sein Geschäft gefälligst hier und sofort erledigen soll.
„Morgen, Jacomo, der Chef hat mir erlaubt, drei Wochen lang mitzufahren und jetzt brauche ich einen Stellplatz!"
„Weiß ich nichts von, hat er nicht mit mir abgesprochen!" aber ich sehe kleine, verschmitzte Lachfältchen um seine Augen und weiß, das er wieder mal nur Unsinn redet. Ein bevorzugter Zeitvertreib von ihm. Damit kann er andere in den Wahnsinn treiben und er hat da ganz spezielle Zielobjekte.
„Na, komm, hier entlang!"
Ich trotte hinter ihm her, denn obwohl er mir kaum bis unter die Achseln reicht, erreicht er doch eine beachtliche Geschwindigkeit. Er zeigt mir den Platz und ich bugsiere mein Gespann neben den dort stehenden Camping, dessen Bewohner offensichtlich noch geschlafen hatte. Ein Zipfel der Gardine hebt sich und ein missmutiges Auge lugt hervor, meine Caravanstützen quietschen aber auch gotterbärmlich, vielleicht hätte ich sie zu Hause doch noch fetten sollen. Aber dann habe ich die vier Stützen fest herunter gedreht und mache mich nun auf die Suche nach einer freien Steckdose.
Dabei treffe ich Ruth, die mir den Weg zum Stromverteiler weist. Dort schreiben wir den Zählerstand auf und sie leiht mir noch eine Kabeltrommel, da meine 30 Meter Kabel bei weitem nicht ausreichen. Ich kann mich ärgern, denn zu Hause habe ich noch etliche Kabeltrommeln, aber in meiner Blauäugigkeit habe ich einfach angenommen, dass ein kurzes Stück Kabel ausreicht. Doch Ruth sagt, dass es ihr nichts ausmacht mir das Kabel zu leihen und dann geht sie wieder zu ihrer Arbeit in den Bürocontainer.
Dieser Circus ist insofern einzigartig, da Big Boss Franzi die Circuswagen abgeschafft und sein komplettes Geschäft in und auf Containertransporte umgestellt hat. In Circuskreisen wird er deshalb nur Kisten – Franz genannt, was er offensichtlich als Kompliment betrachtet. Anfangs wurde er belächelt, was sich aber bald legte, als die Effizienz seines Konzeptes aufging und er damit eine Menge an Zeit und Arbeitskräften einsparte. Seine neuen Ideen machten Schule und wurden bald von den einstigen Zweiflern kopiert. Auch die Tiere haben spezielle Container und werden am neuen Platz in die Stallzelte ausgeladen. Büro, Kasse, ja, selbst die Unterkünfte für die Arbeiter und Angestellten wurden in eigens dafür gefertigte Container verlagert. Auch haben alle Packwagen ausgedient und wurden durch die Container ersetzt. Allein die Artisten, die mit ihrem eigenen Transport anreisen, verbreiten mit Campingwagen den üblichen Circusflair.
„Kannst ja nachher auf einen Kaffee vorbei kommen!" ruft mir Ruth noch zu.
Ich tigere noch ein bisschen über den Platz und aus allen Ecken scheinen sie nun aufzutauchen, die Artisten und Angestellten. Bald habe ich gefühlte dreihundert mal „Hallo" gesagt und genauso oft erklärt, dass ich jetzt drei Wochen mitfahre. Wieder am Haupteingang angekommen treffe ich auch Franzi´s Partnerin Martina. Die Lebensgefährtin vom Big Boss bleibt eine Zigarettenlänge bei mir stehen, hat noch zwei Aufträge für mich und dann treffe ich endlich den Chef persönlich. Ich will mich dafür bedanken, dass ich die drei Wochen Urlaub hier verbringen darf, aber er drückt mir nur leicht grinsend und etwas abwesend die Hand. Offensichtlich bin ich somit in den Kreis der Fahrenden aufgenommen.
Gerade will ich mich meinem Heim zuwenden, um mir noch einen Kaffee zu machen, als Annemarie, ein hüpfender Laufmeter, aus ihrem Kassencontainer auftaucht und verkündet:
„Ich gehe in die Stadt, kommste mit?"
Klar, ich muss ja noch Ansichtskarten für die Zurückgebliebenen kaufen. Brötchen für meinen ewig hungrigen Magen könnten auch noch drin sein. So dackeln wir los, Annemarie, kaum mehr als halb so groß wie ich, ein ständig quirliger und selten stiller Weggefährte. Da die Kasse immer der erste Anlaufpunkt beim Circus ist, weiß ich nicht mehr, wie oft ich ihr Gesicht hinter dem runden Guckloch schon als erstes begrüßt habe. Irgendwie hatte sie immer Dienst, wenn ich zu Besuch kam. Annemarie ist auch so etwas wie die zentrale Informationsquelle am Geschäft, sie weiß meistens als erste, was so läuft, wer neuerdings mit wem und warum. Ich fragte mich schon manches mal, wie sie das so in ihrem engen Kassenkabuff alles mitkriegt, aber so ist sie, immer informiert und nicht bange, wichtige Informationen auch weiterzugeben. Allerdings ist sie wählerisch mit den Empfängern. Ich fühle mich privilegiert, dass ich zum engen Kreis derer gehöre, die Annemaries Infos aus erster Hand bekommen.
Annemarie macht ihre Besorgungen und dann suchen wir nach Ansichtskarten. Als wir das Geschäft erreichen, ist aber schon Mittagspause und sie sagt:
„Das macht nichts, kannst Circuspostkarten nehmen!" welche ich ihr nach der Rückkehr auch gleich abkaufe. Blöd, hätte auch sofort die Briefmarken besorgen können, na ja, morgen ist auch noch ein Tag.
Fast ist schon Zeit für die erste Vorstellung. Am Haupteingang sammelt sich eine beachtliche Menschenmenge und ich beeile mich, damit ich vorher noch einige Brötchen spachteln kann. Kaum erklingt der erste Trompetenstoß, bin ich auch schon auf meinem Platz. Ich habe beschlossen, die Kamera im Wagen zu lassen und genieße die erste Vorstellung mal ohne Linse. Ich bleibe ja noch eine Weile und die vielen Fotos, die schon bestellt wurden, kann ich auch noch in den nächsten Tagen schießen.
Ich suche mir einige gute Motive und kann es dann doch nicht lassen, schon in der Abendvorstellung anzufangen. Immer muss ich mich bremsen, sonst hätte ich wohl gleich am ersten Abend zehn Filme voll gehabt.
Auch in der Präsentation seiner Show geht Franzi innovative Wege. Es ist ihm nicht genug gewesen, die einzelnen Darbietungen aneinander zu reihen, er hat seiner Vorstellung ein Thema gegeben: „Das verzauberte Lachen." Die beiden Clowns Pipo und Jacomo eröffnen die Show damit, dass sie sich auf die Suche nach dem verzauberten und somit verlorenen Lachen begeben und nach fast jeder Darbietung erscheinen sie wieder und berichten von ihrem Fortschritt.
Zwischendurch gehe ich immer wieder ins Restaurationszelt zu Gino und Malika, wo ich immer einen Kaffee auf lau bekomme.
„Endlich mal ein paar Leute mehr! bemerkt Gino. „War gar nicht so gut die letzten Städte. Mehr als halb voll war es nie!
Halb voll, das deckt gerade die Unkosten. Auch Malika macht ein frohes Gesicht.
„Oh ja, heute läuft es endlich mal wieder besser!"
Klar, wenn wenig Leute im Zelt sind, dann macht auch die Gastronomie wenig Umsatz. Wobei die Leute natürlich weiter bezahlt werden wollen und auch die Pacht wird nicht gestundet.
Big Boss Franzi pirscht in seiner gewohnten Art durchs Zelt. Er trägt seinen üblichen Gesichtsausdruck, nämlich so, als wäre er mit seinen Gedanken ständig woanders. Doch ich weiß, dass er seine Augen überall hat und jede Kleinigkeit registriert.
Nach der Vorstellung treffen wir uns alle noch in der kleinen Kneipe vom Eisstadion. Und hier lerne ich Franzi von einer ganz anderen Seite kennen. Abgeschaltet und losgelöst vom Tagesstress erzählt er lustige Geschichten, sitzt mit uns an einem Tisch und trinkt ein ums andere Bierchen mit. Ich fühle mich sauwohl in diesem Kreis und merke gar nicht, wie die Zeit vergeht. Der Wirt wird gegen halb zwei etwas ungehalten und meint, es wäre Feierabend, aber alle überreden ihn zu noch einem Bierchen. Flugs ist es halb drei und jetzt meinen die ersten, es wäre doch wohl an der Zeit, zu gehen.
Dann kommt die Bezahlaktion, wobei jeder für sich zahlen will, der Wirt aber alles auf eine Rechnung geschrieben hat. Nun muss das auseinanderklabüstert werden, das bringt einige Diskussionen mit sich. Am Ende sind noch ein halbes Dutzend Bier offen, die aber niemand getrunken haben will. Ich war es nicht, denn ich hatte nur drei Cola.
Dem Wirt wird das zu viel, er zerreißt mit einem Schwung die Rechnung und meint:
„Leute, wir sind quitt, tschüss!"
Die Hälfte hatte sich eh schon verabschiedet und ich bin unter den letzten, die das heimelige Kneipchen verlassen. Und wieder ist es halb vier, als ich mich müde in mein Bett falte. Na, wenigstens habe ich heute an die Heizung gedacht!
Abbautag
Schon früh an diesem Sonntagmorgen bin ich beschäftigt, Kaffee aufbrühen und frühstücken, dann ins Büro. Ich hatte vergessen, dass Sonntag ist, also wird es wieder nichts mit den verschickten Postkarten, keine Briefmarken! Dann müssen die Daheimgebliebenen eben bis morgen warten.
Vor dem Bürocontainer sitzt der Joschl, einer der Pferdekutscher auf einem Stuhl und hält sich die Brust. Erschrocken frage ich ihn:
„Ist was passiert? Hast du Schmerzen?"
Erschöpft winkt er ab. Da kommt auch schon Schrammerl, eigentlich heißt er Georg Schramm, mit dem Autoschlüssel in der Hand aus der Tür. Schrammerl ist so etwas wie das Mädchen für alles und „darf" helfen, wo er gerade gebraucht wird.
„Was hat er denn?" will ich von ihm wissen.
„Der Pluto hat ihn volle Kanne vor die Brust getreten, er konnte wohl seine Fahne nicht ab, ja ja, so ein Pferd ist gar nicht so dumm, wie es aussieht! So, jetzt komm, los geht’s!"
Damit fasst er den Joschl unterm Arm und schiebt ihn zur betriebseigenen „Eierkiste", das ist das Fahrzeug, das von jedem benutzt werden darf. Allerdings macht es niemand sauber, denn niemand fühlt sich zuständig, und dem entsprechend sieht es auch aus.
Kaum ist Schrammerl um die Ecke verschwunden, taucht A.P. auf und fängt sofort an, herum zu brüllen.
„So ein Scheißladen, nie ist einer da, wenn man ihn braucht, und jetzt ist auch noch die Eierkiste weg, ich muss den Kleinen zum Arzt fahren, der hat Fieber, der kann nicht arbeiten heute, nicht ohne Arzt, wo ist der Idiot denn mit der Eierkiste hin!"
Rainer streckt seinen Kopf aus der Tür.
„Was haste denn? Wer ist krank?"
„Der Kleine ist krank, ich muss zum Arzt!"
„Na, wärste früher gekommen, hätte der Schrammerl dich mitgenommen, warte, ich ruf dir ein Taxi!"
„Taxi, so ne Scheiße, wer soll das denn bezahlen!"
Aber dann beruhigt er sich, das Taxi kommt und A.P. packt sich seinen Kleinen, das ist sein zwergwüchsiger Partner aus der Clownnummer, und sie fahren zum Krankenhaus. Rainer lädt mich ins Büro ein, dort ist Herr Ulrich schon wieder fleißig, und wir trinken noch einen Kaffee zusammen.
Die frühe Nachmittagsvorstellung an