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Mantegna
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Mantegna

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Als Humanist, Geometer und Archäologe ein Mann von herausragender Intelligenz und Phantasie, übte Mantegna dank seiner imposanten Persönlichkeit eine starke Wirkung aus. Er experimentierte mit optischer Illusion und war ein Meister der Perspektive. Seine Ausbildung als Maler erhielt er an der Schule von Padua, zu deren früheren Schülern Donatello und Uccello gehörten. Schon im jungen Alter wurde er mit Aufträgen überhäuft. Berühmt aus dieser Zeit sind seine Ovetari-Fresken in der Eremitani-Kirche in Padua. Innerhalb kürzester Zeit fand Mantegna dank seiner originellen Ideen eine Nische als “moderner” Maler. Seine Eheschließung mit Nicolosia Bellini, Schwester von Giovanni, öffnete ihm die Tore nach Venedig.
Seine künstlerische Reife erreichte er mit seinem Triptychon für die Kirche von San Zeno in Verona. Er wurde zum Hofmaler einer der berühmtesten Familien Italiens, der Gonzaga in Mantua. Als sein Hauptwerk und Geniestreich gilt die Ausmalung der Camera degli Sposi im Schloss von Mantua. Dies ist die erste illusionistische Raumdekoration mit einem Deckenbild. Trotz seiner Kontakte zu Bellini und Leonardo da Vinci weigerte sich Mantegna, deren innovativen Umgang mit Farbe zu übernehmen oder seine eigene Technik als Kupferstecher aufzugeben.
LanguageDeutsch
Release dateSep 15, 2015
ISBN9781783106509
Mantegna

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    Mantegna - Joseph Manca

    Anmerkungen

    1. Die Heilige Familie mit Johannes dem Täufer und der Heiligen Elisabeth, ca. 1485-1488.

    Tempera und Gold auf Leinwand, 62,9 x 51,3 cm. Kimbell Art Museum, Fort Worth.

    Einleitung – Mantegna als künstlerischer Revolutionär

    Die Kunst von Andrea Mantegna (ca. 1431 bis 1506) hat sich über lange Zeit einen großen Reiz bewahrt. Von dem eindrucksvollen Illusionismus seiner frühesten Werke (Abb. 4) bis hin zu der narrativen Kraft seiner reifen Bilder (Abb. 2) blieb Mantegnas Kunst dramatisch, heroisch, lebendig und emotional. Seine Bilder weisen einen beeindruckenden Detailreichtum auf: Adern und Haare, Kiesel und Grashalme sind mit unglaublicher Sorgfalt wiedergegeben. Selbst in seinen größten narrativen Bildern bildete er die profanen Einzelheiten der irdischen Existenz ab und zeigte zum Trocknen aufgehängte Wäsche und zerfallende Gebäude. Mantegna interessierte sich zudem nicht nur für die menschliche Natur, sondern auch für moralische Fragen. Die vielleicht bemerkenswerteste Eigenart seiner Bilder sind die zahlreichen Verweise auf das klassische Altertum. Kein anderer Künstler des 15. Jahrhunderts hatte ein so tiefes Verständnis für diese Zeit und nahm in seine Werke in einem vergleichbaren Umfang die Kleidung, Stofffalten, Architektur und Inschriften sowie die Motivwahl, die ethische Haltung und weitere Aspekte des klassischen Altertums auf. Dabei ist seine Vision der griechisch-römischen Zivilisation im Gegensatz zu dem kühlen Klassizismus späterer Jahrhunderte lebendig und durch eine vertraute und nostalgische Note charakterisiert. Für Mantegna war die Antike eine nahe gelegene, greifbare Erscheinung, die er immer wieder zum Leben erwecken wollte. Es ist diese Sehnsucht nach einer verschwundenen Vergangenheit, die Mantegna am stärksten in den Kontext seiner Zeit einordnet. Seine Kunst wurde von seinen Zeitgenossen, die sein visionäres Bestreben, die moralische Kraft und den für die Kunst der Antike charakteristischen Realismus wieder zu beleben, teilten, sehr geschätzt.

    2. Abstieg in die Vorhölle, ca. 1490.

    Tempera auf Holz, 38,2 x 42,3 cm. Privatsammlung.

    Mantegna war eine Leitfigur der in seiner Zeit stattfindenden Regeneration der Kultur, einer Bewegung, die wir Renaissance, also Wiedergeburt, nennen. Im 15. Jahrhundert war die antike Zivilisation ein Entdeckern offen stehendes eigenes Universum. Sie bot eine Alternative zu der engen mittelalterlichen Welt des scholastischen Denkens und der christlichen Theologie. Die Orientierung am klassischen Altertum bedeutete die Befreiung des Geistes und die Freude an literarischen Studien. Die Künstler und Autoren der Antike erfreuten sich ungehemmt an den Reizen der materiellen Welt, eine Haltung, die Mantegna und viele seiner Zeitgenossen mit ihnen teilten. Die Menschen der Renaissance fanden in schon weit zurück liegenden Jahrhunderten geistige Vorfahren, die ähnlich über Tugenden und Laster dachten und deren säkulare Sensibilität eine realistische Kunst bevorzugte, die in ihrer formalen Perfektion und ihren harmonischen Proportionen gleichzeitig idealisiert war. Mantegna malte seine Visionen des klassischen Altertums für Enthusiasten, für Männer und Frauen, die im ursprünglichen Wortsinn Dilettanten waren und sich an ihren neuen Entdeckungen erfreuten. Mantegnas Leben und Werk leisteten einen Beitrag zu der feierlichen und durch eine gehörige Portion Eigenlob charakterisierten Atmosphäre, die ein wichtiges Element der Kultur der Renaissance war. Einige moderne Gelehrte vermeiden den Begriff Renaissance und beschreiben die Kultur Italiens von 1400 bis 1600 nicht als eine Periode des Selbstbewusstseins und einer großartigen Wiedergeburt von Werten, sondern als eine Zeit widerstreitender Interessen, als eine zögerliche und widersprüchliche Welt, in der die Menschen sich vorsichtig ihren Platz in der Gesellschaft suchten. Texte aus dieser Zeit artikulieren jedoch eine Mentalität, die nicht annähernd so zögerlich und ängstlich ist, wie uns diese Wissenschaftler glauben machen wollen. Die Renaissance hatte ohne Zweifel ihre politischen Krisen und sozialen Verwerfungen. Es ist allerdings notwendig, sich das Gesamtbild vor Augen zu halten: in Italien führende Künstler, Mäzene und Intellektuelle waren der Überzeugung, in einer Zeit der Wiedergeburt zu leben und halfen mit großem Einsatz, eine neue Ordnung der Dinge zu schaffen. In der visuellen Welt sahen die Kunsthistoriker der Renaissance – z.B. Lorenzo Ghiberti (1378 bis 1455), Leon Battista Alberti (1404 bis 1472) und Giorgio Vasari (1511 bis 1574) – das Mittelalter eindeutig als eine dunkle Periode und ihre eigene Zeit als ein Zeitalter der Aufklärung und der Verbesserung des Menschen. Sie blickten voller Bewunderung auf die Errungenschaften der Griechen und Römer zurück und propagierten nicht etwa eine simple Imitation des Altertums, sondern traten dafür ein, die Ideale und Werte zu adaptieren, die die Gesellschaften des Altertums dem auf sie folgenden kulturellen Niedergang überlegen gemacht hatten: die Vernunft, die Akzeptanz der Naturgesetze und ethische Mäßigung. Die Wiedergeburt der Malerei war einer der wichtigen Aspekte der Renaissance. Die durch ihren lebendigen Realismus und die Kenntnis des Altertums charakterisierten Bilder Mantegnas verkörpern die Kunst der frühen Renaissance viel besser als die Bilder jedes anderen Künstlers des 15. JahrhundertBezogen auf einen Maler, der in den relativ provinziellen und weitab der blühenden kulturellen Zentren Rom, Florenz und Venedig gelegenen Städten Padua und Mantua geboren und ausgebildet wurde, ist dies eine außergewöhnliche Feststellung. Irgendwie gelang es Mantegna jedoch, die avantgardistischen intellektuellen Ideen seiner Zeit aufzunehmen und einen Stil zu entwickeln, der ihn von seinen Zeitgenossen absetzte. Seine größte Leistung bestand darin, dass er in seinen Bildern die mittelalterlichen Traditionen nicht einfach fortführte, sondern gegen sie kämpfte. Die im frühen 15. Jahrhundert aktiven älteren gotischen Maler klebten an der sanften, weichen, traumähnlichen Vision, die wir mit der Welt des Spätmittelalters verbinden. Darüber hinaus zogen es viele der so genannten Renaissancemaler des 15. Jahrhunderts vor, diese elegante und idyllische Tradition nicht zu verwerfen. Maler wie Fra Angelico (zwischen 1395 und 1400 bis 1455), Alessandro Botticelli (um 1445 bis 1510), Pietro Perugino (um 1448 bis 1523) und sogar Leonardo da Vinci (1452 bis 1519) nahmen in ihre Kunst nach wie vor einige der eleganten und dekorativen Aspekte des gotischen Stils auf. Mantegna jedoch stellte sich gegen den mittelalterlichen Stil und widmete sich schon in einem frühen Alter der Zerstörung eine älteren künstlerischen Tradition und der Schöpfung einer neuen malerischen Vision. Weiche Oberflächen und schläfrige Bewegungen machten klaren Umrissen und viriler Aktivität Platz.

    3. Sandro Botticelli, Heiliger Augustinus in der Schreibstube, 1494.

    Tempera auf Holz, 41 x 27 cm. Uffizien, Florenz.

    Zu Mantegnas Lager gehörten aber auch noch weitere Maler, die teilweise seine Vorgänger und Revolutionäre waren: Masaccio (1401 bis 1429), Piero della Francesca (zwischen 1415 und 1420 bis 1492) und Andrea del Castagno (vermutlich 1419 bis 1457) gehören zu den wichtigen italienischen Künstlern, die sich zuerst einem neuen kraftvollen und monumentalen Stil zuwandten. Diese Künstler reagierten ebenfalls auf die süßliche gotische Tradition. Mantegna stand durchaus in der Schuld einiger älterer Meister, die den Weg für ihn bereitet hatten. Er war bei seinen archäologischen Studien und seiner bewussten Wiederbelebung der griechisch-römischen Zivilisation jedoch radikaler als jeder vorhergehende Maler des Quattrocento (des 15. Jahrhunderts). Die Ergebnisse dieser historischen Einstellung sind es, die Mantegnas Kunst sowohl für seine Zeitgenossen als auch für uns so faszinierend machen. Mantegna vernachlässigte in seiner Kunst kein Detail, seine Werke basieren auf ausgedehnten und begeisterten Studien. Der junge Maler aus Padua erschuf einen die frühe Renaissance verkörpernden Stil, der einen plausiblen Realismus und eine stichhaltige Erzählkunst mit dem Versuch kombinierte, die visuelle Welt des Altertums zu rekonstruieren. Seine besondere Leistung als ein am Altertum orientierter Maler wurde von vielen Beobachtern erkannt, darunter Giovanni Santi (zwischen 1430 und 1440 bis 1494), der Vater des Malers Raffael, der über Mantegna sehr hellsichtig bemerkte: Kein Mensch nahm je den Pinsel oder den Bleistift in die Hand oder benutzte sie, der mit einer so großen Berechtigung wie er ein eindeutiger Nachkomme antiker Zeiten war.[1] Warum gehörte Mantegna zu den Revolutionären seiner Zeit und warum war er so sehr an einer neuen künstlerischen Vision interessiert? Bei vielen Renaissancekünstlern können wir, weil wir nicht über ausreichende biographische Informationen oder Dokumente verfügen, über den Ursprung ihres persönlichen Stils nur spekulieren. Wir wissen jedoch eine ganze Menge über Mantegnas Persönlichkeit, seine künstlerische Ausbildung und seine gesellschaftlichen Bezüge, so dass über die Gründe für seine künstlerische Entwicklung durchaus plausible Hypothesen möglich sind. Es ist zum Beispiel bemerkenswert, dass er dafür bekannt war, diskussionsfreudig, besitzergreifend und manchmal auch grausam zu sein. Die steinige, scharfsinnige und zuweilen auch gewalttätige Welt, die er als Künstler erschuf, passte gut zu einem solchen Temperament. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Mantegna sich mit der in vielen Bereichen im 15. Jahrhundert noch vorherrschenden süßen, narrativen und schläfrigen Lyrik zufrieden geben konnte. Sowohl seine Persönlichkeit als auch seine Kunst waren scharfkantig und aggressiv. Zeitgenossen Mantegnas, die schönere, weniger detaillierte oder weniger historische Bilder bevorzugten, konnten diese woanders finden, und es gab ohne Zweifel viele, die seine Kunst nicht mochten. Er war zweifellos nicht daran interessiert, schlanke Engelchen mit rosa Bäckchen, langem blonden Haar und frommem, leerem Gesichtsausdruck zu malen. Seine Kunst ist nur selten hübsch, und diejenigen, die die ruhige Eleganz von Alessandro Botticelli oder die sanfte Frömmigkeit von Pietro Perugino vorzogen, fanden in Mantegnas Bildern vermutlich wenig, was ihnen gefiel. Im Gegensatz zu einigen der Maler am norditalienischen Hof von Ferrara etablierte Mantegna auch keinen extravaganten Stil; seine Gemälde sind geradliniger und naturalistischer. Mantegna vermied sowohl den schwerfälligen Naturalismus eines Domenico Ghirlandaio (1449 bis 1494) als auch die Süße oder den fantastischen Stil. Stattdessen entwickelte er mit starkem Willen und großer Zielstrebigkeit seine auf scharfsinniger Erzählkunst und einer Wiederbelebung des klassischen Altertums beruhende künstlerische Vision.

    4. Heiliger Markus, ca. 1448-1449.

    Kaseinfarbe auf Leinwand, 82 x 63,7 cm. Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main.

    Es war ebenfalls von Anfang an deutlich, dass Mantegna ein intellektueller Künstler war, allerdings nicht in einem akademischen Sinn, sondern vielmehr auf Grund seiner Neugier hinsichtlich visueller und literarischer Ideen. Er verkehrte, und dies hatte deutliche Auswirkungen auf seine poetische und gut recherchierte Kunst; mit Autoren und anderen Gelehrten. Mantegna war während seines gesamten Lebens an Worten interessiert, erfreute sich am Studium römischer Inschriften und nahm griechische und hebräische Schriftzeichen in seine Gemälde auf. Seine Kunst kam zur rechten Zeit und traf im Italien des Quattrocento auf ein interessiertes Publikum. Er fand bei ebenfalls an der Wiederbelebung der klassischen Kultur interessierten Zeitgenossen bereitwillige Unterstützung. Mantegna besaß eine große Affinität zu Allegorien und historischen Berichten und war in der Lage, literarischen Programmen zu folgen, Geschichten passend zu illustrieren und dabei die Schwerfälligkeit vieler anderer Renaissancekünstler, die ihre Werke auf detaillierte verbale Programme gründeten, zu vermeiden. Er überbrückte auf diese Weise die Kluft zwischen der beschriebenen und der gemalten Welt. Weitere für Mantegnas Kunst wichtige Aspekte seiner Persönlichkeit waren sein Ehrgeiz und seine Bereitschaft zu harter Arbeit. Seine Begeisterung für seine Kunst und seine physische Energie ermöglichten es ihm, andere Künstler, sei es aus dem klassischen Altertum oder aus anderen Ländern Europas, zu studieren, von ihnen zu lernen und Ideen von ihnen zu adaptieren. Man kann Mantegna nicht wirklich als einen eklektischen Künstler bezeichnen, aber er absorbierte doch unterschiedliche Ansätze und kombinierte aus ihnen einen ganz eigenen, persönlichen Stil. Mantegna wollte vorankommen und besaß den Willen, einen künstlerischen Stil zu entwickeln, der die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen erlangen sollte. Schließlich sollte er auch einen selbst von der Antike begeisterten, bedeutenden Lehrer haben, der seine Schüler mit fortschrittlichen Ideen vertraut machte. Die Renaissance stellte mit ihrer deutlichen Tendenz der Säkularisierung eine Herausforderung für das traditionelle Christentum dar. Für Mantegna gab es jedoch offensichtlich keinen Widerspruch zwischen christlichen und weltlichen Gedanken. Der Großteil seines Oeuvre bestand aus sakralen Werken, in denen er seine scharfe Beobachtung der Natur und sein Interesse an der heidnischen Antike und deren Skulpturen, der Architektur, Kleidung und Figurentypen, die seine religiösen Bilder als Bestandteil seines historischen Ansatzes prägen, artikulierte. Im Italien des 15. Jahrhunderts gab es ganz unterschiedliche Einstellungen gegenüber der Kunst, und einige Kleriker und Laien fragten sich durchaus, warum irgend jemand ein Gemälde von Mars und Venus haben wollte oder warum jemand eitel genug sein sollte, ein Selbstporträt zu wünschen. Mantegna arbeitete für ein ganzes Spektrum von Kunden, die unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse hatten. Einige standen der Wiederbelebung der klassischen Kultur und der Ausweitung des weltlichen Denkens kritisch gegenüber. Mantegna selbst oszillierte jedoch ungehemmt zwischen der weltlichen Sphäre und dem Sakralen. Seine liberale Einstellung setzte sich letzten Endes durch, so dass sich am Ende seines langen Lebens eine friedliche Koexistenz zwischen diesen beiden Bereichen etabliert hatte. Eine fast nahtlose Vereinigung des Sakralen und des Profanen wurde so zu einem der wesentlichen Merkmale der Renaissance in Italien.

    Wir werden uns auf den folgenden Seiten mit Mantegnas Leben und Kunst beschäftigen. Während es zu seinen frühen Jahren nur vereinzelte Dokumente gibt, sind seine reifen Jahre besser dokumentiert, so dass wir insgesamt mehr über ihn als über irgendeinen anderen italienischen Renaissancekünstler vor Leonardo da Vinci wissen. Wir können seine Beziehungen zu Freunden und Feinden, Lehrern und Kollegen sowie Mäzenen in einer Weise nachzeichnen, die bei den meisten anderen Malern des 15. Jahrhunderts nicht möglich ist. Daher sind wir in der Lage, den Kontext, den historischen Hintergrund und den Charakter einer Kunst, die die Zeit überdauert hat, zu beleuchten.

    5. Landkarte Italiens, ca. 1450.

    Bibliothek der University of Texas, Austin.

    Das Debüt eines Wunderkindes: Mantegnas frühe Jahre in Padua

    Andrea Mantegna lebte in einer Zeit der sozialen und kulturellen Veränderungen. Die Kontinuität der Institutionen – Kirche, Familie, Regierung – verschleiert den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel während der Jahrhunderte vor Mantegnas Zeit. Bis zum Quattrocento hatten sich anstelle einer statischen, agrarisch geprägten Gesellschaft blühende, auf Handel und kleine Manufakturen gegründete Städte herausgebildet. Das Italien des 15. Jahrhunderts wurde überwiegend von Bankiers, Händlern, Juristen und Manufakturbesitzern und weniger von Großgrundbesitzern geprägt. Eine Folge dieses Wandels hin zu einem durch Handel geprägten urbanen Leben war eine durch Wettbewerb zwischen Familien und Individuen geprägte dynamische Gesellschaftsstruktur. Man musste in einer sich ständig wandelnden Welt vorankommen, die nur noch wenigen Menschen einen automatischen Status oder dauerhafte Prosperität versprach. Diese Veränderungen waren zwar in den großen Zentren wie Florenz und Venedig besonders deutlich zu spüren, sie machten sich aber auch in kleineren Städten und Stadtstaaten bemerkbar, in denen sich die politische Macht in der Hand einer einzigen Familie befand, die sich in einer dynamischen Balance der politischen Macht behaupten und in einer fragmentierten Welt überleben musste.

    Diese durch Wettbewerb und Dynamik geprägte Atmosphäre brachte in den Italienern eine neue, pragmatische Haltung hervor. Die Menschen beschrieben, vermaßen, beobachteten und bewunderten die sie umgebende Welt immer stärker und eine neue, auf Handel, Wissenschaft und Entdeckungen beruhende Kultur schlug Wurzeln. Diese weltliche Einstellung sollte zur Entdeckung neuer Länder und Völker in Asien, Afrika und Amerika führen. Der Historiker Jacob Burckhardt (1818 bis 1897) nannte die Renaissance die Ära der Entdeckung der Welt und des Menschen. Dies umfasste weit reichende intellektuelle Veränderungen und betraf alle Aspekte der Wissenschaften. Die Italiener entwickelten ein großes Interesse an dem, was wir heute Psychologie, die Analyse des Familienlebens und der gesellschaftlichen Rollen und Anthropologie nennen würden. Es gab sogar einen neuen realistischen Ansatz in der politischen Philosophie. Die pragmatischen und zuweilen zynischen Ratschläge zur Kunst der Staatsführung des Florentiners Niccolò Machiavelli (1469 bis 1527) sind ein eindeutiges Zeichen dieser Zeit, eine schonungslose Antwort auf die Launen des SchicksalDieser neue Realismus bedeutete aber auch ein erhöhtes Augenmerk auf persönliche Erfahrungen, was wiederum zu einer neuen Form des Individualismus führte. Die Literatur und andere Dokumente der Renaissance weisen einen Grad an Selbstreflexion und Selbstuntersuchung auf, wie er vorher letztmals in der Antike zu finden war.

    Künstler des 15. Jahrhunderts wie Mantegna reagierten mit einem gesteigerten Realismus auf das wachsende Interesse an der realen Welt. Die Entwicklung einer überzeugenden Perspektive, die Abbildung von Landschaften und Stadtansichten sowie die zunehmende Zahl an Porträts sind Charakteristika der Kunst dieses JahrhundertViele Maler bemühten sich bewusst, die Natur zu imitieren, obwohl manche Künstler immer noch unnatürliche Effekte und einen fantastischen Idealismus in ihrer Kunst einsetzten. Mantegna jedoch gehörte zu einer Künstlergruppe, die bei seinen Zeitgenossen für ihren auffälligen Realismus bekannt war. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser neuen und vollständigen Untersuchung der säkularen Welt neben dem wachsenden Interesse an der materiellen Existenz war die Wiederentdeckung des klassischen Altertums, vor allem der römischen Zivilisation, die in Italien so viele Monumente und literarische Texte hinterlassen hatte. Bereits im frühen Quattrocento entwickelte sich ein fast besessenes Interesse am Altertum: Münzen, Gedichte, Statuen und Inschriften wurden gesammelt, studiert und hoch geschätzt, und die antiken Gebäude wurden bewundert wie noch nie seit dem fast tausend Jahre zurück liegenden Niedergang des Römischen ReicheDiese beiden zentralen Aspekte der Kultur der Renaissance – die Faszination von der realen Welt (sowohl der Mensch als auch die Natur) und die Hinwendung zur antiken Kunst und Zivilisation – waren auch die zentralen Bezugspunkte der Kunst Mantegnas.

    Im Mittelalter gab es ein nur lauwarmes Interesse an den visuellen Künsten des antiken Roms und GriechenlandDie römische Kunst war in Italien wenig bekannt und es bestand nur eine geringe Neigung, die Überreste einer untergegangenen heidnischen Zivilisation auszugraben. Ein Ereignis in der mittelitalienischen Stadt Siena aus den

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