In der Hölle
By Uwe Lammers
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Doch das sind die Legenden. Kaum jemand ist je dort gewesen. Was ist an den Mythen Wahres? Finde es heraus und folge einer Schar von ahnungslosen Entführungsopfern direkt nach TOTAM – in die Hölle für die einen, in eine Welt jenseits der Vorstellung für andere, wo Leben und Tod nur Worte ohne Bedeutung sind…
In der Hölle
Erster Roman des Oki Stanwer Mythos
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In der Hölle - Uwe Lammers
In der Hölle
[1]
Ein Roman aus dem Oki Stanwer Mythos von Uwe Lammers
AUS DEN ANNALEN DER EWIGKEIT
Prolog:
Im Oki Stanwer Mythos (OSM) geschieht es von Zeit zu Zeit – insbesondere in der Frühzeit des KONFLIKTS[2] – , dass sich ungewöhnliche Dinge vollziehen, manchmal sogar Dinge, die jeder Vorstellung spotten und Naturgesetze bisweilen buchstäblich auf den Kopf stellen. Man muss dann darauf gefasst sein, Zeuge von Ereignissen zu werden, deren Sinn oder deren innere Logik sich erst später erschließen. Manchmal bleiben wichtige Details bis ganz zuletzt unbekannt oder unerkannt. Oft, bis es zu spät ist.
Als nun die Scherben des unerwartet frühzeitig beendeten, dritten kosmischen KONFLIKTS zusammengefegt wurden, da bildete sich das Volk der Baumeister – die mächtigen Bediensteten der Sieben Lichtmächte, die sich als positiver Pol der universalen Kräfte verstanden – ernstlich ein, es wüsste nun genau Bescheid. Vor allen Dingen glaubten die Baumeister, darüber Bescheid zu wissen, wie sie jener unheimlichen Gefahr namens TOTAM begegnen konnten, die alles zu vernichten trachtete, das die Baumeister schufen.
Eine Kommunikation mit der Macht des Bösen schien grundsätzlich unmöglich zu sein, und das Licht selbst, also die Sieben Lichtmächte, waren auch gar nicht angetan von derlei Kontaktversuchen. Also stellte das Volk der Baumeister jede Anstrengung in dieser Richtung ein[3] und machte sich bereit für das Gegenteil: den Krieg. Schien dies doch die einzige „Sprache" zu sein, die TOTAM verstehen konnte.
Diesmal, sagten sich die gottgleichen Baumeister, als sie daran gingen, das vierte KONFLIKT-Universum zu gestalten, diesmal sind wir vorbereitet. Diesmal werden wir das Kampffeld so gründlich absichern, dass es keinerlei Schlupflöcher für TOTAM gibt. Und dieses Mal wird es keine Troohns geben.[4]
Nun, insofern hatten sie völlig Recht. Aber es gab Schlimmeres.
Der Kampfschauplatz war diesmal die Galaxis Mysorstos, hauptsächlich bevölkert vom humanoiden Volk der Technos. Die Baumeister sorgten im Verein mit Oki Stanwer dafür, dass Frieden in der Sterneninsel einkehrte und ein galaktisches Imperium errichtet wurde, die so genannte „Insel".[5] Über zweitausend Jahre lang blieb dieses Reich unangetastet und konnte von den Baumeistern immer stärker zu einer Festung ausgebaut und gesichert werden. Mit jedem verstreichenden Jahrzehnt und Jahrhundert wuchs die Zuversicht, diesmal gewinnen zu können. Und die gottgleichen Baumeister waren überdies der festen Überzeugung, auf jeden Fall rechtzeitig zu spüren, wenn eine Gefahr drohte.
Sie unterschätzten TOTAM bei weitem.
Als der schwarze Finger TOTAMS schließlich die „Insel" berührte, geschah es gänzlich überraschend an einem abgelegenen Ort, wo ganz normales Techno-Leben pulsierte. Niemand hier war auf das, was kam, vorbereitet, weil es derartige … Ereignisse einfach noch nie gegeben hatte. Für einige wenige Personen wurde buchstäblich über Nacht alles auf entsetzliche Weise völlig anders.
Tödlich anders.
Und das war erst der Anfang …[6]
1
Der Wechsel kam völlig überraschend.
Hanamanjin, ein humanoider Techno der Insel-Welt Tushwannet, war gerade nach dem anstrengenden Arbeitstag in seiner Feinmechanikerwerkstatt zu Bett gegangen und hatte zuvor noch seiner Lebensgefährtin Visainaar am Videofon versichert, dass er in ein paar Tagen, spätestens in einer Woche mal richtig ausspannen würde.
Dann, so hatte er geschwärmt und versichert, wolle er zu ihr auf den Südarchipel kommen, vielleicht auf die Urlaubsinsel Yaavidor. Sie würden – so wenigstens stellte er es sich vor – ausgelassen durch die Brandung laufen, lachen, baden, sich im warmen Sand sonnen und gewiss auch lieben … das nämlich war es, was Visainaar stets entbehrte. Und er vermisste die Berührungen und kundigen Liebesdienste seiner geschmeidigen, jungen Lebensgefährtin, wenn Hanamanjin ehrlich zu sich war, natürlich auch. Doch er war auf der anderen Seite zugleich ein fest verwurzelter Techno von vierzig Lebensjahren, der nun einmal das Handwerk des Feinmechanikers und die Werkstatt von seinen Eltern geerbt hatte … und es entsprach einfach nicht seinem Stil, alles aufzugeben und sich in der Fremde ein neues Lebensglück zu suchen – so verlockend das auch stets war, wenn er sich mit Visainaar im Bett nach genossener Liebe aneinanderkuschelte.
So war er schon seit drei Jahren hin- und hergerissen, und jedes Mal fiel ihm die Trennung von seiner goldlockigen Geliebten und Lebensgefährtin schwerer. In naher Zukunft, das war Hanamanjin völlig klar, würde er eine Entscheidung treffen müssen, und irgendetwas in seinem Leben blieb dabei gewiss auf der Strecke – entweder der Traditionsgedanke seiner Eltern oder Visainaar … das jedoch mochte sich Hanamanjin nicht mal im Traum vorzustellen. Natürlich hatte er ihr von dieser Seelenqual noch nichts erzählt. Aber er nahm an, dass sie als intelligente Frau längst spürte, was ihn umtrieb.
Um diesem Druck zu entgehen, vergrub er sich darum einfach in der Arbeit und verschob die Entscheidung. Jeder Techno in seiner Lage hätte so gehandelt, davon war der Feinmechaniker vollkommen überzeugt.
An diesem Abend, als er sich zu Bett begab, konnte er allerdings nicht wissen, dass alle Pläne für sein zukünftiges Leben Makulatur wurden, weil etwas Monströses in sein Schicksal eingriff, von dessen Existenz er nicht einmal etwas ahnte.
Die Veränderung trat um 00.23 Uhr Tushwannet-Zeit ein, mitten in der Nacht.
Unmittelbar nach Hanamanjins Einschlafen blitzte vom sternenklaren Himmel des Planeten Tushwannet ein schwarzer Strahl aus negativem Licht herab auf die Oberfläche des dicht besiedelten Planeten, berührte sein Heim und entführte den Techno mitsamt seinem kleinen Wohnhaus und der Werkstatt. Alles, was zurückblieb, nachdem das unheimliche, negative Licht schwand, war eine kahle, verbrannt wirkende und kurzfristig noch nachschwelende Fläche. Was danach geschah, erfuhr niemand. Den wenigen Rätseln Tushwannets wurde auf diese Weise ein unheimliches, neues Kapitel hinzugefügt.[7]
Für Hanamanjin selbst aber begann das Abenteuer erst, das schlimmste, das er in seinem Leben jemals kennenlernen sollte. Er erreichte nun auf unbegreifliche Weise eine ferne Welt, die fremdartiger war als alles, was selbst die gottgleichen Baumeister in der Galaxis Mysorstos, der INSEL, jemals entdeckt hatten …
2
Der Schlaf konnte noch nicht lange Zeit gewährt haben, dachte Hanamanjin benommen, als er mitten in der Nacht hochschreckte. Es war nach wie vor finster draußen … und auf eine seltsame Weise schien alles anders als sonst. Dieses … Anderssein ließ sich nicht mit Worten beschreiben, nicht an Dingen festmachen, es wirkte auf ihn einfach so wie eine quälende Art von ein Gefühl, eine gleichsam klaustrophobische Beklemmung, die all seine Muskeln jählings verkrampfte und seine Gedärme in unangenehme Bewegungen versetzte. Das konnte nicht normal sein. Hanamanjin hatte mal in einer Reportage gehört, dass sich Transmitteropfer ähnlich fühlen sollten, deren Innereien sich durch hyperenergetische Interferenzen verschoben hatten.
Allein die bloße Vorstellung hatte ihm damals den kalten Angstschweiß aufs Gesicht gezaubert. Kein Wunder – die Technos waren von den Transmitterstraßen der Baumeister in der INSEL abhängig, und das schon seit ungezählten Jahrhunderten. Sie MUSSTEN einfach funktionieren!
Aber mit der gegenwärtigen Situation hatte das doch rein gar nichts zu tun. Er hatte keinen Transmitterdurchgang hinter sich, sondern befand sich nach wie vor in seinen eigenen vier Wänden – ein einziger Rundblick in dem dämmrigen Zimmer genügte, um das nachdrücklich zu beweisen. Nein, er war einwandfrei daheim … wo hätte er denn auch wohl sonst sein sollen?
Hanamanjin setzte sich auf und merkte gleich darauf, wie ihm unverzüglich der Schweiß aus allen Poren brach.
Gewiss, es war natürlich Sommer und damit notwendig schwülwarm, schließlich lag Sensatoy, seine Heimatstadt, nahe an äquatorialen Gefilden … aber das allein bedingte doch gewiss nicht, dass es ihm auf einmal so schlecht ging! Der vorzeitig ergraute Techno merkte, wie ihn eine nie gekannte Woge der Übelkeit erfasste. Zudem machten sich eigenartige Gliederschmerzen bemerkbar … beinahe so, als ob er in eine stundenlange Prügelei verwickelt gewesen wäre. Und das ihm, einem völlig unsportlichen, friedfertigen Techno! Noch so ein völlig abstruser Gedanke … ah, wenn ihm nur nicht so elend wäre …!
Mühsam taumelte er aus dem Bett und gab dem Zimmerservo einen akustischen Befehl, Licht zu machen.
Nichts passierte.
„Servo …?", murmelte Hanamanjin verstört. Seine Stimme klang dünn, elend, geradezu fremdartig. Er war allerdings noch zu benommen, um Entsetzen zu empfinden. Im Moment war ihm einfach nur übel, sterbensübel. Um die Frage, warum der Servo keine Reaktion zeigte, konnte er sich kümmern, wenn er es geschafft hatte, das Badezimmer zu erreichen! Zur Hölle mit den Maschinen, wenn man sie brauchte …
Hanamanjin unterdrückte mühsam seinen Würgreiz und tastete sich vorwärts.
Schwerfällig und unbeholfen er stapfte in Richtung des Badezimmers. Den Tausende von Malen beschrittenen, kurzen Weg fand er auch im Dunkeln, selbst wenn seine Glieder so schwer schienen, als bestünden sie aus Blei … jede einzelne Bewegung fiel ihm schwer, als hätte er in jahrelangem Tiefschlaf gelegen. Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals so tapsig und unbeholfen gefühlt zu haben.
Hanamanjin schaffte es gerade noch rechtzeitig hinein – hier freilich konnte der Techno seine Beherrschung nicht länger aufrechterhalten und erbrach sich in das Waschbecken. Danach ging es ihm ein wenig besser. Den Grund für seine Übelkeit blieb undurchsichtig. Hatte er heute Abend irgendetwas Falsches gegessen? Aber die Automatikküche hatte noch NIE eine Fehlfunktion gehabt, und geschmeckt hatte alles wie immer …
Nein, der Techno stand wirklich vor einem Rätsel.
Hanamanjin ließ sich auf dem Toilettendeckel nieder und wartete mit geschlossenen Augen und vorgebeugtem Oberkörper eine Weile, bis sich die kalten Schweißausbrüche wieder gelegt hatten. Noch immer war ihm elend, der Gestank nach dem Erbrochenen hing widerwärtig in der schwülen Luft, aber nun war der Magen wenigstens leer. So konnte er den Brechreiz halbwegs unterdrücken. Hanamanjin trocknete sich zitternd sein Gesicht mit dem Handtuch ab und wollte dann die üblen Reste im Waschbecken wegspülen … aber das Wasser kam einfach nicht.
Auch das Licht funktionierte hier nicht.
Nichts schien zu funktionieren, sein Magen war nicht das einzige, was hier durcheinander war, wie es aussah …
Nun begann ihn ernste Verunsicherung wie eine kalte Welle zu durchwogen. Nachdem die Mattigkeit und Übelkeit erst einmal ein bisschen nachgelassen hatte und Hanamanjin allmählich wacher wurde, kam ihm immer klarer zu Bewusstsein, wie irreal, ja, bedrohlich die Situation war, in der er sich gerade befand.
Seine Verunsicherung schlug darum schnell in Verstörung um, je länger er nach einer möglichen Erklärung für die Situation suchte und keine fand. Schließlich war durch die Wissenschaft der Baumeister und deren hohen Stand der Automatentechnologie so ein Ausfall schlicht undenkbar. Irgendetwas war vollkommen anders als sonst, aber Hanamanjin konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was das sein sollte.
Er klammerte sich an die festen, unbezweifelbaren Fakten: Er befand sich hier in der INSEL, dem Imperium Oki Stanwers und der Baumeister … und auf seiner Heimatwelt Tushwannet. Das war eine dicht besiedelte, wichtige Welt der Technos, umfassend überwacht von einem SENSOR-Netzwerk und einem dichten Netz von Telemetrieknoten, die üblicherweise jeden Funktionsausfall binnen von Minuten beheben würden. Selbst schlimme und extrem seltene Unfälle wurden in Windeseile umfassend reguliert. Hanamanjin konnte sich nicht entsinnen, dass in seiner ganzen Lebenszeit auf Tushwannet durch einen Verkehrsunfall auch nur ein einziger Techno zu Tode gekommen wäre. Die Sicherheitsüberwachung durch die segensreichen und altruistischen Baumeister war perfekt. Ihm KONNTE also gar nichts geschehen, das war ganz unmöglich.
Aber dieser Ausfall des Wohnungs-Servos – er war gekoppelt an einen kleinen KI-Netzknotenrechner des Viertels und überwachte, so hatte er es vor acht Jahren gehört, als sein Wohnhaus direkt neben der Werkstatt errichtet wurde, von den technischen Sachverständigen gehört, achtundsechzig Wohneinheiten, in denen zweihundertsechs Technos lebten – … also, dieser Ausfall dauerte nun wirklich schon beklemmend lange. Und nichts und niemand schien das bemerkt zu haben.
Das war einfach … also … irreal. Völlig irreal!
‚So etwas kann es doch gar nicht geben‘, pochten Hanamanjins benommene, unsichere Gedanken. ‚Normalerweise melden die Sensoren schon frühzeitig, wenn hier Ausfallerscheinungen zu gewärtigen sind. Von solch einem umfassenden Ausfall aller Funktionen eines Hauses habe ich noch nie gehört …‘
Hanamanjin schleppte sich nach einer Weile, als er glaubte, seine weichen Knie würden wieder kräftig genug sein, um ihn zu tragen, vorsichtig zurück ins Schlafzimmer, wobei er sich stets an der Wand entlangtastete wie ein Schwerkranker auf Rekonvaleszenz. Oder beinahe so, als wolle er sich vergewissern, dass die Wand auch wirklich noch da war … natürlich war sie noch da. Und sie fühlte sich ganz wie sonst an. Wie denn wohl auch sonst?
‚Ich beginne schon hysterisch zu werden …‘, begriff er und suchte verzweifelt nach etwas, was ihm seine Seelenruhe wiedergeben konnte. Ah, vielleicht ein Blick nach draußen … das nächtliche Sensatoy würde ihn bestimmt beruhigen.
Hanamanjin trat ans Fenster und hielt Ausschau danach, ob der Funktionsausfall womöglich das ganze Viertel betraf. Das wäre zwar immer noch unerklärlich, aber wenigstens eine Begründung dafür, warum noch keine technische Hilfe hier eingetroffen war.
Das Hinausschauen hätte er besser unterlassen. Dadurch wurde sein Schock vollkommen.
Sein Gesicht wurde käsig weiß, und er umklammerte das Fensterbrett, ohne einen Laut hervorbringen zu können. Hanamanjins Mund öffnete und schloss sich wie der eines nach Luft schnappenden Fisches, und seine Augen waren weit aufgerissen. War das, was er bislang innerhalb seiner eigenen vier Wände erlebt hatte, schon unerklärlich und beängstigend, so schlug nun alles in einen veritablen Alptraum um. Allerdings in einen, aus dem das Erwachen unmöglich schien.
Ganz entgegen Hanamanjins Erwartung, hier jenseits des Kunststofffensters die bekannten, nächtlich beleuchteten Vorortstraßen seiner Heimatstadt Sensatoy