Ein Engel im Pelzmantel: Heitere und weitere Weihnachtsgeschichten
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Kurt H. Möller
Kurt H. Möller, Jg. 1940, war bis zu seinem Ruhestand Pädagogisch-therapeutischer Leiter der Diakonie Freistatt. Er engagiert sich als evangelischer Laienprediger und ist Autor vielfältiger Publikationen, die von Gedichten und Kurzgeschichten bis zu Sachtexten reichen. Mit seiner Frau lebt er in Freistatt.
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Book preview
Ein Engel im Pelzmantel - Kurt H. Möller
Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7893-2111-5 (E-Book)
ISBN 978-3-7893-9769-1 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book:
CPI books GmbH, Leck
© 2015 SCM-Verlag GmbH & Co. KG, 58452 Witten
Internet: www.scmedien.de; E-Mail: info@scm-verlag.de
Umschlaggestaltung: Ulrike Vohla, grafikdesign-storch, Rosenheim
Titelillustration mit Bildelementen von © shutterstock
Satz: Katrin Schäder, Velbert
posthum für meinen verehrten „literarischen Lehrmeister", den Bremer und Worpsweder Schriftsteller Manfred Hausmann
Inhalt
– ungefähre Vorlesezeit in Klammern –
Christnacht-Hymnus
Vom Himmel hoch da komm ich her (12 min)
Advent heißt Ankunft (6 min)
Das verlorene Weihnachtsschaf (7 min)
Raachermannels großer Tag (14 min)
Trinchens himmlische Weihnachtsplätzchen (4 min)
Der Baptistenbischof (9 min)
Weihnachten im Stunden-Takt (6 min)
O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie pieken deine Blätter (9 min)
„Kerzenglanz, Kerzenglanz, welch helle Pracht" (4 min)
Der Engel im Pelzmantel (12 min)
Julfest in Veddersö (6 min)
Krach im Treppenhaus (6 min)
Die Weisheit der Spinne (6 min)
Ahibs Traum (5 min)
Gülhans Weihnachtslicht (4 min)
Gülhans Licht
Der vergessene Engel und die Krähe (7 min)
Fröhliche Weihnachten, Frau Ossenkopp! (6 min)
E-Mail eines alt gewordenen Großvaters zur Weihnacht an sein kleines, nun größer gewordenes Enkelkind (3 min)
Der Weihnachtsmann hat Telefon (7 min)
Happy End zur Weihnacht (6 min)
„Hätte ich doch …" – die Einsicht des Wirtes (6 min)
Hätte ich doch …
Ein Nachweihnachtsengel (5 min)
Noch immer …
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Christnacht-Hymnus
Winterlicher Flockenfall
aus dem hohen Himmelszelt
mischt sich mit dem Glockenschall
in der Tiefe dieser Welt.
Wie ein zartes leises Beben
hebt ein Chor zu singen an,
will zum Himmel aufwärts schweben;
der Weihnachtsstern zieht seine Bahn,
schwingt sich auf in lichte Höh’n,
überstrahlt die Erde ganz:
Da bleibt die Welt ein Weilchen steh’n. –
Grenzenlose Ewigkeit
tritt in uns’re Endlichkeit.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Vom Himmel hoch da komm ich her
Heiligabend in der alten, ehrwürdigen evangelischen Kirche zu Bennighausen, die an der Südfront den Innenhof des im Viereck gebauten Stiftsgebäudes abschließt. Seit mehr als zweihundert Jahren wird das ehemals katholische Ordenshaus von alleinstehenden vornehmen Damen bewohnt und verwaltet und die Kirche von der Ortspfarrei genutzt. Das Gemäuer war zwar als Einheit gebaut worden, hat aber für Stift und Kirche eigene Zugänge, sodass Pfarramt und Stiftsdamen gut miteinander auskommen.
Frau Veronika von Dammlich-Wichtler, Freifrau und Vorsitzende des Presbyteriums, hatte die Kirchentür geschlossen und war dann, wie immer, mit würdigem Schritt, den Klingelbeutel unterm Arm, zum Altarraum vorgegangen und hatte auf dem ersten Stuhl auf der linken Seite Platz genommen. Das war das Zeichen für den Organisten, mit dem Präludium einzusetzen und für den Küster, sich in der letzten Reihe zum gemütlichen Kirchenschlaf zurechtzurücken. Heute allerdings saß dort nicht der Küster Alfons Traxl, sondern sein Schwager Heinrich Weber, der sich für diesen Vertretungsdienst angeboten hatte, damit Alfons einmal wieder Weihnachten in den Bergen erleben konnte. Seit er Gesine, seiner Urlaubsliebe, in die norddeutsche Tiefebene gefolgt war und nach ihrer Heirat die Küsterstelle von ihrem Vater, gewissermaßen in Erbfolge, angetreten hatte, war ihm Weihnachten in den Bergen versagt gewesen.
Die Sache hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler. Alfons hatte versäumt, den Tausch dem Superintendenten anzuzeigen. Es hätte trotzdem alles gut gehen können, wäre der Gemeindepastor nicht am Vormittag beim Schmücken seines häuslichen Weihnachtsbaumes von der Leiter gefallen. Mit gebrochenem Bein lag der nun im Krankenhaus. Er hatte gerade noch telefonisch einen Studienkollegen, der jetzt Oberkirchenrat im Landeskirchenamt war, zum Vertretungsdienst überreden können, ihm die Gottesdienstordnung mit den Besonderheiten für die Christvesper durchgegeben, und war dann mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht worden, wo er eingegipst einige Tage Bettruhe verordnet bekommen hatte.
So trat bei den letzten Tönen des Präludiums – heute eine festliche Weihnachtsmusik von Pachelbel – nicht der Ortspfarrer an den Altar, sondern Oberkirchenrat Donnergrund; ein großer stattlicher Mann mit kräftiger Stimme und wegen seiner kompromisslosen Entscheidungen von den Pastoren und Presbytern wenig geliebt, sondern eher gefürchtet.
Zunächst ging mit Lesungen und Liturgie alles ganz gut. Und auch der eigens für diesen Gottesdienst zusammengestellte Chor unter Leitung der Schulamtssekretärin, Frau Ursula Hinkevoß, gab sein Bestes. Sogar das von Jugenddiakon Wilfried einstudierte Anspiel klappte leidlich. Die Katastrophe begann, als nach dem zweiten Lied Oberkirchenrat Donnergrund die Kanzel zur Predigt besteigen wollte. Üblicherweise predigte der Ortspfarrer vom Lesepult aus dem Altarraum. Aber am Heiligen Abend, wenn die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt war, einige Jugendliche und Kinder sogar auf den Altarstufen saßen, und überhaupt wegen des festlichen Charakters sollte die Predigt von der Predigtkanzel gehalten werden. Diese war über dem Altar wie ein Schwalbennest in etwa zwei Geschosshöhen mit barockähnlichen Verzierungen angebracht. Nach hinten war die Kanzel mit einer Tür abgeschlossen, die über eine Treppe hinter Altar und Sakristei zu erreichen war.
Frau Dammlich-Wichtler hatte dem Oberkirchenrat bei der vorletzten Strophe noch zugeflüstert, dass er durch die Seitentür über die Treppe die Kanzel erreichen würde und ihm geraten, sich wegen des langen Weges schon in Marsch zu setzen, damit er beim Schlusston auch oben sei. Zufrieden lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück, um mit andächtiger Miene und gelegentlichem zustimmenden Nicken der Predigt zu lauschen, wie sie es stets tat. Nicht umsonst saß sie hier vorne im Blickfeld der Gemeinde. So unterstrich sie jeweils nonverbal, wie es neudeutsch heißt, die theologischen Ausführungen des Predigers. Von dem war aber noch nichts zu sehen. Der letzte Ton des Liedes war verhallt, auch das improvisierte Nachspiel war verklungen und die Kanzel immer noch leer, die Kanzeltür geschlossen. Frau von Dammlich-Wichtler rutschte aufgeregt auf ihrem Stuhl hin und her, schaute verzweifelt zur Kanzel, auf der der Oberkirchenrat erscheinen sollte, lenkte ihren Blick zur Orgelempore, ziemlich unsinnig, denn die Orgel befand sich genau gegenüber von Kanzel und Altar an der rückwärtigen Kirchenseite über dem Eingangsportal, und dorthin war der Gastprediger ja nicht enteilt.
Der Organist hatte die Orgelbank mit dem gepolsterten Stuhl daneben gewechselt. Erst nach der Predigt war er wieder dran mit „Vom Himmel hoch da komm ich her", das der Mädchenkreis mit Engelsstimmen als Antwort auf die Predigt, begleitet von der Orgel, in die Kirche rufen sollte. Aber von Predigt war weder etwas zu hören, noch von ihrem Verkünder etwas zu sehen.
Schließlich erhob sich Freifrau Veronika von Dammlich-Wichtler, ging – nein, schritt, auch in dieser Situation waren Andacht und Würde gefragt – zur Seitentür, hinter der vor wenigen Minuten, die sich wie Stunden bleischwer auf die Gottesdienstbesucher legten, Oberkirchenrat Donnergrund verschwunden war. Es empfing sie die bekannte, etwas staubige Kühle, die kleine Lampe über der Treppe brannte, vom Prediger keine Spur. Hilflos und kopfschüttelnd (natürlich nur innerlich) nahm sie ihren Platz auf dem ersten Stuhl links wieder ein. Sie suchte den Blick des Küsters, als ob von dort Hilfe kommen könnte. Aber der Vertretungsküster Heinrich Weber befand sich noch in behaglicher Ruhestellung. Ihn ging das alles nichts an. Von verschwindenden Pastoren hatte ihm Schwager Alfons nichts erzählt. Er hatte Pause bis zum Schlusschoral „O du fröhliche". Dann hatte er die Kirchentür weit aufzusperren und sich danebenzustellen,