Salzburgs Musikgeschichte im Zeichen des Provinzialismus?: Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts
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Salzburgs Musikgeschichte im Zeichen des Provinzialismus? - Hollitzer Wissenschaftsverlag
Dominik Šedivý (Hg.)
Salzburgs Musikgeschichte im Zeichen des Provinzialismus?
Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts
Veröffentlichungen der
Forschungsplattform „Salzburger Musikgeschichte"
Band 2
Salzburgs Musikgeschichte
im Zeichen des Provinzialismus?
Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts
Bericht einer Tagung der Forschungsplattform
„Salzburger Musikgeschichte", 23. bis 25. September 2012
herausgegeben von
Dominik Šedivý
Gedruckt aus Budgetmitteln der Forschungsplattform „Salzburger Musikgeschichte im interuniversitären Schwerpunkt „Wissenschaft & Kunst
und des „Forschungsinstituts für Salzburger Musikgeschichte" mit fi nanzieller Unterstützung des Rektors der Paris-Lodron-Universität Salzburg und der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg sowie von Stadt Salzburg und Land Salzburg.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autorinnen bzw. Autoren verantwortlich.
Die Abbildungsrechte sind nach bestem Wissen und Gewissen geprüft worden.
Im Falle noch offener, berechtigter Ansprüche wird um Mitteilung des Rechteinhabers ersucht.
Auf dem Umschlag:
Friedrich Loos, Der Rudolfskai in Salzburg. Öl, Bleistift, Tusche/Papier, auf Holz aufgezogen, 43,5 x 53,5 cm. Residenzgalerie Salzburg, Inv. Nr 486.
Aufnahme: Fotostudio Ghezzi, Oberalm. © 2014 Residenzgalerie Salzburg
Layout: Anne Schmidt Design, München
Satz: Dorit Wolf-Schwarz, Innsbruck
Druck und Bindung: Interpress, Budapest
ISBN 978-3-99012-146-7 hbk
ISBN 978-3-99012-147-4 pdf
ISBN 978-3-99012-148-1 epub
Alle Rechte vorbehalten
© Hollitzer Wissenschaftsverlag, Wien 2014
www.hollitzer.at
Vorwort des Herausgebers
Der vorliegende Band basiert auf einer Tagung, die von der „Forschungsplattform ‚Salzburger Musikgeschichte‘" im September 2012 im Schloss Frohnburg veranstaltet wurde und deren Ziel darin bestand, einen differenzierteren Einblick in das Musikleben im Salzburg der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zu erlangen. Im Vorfeld des Symposions hatte gelegentlich der Eindruck geherrscht, dass das Thema wenig ergiebig sei, da – aufgrund von Eroberung, Säkularisierung und Fremdherrschaft – nach der Flucht von Fürsterzbischof Hieronymus Colloredo aus Salzburg (10. Dezember 1800), dem Ende der territorialen Selbständigkeit (als Folge der Besetzung Salzburgs durch französische Truppen am 30. Oktober 1805) und nicht zuletzt nach dem Tod von Michael Haydn (10. August 1806) das Niveau des kulturellen Lebens gegenüber dem 18. Jahrhundert deutlich abgesunken wäre. Gestützt werde dieses Bild durch die Abwanderung von Komponisten wie Ignaz Assmayr, Anton Diabelli, Sigismund Neukomm oder Joseph Wölfl, die es andernorts zu Ruhm brachten. Dagegen suchte Benedikt Hacker sein Glück in Salzburg, fand aber schließlich nach erfolglosem Bemühen ein tragisches Ende in den Salzachfluten …
Im Gegensatz zur erwähnten Annahme überraschte die Tagung jedoch mit einer hohen Quote an neuen Einsichten. Obwohl in den oben genannten Ansichten ein auf der Hand liegender wahrer Kern steckt, verbergen sich unerwartete Sachverhalte in Details: So ist nicht nur festzuhalten, dass drei der vier genannten Auswanderer Salzburg noch zu Lebzeiten Michael Haydns verlassen hatten, zwei davon sogar noch vor 1800; ebenso nahm das Musikleben der Stadt durch die Säkularisierung keineswegs ein jähes Ende, wie man es mehrfach vermutet hatte.
Die Reihenfolge der Beiträge im vorliegenden Band entspricht nicht der Abfolge der Referate während des Symposions. Vielmehr wurde sie nach thematischen Zusammenhängen neu zusammengestellt. Der erste Teil behandelt das Salzburger Musikleben, der zweite geht auf einzelne Komponisten ein; im dritten Teil wird das Entstehen des Mozartkultes in der Stadt näher beleuchtet.
Eingeleitet wird dieser Sammelband durch eine Überblicksdarstellung von Thomas Hochradner, worin anhand von zeitgenössischen Landesbeschreibungen und Reiseberichten das ‚Netzwerk Musik‘ dieser Jahre in Salzburg im Zeichen des – manchmal auch nur vermeintlichen – Provinzialismus in den Blick genommen wird. Beiträge von P. Petrus Eder OSB, Lars E. Laubhold, Eva Neumayr, Carena Sangl und Gerhard Walterskirchen dokumentieren die fortgeführte Musikpflege an den großen Kirchen der Stadt. Elke Michel-Blagrave, Wolfgang Dreier und Monika Oebelsberger gehen auf außerkirchliches Musikleben im Rahmen von Gesellschaftszirkeln, auf die Volksmusikpflege und auf Schullieder ein.
Ein zweiter Teil des Bandes beschäftigt sich mit Leben und Werk einiger Komponisten, die damals aus Salzburg abgewandert sind: Margit Haider-Dechant und Irene Holzer beleuchten die Salzburger Zeit von Joseph Wölfl bzw. Sigismund Neukomm, während die Ausführungen von Erich Wolfgang Partsch, Irene Holzer und Milada Jonášová einen Vergleich der Verlagsarbeiten von Anton Diabelli einerseits und Benedikt Hacker andererseits zulassen. Dominik Šedivý behandelt am Beispiel Ignaz Assmayrs die Situation vieler österreichischer Komponisten dieser Zeit, deren Stil und Musik heute zumeist als Kleinmeistertum eingestuft wird. Im dritten Teil schließlich gehen Rainer Schwob und Anja Morgenstern auf die zur Jahrhundertmitte hin zunehmend bedeutende Rolle Salzburgs als Mozartstadt ein.
Im Zuge der Vorbereitung des Tagungsberichtes galt es, die Schreibweisen mancher Namen zu vereinheitlichen. Ein Namensindex im Anhang gibt über die gebrauchten Schreibweisen Aufschluss und erlaubt eine beitragsübergreifende Suche nach zeitgenössischen Personen.
Ganz besonderer Dank gilt Thomas Hochradner für die Organisation der Tagung sowie für die Planung, Mitfinanzierung und Unterstützung in der Redaktion des vorliegenden Bandes. Für ihre Mithilfe im Lektorat danke ich der Studienassistentin der „Forschungsplattform ‚Salzburger Musikgeschichte‘, Sarah Haslinger. Ebenso danke ich dem interuniversitären Schwerpunkt „Wissenschaft & Kunst
, dem Rektor der Paris-Lodron-Universität Salzburg, der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg sowie dem Land und der Stadt Salzburg für ihre Unterstützungen, die das Erscheinen dieses Tagungsberichtes erst ermöglicht haben. Dank gebührt auch den beiden Layouterinnen dieses Buches, Frau Dorit Wolf-Schwarz und Frau Anne Schmidt sowie dem Hollitzer Wissenschaftsverlag, Wien, für die Sorgfalt in der Betreuung der Drucklegungsphase.
Dominik Šedivý
Thomas Hochradner
Unter Krummstab, Löwe und Adler: Wahrnehmungsperspektiven einer musikgeschichtlichen Etappe
Musikgeschichte lebt mit einem Auf und Ab ihres Gegenstands. Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs ziehen kulturelle Blütezeiten nach sich, Phasen der ökonomischen Krise münden in Verniedlichung und Niedergang. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Immer wieder gab es Regenten, die von politischer Erfolgslosigkeit begleitet waren, indes an ihrem Hof für ein künstlerisch hochwertiges Ambiente sorgten, und umgekehrt raffinierte Machtstrategen, die Kunst bestenfalls als Mittel ihrer Ambitionen benützten. Man muss also die jeweiligen Gegebenheiten näher beleuchten und ihre Hintergründe freilegen, um einer Milchmädchenrechnung zu entgehen: dass nämlich die Entfaltung der Künste stets aus der Prosperität von Politik und Wirtschaft resultiere. Wie vielschichtig und situationsbedingt individuell sich eine kulturelle Konstellation ausprägt, zeigt nicht zuletzt die Regentschaft Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colleredos im Erzstift Salzburg. Auf der einen Seite erholt sich Salzburgs Handel, werden moderne Gedanken der Aufklärung handfest und prospektiv umgesetzt, entwickelt sich Salzburg zu einem Zentrum der Wissenschaft und des Publikationswesens in Oberdeutschland, lässt sich durchaus auch von einem Musikleben mit Niveau sprechen, in dem sich ein Wunderkind entwickeln konnte, war Salzburg in Worten Manfred Hermann Schmids „ein Ort für sein Talent"¹ – auf der anderen Seite ziehen sich die Wolken der drohenden Säkularisation zusammen, bietet sich für den kompositorischen Genius Wolfgang Amadé Mozarts kein Raum für eine adäquate Zukunft.
Eine aus meiner Sicht eigenartige Diskrepanz wird hier deutlich, die den musikwissenschaftlichen Ansatz vom musikhistorischen unterscheidet, wenn einesteils immanenten Qualitäten, andernteils dem Bedeutungsfaktor von Musik in einer zeitbezogenen Sphäre nachgespürt wird. Alfred Einstein hat den ‚Ausbruch‘ aus dieser Sphäre als Zeichen von „Größe in der Musik" gesehen und damit den Kreis ‚großer‘ Komponisten sehr eng gezogen.² Analog dazu jene, die diese Voraussetzung nicht erfüllten, invers und in verschiedener Abstufung zu ‚Kleinmeistern‘ abzuwerten, scheint mir jedoch dem Spannungsfeld der immanenten Werkbetrachtung zu entgleiten. Gerade an diesem Punkt gilt es Vorsicht vor dem Urteil walten zu lassen. Es ist nicht nur von soziologischen Kriterien zu reden, sondern auch von einer Verschiebung der qualitativen Ansprüche. So verständlich es ist, wenn Constantin Schneider in seiner Geschichte der Musik in Salzburg für die Zeit des Vormärz von den „Epigonen der Klassiker und Romantiker" spricht³ – eine solche Einschätzung ist letztlich auch eine Frage des Maßstabs. Im Übrigen geht Schneider im Detail zunächst behutsamer vor:
Mit Michael Haydns Tod im Jahre 1806 war eine Glanzzeit der Salzburger Musikkultur zu Ende. Die Tradition riß aber nicht jäh ab, wie sehr dies auch die wirren politischen Verhältnisse dieser Zeit erwarten ließen. Treffliche, fleißige Schüler des klassischen Meisters retteten das Erbe der Vergangenheit hinüber.
– um dann aber doch zu resümieren:
Nur aus dem Geiste der Vergangenheit, der Kunst ihres größten Sohnes Mozart und seiner bedeutendsten Vorgänger konnte das Musikleben der Stadt seine Wiedergeburt erwarten – ein rettender Gedanke, der noch vor der Jahrhundertmitte in Salzburg aufgegriffen wurde.⁴
Resultat dieser Einschätzung sind ganze zwei Absätze, die Schneider der Zeit von 1816 bis 1841 einräumt, und mithin legte er eine Lücke fest, die zu erschließen seither Kolleginnen und Kollegen mehrmals, meist punktuell beschäftigt hat. Als zwischenzeitliche Wegbereiter eines Überblicks sind vor allem zwei Publikationen zu erwähnen: zum einen der 1981 von Rudolph Angermüller herausgegebene Band Bürgerliche Musikkultur im 19. Jahrhundert in Salzburg⁵, zum anderen die einschlägigen Kapitel in der 2005 erschienenen Salzburger Musikgeschichte, namentlich das von Gerhard Walterskirchen verfasste „Theater, Redouten, Liebhaber-Konzert, Haus- und Salonmusik an der Wende zum 19. Jahrhundert".⁶ Freilich gewinnt man den Eindruck, dass die Schwellenzeit zwischen dem Tod Michael Haydns und der Errichtung des Mozart-Denkmals zwar nicht mehr totgesagt wird, aber vielfach weitere Einsichten fehlen, die zu einer präzisierenden Revision führen könnten – sodass eine breit gefächerte Erhellung der Salzburger Musikkultur vom Ende der politischen Souveränität bis zur Wiedererlangung einer Selbstverwaltung bis auf den heutigen Tag unterblieben ist.
Die Eckdaten des gegenständlichen Zeitraumes seien kurz zusammengefasst. Spektakulär verlief das Schicksal Salzburgs zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Der Flucht Colloredos vor den nahenden Truppen Napoleons im Dezember 1800 folgte die Säkularisation des Erzstifts im Frieden von Lunéville (1801) und Reichsdeputationshauptschluss von Regensburg (1803) samt der Umwandlung in ein Kurfürstentum, das zusammen mit den ebenfalls säkularisierten Hochstiften Berchtesgaden, Passau und Eichstätt dem ehemaligen Großherzog von Toskana, Erzherzog Ferdinand von Österreich zugesprochen wurde. Als die Franzosen Salzburg 1805 ein zweites Mal besetzten, zog dies das Ende des Kurfürstentums und eine Odyssee des Landes nach sich. 1806 fielen Salzburg und Berchtesgaden an Österreich, 1810 – wieder hatte eine französische Besetzung den Wechsel ausgelöst – an Bayern, und diesmal wirkten sich die damit verbundenen Maßnahmen nachhaltig aus: Universität und Landschaft wurden aufgehoben, die verfügbaren finanziellen Ressourcen rasch ausgegeben, insgesamt die Bildungs-, politische und Wirtschaftskraft entscheidend geschädigt. Das weitere militärische Geschehen ereignete sich außerhalb Salzburgs, führte aber 1816 im Vertrag von München am grünen Tisch zum abermaligen, nunmehr endgültigen Zuschlag an Österreich, unter Verlust von Berchtesgaden und des als Kornkammer landwirtschaftlich wichtigen Rupertiwinkels, die bei Bayern verblieben. Neben die territoriale Einbuße trat jedoch die einschneidende einer Verwaltungsreform, die Salzburg einzig als Kreis beließ, das Land aber dem Herzogtum ob der Enns zuschlug und somit alle entscheidenden administrativen Stellen nach Linz verlagerte. Dadurch kam es zu einem Aderlass im Beamtenadel, womit in Zeiten eines allgemeinen Bevölkerungsrückgangs auch und vor allem eine kulturell tragfähige Gruppe der bürgerlichen Intelligenz betroffen war, die nach der Auflösung des Hofstaates Kontinuität verbürgte. Salzburgs ‚Provinzialität‘ wandert gleichsam sprichwörtlich durch Publikationen über diese Zeit, bis hin zu den Jahren 1848, als Salzburg wieder eine eigenständige Verwaltung erhielt, und 1850, als es zum ‚Kronland‘ erhoben wurde und sich bald darauf erste Anzeichen der Gründerzeit bemerkbar machten.⁷
„Zusammenfassend kann man sagen, daß die Eingliederung in den österreichischen Staatsverband für die Stadt Salzburg eine Reihe schwerer Nachteile mit sich brachte, die erst nach einem Jahrzehnte dauernden Prozeß der Anpassung überwunden werden konnten", resümiert der Historiker Robert Hoffmann.⁸ Die einheimische Bevölkerung empfand es allerdings – soweit sich nach einer Durchsicht von ca. 80 Landesbeschreibungen und Reiseberichten aus dem Zeitraum 1790 bis 1850 sagen lässt – durchaus anders, und die verbliebene Intelligenzschicht entwickelte ein aus heutiger Sicht überraschendes Selbstbewusstsein hinsichtlich ihres kulturellen Lebens. Damit wird der retrospektiven Einschätzung des Historikers in ihrem Bedeutungsgehalt keineswegs widersprochen⁹, die Punze der Provinzialität jedoch gewissermaßen unterlaufen. Was Karl Wagner 1980 als Thesen formulierte, hat sich bestätigt:
Die kulturelle Leistungsfähigkeit der Salzburger Bürgerschaft kann nicht unabhängig von der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation und die Richtung des Engagements nicht isoliert von den herrschenden Zeitströmungen beurteilt und bewertet werden. / Das Bürgertum hat sich im „Museum einen beachtenswerten Kulturträger geschaffen, der in ausgesprochen kleinstädtischen Verhältnissen und unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen ein öffentliches Konzertleben einrichtete und aufrecht erhielt. Darüber hinaus gingen vom „Museum
die Impulse für die Errichtung des Mozart-Denkmals aus, dessen Enthüllungsfeier die Initialzündung für weitere Musikfeste unter der Patronanz des Namens Mozart wurde.¹⁰
Das Museum hatte sich 1810 im Zusammenschluss einer seit 1784 bestehenden Lesegesellschaft und der 1809 ins Leben gerufenen Musikalischen Gesellschaft gebildet¹¹, fungierte also als Traditionsträger, der 1834 sogar in einem Reisebericht genannt wird¹², das intellektuelle Leben der Stadt Jahrzehnte lang prägte und erst 1854 in zwei Nachfolge-Institutionen aufging¹³ – ein Signal wider vermeintliches völliges Absterben oder eine Bruchlinie im gesellschaftlich-musikalischen Leben der Stadt in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Gemäß den Statuten strebte das Museum nach „literarischer Ausbildung durch Lektüre, Konversation, Musik und geselliges Vergnügen", die einmal wöchentlich in Veranstaltungen gepflegt wurden.¹⁴ Auf Stellenwert und Ausrichtung der Musikdarbietungen lassen die Mitgliedschaften des Musikalienhändlers und Komponisten Benedikt Hacker sowie des Priesters und Komponisten Thaddäus Susan, eines Schülers von Michael Haydn schließen.¹⁵ Ihr künstlerisches Schaffen steht im Zeichen eines neuen, durch vermehrtes häusliches und geselliges Musizieren entstandenen Bedarfs. Im Museum erklang ein typisches Repertoire bürgerlicher Salonkultur, das zu besonderen Anlässen durch die Aufführung von eigens dafür komponierten festlichen Kantaten einen sowohl sublimen als auch lokalen Zuschnitt erhielt. Aufgrund eines hohen Mitgliedsbeitrags war die Zugehörigkeit der gesellschaftlichen Oberschicht vorbehalten: Adeligen, der höheren Geistlichkeit, dann vermehrt auch – und schließlich vor allem – wohlhabenden Bürgern und Militärs.¹⁶
Wie sehr die verbliebene Bildungselite weiterhin das Musikleben in Stadt und Land bestimmte, belegt der Umstand, dass jene volksmusikalischen Aufzeichnungen, die 1819 im Rahmen der von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien initiierten großräumigen Sammelaktion aus Salzburg eingesandt wurden, aus deren unteren, auf dem Land tätigen Kreisen kamen (nämlich von Priestern, Lehrern, Handwerksmeistern)¹⁷, der einzig nachweisbare relevante Notendruck aber, die 1816 bei Benedikt Hacker erschienenen Lustigen Gesänge aus den norischen Alpen, mit einem Klavier-Begleitsatz der bürgerlichen Musikpflege entsprechend eingerichtet und durch Erläuterungen erhellt wird.¹⁸ Dem, wenn man so will, zwischen den gesellschaftlichen Schichten angesiedelten Milieu der ländlichen Beamten entstammte der ‚Maultrommelvirtuose‘ Franz Koch, der 1761 als 15. und letztes Kind des Land- und Bergrichters Johann Ernst Koch und seiner Gattin Maria Leopoldine, geb. Konhauser von Sternenfeld, in Mittersill zur Welt gekommen war und in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Karriere in Deutschlands Musiksalons machte.¹⁹ Joseph Mohr schließlich, der im einschneidenden Jahr 1816 Stille Nacht! Heilige Nacht! dichtete, war Priester und Franz Xaver Gruber, der das Gedicht zwei Jahre später vertonte²⁰, zunächst Lehrer gewesen, ehe er 1835 als Chorregent und Organist an der Stadtpfarrkirche Hallein dekretiert wurde. Dass das Lied über lange Zeit eine Marginalie der Salzburger Musikgeschichte blieb, bezeugt ein weiteres Mal, wie sehr zeitgenössische Rezeption und später zuwachsende Wirkmächtigkeit auseinanderklaffen können. Dass aber auch Grubers langjähriges engagiertes Wirken um das Musikleben in Hallein, insbesondere die mit einer kontinuierlichen Aktualisierung des Repertoires einher gehende Kirchenmusik an der Stadtpfarrkirche²¹ von Zeitgenossen kaum wahrgenommen wurde, unterstreicht nachdrücklich, dass die Stadt Salzburg trotz aller Verflüchtigung weiterhin den Fokus des intellektuellen Lebens im Land abgab. Über dortige Formen organisierter Musikkultur wird in Landesbeschreibungen und Reiseerzählungen allerdings nur gelegentlich, überdies als Nebensächlichkeit berichtet. Dagegen wirken Traditionen dieser literarischen Genres in die Art der Darstellung nachhaltig ein: Monumente der römischen und mittelalterlichen Vergangenheit, verflochten mit politischer Geschichte, sowie naturwissenschaftliche Perspektiven, allesamt in der Aufklärung als Topoi etabliert, werden als Schwerpunkte beibehalten. Darüber hinaus haftet den Schilderungen ein doppelter Filter an, denn zum einen geben sie in der Regel einen Blick von außen preis, und zum anderen waren sie von Grund auf informell, für die Öffentlichkeit gedacht, konkreter noch: auf eine bestimmte Leserschaft ausgerichtet. Selbst wenn eine geschilderte Reise niemals gemacht wurde, ein Autor seine Eindrücke oder Informationen aus früher erschienenen Schriften übernahm oder gar abschrieb, jede Auslese von Notizen eine individuelle, geprägt durch das Wissen, die Perspektive und die Intentionen des Autors bzw. der Autorin gewesen ist: Diese Schriften zeichnen ein Bild von Salzburg, das als Grundlage der breiten öffentlichen Meinung zugänglich war.
Dergestalt kann der aus dem bayerischen Donauwörth gebürtige, seit den frühen 1780er Jahren in Salzburg tätige Redakteur und Publizist Lorenz Hübner mit seinen in den 1790er Jahren veröffentlichten Schriften als offizielles Sprachrohr der Salzburger Regierung gelten. Seine für die damalige Zeit phänomenal präzisen statistisch-topographischen Erfassungen bieten eine Fülle von Daten auch zum kulturellen Leben in Stadt und Land Salzburg, die in der Tat bis zur Institutionalisierung des Kronlandes unerreicht blieben und denen zumal von nachfolgenden Autoren verschiedentlich entlehnt wurde. Gerade weil Hübners Veröffentlichungen einem späteren Leserkreis offensichtlich bekannt waren, geben sie einen sinnfälligen taxonomischen Ausgangspunkt für die Einschätzung der landesbeschreibenden Literatur noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ab. Hübners 1792/93 veröffentlichte Beschreibung der hochfürstlich=erzbischöflichen Haupt= und Residenzstadt Salzburg und ihrer Gegenden verbunden mit ihrer ältesten Geschichte, seine für das hier verfolgte Anliegen informativste Schrift, enthält im ersten von zwei Bänden in den Beschreibungen der diversen Baudenkmäler immer wieder auch Hinweise auf den „Musik=Chor" und gelegentlich zur Orgel in Kirchen.²² Im zweiten Band folgen unter anderem kurze Beschreibungen der gegenwärtigen Hofmusik und Hoftrompeterei, Notizen zum Theater sowie Kurzbiographien der bedeutendsten zeitgenössischen Instrumentenbauer und „Tonkünstler".²³ Ein solch dichter Informationsgehalt wurde nicht wieder erreicht. Dazu mag einesteils das politische Schicksal Salzburgs beigetragen haben, gewiss aber auch ein veränderter Zugang, den die meisten der Autorinnen und Autoren in solcherart literarischen Gattungen wählten. Dazu gehörte vor allem eine sentimentale Ader, die Natürlichkeit sublimierte und sich dabei nicht scheute, volksmusikalische Beobachtungen entsprechend zu instrumentalisieren. Wenn es dem Stimmungsbild entsprach, konnten dabei ein Bursch oder Mädl vom Land, also ein Knecht oder eine Magd allemal Erwähnung finden. Grundsätzlich jedoch brachte man Musik der unteren Schichten wenig Interesse entgegen; wenn überhaupt, dann galt es – Hübners einschlägigen Mitteilungen in seiner Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfürstenthums Salzburg in Hinsicht auf Topographie und Statistik von 1796 folgend²⁴ – nur den ländlichen Gegenden.²⁵ Einzig Hübner deutet einmal an, dass auch im kleinbürgerlichen Milieu der Stadt Salzburg ein gewerbliches Musizieren zur Unterhaltung, aber auch in Brauchausübung stattfindet, wenn er – nahezu verstohlen, aber ehrlich – unter „Folgende ernähren sich, unter Aufsicht der Polizey, durch eigene Industrie, ohne anderen Zusammenhang neben Schweinschneidern, Scherenschleifern, Vogelfängern usf. auch „Spielleute, […], Todtenansager
und „Todtensinger" anführt.²⁶ Dem folgte ein jahrhundertlanges (Ver-)Schweigen.
Mehr ist über das ‚süße Leben‘ in der Stadt zu erfahren: „Alles athmet hier den Geist des Vergnügens und der Lust. Man schmaußt, tanzt, macht Musicken, liebt und spielt zum Rasen, und ich habe noch keinen Ort gesehen, wo man mit so wenig Geld so viel Sinnliches genießen kann […]", schreibt 1784 der reisende Franzose, Johann Kaspar Riesbeck.²⁷ Dagegen ist Hübner, was die Bedeutung des Theaterlebens für die – nunmehr besser gestellten – Salzburger betrifft, erstaunlich zurückhaltend. Vielleicht sah er sich aufgrund seines Dienstverhältnisses am erzbischöflichen Hof dazu verpflichtet, im Hinblick auf ‚Vergnügungen‘ dessen Würde und auch Durchschlagskraft zu wahren, wie er es vergleichsweise bezüglich der Hintanhaltung verbotener, heimlicher Tanzhaltungen auf dem Land unternommen hat.²⁸ Jedenfalls wird die ‚Theaterwut‘ der Salzburger aus anderen Quellen bestätigt. In Friedrich Graf Spaurs Worten schimmern freilich auch mangelnde Alternativen durch:
[…] so droht dem hiesigen Stadtbewohner die Langeweile, wenn er nicht von 6 Uhr Abends bis 9 Uhr in dem Theater zubringen kann. Von so verschiedenem Werthe auch die Schauspielergesellschaften waren, welche seit 15 Jahren hier spielten; der Grad ihrer Mittelmäßigkeit mag auch noch so groß, und die Geschmacklosigkeit der aufgeführten Schauspiele noch so auffallend gewesen seyn; so wurde das Salzburger Völkchen doch von diesem Magnet an und in das Theater gezogen.²⁹
Während Spaur die Qualität der Theaterstücke und vor allem das „Schauspielhaus als „ganz zweckwidrig aus baufälligen Mauern
bestehend³⁰ hart kritisiert, seien dort „beynahe alle Opern […] gut gegeben" worden und wird vor allem das kurfürstliche Orchester, das damals das Theater mit bediente, ausnehmend gelobt.³¹ Lob gilt auch der Kirchenmusik im Dom, allerdings mit einer das Repertoire betreffenden Einschränkung, die für die kommenden Jahrzehnte nicht ohne Belang zu sein scheint:
Vortrefflich und richtig werden stets die Chöre sowohl in der Kirchenmusik, als bey Arien und Konzerten von den Chorvikarien und Sängern des Doms und den Kapellknaben vorgetragen […]. Ueberhaupt muß ich dir bemerken, daß ich nirgends ausser Italien vollständigere, und besser vorgetragene Kirchenmusik gehört habe, als in Salzburg. […] Oft hingegen möchte man auch gern die Kirche verlassen, wenn alte, hundertmal wiederholte Kompositionen, denen es öfters nicht an musikalischem Werthe fehlt, von diesem sonst guten Orchester mit einer Nachläßigkeit und Trägheit vorgetragen werden, die den Unbefangensten empören muß.³²
Gemeint sind wohl jene Gesänge des Proprium missae aus den Codices der Wachskammer, die nachweislich bis ins 19. Jahrhundert am Dom in Gebrauch waren. Der kritische Blick Graf Spaurs sah noch ein anderes Defizit, das wohl nicht folgenlos geblieben ist und durchaus als Merkmal des Musiklebens im Übergang ins 19. Jahrhundert gedeutet werden kann:
Der jetzige liebenswürdige Kurfürst, ein Kenner der Musik und sowohl im Gesange als auf dem Klaviere Virtuos, unterhält sich beynahe jeden Abend mit seinem Orchester, mit dem er die besten Opern, die schönste Kirchenmusik und andere vortreffliche Meisterstücke aufführt; niemand hat aber Zutritt bey diesen harmonischen Unterhaltungen. Dadurch blieb die Gesellschaft des Adels, nach der Entfernung des Erzbischofs von Salzburg, getrennt, und beynahe jede Dame hat zu Hause ihr Spiel.³³
Dass sich Unterhaltungen aller Art in Zeiten der Besatzung anders gestalteten, versteht sich von selbst. Ein französischer Offizier staunte dennoch bei seinem Theaterbesuch:
Ich habe lange kein so leeres Haus und keine so erbärmliche Vorstellung, wie gestern hier, gesehn. Daß keine Einwohner im Theater waren, errathen Sie von selbst. Aber es war auch nicht viel Militair da, und das Stück so erbärmlich, so indezent, daß ich nicht begreife, wie man so etwas auf’s Theater bringen kann.³⁴
Das Niveau des Theaterlebens scheint also schon in den letzten Jahren der politischen Selbständigkeit Salzburgs ziemlich brach gelegen zu haben.³⁵ Insgesamt ergeben sich einige Anhaltspunkte um die Eindrücke Franz Sartoris zu relativieren, dessen Bericht aus dem Jahr 1811 infolge seiner beruflichen Tätigkeit als Zensor im Vormärz und einer gewissen Drastik immer besondere Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist:
Große, zwey, drey oder auch vier Stockwerke hohe Häuser, von denen oft zwey Stockwerke unbewohnt und leer sind, das Gras, was an den Plätzen in den Straßen, und an den Häusern wächst, die öde todte Stille und der Mangel an Menschen, welche die leeren Plätze der Stadt füllten, machen einem Wiener die schreckliche Langeweile, wenn er zwischen diesen hohen Mauern eingesperrt seyn muß.³⁶
Sartoris Notizen zum gesellschaftlichen Leben in der Stadt knüpfen sodann an Spaurs Beobachtungen durchaus an, zudem ist die von ihm als Momentaufnahme (!) geschilderte Situation wesentlich auf die politischen Umstände des unmittelbaren Vorfeldes zurückzuführen:
Düsteres kaltes Leben ist an die Stelle der ehemaligen Gesellschaftlichkeit getreten. […] Jede Familie zieht sich zurück, und beschränkt sich auf ihr eigenes Haus; man lebt hier, wie in Schneckenhäusern; das Theater und die öffentlichen Vergnügungsörter sind leer, man hält das Seinige zu Rathe, weil man noch trüben Tagen entgegen sieht.
Aber Sartori konzediert:
Indessen ist doch die Schauspielergesellschaft unter der Direction des braven Herrn Anton Ferrari besser, als man glauben sollte. […] Auch Singspiele von Mozart, Winter, Pär [Paer] und Cherubini [mithin ein für damals aktuelles Repertoire (!)] werden, da hier das Orchester noch seit Ferdinands Regierung gut bestellt ist, manchmahl mit vielem Beyfalle gegeben, obschon Salzburg keine Sänger oder Sängerinnen aufzuweisen vermag, die ein vorzügliches Aufsehen erregen.³⁷
Nur zwei Jahre nach Sartoris Reisebericht erschien, sicher durch die bayerische Regierung protegiert, ein statistisches Handbuch zu Salzburg, verfasst von Franz Xaver Weilmeyr, Salzburg, die Hauptstadt des Salzach=Kreises. Ein Hand= und Addreß=Buch für Jedermann. Weilmeyr erwähnt sogar die ‚Orgellandschaft‘ des Salzburger Domes, zählt ferner das Kapellhaus als Bildungsstätte, Theater und Museum als Bildungsoptionen auf: „Wie in den übrigen Hauptstädten des Königreichs hat sich auch hier zu Ende des Jahres 1810 eine Gesellschaft gebildet, deren Tendenz literarische Ausbildung durch Lektüre, Konversation und Musik, und geselliges Vergnügen ist."³⁸ Insgesamt betreibt Weilmeyr ausgiebige Schönfärberei, aber es lässt sich gerade anhand seiner Darstellung³⁹ absehen, dass die Öffentlichkeit den Eindruck des Niedergangs nachhaltig zu unterbinden suchte, wie sich andererseits die städtische Bevölkerung eines solchen Verdikts nicht unterworfen hätte. Der – letztlich auch kulturelle – Selbstbehauptungswille trug zwar weitgehend privaten Charakter, war aber auch damals vorhanden.⁴⁰
Franz Sartori nimmt mit dem Gegensatz der Stadt Salzburg als einem „kalten traurigen Mauerwerk, in dem er „es nicht über vier Tage aushalten konnte
, und ihrer schönen Umgebung ein schon Grund gelegtes Topos der Reiseliteratur für das 19. Jahrhundert wieder auf.⁴¹ Je mehr nun aus einem mentalitätsgeschichtlich verankerten, romantischen Blickwinkel heraus die Reize der Landschaft um Salzburg wahrgenommen wurden, desto weniger blieben Platz und Zeit für das Ambiente der Stadt.
Den großen Ruf, den die Lage und Umgegend von Salzburg hat, verdient sie nach meinem Urtheil mit vollem Rechte; denn ich kenne keine Gegend, die mit der Salzburger zu vergleichen wäre, wenn ich einige in der Schweiz etwa ausnehmen will, die jedoch nie die großen herrlichen grünen Flächen darbieten, die Salzburg mit so hohen Bergen abwechselnd dem Auge darstellt. / Und die Gegenden von Neapel und Salem haben einen ganz anderen Typus, als daß sie überhaupt mit nördlichen Naturscenen verglichen werden könnten,
schreibt 1820 Toussaint von Charpentier⁴²; „Auch hat die Stadt eben nicht viel Sehenswerthes, und macht trotz ihrer wundervollen Lage keinen angenehmen und freundlichen Eindruck", heißt es abschätzig zwanzig Jahre später in einem anonym erschienenen Reiseführer.⁴³ Die Romantisierung der umliegenden Landschaft, die sich zeitgleich in der Bildenden Kunst Bahn brach, färbt jedoch bei mindestens einem Autor auf die Stadt zurück. Joseph August Schultes, vorwiegend geographisch-montanistisch sowie naturkundlich orientiert und jedenfalls nicht romantisch gesonnen – schildert bereits im Jahr 1804 (!) im ersten Teil seiner Reise auf den Glockner an Kärntens, Salzburgs und Tirols Grenze: „Die Gegend von Salzburg ist der Vereinigungspunct aller Naturschönheiten, die die üppigste Phantasie sich auf dem Continenten wünschen kann", fühlt sich an Italien erinnert und erfreut sich am – offenkundig bereits in Zeiten des Kurfürstentums – zwischen den Pflastersteinen hervor sprießenden Gras.⁴⁴
Neben dessen Büscheln gab es auch musikalisch-kulturelle Traditionsschienen von Wirkmächtigkeit. Ein Vergleich der 1821 in Benedikt Pillweins bzw. 1845 in Georg Abdon Pichlers Personenlexikon genannten Sänger, Instrumentalisten und Komponisten verdeutlicht, wem nachhaltige Bedeutung zu Teil wurde bzw. inwieweit sich ein Austausch in der Wertschätzung vollzog (vgl. dazu Anhang). Die Aufstellung zeigt aber auch, dass die Autoren an der Erfassung des aktuellen Standes interessiert waren, der keineswegs gering geschätzt wurde. Insofern könnte man den Einbruch, der die Musik am Dom nach Auflösung der Hofmusikkapelle betraf, auch als Zeichen eines allmählichen Neuanfangs beleuchten – eine erste abfällige Notiz über die schließlich 1859 abgetragenen Musikemporen findet sich ja bereits 1794.⁴⁵ Und das verniedlichte Repertoire des Theaters ließe sich unter Umständen als Konstante herausheben.⁴⁶ Unzweifelhaft beanspruchte jedenfalls das Glockenspiel zeitenüberdauernd die Aufmerksamkeit der Gäste; es zählt zu den am häufigsten in Reiseschilderungen genannten Sehenswürdigkeiten Salzburgs.⁴⁷ Sogar der als Orientalist berühmte Diplomat Joseph von Hammer-Purgstall liebte es zuzuhören, wenn das Glockenspiel dreimal am Tag je viermal eine „gut gewählte" Melodie spielte.⁴⁸ Eine weitere Attraktion war das Grabmal Michael Haydns in der Kirche der Erzabtei St. Peter, dessen Zustandekommen 1827 über eine Liste von Spendern (darunter auch Franz Xaver Gruber, damals noch Lehrer in Arnsdorf) budgetär abgesichert wurde⁴⁹, was nebenher abermals einen Hinweis auf lebendige Historizität im damaligen Tagesgeschehen liefert.
Abb. 1: Grabmal von Johann Michael Haydn in der Kirche der Erzabtei St. Peter in Salzburg, Kupferstich von Johann Gabriel Friedrich Poppel, aus: J. Poppel / M. Kurz (Hg.), Salzburg und seine Umgebungen, München 1845, o. Sz. (nach dem Exemplar der Universitätsbibliothek Salzburg, G 475 I)
Unter die prominenten Besucher des Haydn-Grabs reiht sich bekanntlich Franz Schubert ein.⁵⁰ Als tragende ‚Vaterfigur‘ der nächsten Generation sollte man Michael Haydn jedoch nicht uneingeschränkt sehen; er lebte in seinen späten Lebensjahren zurückgezogen und war – jedenfalls für Graf Spaur – dem kompositorischen Aufbruch in eine neue Zeit teils fern gestanden:
So groß Michaels Kunst und Ruf auch ist, so anspruchslos und still ist doch dieser Künstler, der das Gute und die Fehler fremder Sparten mit einem schnellen Kennerblick durchschaut, und seine eigenen Arbeiten, ohne die Hilfe eines Instrumentes aus seiner Denkart hervor bringt und auf das Papier mit ausserordentlicher theoretischer Richtigkeit trägt. Schade! daß er fremden Musiken sein Ohr ungern leiht, und seiner Phantasie mehr durch Lektüre, als durch die gute Musik anderer Tonkünstler Nahrung verschaft [sic]. Er könnte dadurch die Trockenheit, welche nicht mit Unrecht manchen seiner Kompositionen vorgeworfen wird, vermeiden, und seinem Style dem der Kunstsinn mit zu starken Farben aufgetragen ist, und der nur den Kenner nicht aber den Schwarm der Musikliebhaber befriedigen kann, eine gefälligere Rundung geben.
Hinzugefügt wird allerdings noch ein weiterer Satz: „Indessen sind alle seine Lieder, und seine neuere Kirchenmusik, besonders jene, welche er für Ihre Majestät die Kaiserin nach Wien komponirte, von jenem Tadel frey."⁵¹ Graf Spaur holte damit ein, dass Salzburg insbesondere Michael Haydns wegen denn doch vielfach mit guter Kirchenmusik verbunden wurde. Dass Adolf Schmidl 1834 und Friedrich Hurter 1839 Haydns Grabmal erwähnen, der Name Mozart aber nicht fällt⁵², hält sich die Waage mit der Nennung beider Komponisten – so geschieht es bei Leopold Chimani 1830 und Frances Trollope 1838.⁵³ Vorausweisend muten einige Zeilen Trollopes über Mozart an: „Es würde Salzburg zur Ehre gereichen, wenn es diesem unsterblichen Manne ein öffentliches Denkmal errichtete. […]"⁵⁴ Offenkundig hatte die Autorin vom diesbezüglichen Vorhaben erfahren, das damals über Spendenaufrufe schon mehrmals publik gemacht worden war.⁵⁵
Abb. 2: Das Mozart-Denkmal in Salzburg, Kupferstich von Johann Gabriel Friedrich Poppel, aus: J. Poppel / M. Kurz (Hg.), Salzburg und seine Umgebungen, Munchen 1845, o. Sz. (nach dem Exemplar der Universitatsbibliothek Salzburg, G 475 I)
Sogleich nach seiner Errichtung wird das Mozart-Denkmal ein Fixpunkt der Reiseliteratur zur Stadt Salzburg. Franz Carl Weidmann beschreibt 1845 nicht nur die Statue, sondern berichtet weiters über ein „Mozartzimmer im Gasthof Goldener Hirsch, wo sich die Künstler während der Feierlichkeiten zur Denkmal-Enthüllung zu treffen pflegten; es wird aber auch auf Michael Haydns Wohnhaus und das „Haydnstübchen
im Peterskeller hingewiesen.⁵⁶ Wie aus dem Nichts setzte dazumal der Fremdenverkehr in großer Heftigkeit ein und überlagerte autochthones kulturelles Leben, wenn er es nicht verdrängte: „Man kommt nach Salzburg, um seine wollüstigen Reisetriebe, seine Schaulust und Neugierde zu büßen. Ob diese Stadt auch ihre Sorgen, ihre Noth, ihre eigene Lust und Freude habe, danach fragt Niemand, heißt es 1842 bei Johann Georg Kohl.⁵⁷ Dass der volkstümliche Hans Jörgel das Mozart-Denkmal besucht und mit sehr belanglosen Worten wie „Da steht der große Tonmeister, und schaut begeistert h’nauf zum Himmel
bedenkt⁵⁸, bezeugt immerhin, dass sich über kurz ein erster Massentourismus ergab. An Haydns Grab kam Hans Jörgel nicht vorbei. Im Bändchen Salzburg und seine Umgebungen mit Illustrationen von Poppel und Kurz finden wiederum beide Monumente Beachtung, darüber hinaus wird – was sonst nirgends zu lesen ist – in einem erstaunlich modern abgefassten Absatz auch Nannerl Mozart gewürdigt:
Ganz nahe bei Haydn’s Denkmal sieht man an der Kirchenwand einen Stein eingemauert, der das Andenken an ein musicalisches Genie, eine Freiin Berchtold von Sonnenburg, aufbewahrt. Sie war die Schwester W. A. Mozarts, und theilte mit ihm auf ihren gemeinschaftlichen Reisen die Bewunderung Europas. So sind nebeneinander die Denkmäler eines Componisten und einer Virtuosin, deren Brüder in der Geschichte der deutschen Musik Epoche machten.⁵⁹
Der Gegenwart verbunden sind die Nachrichten bei Julius Ritter von Schröckinger-Neudenberg, der 1851 festhält, dass sich ein „Kunstverein, welcher vielfach von Münchner=Künstlern beschickt wird"⁶⁰ sowie der „Dommusik=Verein und Mozarteum um das Kulturleben bemühten und es „während der Wintermonate beinahe täglich Theatervorstellungen
gäbe.⁶¹ Die Frage ihres Standards ist jedoch erneut aufzuwerfen, wenn man bei Kohl 1842 liest:
[…] das Vergnügen, welches das gebildete Publicum einer so berühmten deutschen Stadt an diesem schlecht verfaßten und noch schlechter ausgeführten Stücke [„Entführung vom Maskenball"] nahm, machte mir Schmerz. Die Witze und Anspielungen, welche sich die Schauspieler erlaubten, waren oft zum Erröthen plump und gemein, und ich mochte zuweilen nicht einmal auf die Bühne blicken, so erbärmlich war die ganze Action. […] Dürfte ich den Geschmack des Salzburger Publicums nach dieser Vorstellung beurtheilen, so müßte ich ihn für äußerst schlecht erklären. Ich denke mir, daß hinter dem Publicum, welches ich hier versammelt sah, noch ein anderes in Salzburg lebt, welches an solchen Vorstellungen keinen Antheil nimmt und darüber zürnt, wie wir es thaten.⁶²
Oder war eine gewisse Lethargie, die Matthias Koch 1846 den Salzburgern unterstellt, ein Grundzug ihres damaligen Wesens? Nach Koch hält
der Salzburger […] seine Welt für die beste und bewegt sich darin mit der Selbstbefriedigung und Behaglichkeit eines Menschen, der in den abgeschlossenen Kreis seines Seins und Schaffens absichtlich nicht aufnimmt, was an seinem Zustande rütteln, und ihm von der Richtigkeit seiner Anschauungsweise einen Zweifel zuführen könnte. Es geschieht dies zum Theile wohl, um keine unangenehmen Erfahrungen zu machen und mit der Macht der Gewohnheit, der er hingegeben ist, nicht in einen Widerstreit zu geraten.⁶³
Eine „Macht der Gewohnheit" freilich, die ohne ein entsprechendes Musikleben nicht auskam.
Vergleich der 1821 in Benedikt Pillweins bzw. 1845 in Georg Abdon Pichlers Personenlexikon genannten Sänger, Instrumentalisten und Komponisten
(Namen, die beidemal aufgenommen wurden, sind schwarz gekennzeichnet)
Anmerkungen
1 Manfred Hermann Schmid unter Mitarbeit von P. Petrus Eder, Mozart in Salzburg. Ein Ort für sein Talent , Salzburg: Anton Pustet 2006.
2 Alfred Einstein, Greatness in Music , New York: Oxford University Press 1941, dt. Erstausgabe unter dem Titel Größe in der Musik , Zürich / Stuttgart: Pan-Verlag 1949, ² 1951.
3 Constantin Schneider, Geschichte der Musik in Salzburg von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart , Salzburg: R. Kiesel 1935, gleichnamiges Kapitel, S. 160–168.
4 Ebenda, S. 150.
5 Rudolph Angermüller (Hg.), Bürgerliche Musikkultur im 19. Jahrhundert in Salzburg. Ein Symposion aus Anlaß des hundertjährigen Gründungstages der Internationalen Stiftung Mozarteum , Salzburg: Internationale Stiftung Mozarteum 1981.
6 Gerhard Walterskirchen, Theater, Redouten, Liebhaber-Konzert, Haus- und Salonmusik an der Wende zum 19. Jahrhundert , in: Salzburger Musikgeschichte. Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert , hg. v. Jürg Stenzl / Ernst Hintermaier / Gerhard Walterskirchen, Salzburg: Anton Pustet 2005, S. 371–382.
7 Für einen Überblick zur geschichtlichen Entwicklung Salzburgs vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. insbesondere Franz Ortner / Peter Putzer, Zwischen Habsburg und Wittelsbach – Säkularisation und Franzosenkriege , in: Geschichte Salzburgs. Stadt und Land , Bd. 2: Neuzeit und Zeitgeschichte , Teil 2, hg. v. Heinz Dopsch / Hans Spatzenegger, Salzburg: Anton Pustet 1988, S. 587–659, sowie Hanns Haas, Salzburg in der Habsburgermonarchie: Vormärz, Revolution und Neoabsolutismus , ebenda, S. 661–717.
8 Robert Hoffmann, Gesellschaft, Politik und Kultur in der Stadt Salzburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts , in: Bürgerliche Musikkultur im 19. Jahrhundert in Salzburg. Ein Symposion aus Anlaß des hundertjährigen Gründungstages der Internationalen Stiftung Mozarteum , hg. v. Rudolph Angermüller, Salzburg: Internationale Stiftung Mozarteum 1981, S. 9–39: 16.
9 Die umfassendste Auseinandersetzung mit der Geschichte Salzburgs im 19. Jahrhundert vor kulturellem Hintergrund findet sich in Robert Hoffmann, Mythos Salzburg. Bilder einer Stadt , Salzburg / München: Anton Pustet 2002.
10 Karl Wagner, Das Salzburger Bürgertum und dessen Musik- und Mozartpflege in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts , in: Bürgerliche Musikkultur im 19. Jahrhundert in Salzburg. Ein Symposion aus Anlaß des hundertjährigen Gründungstages der Internationalen Stiftung Mozarteum , hg. v. Rudolph Angermüller, Salzburg: Internationale Stiftung Mozarteum 1981, S. 31–43: 43.
11 Walterskirchen, Theater, Redouten, Liebhaber-Konzert, Haus- und Salonmusik (wie Anm. 6), S. 375.
12 Adolf Schmidl, Reisehandbuch durch das Erzherzogthum Oesterreich mit Salzburg, Obersteyermark und Tirol , Wien: Gerold ² 1834 ( Rudolph von Jenny’s Handbuch für Reisende in dem österreichischen Kaiserstaate 1), S. 333.
13 Ausführlich über Mitglieder und Tätigkeit des „Museums" Thomas Weidenholzer, Bürgerliche Gesellschaft und Formen der Öffentlichkeit in Salzburg 1780–1820 , in: Bürger zwischen Tradition und Modernität , hg. v. Robert Hoffmann, Wien / Köln / Weimar: Böhlau 1997 ( Bürgertum in der Habsburgermonarchie 6), S. 53–82, bes. 66–71.
14 Weidenholzer, Bürgerliche Gesellschaft (wie Anm. 13), S. 67.
15 Ebenda, S. 66.
16 Ebenda, S. 66 und 69.
17 Vgl. Gerlinde Haid / Thomas Hochradner, Lieder und Tänze um 1800 aus der Sonnleithner-Sammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien , mit einem Beitrag von Sabine Veits-Falk und Alfred Stefan Weiß und unter Mitarbeit von Walter Deutsch und Annemarie Gschwantler hg. v. Salzburger Volksliedwerk, Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2000 ( Corpus Musicae Popularis Austriacae 12).
18 Benedikt Hacker, Lustige GESAENGE aus den norischen Alpen für eine, zwey und mehrere Singstimmen mit Begleitung des Piano=Forte , Salzburg [1816] in sechs Lieferungen, später nachgedruckt; vgl. Thomas Hochradner, Traditionen zwischen Alpen-Idyll und Folklorismus , in: Haid / Hochradner, Lieder und Tänze um 1800 (wie Anm. 17), S. 90–141: 136–140.
19 Vgl. Hans Roth, Franz Koch, der Maultrommelvirtuose aus dem Pinzgau. Eine literarische Quelle in Jean Pauls „Hesperus" , in: Volksmusik in Oberbayern. Ein Geburtstagsbuch für den Fanderl Wastl , bearb. von Wolfi Scheck und Ernst Schusser, hg. v. Bezirk Oberbayern, o. O. 1985, S. 165–177; Thomas Hochradner, Ein Stammbuch des „Maultrommelvirtuosen" Franz Koch , in: Salzburger Volkskultur 22 (1998), Heft 2, S. 68–72.
20 Zu „Stille Nacht" vgl. Thomas Hochradner / Gerhard Walterskirchen (Hg.), Stille Nacht. Die Autographen von Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber. Mit Dokumenten zur Geschichte des Liedes , unter Mitarbeit von Horst Ebeling, Renate Ebeling-Winkler, Manfred W. K. Fischer, Helmut Junger und Eva Neumayr, München: Strube 2008 ( Denkmäler der Musik in Salzburg. Faksimile-Ausgaben 15), ebendort weitere Literaturhinweise.
21 Vgl. Thomas Hochradner, Kirchenmusik in Hallein im 19. Jahrhundert ,