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ATLAN Rudyn 2: Das Sphärenrad
ATLAN Rudyn 2: Das Sphärenrad
ATLAN Rudyn 2: Das Sphärenrad
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ATLAN Rudyn 2: Das Sphärenrad

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About this ebook

August 3102 alte Terranische Zeitrechnung:

Die Milchstraße ist ein gefährlicher Ort. Verschiedene Organisationen kämpfen gegen das Solare Imperium der Menschheit, Sternenreiche entstehen neu, und überall ringen kleine Machtgruppen um mehr Einfluss. In dieser Zeit geht die United Stars Organisation - kurz USO genannt - gegen das organisierte Verbrechen vor.

An ihrer Spitze steht kein Geringerer als Atlan: Perry Rhodans bester Freund. Der ca. 9000 Jahre v. Chr. geborene Arkonide ist dank eines Zellaktivators relativ unsterblich. Als junger Kristallprinz erkämpft er sich die rechtmäßige Nachfolge und besteigt als Imperator Arkons Thron, bis er im Jahre 2115 abdankt und die Leitung der neu gegründeten USO übernimmt.

Signale eines Zellaktivators, der dem Träger die Unsterblichkeit garantiert, werden empfangen. Auf der Jagd nach diesem Gerät verfolgen Atlan und die Psi- Kämpferin Trilith Okt Agenten der Zentralgalaktischen Union. Ihr Weg führt sie ins Ephelegon-System, an Bord des Sphärenrads ZUIM, auf dem sich Ponter Nastase aufhält. Der Kalfaktor für Wissenschaften hat ehrgeizigen Pläne, die er eiskalt und ohne Rücksicht umsetzen will. Atlan gerät zwischen die Fronten, als es zu einer richtungsentscheidenden Auseinandersetzung an Bord der ZUIM kommt ...
LanguageDeutsch
Release dateApr 8, 2015
ISBN9783845349367
ATLAN Rudyn 2: Das Sphärenrad

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    ATLAN Rudyn 2 - Rüdiger Schäfer

    cover.jpgimg1.jpg

    Zweiter Band der Rudyn-Trilogie

    Das Sphärenrad

    von Rüdiger Schäfer

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    Danksagung

    Danke an

    … Sabine und Klaus, für einen Megatrip mit dem alten Arkoniden.

    … Michael, für Lob, Kritik, Motivation und so viel mehr.

    … Schwesterherz, für die wissenschaftliche Beratung.

    … Rainer, für all die detaillierten Auskünfte und das umfangreiche Datenmaterial.

    … Gaby und Peter, für die Freundschaft und die großartige Verpflegung.

    … Angelika, fürs Testlesen – und das Futter für meinen DVD-Player.

    … Colin, fürs Testlesen – und ein Zwei-Stunden-Telefonat über Beinamputationen.

    … Helmut, für das Abschleifen der letzten Ecken und Kanten.

    … den vielen fleißigen Mitarbeitern der Perrypedia für ihre großartige Arbeit.

    Rüdiger Schäfer

    Kleines Who is Who

    Atlan – der Lordadmiral der USO auf der Jagd nach der Unsterblichkeit

    Trilith Okt – die rätselhafte Psi-Kämpferin weiß was sie will – und wie sie es bekommt

    Lalia Bir – nicht nur ihr Leben hängt an einem hauchdünnen Faden

    Ponter Nastase – der Kalfaktor für Wissenschaften probt den »Krisenfall Sturmwind«

    Neife Varidis – die Geheimdienstchefin spielt mit hohem Risiko

    Morchete – die Springerpatriarchin hört schlecht, merkt aber viel

    Mimarche – Morchetes erste Tochter

    Druchima – Morchetes zweite Tochter

    Dorchante – Morchetes dritte Tochter

    Kaltechte – Morchetes vierte Tochter

    Archimpe – Morchetes fünfte Tochter

    Rucharda – Morchetes sechste Tochter

    Jesper Gablenz – sein Pflichtbewusstsein wird ihm zum Verhängnis

    Cole Wagman – der Erste Offizier der TRADIUM hat Gewichtsprobleme

    Ernesta Gori – der ZGU-Agentin liegt das Wohl der Union am Herzen

    Holzer M. Buchard – ein Techniker Klasse 2 mit philosophischen Anwandlungen

    Fresko Balibari – Holzers bester Freund und Arbeitskollege

    Sente Maluba – der Kapitän der KAPIUR hält die USO für eine Verbrecherorganisation

    Balton Wyt – die spätere Mutantenlegende als junger Offizier

    Kikomo Akubari – persönlicher Adjutant von Ponter Nastase

    Anjelka Ziemann – persönliche Referentin der Kalfaktorin für Wirtschaft und Entwicklung

    Karaia Cortez – die Wartungsspezialistin auf der ZUIM bricht Holzers Herz

    Melvin Alachaim – der Oberst der ZGU ist zur falschen Zeit am falschen Ort

    Saul Puskasz – der Techniker Klasse 4 hat seine Stiefel verloren

    Oderich Musek – der persönliche Berater von Neife Varidis hasst Waffen

    Marco Fau – Kalfaktor für Kriegswesen und Verbündeter Ponter Nastases

    Ermid Güc – Kalfaktor für Flottenaufbau und Verbündeter Ponter Nastases

    Morchete

    Vergangenheit

    »Reparieren?«

    Dorchante sprang so heftig von ihrem Sessel auf, dass die vier langen roten Zöpfe wie aus dem Schlaf geschreckte Targos-Schlangen um ihren Kopf wirbelten. »Da ist nichts mehr zu reparieren, Mutter! Der Strukturfeld-Konverter besteht nur noch aus notdürftig geflickten Ersatzteilen und mindestens zwei Tonnen Mehrkomponentenkleber. Ab einer Sprungweite von mehr als hundert Lichtjahren kann ich für nichts mehr garantieren.«

    »Dir ist offenbar nicht bewusst, was so ein Konverter kostet.« Morchete hatte die Arme vor ihrem ausladenden Brustkorb verschränkt und starrte ihre drittälteste Tochter missmutig an. »Selbst gebraucht reden wir hier von einer sechsstelligen Summe. Und wie bescheiden die Geschäfte derzeit laufen, muss ich dir wohl nicht erklären, oder?«

    »Derzeit?« Dorchante, die mit ihrer Leibesfülle ihrer Mutter in nichts nachstand, schnaubte verächtlich. »Seit mehr als einem Jahr fliegen wir in unseren Laderäumen kaum mehr als Gulmendreck spazieren. Selbst die Transporte für die GCC spielen gerade einmal die Betriebskosten ein.«

    »Hüte deine Zunge!« Die aufgeblasenen Wangen Morchetes wiesen auf einmal die gleiche Tönung wie ihre für Springer untypisch kurz geschnittenen roten Haare auf. »Wir leben in schwierigen Zeiten. Viele Sippen kämpfen derzeit um ihre wirtschaftliche Existenz. Und die MORCH I …«

    »… ist ein Wrack«, unterbrach Dorchante respektlos. »Das alles ändert nichts an den Tatsachen, Mutter. Wenn wir nicht bald zumindest die notwendigsten Wartungsarbeiten durchführen, wird dieser Raumer …«

    Ein dumpfes Krachen aus den Tiefen des Schiffsrumpfes brachte die schwergewichtige Springerin vorübergehend zum Schweigen. Dorchante packte unwillkürlich die Lehne des Sessels, als die MORCH I von einem Zittern durchlaufen wurde. Der Boden bebte, und auf dem wuchtigen Tisch, der den kleinen Konferenzraum fast vollständig ausfüllte, klirrten Flaschen und Gläser aneinander. Eine Sirene heulte ohrenbetäubend, kam ins Stottern und brach dann ganz ab.

    »Was war das?«, brüllte die Patriarchin.

    Ihre Tochter machte eine ratlose Geste, drehte sich um und schlug auf den Öffnungsmechanismus des Schotts. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die beiden Schotthälften auseinanderfuhren. Morchete stemmte sich jetzt ächzend aus ihrem Sitz und folgte Dorchante in die Zentrale. In dem gut sechs Meter durchmessenden Rund hockte ein gutes Dutzend Springer an ihren Pulten und Steuerkonsolen. Es war viel zu warm und roch nach Schweiß und ungewaschenen Füßen. Die Luftumwälzung arbeitete schon seit Wochen nur noch sporadisch.

    »Kriege ich wohl eine Meldung!«, donnerte die Patriarchin zornig. Sie war in die Mitte der Zentrale gewalzt und hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt. Ihre hinter Fettwülsten verborgenen Augen blitzten mindestens so gefährlich wie die zahlreichen Warnlichter an den Instrumentenpaneelen.

    »Jetzt nicht, Mutter!« Die tiefe Stimme gehörte Rucharda, der jüngsten ihrer sechs Töchter. Mit ihren 150 Kilogramm Lebendgewicht wirkte sie neben ihren Schwestern stets ein wenig schmächtig. Als Pilotin der MORCH I war sie dagegen unersetzlich.

    »Wir sind hier ziemlich beschäftigt«, rief sie und legte eine Reihe von Schaltern auf einem der Kontrollpulte um. Zwei von den roten Lichtern wurden grün, vier grüne dafür rot. Rucharda stieß einen Fluch aus, der ihr selbst in der verrufensten Raumhafenspelunke Lepsos höchsten Respekt eingebracht hätte, und schlug einem neben ihr sitzenden Springer die Faust auf den Schädel. Der Mann, ein bärtiger Kerl mit verfilztem Haupthaar und fleischiger Knubbelnase, grunzte unwillig, schüttelte sich und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Offenbar war er solche Ausbrüche der Pilotin gewöhnt. Währenddessen hatte Dorchante die Anzeigen studiert und beugte sich zu ihrer Mutter hinüber.

    »Es scheint Probleme mit dem Hauptreaktor zu geben«, sagte sie.

    »Probleme!« Rucharda lachte höhnisch. »Das vermaledeite Ding fliegt uns gleich um die Ohren. Eigentlich müssten wir den rostigen Kahn evakuieren – das heißt, wenn wir die drei letzten flugfähigen Beiboote nicht auf Rarschaf IV gegen eine angeblich voll funktionstüchtige Transformkanone eingetauscht hätten.«

    »Halt die Klappe«, giftete Dorchante. »Im Gegensatz zu dir, versuche ich wenigstens, Profit zu machen. Dieser stinkende Terraner machte einen absolut seriösen Eindruck. Was kann ich dafür, dass er in Wahrheit ein …«

    »Schöne Augen hat er dir gemacht«, ließ die Schwester sie nicht ausreden. »Und du bist wie ein verliebtes Mädchen darauf reingefallen. Glaubst du wirklich, dass …«

    »Schluss jetzt!« Die Stimme der Patriarchin zitterte vor mühsam unterdrückter Wut. »Alle beide.« Die MORCH I wurde von einem harten Schlag erschüttert, und die Mägen der Anwesenden rebellierten, als für den Bruchteil einer Sekunde die künstliche Schwerkraft ausfiel. Zwei Bildschirme implodierten und die schon zuvor gehörte Sirene unternahm einen neuen Anlauf, ihren vorbestimmten Zweck zu erfüllen. Sie scheiterte kläglich.

    Das Hauptschott der Zentrale öffnete sich mit lautem Quietschen. Mimarche, Morchetes Erstgeborene, hatte anscheinend geschlafen. Ihre mächtigen nackten Füße ragten wie die Säulen eines antiken Tempels aus dem weit fallenden Nachthemd. Sie warf einen angewiderten Blick in den überfüllten Kommandoraum, kratzte sich ungeniert unter der linken Achsel und enteilte wieder.

    »Abschalten!« Rucharda stand vor einer Reihe Monitore und studierte die dort abgebildeten Daten. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. »Und dann alles auf die Impulstriebwerke 2 und 4. Neuer Kurs. Fünfzehn Lichtjahre voraus gibt es ein unbewohntes Sonnensystem. Zwei Planeten liegen innerhalb der Biosphäre. Mit etwas Glück schaffen wir noch eine Transition ohne auseinanderzubrechen.«

    Die Patriarchin trat neben ihre jüngste Tochter. »Du willst doch nicht etwa eine Notlandung versuchen?«, fragte sie. Aus ihrer Miene war jeglicher Groll verschwunden.

    Rucharda sah sie ernst an. »Nein, Mutter«, sagte sie leise. »Von Wollen kann keine Rede sein. Aber ich fürchte, ich werde es versuchen müssen, wenn wir überleben wollen.«

    Die MORCH I stöhnte und ächzte, wie sie es in den 171 Jahren Indienststellung noch nie zuvor getan hatte. Morchete saß in ihrem Kontursessel in der Mitte der Zentrale und lauschte dem Todeskampf jenes Schiffes, das sie ihrem ersten Ehemann vor fast fünf Jahrzehnten am Spieltisch abgenommen hatte. Aus der GAR I war die MORCH I geworden; Gartak hatte sich in das Unvermeidliche gefügt und Morchete geheiratet. Sie hatte ihm zwei Töchter – Mimarche und Druchima – sowie einen gnädigen Tod in der Reaktorkammer geschenkt, als sie ihn gemeinsam mit einer ihrer Cousinen beim Liebesspiel erwischte.

    Dorchante, die dritte Tochter, war das Ergebnis einer Affäre mit einem ebenso nichtsnutzigen, dafür aber gut aussehenden Techniker auf Archetz, der Hauptwelt ihres Volkes. Während seine Kollegen die MORCH I in der Montagewerft überholten, vergnügten sich Morchete und er im Vorratsraum der Werkskantine. Neben einer völlig überzogenen Rechnung bekam sie als Zugabe ein Kind. Den Vater ihres Kindes sah sie nie mehr wieder.

    Anfang September 2437, kurz nach der verheerenden Raumschlacht zwischen den Dolans, der Zeitpolizei und den durch Posbis und Halutern unterstützten Terranern, hatte sie auf einer Handelskonferenz schließlich jenen Mann kennen gelernt, von dem sie überzeugt gewesen war, er sei der Richtige. Fauron sah gut aus, war charmant und gab ihr das Gefühl, die Galaxis gehöre nur ihnen beiden. Außerdem liebte er die drei Mädchen – und die Mädchen liebten ihn. Sie heirateten, Kaltechte, Archimpe und Rucharda wurden geboren; die Geschäfte gingen gut wie nie, und Morchete spielte bereits mit dem Gedanken, ein zweites Schiff anzuschaffen. Patriarchinnen waren bei den Springern ohnehin eine Seltenheit und wurden eher belächelt, aber erfolgreiche Patriarchinnen zählten zu den kleinen Wundern ihres Volkes.

    Oh ja, sie hatten ein schönes Leben geführt. Damals. Doch dann hatte auch Morchete lernen müssen, dass nichts vergänglicher war als das Glück. Bis heute wusste sie nicht, wer oder was für den schrecklichen Unfall im Maschinenraum verantwortlich gewesen war. Eine schadhafte Speicherzelle. Ein Bedienungsfehler. Der – wenn auch unwahrscheinliche – Sabotageakt eines neiderfüllten Konkurrenten. Alles war möglich. Sie kam davon, auch wenn sie bei der Explosion das Gehör verlor und fortan ein Hörgerät tragen musste. Fauron hatte weniger Glück. Er trug so schwere Verbrennungen davon, dass ihn auch ein Aufenthalt in einer Spezialklinik auf Aralon nicht retten konnte. Sie opferte einen Großteil ihres Vermögens, und als das Geld aufgebraucht war, gestanden die Galaktischen Mediziner ihre Niederlage ein. Fauron starb am 6. April 2457, und an diesem Tag starb auch etwas in ihr.

    Sie fing an, sich zu betrinken und die Geschäfte zu vernachlässigen. Innerhalb nur eines Jahres nahm sie fast sechzig Kilogramm zu. Die Aufträge kamen spärlicher, es fehlte das Geld für die Instandhaltung der MORCH I, und so war der Abstieg nicht mehr aufzuhalten. Ihre Töchter, vor allem die junge Rucharda, versuchten anfangs noch, sie aufzurütteln, ihr den verlorenen Lebensmut zurückzugeben, doch irgendwann mussten auch sie einsehen, dass es die Morchete, die sie einst gekannt hatten, nicht mehr gab. Eine nach der anderen folgte dem Beispiel der Mutter, verlor den Glauben an die großen Ziele und die Kontrolle über die kleinen. Sie ließen sich gehen und sprachen den leiblichen Genüssen dieses Universums im Übermaß zu.

    Ein neuer Ruck, heftiger als alle anderen zuvor, hätte Morchete beinahe aus ihrem Kontursessel geschleudert. Die Patriarchin regelte die Lautstärke ihres Hörgeräts herunter, und das Geräuschinferno um sie herum erstarb zu einem entspannten Flüstern. Auf dem von Schleiern überzogenen Panoramaschirm wanderte eine grüne Kugel ins Zentrum der Bilderfassung. Das musste einer der beiden Planeten sein, die Rucharda erwähnt hatte.

    Die MORCH I schüttelte sich. Morchete spürte, wie selbst die altersschwache Verankerung ihres Sessels unter der wachsenden Belastung nachzugeben drohte. Der stechende Geruch verschmorenden Isoliermaterials stieg in ihre Nase. Sie musste husten. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie wischte sie ärgerlich zur Seite. Auf gewisse Weise war sie sogar froh, dass es endlich vorbei war. Wenn sie sich mit ihren hundertvier Jahren in einem Spiegel betrachtete, ekelte sie sich vor sich selbst. Sie war eine fette, verbitterte Frau geworden mit sechs fetten, verbitterten Töchtern und einem Raumschiff, das diese Bezeichnung nicht verdiente. Jetzt war es zu spät. Statt zu begreifen, dass sich das Leben nicht um persönliche Schicksale scherte, statt sich nach dem schweren Sturz wieder aufzurappeln und zu kämpfen, war sie liegen geblieben, hatte nicht einmal so viel Würde zurückbehalten, um sich einen Strahler an die Schläfe zu setzen und abzudrücken.

    Wieder diese lästige Hand auf der Schulter. Diesmal ließ sie sich nicht abschütteln. Jemand griff nach den Kontrollen ihres Hörgeräts. Sekunden später drang die hektische Stimme Dorchantes an ihr Ohr.

    »Mutter! Steh auf. Ich bringe dich in deine Kabine. Hier ist es nicht mehr sicher.«

    Morchete wollte protestieren. Als Patriarchin war ihr Platz in der Zentrale. Sie musste den anderen als leuchtendes Beispiel vorangehen. 167 Männer und Frauen der Besatzung zählten auf sie. Doch dann erfasste sie, dass das Gedanken aus einer anderen Zeit waren, Prinzipien, denen sie einmal gefolgt war und die längst keine Bedeutung mehr hatten.

    Willenlos ließ sie sich auf die Beine ziehen. Die Luft war erfüllt von lauten Flüchen. Ab und zu knallte es, als würde jemand eine antike Projektilwaffe abfeuern. Das waren die platzenden Schweißnähte der hundertfach geflickten Konsolenverkleidungen. Unter ihren Füßen knirschte gesplittertes Glas. Jemand schrie etwas, doch sie verstand kein Wort.

    Aus den Augenwinkeln sah sie Rucharda im Pilotensessel. Ihr breiter Hintern hing rechts und links über die mit Stahlstreben verstärkte Sitzschale. Es war ein göttlicher Anblick, über den sich Morchete in jeder anderen Situation köstlich amüsiert hätte. Aber jetzt stand ihr Leben und das aller anderen an Bord auf dem Spiel, und die Flugkünste Ruchardas waren der entscheidende Faktor. Sie wollte sich aus dem Griff Dorchantes befreien und zu ihrer jüngsten Tochter hinübergehen. Sie wollte ihr sagen, dass sie stolz auf sie war und fest an sie glaubte. Doch sie kam nicht mehr dazu.

    Mit einem mörderischen Ruck traf die MORCH I auf die äußere Lufthülle des Planeten. Das vierhundert Meter lange Walzenschiff war viel zu schnell, der Aufprallwinkel zu steil. Rucharda schaltete die Impulstriebwerke auf Gegenschub. Stotternd kamen die Kernprozesse in Gang. Hochverdichtetes Plasma wurde auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und durch die bugseitigen Düsenfelder gepresst. Die Patriarchin desaktivierte ihr Hörgerät, und dennoch war der Lärm so gewaltig, dass sie ihn als leises Rauschen wahrnehmen konnte. Die Oberfläche der fremden Welt kam rasend schnell näher. Morchete erkannte dichten Dschungel und irgendwo in der Ferne den blauen Streifen eines Ozeans. Warum wurden sie nicht langsamer? Warum bremste Rucharda das Schiff nicht stärker ab?

    Im selben Moment wurde die MORCH I von einer gewaltigen Explosion erschüttert und zerbrach in zwei Teile.

    Atlan

    Gegenwart

    Die Stille in der engen Kabine war bedrückend.

    Ich hatte mich auf die kurze, kaum gepolsterte Liege gelegt, die Beine angezogen und die Augen geschlossen. Wenn ich den Atem anhielt und mich konzentrierte, vernahm ich ein leises Summen, als wäre irgendwo hinter den tristen graublauen Stahlplastwänden der GAHENTEPE ein Bienenstock versteckt.

    Meine Gastgeberin hatte mir schnell und unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie derzeit nicht an einem Dialog interessiert sei. Der Blick ihrer hellroten, wässrig schimmernden Augen hatte nichts Unangenehmes an sich gehabt, und doch empfand ich die eingehende Musterung, der sie mich unterzogen hatte als … beunruhigend. Es fiel mir kein besseres Wort ein, um meine Gefühle zu beschreiben. In den knappen, kontrollierten Bewegungen dieser Frau lag eine unterschwellige Aggressivität, eine nur mühsam unterdrückte Gereiztheit, die jeden Augenblick hervorbrechen konnte.

    »Du solltest dich von den Strapazen der letzten Stunden erholen«, hatte sie in holprigem Interkosmo zu mir gesagt, kurz nachdem wir den diskusförmigen Raumer betreten hatten. Für einen kurzen Moment erinnerte ich mich an die Blues mit ihren diskusförmigen Raumschiffen. Dabei zeigte sie auf eine offene Kabinentür, die von einem in sanftem Bogen verlaufenden Gang abzweigte. »Ich werde die Verfolgung unserer Freunde von der ZGU aufnehmen. Wir reden später.«

    Ich wollte zunächst protestieren, hatte es aber dann doch sein lassen. Die Frau, die sich Trilith Okt nannte, wusste offenbar sehr genau, was sie wollte. Zudem war es wahrscheinlich, dass sie über meine Identität informiert war. Der unsterbliche Lordadmiral der USO und ehemalige Imperator des Arkonidischen Imperiums war in der Milchstraße alles andere als unbekannt. Mein Gesicht flimmerte sozusagen stündlich über die diversen TriVid-Kanäle, und mein Name fiel in mindestens jeder zweiten Nachrichtensendung.

    Also hatte ich nur genickt und dabei mein Gegenüber genau beobachtet. Doch Trilith Okt ließ durch keine Reaktion erkennen, ob sie mit dieser terranischen Geste etwas anfangen konnte. Die Kabinentür schloss sich mit einem leisen Zischen hinter mir, und als ich eine Minute später probehalber den Versuch unternahm, meine Unterkunft zu verlassen, öffnete sich das Schott anstandslos. Die Frau war verschwunden, und ich wusste immerhin, dass ich kein Gefangener war. Dennoch verzichtete ich vorerst auf einen Erkundungsgang, auch und vor allem, um den Vertrauensbeweis Triliths zu erwidern.

    Seitdem war ungefähr eine Stunde vergangen. Ich hatte mich in der Kabine umgesehen. Die eher spartanische Einrichtung war eindeutig auf Humanoide zugeschnitten. Neben dem unbequemen Lager gab es eine Toilette, eine Nasszelle und einen Hocker. Der Tisch war versenkbar in der Wand, genauso der Bildschirm neben der Tür, der sich jedoch nicht aktivieren ließ. Alles wirkte auf seltsame Art und Weise primitiv und unfertig, so als hätte der unbekannte Innenausstatter verzweifelt nach einem Mittelweg aus Funktionalität und Bequemlichkeit gesucht.

    Natürlich hielt ich auch gezielt Ausschau nach Überwachungstechnik – Fehlanzeige. Falls es hier doch Kameras und Mikrofone gab, waren sie gut verborgen und ohne entsprechende Suchgeräte nicht aufzuspüren. Bis auf meine Kabine machte die GAHENTEPE einen überaus modernen Eindruck. Das wenige, was ich bisher von ihr gesehen hatte, war mir in Bauweise und Anordnung unbekannt gewesen. Der Diskus gehörte zu keiner der in der Galaxis gängigen Raumschiffklassen.

    Ich entdeckte am Fußende des Bettes eine Art Klappe, deren Zweck sich mir nicht erschloss. Ich schlug mit der Faust fest neben die etwa zwanzig mal zwanzig Zentimeter große Fläche – und tatsächlich bewegte sich diese. Die Klappe schwang nach innen und gab einen transparenten Beutel mit grünlichgrauem Inhalt frei. Der Brei so unappetitlich er auch aussehen mochte – schmeckte erstaunlich gut, und ich war bereit, einen Leichten Kreuzer aus USO-Beständen darauf zu verwetten, dass er sämtliche Nährstoffe enthielt, die ein Humanoider benötigte.

    Ohne es bewusst zu registrieren, zog ich den taubeneigroßen Zellaktivator unter dem Schutzanzug hervor und nahm ihn gedankenverloren in die rechte Hand. Wie viele Male hatte ich wohl schon darüber nachgedacht, ob ich dieses durch die Superintelligenz ES verliehene Objekt, jenes unscheinbare Ellipsoid, das ich an einer dünnen Kette um den Hals trug, als Fluch oder als Segen zu betrachten hatte. Für die meisten Menschen, deren Leben hundert bis maximal hundertfünfzig Jahre währte, war die Unsterblichkeit etwas Erstrebenswertes. Sie erachteten das ewige Leben als eine natürliche Quelle immerwährender Zufriedenheit oder als Garantie für anhaltendes Glück. Ich wäre sicher nicht so weit gegangen, das Gegenteil zu behaupten, doch die Aufwertung der Unsterblichkeit erfüllte mich immer wieder mit Unverständnis.

    War es für Außenstehende tatsächlich so schwer zu erkennen, was die Jahrtausende aus Männern wie Perry Rhodan, Reginald Bull, Homer G. Adams, Julian Tifflor und den anderen Aktivatorträgern gemacht hatten? War die Ehrfurcht vor den Unsterblichen so gewaltig, dass man die Last nicht bemerkte, die sie auf ihren Schultern trugen? Oh ja, der Aktivator entledigte mich aller Sorgen um meine Gesundheit. Er half mir dabei, dass sich meine Kräfte auch nach großen Anstrengungen schnell regenerierten und ich schon nach wenigen Stunden Schlaf frisch und ausgeruht erwachte. Doch er tat noch viel mehr, viel Gravierenderes als das: Er machte mich zu einem Relikt. Er verwandelte die Welt um mich herum in ein Kaleidoskop sich ständig wandelnder Bilder und Ereignisse, während ich selbst unbeweglich auf der Stelle stand.

    Der griechische Philosoph Heraklit hatte einst festgestellt, dass das einzig Konstante im Universum die permanente Veränderung war. Ich war von dieser Veränderung ausgenommen. Meine biologische Uhr tickte nicht mehr. Seit damals betrog ich die Zeit und verleugnete damit den natürlichen Lauf der Dinge, den beständigen Kreislauf aus Geburt und Tod, aus Werden und Vergehen: Der Aktivator sparte mich aus, entfernte mich aus dem für den Rest der Welt geltenden Ablaufplan.

    Diese Erkenntnis mussten alle relativ Unsterblichen früher oder später akzeptieren. Die Einsicht, dass man anders war, dass man mit dem Zellaktivator das Recht verwirkt hatte, sich mit seinen Mitmenschen gleichzustellen und ihre Sorgen und Ängste zu teilen, traf manchen wie ein Schock – und sie reifte nur langsam und bis zu einem Punkt, an dem es für eine Umkehr längst zu spät war.

    Es erschien mir manchmal wie eine gnädige Laune des Schicksals, dass mir mein Leben nur selten die Muße gönnte, um mich solchen Überlegungen länger als ein paar Minuten hinzugeben. Ich war nie als Grübler oder Zauderer bekannt gewesen. Ob als Admiral der Arkonidischen Flotte, als Gestrandeter in meiner Unterwasserkuppel auf der Erde oder als Lordadmiral der USO – ich hatte meistens lieber gehandelt als geredet, lieber den Vorteil in einem gewagten Manöver gesucht als Stunde um Stunde mit Analysen und Simulationen vergeudet.

    Vielleicht war das der Grund, warum ich ausgewählt worden war. Vielleicht brauchte das Universum eine Prise mehr Wagemut, einen Hauch mehr Tatkraft und eine Winzigkeit mehr Leichtsinn. Ich erachtete es nicht als vermessen, davon auszugehen, dass ich etwas Besonderes war. Im Gegensatz zu so vielen anderen versperrte mir diese Überzeugung jedoch nicht den Blick auf meine Fehler und Schwächen. Sich ihrer bewusst zu sein und jeden Tag an ihnen zu arbeiten, so hatte es mich einst mein Ziehvater Fartuloon auf oft schmerzhafte Weise gelehrt, war das Fundament eines ausgeglichenen und entwicklungsfähigen Charakters.

    An dieser Stelle meiner Gedankenkette musste ich lächeln. Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Auch zehntausend Jahre hatten nicht ausgereicht, um die Evolution meiner Persönlichkeit zum Abschluss zu bringen. Möglicherweise ließ die Fügung hier eine skurrile Form von Gerechtigkeit walten. Da mir der Bezug zu einem sich in unablässigem Fluss befindlichen Universum abhanden gekommen war, war ich dazu verdammt, den Fluss in mir selbst zähmen zu müssen. Ebenso wie Sisyphos seinen Felsen immer und immer wieder den Hang hinauf rollte, wo er ihm jedes Mal entglitt und zu Tal donnerte, so würde auch meine Aufgabe niemals beendet sein. Es war der Preis, den ich für meinen Aktivator bezahlte.

    Fluch oder Segen? Die Frage ließ sich nicht beantworten, denn sie zielte am Kern des Problems vorbei. Der Aktivator war nur ein Werkzeug, und ebenso wie man mit einem Hammer eine vor Wind und Wetter schützende Hütte bauen oder seinem Gegenüber den Schädel einschlagen konnte, so ließen sich auch die geschenkten Jahrtausende zum Guten oder zum Schlechten nutzen.

    Ich erinnerte mich noch sehr genau an das Jahr 2326. Damals hatte die Superintelligenz ES erklärt, dass sie die Milchstraße aufgrund einer gewaltigen, in naher Zukunft heraufdämmernden Gefahr verlassen müsse und sich nicht mehr in der Lage sehe, die lebensverlängernden Zellduschen zu gewähren. Diese hatten praktisch dieselbe Wirkung wie die späteren Aktivatoren, mussten jedoch alle 62 Jahre wiederholt werden. Es entsprach dem sprichwörtlichen schwarzen Humor des Überwesens, dass es 25 der wertvollen Geräte quer über die Galaxis verteilt hatte. Jeder Aktivator emittierte ein unverwechselbares Signal, das in einem Umkreis von drei Lichtjahren zu empfangen gewesen war. Das alles wäre noch akzeptabel gewesen, doch ES sorgte zudem dafür, dass so gut wie jeder in der Milchstraße über die zurückgelassenen »Geschenke« Bescheid wusste. Bis heute waren sich die Historiker nicht vollständig sicher, wie viele Todesopfer dieser grausame Scherz der Superintelligenz in letzter Konsequenz gefordert hatte.

    Natürlich erkannte ich die herbe Ironie der Geschichte. Im unbarmherzigen Kampf um die Unsterblichkeit hatten sich die Beteiligten gegenseitig zu Hunderten umgebracht. Viele der Tragödien waren vermutlich niemals bekannt geworden. Statt des ewigen Lebens hatten die meisten Glücksritter und Abenteurer nur den Tod gefunden. Doch auch wenn ES den Bewohnern der Milchstraße eine Lehre hatte erteilen wollen, so konnte ich die Wahl der Mittel nicht gutheißen. Gier und die damit einhergehende Unvernunft waren elementare Charakterzüge fast aller intelligenten Lebewesen. Um eine Selbstverständlichkeit zu bekräftigen, hätte es nicht dieser barbarischen Posse bedurft, die das Überwesen vor knapp achthundert Jahren inszeniert hatte. Was gab der Superintelligenz das Recht, das Leben unzähliger Individuen zu riskieren, nur um ihre so genannten »Schutzbefohlenen« für etwas zurechtzuweisen, das im Kern ihres Wesens begründet lag?

    Deine Gedanken drehen sich wieder einmal im Kreis, wisperte der Logiksektor in meinem Kopf. Seit ich mit Trilith Okt an Bord der GAHENTEPE gegangen war, hatte er sich auffällig zurückgehalten.

    Wird dir schwindlig?, gab ich trocken zurück.

    Nein, lautete die nicht minder launige Entgegnung. Ich halte mich an deinem übergroßen Ego fest. Es ist müßig, über die Beweggründe einer Entität wie ES zu spekulieren. Du wirst niemals zu einem befriedigenden Ergebnis kommen.

    Der Umstand, dass es auf eine Frage scheinbar keine Antwort gibt, ist kein Grund, sie nicht zu stellen, widersprach ich. Wären Männer wie Isaac Newton, Albert Einstein oder Perry Rhodan dieser Philosophie gefolgt, säße die Menschheit heute noch immer auf ihrem kleinen, unbedeutenden Heimatplaneten fest oder hätte sich womöglich

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