Das hätten wir uns sparen können: Ein Schwarzbuch missglückter Reformen von Hartz IV zum Ausverkauf des Staates
Von Hagen Siemers
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- Wohin steuert Deutschland?
- Wie sieht unsere Zukunft aus?
- Und lässt sich das Ruder noch herumreißen?
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Das hätten wir uns sparen können - Hagen Siemers
TEIL I
ARBEIT
ALS MARKT UND MYTHOS DER
DEUTSCHEN
1.
Der Arbeitsmarkt hat
seine eigenen Gesetze
»Ich habe erst einmal nur eine E9-Stelle bekommen, für zwei Jahre«, so beschreibt mir eine junge Frau ihre berufliche Situation nach Ausbildung und Universitätsstudium. Von der Tankstelle weiß ich, dass E10 in Deutschland gemieden wird, aber E9?
Meine Recherchen haben ergeben: Es handelt sich um eine sogenannte Bachelor-Stelle, d. h. diese Stelle ist für jemanden vorgesehen, der einen Bachelor-Abschluss erworben hat, früher auch Fachhochschulabschluss genannt bzw. Grundstudium an der Universität. Für Hochschulabsolventen ist eigentlich die Entgeltgruppe 13 vorgesehen. Die junge Frau ist also vier Stufen zu niedrig eingestuft worden – vermutlich, weil es an Fachkräften so stark mangelt! Aber nicht nur das: Sie ist zusätzlich befristet eingestellt worden, ohne dass es bei dem entsprechenden Arbeitgeber dafür eine plausible Erklärung gab, denn es handelt sich um eine volle Stelle in einem Unternehmen in Süddeutschland.
Die junge Frau bekommt aufgrund der falschen Eingruppierung ca. 26 % weniger Bruttogehalt (2.413,38 statt 3271,06 Euro)³ und durch den für Deutschland zu gering bewerteten Euro noch einmal ca. 20 % weniger Kaufkraft. Das macht zusammen schon fast 50 % weniger Kaufkraft im Vergleich zu einer Hochschulabsolventin vor 25 Jahren. Von dem Geld kann sie als Einzelperson in einer Großstadt gerade so leben, sich eine Mietwohnung und einen Kleinwagen leisten, als Finanzkauf mit der bekannten Monatsrate von 99,00 Euro. Eine normale Laufbahn vorausgesetzt, wird sie in ihrem ganzen Leben und bei noch so vielen Beförderungen die Kaufkraft der Vorgängergeneration nicht mehr erreichen. Wenn also immer mehr Menschen über höhere Abschlüsse verfügen, so sind diese am Ende auch nicht mehr wert als ein normaler Ausbildungsabschluss, die sogenannte Lehre, in der Generation davor.
Die Mechanismen des Marktes setzen sich auch in Deutschland weitaus mehr durch als viele, die noch von der Sozialen Marktwirtschaft der 70er und 80er Jahre träumen, wahrhaben wollen. Angebot und Nachfrage regeln den Preis, hier: den Lohn. Da es in der Wirtschaft auch keine besseren Angebote gibt, kann der Staat mit der Aussicht auf eine zukünftige Verbesserung Befristungen und Herabstufungen bei der Eingruppierung durchsetzen. Begründungen, warum die Verbesserungen nicht vor dem Sankt-Nimmerleins-Tag kommen werden, liegen bereits heute vor: Schuldenbremsen, Personallasten, Pensionslasten, zu hohe Sachkosten durch falsch kalkulierte Bauprojekte etc. Für die Neuen auf dem Markt der abhängigen Beschäftigung bedeutet dies: Die Krise ist da – und bleibt!
Aber der Gesetzgeber ist nicht so machtlos wie er es häufig darstellt. Er arbeitet fleißig mit an der Beschleunigung der Abwärtsspirale für die abhängig Beschäftigten. Die Gesetze mit dem schönen Namen Hartz (I bis IV) haben dafür gesorgt, dass in Deutschland einer der größten Niedriglohnsektoren in Europa entstanden ist.⁴ Also funktioniert Politik doch, nur eben sehr einseitig. Wenn mehr Menschen bereit sind oder jetzt bereit sein müssen, für geringe Löhne zu arbeiten, dann gewöhnt sich die andere Seite (die Volkswirte sprechen hier vom Produktionsfaktor Kapital) an diese Zustände. Bestimmte Arbeiten sind auf Dauer weniger wert und am vorläufigen Ende der Entwicklung stehen 6,12 Millionen Leistungsempfänger des Arbeitslosengeldes II, wie es korrekt bezeichnet wird, von denen 2,4 Millionen erwerbstätig sind und trotzdem die Hilfe des Staates benötigen.⁵ Die 1,13 Millionen Empfänger des Arbeitslosengeldes I kommen noch hinzu.⁶ Zusätzlich gibt es in den Betrieben hunderttausende Menschen, die sich Sorgen um ihre Existenz machen müssen. Dies ist dann der Zustand des Produktionsfaktors Arbeit, der gleichzeitig die Nachfrage darstellt und bestimmt. Der Produktionsfaktor Arbeit, also die Arbeitnehmer, sollen – dies nur nebenbei – den Konsum ankurbeln, Familien gründen, die eigenen Kinder fördern und natürlich vorsorgen, vorsorgen, vorsorgen.
Die Reformen greifen also, und sie greifen weiter um sich, verändern die Lebensweise und vor allem das Verhalten von Menschen. Sie fördern Egozentrik und Vereinzelung, weil Sicherheit geopfert wurde und stattdessen – häufig völlig sinnlos – Konkurrenzdenken um sich greift. Sinnlos deshalb, weil die Zahl der gut bezahlten Arbeitsplätze sogar abnimmt. Hierarchien in Unternehmen werden abgeflacht, die Stichworte dafür sind »lean management« und »lean production«. Banken und Versicherungen bauen auch höher bezahlte Arbeitsplätze ab. Die Allianz-Versicherung will z. B. 400 Stabsstellen, überwiegend in München, streichen und die einfachen Tätigkeiten im Konzern zügig ausgliedern.⁷ Die ausgegliederten Bereiche unterliegen regelmäßig geringer dotierten Tarifverträgen, denn sonst würde die Maßnahme das Ziel der Kosteneinsparung nicht erreichen.
Wer neu auf den Arbeitsmarkt kommt, muss sich den Bedingungen stellen. Warum soll z. B. ein großer Verlag sofort einen Hochschulabsolventen der Geisteswissenschaften einstellen, wenn er zunächst ein Praktikum anbieten kann und dann einen befristeten Arbeitsvertrag? Es ist auch denkbar, dass ein Praktikum bei einem kleineren Unternehmen überhaupt erst die Eintrittskarte für ein Praktikum bei einem größeren Unternehmen darstellt. Es geschieht immer das, was erlaubt ist. Leistungen im viel gepriesenen Bildungssystem werden in Wahrheit doch auf dem Arbeitsmarkt gar nicht mehr anerkannt. Die Akademiker werden zum Proletariat des 21. Jahrhunderts, aber sie haben keine Vorstellung davon, wie sie sich organisieren könnten, um auf die Missstände aufmerksam zu machen oder sie werden nicht gehört in einer Republik der Alten. Aber auch die waren einmal jung, wie das folgende Kapitel noch zeigen wird.
Mein Professor (Jahrgang 1945) hatte mir nach einem Treffen mit seiner alten Abiturklasse einmal erzählt, dass zu seiner Zeit nur 16 % eines Jahrgangs das Abitur erworben haben. Viele von ihnen waren später im mittleren Management tätig, waren Geschäftsführer oder sind Professoren geworden. Ich habe festgestellt, dass es in meinem Jahrgang (1970) bereits 33 % Abiturienten gab. Nach den Reformen der letzten Jahre werden – je nach Bundesland – bis zu 60 % des Jahrgangs 1995 eine Hochschulzugangsberechtigung erhalten!
Fazit
Wenn auf einem Markt – hier: dem Arbeitsmarkt – die Nachfrage nach gut bezahlter Arbeit steigt, weil die jüngere Generation insgesamt über mehr und vor allem höhere formale Qualifikationen verfügt, so steigt damit noch lange nicht das Angebot an gut bezahlten Arbeitsplätzen. Im Gegenteil: Die Konkurrenz um qualifizierte, überdurchschnittlich bezahlte Arbeit steigt, die Löhne sinken, die Bedingungen werden insgesamt verschlechtert. Dies betrifft mittlerweile auch Ingenieure, denn die Unternehmen schreiben häufig EU-weit aus. Es droht ein Zeitalter der enttäuschten Erwartungen. Die ständigen Reformen des Bildungssystems und die Reformen des Arbeitsmarktes inklusive der laufend durchgeführten Rationalisierungsmaßnahmen der freien Wirtschaft greifen bestens ineinander.
2.
Marktmechanismen zum Zweiten
Es gilt, »die Probleme an der Wurzel zu packen […] und sich nicht mit der Behandlung der gesellschaftlichen Oberfläche zufriedenzugeben.«⁸
Norbert Blüm
Bestimmte Marktmechanismen sind zur Zeit nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch auf dem Wohnungsmarkt zu beobachten. Wer gerade als Wohnungssuchender in einer deutschen Großstadt unterwegs ist, hat gelernt, wie sich die Verknappung des Angebots auswirkt. Der o. g. Vorgabe folgend, die in Blüms zu Unrecht nur noch selten beachteten Werk: »Reaktion oder Reform. Wohin geht die CDU?« von 1973 nachzulesen ist, soll hier einmal der Wohnungsmarkt betrachtet werden. Beim studierten Theologen Blüm durfte der Hinweis auf die christliche Soziallehre und Thomas von Aquin (1225–1274) nicht fehlen.⁹ Aber wir müssen in der Argumentation nicht unbedingt, bis in das 13. Jahrhundert zurückgehen oder das mit Thomas von Aquin besonders verbundene Zitat: »Die Güter dieser Erde sind für alle da« bemühen.¹⁰ Es reicht, die Zeit nach der deutschen Einheit zu betrachten. Fast 90 % der Einwohner Berlins sind Mieter. Unter vergleichbaren Ländern der EU hat Deutschland insgesamt mit 46 % die geringste Wohneigentumsquote.¹¹ Warum wird, wenn es über staatliche Investitionen geht, immer nur über Bildung, Verkehrsinfrastruktur, Kinderbetreuung etc. gesprochen?
Zaghafte Versuche der Eigenheim-Förderung, das sogenannte Bausparen, wurde vom SPD-Finanzminister Eichel wieder kassiert, einschließlich der Steuervorteile für Familien, die ein Haus bauen wollten. Alles zu teuer, alles nach dem Motto, das können wir uns nicht mehr leisten, im Zeitalter der Globalisierung. Später wurde nur noch das Thema Arbeitslosigkeit bearbeitet, in etwa seit der Mitte der 90er Jahre. Bei genauerer Betrachtung wurden nur die Arbeitslosen bearbeitet. Kurz zuvor hatte die deutsche Einheit Millionen von Menschen enteignet. Die DDR-Bürger hatten ihren Wohnraum selbst geschaffen, jahrzehntelang Miete gezahlt, doch danach wurden ihnen die Wohnungen nicht als Eigentum angeboten, sondern an international operierende Investoren verkauft. Hier hatte sogar Margret Thatcher in England einen anderen Ansatz gewählt, weil sie erkannt hatte, dass Wohneigentum auch für die kleinen Leute sinnvoll sein kann. Dort konnten die Mieter staatlicher Wohnungsbauunternehmen ihre Wohnungen günstig erwerben.¹² Wer hätte das gedacht: So haben nicht nur die Südeuropäer, sondern auch die Briten heute zu 70 % Wohneigentum. Allein die Stadt Dresden hatte schon 2006 ca. 35.000 Wohnungen an einen Investor verkauft, im Jahre 2013 trennte sich auch der Bund von seinen restlichen 12.000 Wohnungen in Ostdeutschland für ca. 560 Millionen Euro.¹³ Die 35.000 Wohnungen von 2006 sind im Übrigen zurzeit wieder zu haben, der Investor möchte nun gern wieder verkaufen.¹⁴ Und so wurde im Tagesspiegel (Berlin) bereits im April 2012 festgestellt: »In Deutschland wechseln Wohnungen den Besitzer in einem Umfang und einem Tempo wie seit Jahren nicht mehr.«¹⁵
Wenn also nun immer mehr Wohnungen gehandelt werden, so sollten doch auch die Grunderwerbsteuereinnahmen der Länder automatisch ansteigen. Wer nicht zum Eigenbedarf kauft, sondern als Investor Immobilien im großen Stil erwirbt, der wählte bis zum 6.6.2013 eine Konstruktion, bei der die Grunderwerbsteuer gar nicht anfiel: den »Real Estate Transfer Tax Blocker« (RETT-Blocker).¹⁶ Dabei wurde eine Gesellschaft, die die Grundstücke hielt, nur zum Teil selbst gekauft, zum Teil durch eine weitere, dazwischengeschaltete Gesellschaft, den »Tax-Blocker«.¹⁷ So entstand eine Grunderwerbsteuerlast für Großanleger von 0,0 %. Der Gesetzgeber hat zwar versucht, die Möglichkeiten der Steuerersparnis einzuschränken, aber gleichzeitig werden von den Immobilieninvestoren und ihren Beratern natürlich neue Konstruktionen erdacht, um die Grunderwerbsteuer weiterhin zu sparen. Erste Modelle dazu gibt es bereits.¹⁸
Die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer sinken demnach, je mehr Wohnungen nicht mehr für den Eigenbedarf gekauft werden, und die Länder erhöhen fleißig den Steuersatz, fast überall auf 6 bis 6,5 %, allerdings nur für die Menschen, die eine Wohnung oder ein Haus selbst bewohnen möchten. So können die Verantwortlichen in den Bundesländern behaupten, dass die Steuereinnahmen aus der Grunderwerbsteuer steigen. Der Eigentumserwerb für Privatpersonen wird weiter erschwert und gleichzeitig öffnet sich Deutschland immer weiter für internationale Investoren. Der Verkauf auf der Bundesebene wird beispielsweise von der Bank Barclays Capital in Frankfurt und der Anwaltskanzlei White&Case durchgeführt.¹⁹
Die Bürger der DDR sind um die Früchte ihrer Arbeit betrogen worden und der Staat muss heute, wenn die Betroffenen arbeitslos sind, noch die Miete übernehmen. Dafür sind die Wohnungen international handelbar. Ludwig Erhard hatte dies übrigens auch ganz anders empfohlen.²⁰ Während also in England den Mietern einfacher Wohnungen beim Kauf hohe Rabatte gewährt wurden, wird den Deutschen die Grunderwerbsteuer erhöht, damit alles schön in der Hand weniger Großinvestoren bleibt.
Wohnen ist schließlich ein wichtiges Recht, über das demnächst auch in Deutschland wieder mehr gesprochen werden wird. Schon gibt es Bürgerinitiativen gegen die enormen Steigerungen der Mietpreise in den Großstädten. Sogar zaghafte Demonstrationen flackern auf. In dieser Frage hätte sich der Staat anlässlich der Einheit einiges an Kosten ersparen können, indem er die ehemaligen Mieter der DDR zu Miteigentümern gemacht hätte. Eine soziale Gestaltung der Einheit kam in der Hektik der Nachwendejahre nicht zu Stande.
Wenn im Jahre 1990 im emotionalen Überschwang der Gefühle anlässlich der wiedergewonnenen Einheit keine vernünftigen Lösungen möglich waren, so kommt die Eigentumsfrage doch immer wieder auf die Tagesordnung zurück. Warum wird nicht wenigstens mehr genossenschaftliches Eigentum gefördert? Ohnehin ist doch die Rechtsform der Genossenschaft immer die bessere Lösung im Vergleich zur Aktiengesellschaft: Der genossenschaftliche Bankensektor hatte schließlich keine Krise und auch keine staatlichen Hilfen nötig. Er hatte seinen Genossen auch keine Renditen von 25 % versprochen. Durch die massiven Umverteilungen, die von den Rettungsschirmen und Finanzmarktstabilisierungen ausgehen, beschleunigt sich die Vermögenskonzentration in Deutschland und Europa ohnehin im Sekundentakt.
Schon im Jahre 1966 wurde durch den zu Beginn des Kapitels bereits erwähnten Herrn Blüm festgestellt, dass nur 1,7 % der Bevölkerung 74 % des Produktivkapitals besaßen, der Trend zur Vermögenskonzentration war bereits deutlich sichtbar und bestimmte die politische Diskussion.²¹ Knapp 50 Jahre später hat sich die Lage sogar verschärft.
Fazit
Während den Bürgern vor Ort die Steuern und Gebühren erhöht werden, um irgendwie gegen dieses System anzusparen, entzieht sich immer mehr Eigentum, das verbrieft und in großem Stil international gehandelt wird, der Besteuerung vollständig. Hessen erhöht die Grunderwerbssteuer auf 6 %. Die Stadt Gießen (76.000 Einwohner) hat zusätzlich gerade die Grundsteuer um 58 % erhöht. Andere Gemeinden werden nachziehen. Die Mehrwertsteuer bei Neubauten wird im Übrigen auch nur fällig, wenn der Bauherr das Haus selbst bewohnen möchte. Für Wohnraum, der gewerblich weiterverwendet wird (Vermietung, Verpachtung), gibt’s natürlich die Mehrwertsteuerrückerstattung. Aber auf so einem irrationalen Weg, im Kleinen ein wenig zu sparen und die wenigen Schrauben vor Ort zu drehen, während international operierende Akteure sich von allen Belastungen befreien können, wird es nicht gehen.
3.
River of no Return?
Anhäufung (von Kapital) und Beschleunigung, so wie wir es jeden Tag in den Nachrichten präsentiert bekommen, wenn wieder das große Eigentum, Banken und Versicherungen, »gerettet« werden, bilden die beiden grundlegenden Parameter der Marktwirtschaft. Die Volkswirte benutzen dafür die Fremdwörter Akkumulation und Akzeleration (Kapitalanhäufung und Beschleunigung). Mir fällt dazu eine vor langer Zeit erlernte Beweisführung aus dem Mathematikunterricht ein. Gleichungen, in der die Zeit als Variable vorkommt, wurden der Frage zugeführt:
»Was passiert mit einer Gleichung bzw. einem System, wenn die Zeit gegen unendlich gesetzt wird?«
Das mathematische Zeichen für unendlich erinnert an eine umgefallene 8 und sieht so aus: ∞. Ich übertrage diese Fragetechnik auf die Wirkungsweise unseres aktuellen Wirtschaftssystems, wobei allen spätestens seit der Finanzkrise von 2009 klar sein dürfte, dass es sich nicht mehr um die Soziale Marktwirtschaft, sondern um einen internationalen Finanzkapitalismus handelt. In einem solchen sind eben die beiden Parameter Kapitalakkumulation und Akzeleration die bestimmenden Größen. Es ergibt sich, wenn die Politik diesen gewaltigen Kräften allein die Regie überlässt, folgende Antwort:
»Setzt man in dieser Versuchsanordnung die Zeit gegen unendlich, so gehört alles einem!«
Noch bewegt sich die Politik vollständig im Sog dieser Beschleunigung, wie in einem reißenden Fluss – es scheint kein rettendes Ufer zu geben. Nur nicht an irgendwelchen Klippen zerschellen.
Das alles erinnert an den Film mit Marylin Monroe und Robert Mitchum: »River of no Return« mit der gleichnamigen und sehr eingängigen Titelmelodie. Ich habe diese Melodie einige Zeit lang nicht mehr aus dem Kopf bekommen, besonders, wenn ich mir die Durchhalteparolen zu den Themen rund um die »Euro-Rettung« immer wieder im Fernsehen ansehen musste. Der Film ging noch halbwegs gut aus, er stammt aus dem Jahre 1954, als die Regisseure noch auf einfach gestrickte Charaktere und die ewig gleichen Happy Ends setzten. Aber wer führt heute die Regie und wer wird den reißenden Strom, also den finanzmarktgesteuerten Kapitalismus, irgendwie beruhigen können?
Noch führen allein die Mechanismen des Marktes die Regie: Es gibt dank der Rente mit 67 nach und nach immer mehr Menschen, die vorzeitig, d. h. mit Abschlägen, in Rente gehen