Tanz im Park
By Paul Lascaux
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Book preview
Tanz im Park - Paul Lascaux
(2005).
Das Brandopfer
Der Brand
Die alten Leute ärgerten Bernhard Spring, Störfahnder der Berner Kantonspolizei. Besonders an diesem frühen Herbstmorgen summten sie wie die Fliegen um ihn herum; sie waren alle schon wach, hatten aber noch nichts zu tun. Die Geschäfte öffneten erst später, die Waschmaschinen liefen bereits, der Staubsauger konnte noch nicht eingeschaltet werden, wenn man keinen Streit mit den Nachbarn provozieren wollte. Also standen sie hier in Springs Traum herum und gingen dem Polizisten auf die Nerven.
Es war allerdings eher ein Alptraum als ein Traum, was den Fahnder hier erwartete. Die verkohlten, rauchenden Trümmer der Familiengartensiedlung, abgefackelte Pneustreifen und ölgetränkte, glühende Eisenbahnschwellen trugen zur Kakophonie der Gerüche bei. Was sich früher wohlgeordnet präsentiert hatte, zerfiel langsam zu einem nassen Aschehaufen, der in seinem schmutzigen Grau mit der Farbenpracht des Herbstwaldes kontrastierte.
Die leichte Bise zerrte einen unangenehm süßlichen Geruch über das Gelände. Spring ahnte, was es war, bevor er etwas zu sehen bekam. Aber der schmucklose Zinksarg wurde von den Leuten der Rechtsmedizin bereits weggetragen, so dass der Anblick dem Störfahnder erspart blieb. Bernhard Spring galt zwar als Künstler im Umgang mit Leichen, zudem war er der Herrscher über das Kriminalmuseum, in dem die Geschichte der Verbrechen dokumentiert wird, dennoch machten ihn Tote sentimental und störten die geordnete Logik seiner Gedanken.
„Brandstiftung, sagte der Feuerwehrkommandant, ohne dass ihn jemand gefragt hätte. „Wir haben drei verschiedene Feuerherde, die sich in Windrichtung ausgebreitet haben. Wir können von Glück reden, dass die Siedlung nebenan verschont geblieben ist.
Spring schaute zu den gesichtslosen, mehrstöckigen Wohnhäusern hinüber und fragte sich, ob man hier wirklich von Glück reden konnte. Dann fiel sein Blick auf eine Gruppe von Alten, die sich der Unglücksstelle näherte. Sie bewegte sich wie ein Vogelschwarm, der von einem Leittier in V-Formation in den Süden geführt wurde.
Der Fahnder wandte sich mit einem fragenden Glitzern in den Augen zum Rechtsmediziner Dr. Peter Raduner.
„Was schaust du mich so an?, fragte dieser. „Erwart bloß keine voreiligen Aussagen von mir.
„Voreilig bitte nicht, aber so viel du eben weißt", entgegnete Spring.
Raduner seufzte. „Es dürfte sich um einen älteren Mann handeln, in den frühen Siebzigern. Das schließe ich aus den halb verkohlten Fotos, die wir an den Brettern der Hütte gefunden haben, in der er lag. Auf den ersten Blick stimmt diese Erkenntnis mit dem Körper überein. Aber es könnte sich auch sonst jemand im Schrebergartenhäuschen aufgehalten haben."
„Dann werden wir schnell rausfinden, wie der Mann heißt, meinte Spring. „War es denn wirklich nötig, die ganze Siedlung abzufackeln, wenn man nur diesen einen Menschen umbringen wollte?
Spring hatte mehr zu sich selbst gesprochen, aber der Feuerwehrkommandant nahm seinen Gedanken auf: „Falls mit dem Feuer eine unnatürliche Todesursache vertuscht werden sollte, ist es natürlich besser, eine möglichst große Hitze zu erzeugen. Er kam beinahe ins Schwärmen: „Wenn du nur diese kleine Hütte anzündest, entwickelt das ziemlich feuchte Holz nicht genug Wärme, um einen Körper vollständig zu verkohlen. Wir hätten also zu viele Anhaltspunkte für einen Mord gehabt. Nur in der Masse entsteht genügend Hitze. Es ist dieser dialektische Schritt, der mich an die marxistische Theorie erinnert, nachdem an einem bestimmten Punkt Quantität in Qualität umschlägt, das heißt der Körper...
„Wir wissen, was das heißt", seufzte Spring, dem nicht nach ideologischer Brandbekämpfung zu Mute war.
Dann fiel sein Blick wieder auf die alten Leutchen, die in ihrem eigensinnigen Rhythmus auf dem Weg zum Brandherd einen ungelenken Tanz aufführten, die Bewegungen eckig und stoßend, das Gespräch ein unverständliches Gemurmel im Raum, die verzweifelte Gestik ein Zeichen der Ekstase von zu kurz Gekommenen.
Bernhard Spring schauderte. Er fragte sich, ob er früher oder später auch so werden, auch zu ihnen gehören würde.
Dann erreichte die Gruppe seinen Standort. Es wurde deutlich, dass eine hagere Frau mit einem lächerlich verrutschten Hut die Anführerin war, die einzige, die jetzt das Wort ergreifen durfte.
„Sind Sie der Polizist, der dafür verantwortlich ist?" Ihr knochiger Finger zeigte auf die verbrannten Holzhütten und den geschwärzten Rosenkohl.
„Ja, also, räusperte sich Spring, „nicht eigentlich verantwortlich, aber zuständig zur hoffentlich schnellen Aufklärung, bei der Sie mir bestimmt behilflich sein können.
„Sie haben Alois weggetragen! Wo kommt er hin?", hakte sie nach.
„Wer ist Alois?", fragte der Fahnder.
„Das tut nichts zur Sache, giftelte die Dame, „ich stelle hier die Fragen!
„Aber Margot, mischte sich einer von hinten ein, „das ist ein Polizist!
„Er soll sich anständig anziehen, damit man das auch erkennt", gab sie zurück, indem sie sich zum Sprecher umdrehte.
Bernhard Spring benutzte den Augenblick, um sich vom Gekeife der Alten und vom Ort des Geschehens abzuwenden. Hier gab es ohnehin nichts mehr zu tun, das die Untersuchungstruppe nicht auch allein hätte erledigen können. Nach ein paar Schritten fand sich der Fahnder am Uferweg entlang der Aare wieder, der aus der Stadt Bern hierher führte.
„Ein Keltenweg war es bestimmt nicht", dachte Spring und träumte sich in einen Fall zurück, von dem ihm Ariane Beer erzählt hatte.
Als ob es noch Zeichen und Wunder gäbe, erblickte der Polizist auf dem Uferweg eine Frau, die ihm entgegen joggte, Schritt für Schritt eine neblige Atemwolke vor sich her stoßend. Sie verlangsamte ihren Trab, als sie die rauchenden Trümmer sah, und blieb schließlich vor dem Eingangstor zur Familiengartensiedlung stehen.
Spring bewunderte den Trainingsanzug, in dem er sie nicht erkannt hätte. Aber er studierte das ihm bestens vertraute Profil im diesigen Morgenlicht, bevor er mit einem kurzen Pfiff auf sich aufmerksam machte und Ariane zu sich winkte.
„Was ist denn hier los?", fragte sie den Polizisten, nachdem sie ihn zur Begrüßung auf die Wangen geküsst hatte.
„Genau das, was du siehst: ein abgebrannter Schrebergarten."
„Da war wohl jemand zu faul zum Aufräumen", lachte sie.
„Dann hätte er wenigstens die Leute warnen können", entgegnete Spring.
„Tote?", fragte Ariane, und die Fröhlichkeit war abrupt aus ihrem Gesicht gewichen.
„Eine verkohlte Leiche, eine Horde verrückt gewordener Alter und ziemlich viel nasse Holzkohle", meinte er.
Ariane spürte die vom Wasser herauf kriechende Kälte. „Du wirst wohl keine Zeit für lange Erklärungen haben. Wenn es bloß keine neuen Kelten oder Sekten im Internet sind! Von denen habe ich für den Rest meines Lebens genug", meinte sie.
Spring überhörte die Anspielungen auf die letzten beiden von Ariane gelösten Fälle und versprach: „Ich halte dich auf dem Laufenden."
„Ich komm heut´ Abend bei dir vorbei!", hörte er noch, bevor Ariane ihre Trainingsrunde fortsetzte.
Der Kater
Bernhard Spring zeigte vom leicht erhöhten Balkon auf die Tigerkatze, die eben durch den Garten strich, mit einem kräftigen Satz zum Flieder sprang und dort die Krallen wetzte.
„Das ist Brunello. Er hilft mir bei den Ermittlungen."
„Du besitzt eine Katze?", fragte Ariane Beer, während sie die Schmetterlingszeichnung und das dunkelbraune Kreuz auf dem Rücken des Tieres bewunderte.
„Eigentlich nicht, er besitzt eher mich, entgegnete Spring, „das ist mein Gastkater. Aber ich werde ihn adoptieren, wenn er noch länger bleibt.
Ariane lachte. „Ich hab doch im Wohnzimmer einen Korb und einen Futternapf gesehen!"
„Das Mitleid ist manchmal stärker als jede Vernunft... und meine Liebe zu dem Vieh! Er seufzte. „Aber kompliziert genug ist der Kater. Er liegt lieber auf dem abgewetzten Kissen draußen auf dem Balkon als im Wohnzimmer. Ich kann es ihm nicht verdenken. Als ich die Kassenquittung aus dem Supermarkt genauer angeschaut hatte, stand dort, ich hätte einen Hundekorb und ein Hundekissen gekauft.
„Und das hält den Kater davon ab, dort reinzusteigen?"
„Ja. Aber gleichzeitig hat es mich auf eine Idee gebracht."
Arianes Neugier erwachte. „Sie hat etwas mit dem Brand zu tun?"
„Nicht direkt. Aber du weißt, dass Polizeiarbeit wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist. Bloß, wenn du nicht mal weißt, wo der Heuhaufen steht..."
„Na gut, schieß los."
Der Störfahnder fuhr fort: „Wenn du ein bisschen länger hier sitzt, wirst du sehen, dass es im Quartier viel zu viele Katzen gibt. Deshalb hab ich diesen Streuner hier, der irgendwo entlaufen ist, aufgenommen und kein anderes Tier angeschafft. Ich sitze also seit dem Sommer hier auf meinem Balkon und gucke der Katzenparade zu."
„Ich hätte ihnen allen einen Namen gegeben, meinte Ariane, „den einer Persönlichkeit aus der Renaissance.
Bernhard erwiderte: „Sie hören aber nicht auf diese Namen, weil die meisten davon zu lang sind. Eine jede Katze folgt ihren Wegen, ganz bestimmten Pfaden, von denen sie sich nicht einmal abbringen lässt, wenn eine Rivalin im Weg steht. So hab ich sie unterscheiden gelernt."
„Und Brunello?"
„War eines Tages einfach da und ist geblieben. Am Anfang wusste ich nicht, ob es ihm hier gefällt und er nachts zu Hause zu fressen bekommt. Als ich aber meinen Abfallsack immer wieder aufgeschlitzt fand, begann ich den kleinen Kerl zu füttern. Darauf entfernte er sich