Die dicke Dame und andere kurze Geschichten (eBook)
By Root Leeb
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Die dicke Dame und andere kurze Geschichten (eBook) - Root Leeb
Sohn
Inhalt
Statt eines Vorworts
Trotz, Eigensinn und kleine Spiele
Die Fastenkur
Die Sitzordnung
Die Verabredung
Vollrausch, der erste
Aufräumen
Das Missverständnis
Die Spielverderberin
Die zehn Feinde
Die glückliche Ehe
Der Kopfkissenbriefkasten
Der Spiegel
Lange Zähne
Faulheit
Der Lauf der Dinge
Nachrichten
Die Zuhörerin
Die letzte Spur
Die Hypochonderin
Gutes Leben
Geiz
Die Erscheinung
Die Katastrophe
Der Geschmack
Der kleine Mann
Das Navigationssystem
Der Heiratsschwindler
Der Feigling
Schüchtern
Die tote Frau
Die Puppe
Die Frau, die sich in ihrem Alter verirrte
Diagnose
So stark
Der falsche Glaube
Das Gepäck
Abenteuerlich
Seitenblick
Der abhanden gekommene Sonntag
Schwimmen
So stark
Auf der Straße
Kräftespiel
Die dicke Dame
Schnelles Geld
Fotogalerie
Glück
Sterben
Früher Tod
Kunstmord
Umgezogen
Höhere Mächte
Die Seifenblase
Vergeblich
Die Armbanduhr
Der Mann im Boot
Erster Preis
A Roma Amore
Der Brief
Schlafstörung
Das Erbe
Schicksal
Der Baum
Weite Reise
Wenn nicht
Angst
Lebensfreude
Sehnsucht
Tiere, mit und ohne Menschen
Der Affe
Die Katze
Der Regenwurm
Mein Hund geht spazieren
Der Leguan
Mäuseunwesen
Der Rabe
Mücke und Mensch
Epilog
Die Autorin
Statt eines Vorworts
Eine Anthologie mit Kurz-, ja Kürzestgeschichten ist vergleichbar mit einer großen Schachtel, gefüllt mit erlesenen Pralinen. Man probiert erst einmal eine. Sie schmeckt. Noch bevor der Geschmack sich auf der Zunge verflüchtigt hat, haben wir schon die nächste nachgeschoben. Diese schmeckt dann anders als die erste, vielleicht unerwartet anders (vor allem, wenn die unsere Erwartungen schon übertroffen hat), was uns den Grund liefert, neugierig eine dritte zu nehmen, dann eine vierte und noch eine und noch eine ...
Das Ende ist bekannt: Wir haben uns überessen, uns wird schlecht. Nie wieder, schwören wir uns.
Und das wäre doch einfach schade.
Deshalb gibt es an dieser Stelle, wie bei diversen Genussmitteln üblich geworden, einen kleinen, fettgedruckten Hinweis: Kürzestgeschichten sind eine Herausforderung, sie stellen höchste Ansprüche an Ihre Disziplin und Selbstbeherrschung.
Trotz, Eigensinn und kleine Spiele
Die Fastenkur
Die Familie hatte Kummer. Alle waren wohlgeraten, schlank und einigermaßen gut aussehend, bis auf den jüngsten Sohn. Ein sonniger Junge war das. Was sein Gemüt und seinen Umfang gleichermaßen betraf. Strahlend und kugelrund.
Der Arzt machte bei der für alle Zehnjährigen anfallenden Kontrolluntersuchung ein bedenkliches Gesicht. So könne es nicht weitergehen, die gesundheitlichen Folgen eines derartigen Übergewichts seien nicht zu unterschätzen und eine weitere Zunahme nicht zu verantworten. Der Junge lächelte ihn fröhlich an, wie um ihn umzustimmen. Als er sah, dass das nichts half, zog er sich umständlich und ein bisschen beschämt die Hosen über den runden Bauch, das Hemd darüber und ging breitbeinig, ja ein wenig watschelnd mit seiner Familie davon.
Der Arzt hatte zwei Alternativen in Aussicht gestellt. Entweder sollte der Junge in eine mehrwöchige Kur geschickt werden oder die Eltern würden gewährleisten, dass er zu Hause eine strenge Diät durchhalte.
Der Gedanke, den Jungen alleine in Kur zu schicken, war für alle so unerträglich, dass die Eltern beschlossen, die Diät zu Hause durchzuführen. Die Geschwister erklärten sich auch gleich bereit mitzumachen, um dem Kleinen die schwere Zeit zu erleichtern.
Der Diätplan war genau durchdacht und erschien allen härter als erwartet. Schon nach der ersten Woche galoppierten während der langweiligen Schulstunden Schnitzel und Pommes in wilden Tänzen durch die Fantasie des ältesten Sohnes, während die Schwester, ein Mädchen von vierzehn Jahren, Schokoladentorten und Süßigkeiten aller Art in ihren Träumen vorbeidefilieren ließ.
Aber man hatte sich gegenseitig hoch und heilig versprochen, keine »Ausreißer« zu unternehmen. Gemeinsam mit dem Jüngsten wollten sie es schaffen. Der schien als Einziger keine Probleme zu haben. Zumindest jammerte er nie. Fröhlich und heiter lebte er durch seine Tage und machte zufrieden jeden Abend ein kleines Kreuz auf das entsprechende Kalenderblatt. Die Eltern, stets mit gutem Beispiel voran, aßen sogar noch etwas weniger, als der Diätplan erlaubte, und hatten nach drei Wochen deutlich sichtbar abgenommen. Besorgt beobachteten sie ihren Jüngsten, der sich nicht zu verändern schien.
Niemand ahnte, dass der kleine sonnige Junge eine Freundin hatte. Sie war ebenso rund wie er und mindestens ebenso gutmütig. Tag für Tag teilte sie in der Schule ihr Pausenbrot und ihre Süßigkeiten mit ihm.
Nach den vorgeschriebenen sechs Wochen begleitete die ganze Familie den Jüngsten zur nächsten Kontrolluntersuchung. Der Arzt sah eine ausgemergelte Familie auf sich zukommen, angeführt von einem kugelrunden Zehnjährigen, der ihm fröhlich zuwinkte.
Die Sitzordnung
Alle sind gekommen, um die goldene Hochzeit der Eltern zu feiern, die ganze Sippe hat sich versammelt. Im Speisesaal des Nobelhotels ist festlich gedeckt, die Platzkarten liegen auf.
Ein Mann mittleren Alters betritt den Saal, schaut prüfend über die Tische, findet nach kurzer Suche sein Namenskärtchen und – voller Schreck – das seiner Tischnachbarin.
Er ist alleine hier, hat keine eigene Familie, er ist nur ein Sohn des gefeierten Paares und Onkel der vielen Kinder seiner Geschwister.
»Neben der mit Sicherheit nicht!«, murmelt er durch die Zähne. Er erinnert sich an kindliche Nacktspiele, die sie rotbackig und wichtigtuerisch an die Erwachsenenwelt verraten hatte, und an die Bloßstellung Jahre später, bei einem anderen Familienfest, als sie herumposaunte, dass er in die schüchterne Cousine Lea verliebt sei, die zu allem Unglück auch noch anwesend war. Das Schlimmste war, dass das stimmte und er es nicht dementieren konnte, ohne Lea zu verletzen. Diese hatte damals fluchtartig den Saal verlassen und war ihm dann bis zu ihrer Hochzeit mit einem Amerikaner aus dem Weg gegangen.
Er tauscht also blitzschnell die Kärtchen und setzt eine alte, schon etwas schwerhörige Tante, die Schwester seiner Mutter, neben sich.
Dann geht er wieder nach draußen. Kurz nach ihm betritt die ursprünglich vorgesehene Tischpartnerin den Saal. Sie ist mittlerweile eine üppige Frau mit blondierten Haaren, bereits zweimal geschieden, und auch sie schaut suchend über die Tischreihen, bis sie ihr Namenskärtchen entdeckt, das jetzt zwischen einem ihr verhassten Schwager und dem senilen Mann der schwerhörigen Tante steht.
»Hier mit Sicherheit nicht!«, murmelt sie und schlendert prüfend mit ihrem Kärtchen in der Hand die Tische entlang. Da bleibt ihr Blick an dem Namen der schwerhörigen Tante hängen. Na, die gehört doch auf jeden Fall zu ihrem Mann, beschließt sie und tauscht die Kärtchen entsprechend. Wer jetzt neben ihr sitzen wird, liest sie mit Genugtuung.
Sie geht wieder hinaus in die Halle, um mit den anderen den Aperitif einzunehmen.
Die Verabredung
Sie war schon von so vielen Männern enttäuscht worden. Den letzten hatte sie sogar geheiratet – und es hatte nichts genützt.
Nach drei Jahren und unzähligen Terminen, die jedes Mal so verliefen, dass sie pünktlich zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort eintraf, dort eine bis mehrere Stunden wartete – und er nicht kam, zog sie Bilanz. Eine verschwindend geringe Zahl von Verabredungen hatte geklappt, meist zu Beginn einer Beziehung, zweihundertachtundvierzig geplante Treffen waren geplatzt.
Die Gründe, die sie später zu hören