Irrlicht 23 – Mystikroman: Das Haus auf dem Hügel
By Carol East
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Das Haus auf dem Hügel war von fast jeder Stelle innerhalb der kleinen Stadt zu sehen. Zumal kein Haus in dieser Stadt höher war als ein Stockwerk – genauso wie das Haus auf dem Hügel. Als würden sich die Häuser der Stadt vor ihm ducken und sich bemühen, bloß nicht größer und prächtiger zu wirken. Prächtig war das Haus auf dem Hügel durchaus, wie es da so einsam stand, als wäre es um Abstand zur übrigen Stadt bemüht. Kein Baum, kein Strauch behinderte die Sicht zu ihm hinauf. Die Gegend war absolut kahl. Selbst das Gras bildete höchstens ein paar mickerige Büschel, die sich verzweifelt in die wenigen und winzigen Ritzen im allgegenwärtigen Felsboden klammerten. Petra Hansen fiel besonders eines auf, was sie als viel merkwürdiger noch empfand im Vergleich zur kahlen Landschaft und dem seltsamen Haus auf dem Hügel: Es gab keinerlei Straßen! Nicht nur nicht innerhalb der Stadt, wo die Häuser standen wie von einem Riesenkind zufällig hingewürfelt, mit unterschiedlichen Abständen voneinander, sondern auch nicht zum Haus auf den Hügel hinauf. Und es gab keine Straße nach außerhalb. Sie zog ihre hübsche Stirn kraus, die sie allerdings selber alles andere als hübsch empfand, und schüttelte am Ende sogar den Kopf, während sie dieses Bild der Stadt mit ihrem Haus auf dem Hügel betrachtete. Der Hügel war die höchste Erhebung weit und breit. Mit nur knapp hundert Fuß über der Stadt noch weit entfernt von einer Bezeichnung etwa wie Berg. Und dennoch hatte dieses Haus etwas Majestätisches, wie es da so thronte. Eine Umgrenzungsmauer des Grundstücks gab es keine, als wolle das Haus damit demonstrieren: Mir gehört sowieso die ganze Gegend! Petras blaue Augen verengten sich zu einem schmalen Spalt, als könnte sie dadurch besser sehen. Sie wunderte sich darüber, daß sie keinerlei Lebenszeichen entdeckte. Ohne Straßen gab es auch keine Autos. Aber zumindest hätte es Fußgänger geben können. Am fernen Horizont senkte sich der Glutball der Sonne, um der Nacht Platz zu machen.
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Irrlicht 23 – Mystikroman - Carol East
Irrlicht
– 23 –
Das Haus auf dem Hügel
… als wäre es nicht von dieser Welt
Carol East
Das Haus auf dem Hügel war von fast jeder Stelle innerhalb der kleinen Stadt zu sehen. Zumal kein Haus in dieser Stadt höher war als ein Stockwerk – genauso wie das Haus auf dem Hügel. Als würden sich die Häuser der Stadt vor ihm ducken und sich bemühen, bloß nicht größer und prächtiger zu wirken.
Prächtig war das Haus auf dem Hügel durchaus, wie es da so einsam stand, als wäre es um Abstand zur übrigen Stadt bemüht. Kein Baum, kein Strauch behinderte die Sicht zu ihm hinauf. Die Gegend war absolut kahl. Selbst das Gras bildete höchstens ein paar mickerige Büschel, die sich verzweifelt in die wenigen und winzigen Ritzen im allgegenwärtigen Felsboden klammerten.
Petra Hansen fiel besonders eines auf, was sie als viel merkwürdiger noch empfand im Vergleich zur kahlen Landschaft und dem seltsamen Haus auf dem Hügel: Es gab keinerlei Straßen! Nicht nur nicht innerhalb der Stadt, wo die Häuser standen wie von einem Riesenkind zufällig hingewürfelt, mit unterschiedlichen Abständen voneinander, sondern auch nicht zum Haus auf den Hügel hinauf. Und es gab keine Straße nach außerhalb.
Sie zog ihre hübsche Stirn kraus, die sie allerdings selber alles andere als hübsch empfand, und schüttelte am Ende sogar den Kopf, während sie dieses Bild der Stadt mit ihrem Haus auf dem Hügel betrachtete.
Der Hügel war die höchste Erhebung weit und breit. Mit nur knapp hundert Fuß über der Stadt noch weit entfernt von einer Bezeichnung etwa wie Berg. Und dennoch hatte dieses Haus etwas Majestätisches, wie es da so thronte.
Eine Umgrenzungsmauer des Grundstücks gab es keine, als wolle das Haus damit demonstrieren: Mir gehört sowieso die ganze Gegend!
Petras blaue Augen verengten sich zu einem schmalen Spalt, als könnte sie dadurch besser sehen. Sie wunderte sich darüber, daß sie keinerlei Lebenszeichen entdeckte. Ohne Straßen gab es auch keine Autos. Aber zumindest hätte es Fußgänger geben können.
Am fernen Horizont senkte sich der Glutball der Sonne, um der Nacht Platz zu machen.
Petra grübelte darüber nach, wie sie denn überhaupt dazu kam, den späten Abend anzunehmen. Wer sagte ihr denn, daß es nicht im Gegenteil früher Morgen war und die Sonne sich nicht senkte, sondern erst jetzt erhob, um den Tag einzuleiten?
Sie spürte es einfach und hörte auf, sich darüber zu wundern. Genauso, wie sie sich keineswegs darüber wunderte, überhaupt hier zu sein, auf einem geradezu idealen Beobachtungsposten, von dem aus sie alles bis ins kleinste überblicken konnte. Sie befand sich irgendwie höher noch als das Haus auf dem Hügel, sonst könnte sie es doch nicht von schräg oben sehen, nicht wahr? Und das, obwohl es keinerlei höhere Erhebung als diesen Hügel hier gab?
Ihr Blick heftete sich auf die Zwischenräume zwischen den Häusern.
Wie eine Spielzeugsiedlung, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie strich eine Strähne ihres langen blonden Haares zurück, die ihr vor das linke Auge gefallen war. Ja, wie bei ihrem Bruder, der ein leidenschaftlicher Fan von Spielzeugeisenbahnen war und dafür ganze Landschaften in miniaturisierter Form erschuf.
Doch diese Stadt mit dem Haus auf dem Hügel vor ihr war viel zu realistisch, als daß es ein Modell hätte sein können. Das sah sie, wenn sie die Details mit ihren Augen regelrecht aufsaugte.
Sie ließ ihre Blicke weiterschweifen, auf der Suche nach dem, was man Leben hätte nennen können. War es denn möglich, daß es so etwas außer den mickrigen Grasbüscheln innerhalb dieses Bereiches gar nicht gab? Schon länger nicht?
Nein, die Häuser machten einen gepflegten Eindruck. Wenn die Bewohner sie verlassen hatten, dann war das noch nicht lange her.
Es gelang ihr, näher heranzugehen. Wie eine Riesin, die sich über die Landschaft beugte, um ihr Gesicht näher an das Geschehen zu bringen. Falls es denn so etwas wie ein Geschehen gab...
Die Sonne versank beinahe endgültig hinter der Horizontlinie. Die Landschaft wurde von einem blutigen Licht übergossen, das schaurige Assoziationen in Petra weckte. Sie betrachtete eines der Häuser genauer. Die Fenster blieben dunkel. Aber nicht mehr lange. Ein Licht glomm im Innern auf. Es zuckte unruhig hin und her wie ein aufgeregtes Glühwürmchen. Und dann... öffnete sich die Haustür, und ein junger Mann trat hervor, mit einer Kerze in der Hand, deren Licht unruhig flackerte. Das also war das nervöse Flackern, das sie durch das Fenster gesehen hatte?
Der Mann trat vor das Haus und schaute sich wie suchend um. Dann blieb sein Blick am Haus auf dem Hügel hängen.
Petra wandte nun ebenfalls ihre Aufmerksamkeit dem Haus auf dem Hügel zu: Dort hatten die Fenster zu glühen begonnen, als wären sie rotglühende Augen, die auf die Stadt hinabstarrten.
Sie schaute wieder nach dem jungen Mann, der nach wie vor dastand und hinaufstarrte.
Er war schlank-muskulös, so richtig durchtrainiert, wie es Petra am besten gefiel. Sie hatte die Theorie, nur deshalb auf dieser Art Mann zu stehen, weil sie selber sich als völlig unsportlich einschätzte. Überhaupt hielt sie von sich selber sowieso eher wenig.
Das Gesicht des jungen Mannes erinnerte sie an einen berühmten Schauspieler, der schmachtende Liebhaber genauso überzeugend spielen konnte wie bitterböse Schurken – und in jeder seiner Rollen sowieso stets und ständig der Schwarm aller Frauen blieb, ob jung oder alt.
Kaum hatte sie diesen Vergleich gezogen, als der junge Mann seinen Blick von dem Haus auf dem Hügel löste – und sie unmittelbar anstarrte.
Sein Gesicht zeigte so etwas wie Erschrecken. Er riß sogar wie abwehrend seinen linken Arm hoch und hätte vor Schreck beinahe die brennende Kerze verloren, deren Flamme jetzt flackernd erlosch.
*
Er – er kann mich sehen, dachte Petra konsterniert, denn in dieser skurrilen Situation war das alles andere als selbstverständlich.
Als der junge Mann begriffen hatte, daß von ihr keine unmittelbar Gefahr ausging, ließ er den Arm wieder sinken.
Inzwischen war die Sonne so tief gesunken, daß er kaum mehr als ein Schatten blieb. Doch jetzt entstand überall in den Häusern jenes Glühen, das sie zuerst im Haus auf dem Hügel bemerkt hatte, und da es keinerlei Vorhänge gab, warf es seinen unwirklichen Schein in die Zwischenräume der Häuser. Zwar war es nur ein eher dürftiges Licht, da es keinerlei sonstige Straßenbeleuchtung gab...
Logisch, es gibt ja auch keine Straßen, dachte Petra prompt und betrachtete sich den jungen Mann näher.
Dieser fuhr erschrocken einen Schritt vor ihr zurück, blieb dann jedoch wieder stehen.
»Wer – wer bist du?« stotterte er.
Petra hielt überrascht inne, ehe sie leise antwortete: »Ich heiße Petra Hansen.«
»Eine... Deutsche?«
»Ja, ich bin Studentin und will mich auf Indianergeschichte spezialisieren. Deshalb kam ich hierher, nach Amerika.«
»Indianergeschichte?« Der Mann schaute sich gehetzt um, als befürchtete er, es könnte gefährliche Zuhörer geben. »Das – das ist ja entsetzlich!«
Petra runzelte die hübsche Stirn und meinte: »Entsetzlich? Was ist denn daran...?« Sie brach ab und nagte an ihrer Unterlippe. Jetzt erst begann sie sich zu fragen, was sie hier überhaupt wollte – und wie sie überhaupt hierhergekommen war.
Sie schaute sich unwillkürlich um. Das hieß, sie wandte sich von der Stadt mit ihrem Haus auf dem Hügel ab und warf einen Blick zurück, über ihre Schulter.
Und damit war sie wieder dort, was die Menschen ihre Wirklichkeit nannten. Aber war diese Wirklichkeit denn tatsächlich wirklicher als das, was sie soeben gesehen und erlebt hatte?
Verwirrt schüttelte sie den Kopf, daß ihre langen blonden Haare flogen.
Sie stand in dem Indianermuseum, das unter Insidern als absoluter Geheimtip galt. Dafür hatte sie viele Meilen durch die Wüste fahren müssen, um das Museum neben einer schäbigen und anscheinend kaum frequentierten Tankstelle zu finden. Aber auf einer Fläche von schätzungsweise dreihundert Quadratmetern hatte sie so viele Kostbarkeiten entdeckt wie nicht in ihrem bisherigen Leben und Forschen insgesamt! Sie hatte es doppelt und dreifach bedauert, allein hierhergefahren zu sein und nicht gewartet zu haben, bis ihr Kommilitone und Freund Fred Stinner hatte mitkommen können.
Gerade hatte sie eine eigenartig anmutende Anordnung von indianischen Totems und anderen Utensilien betrachtet, die sie trotz ihres immensen Fachwissens in keiner Weise einordnen konnte, als es geschehen war: Jetzt konnte sie sich deutlich daran erinnern!
Das Ganze war wie ein Vision gewesen, so realistisch, wie eine Vision überhaupt sein konnte.
Mehr noch als eine Vision war das gewesen, wenn sie berücksichtigte, daß jener junge Mann... sie gesehen und sogar zu ihr gesprochen hatte!
Und noch viel mehr: Sie hatte ihm sogar geantwortet und ihren Namen genannt.
Im nachhinein sah sie darin allerdings einen entscheidenden Fehler!
Sie schaute wieder nach vorn, auf die Anordung.
Es war eine Art magische Anordnung. Soviel war jedenfalls sicher. Obwohl sie noch vor Minuten angenommen hatte, so etwas könnte es gar nicht geben – eine echte magische Anordnung nämlich. Kein Wunder, denn es war das erste Erlebnis dieser Art überhaupt in ihrem ganzen Leben.
*
Erst draußen, in der Tageshitze, kam sie wieder zu sich. Sie hatte sich nach dem Erlebnis wie betäubt gefühlt. Ihre Gedanken waren nur träge und