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Unnahbar - Eine Liebe unter Frauen
Unnahbar - Eine Liebe unter Frauen
Unnahbar - Eine Liebe unter Frauen
Ebook219 pages3 hours

Unnahbar - Eine Liebe unter Frauen

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About this ebook

Eine lesbische Liebesgeschichte, deren Protagonistinnen gezwungen sind, sich ihren seelischen Abgründen ebenso wie ihrer Vergangenheit zu stellen. Einer Vergangenheit, die sich in fataler Weise auf die Gegenwart auszuwirken droht...
LanguageDeutsch
Release dateMar 9, 2013
ISBN9783955270902
Unnahbar - Eine Liebe unter Frauen

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    Unnahbar - Eine Liebe unter Frauen - Sigrid Lenz

    cover.jpg

    Impressum

    „Unnahbar – Eine Liebe unter Frauen" von Sigrid Lenz

    herausgegeben von: Club der Sinne®, Club der Sinne®, Allee der Kosmonauten 28a, 12681 Berlin, Dezember 2008

    zitiert: Lenz, Sigrid: Unnahbar – Eine Liebe unter Frauen, 1. Auflage

    © 2008

    Club der Sinne®

    Inh. Katrin Graßmann

    Allee der Kosmonauten 28a

    12681 Berlin

    www.Club-der-Sinne.de

    kontakt@club-der-sinne.de

    Stand: 01. Januar 2013

    Gestaltung und Satz: Club der Sinne®, 13086 Berlin

    Coverfoto: © Club der Sinne® 2008

    Fotografin: Sandra Neumann, www.libertina.de

    Covergestaltung: Club der Sinne®

    ISBN 978-3-95527-090-2

    eBooks sind nicht übertragbar!

    Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken!

    Weitere eBooks von Sigrid Lenz finden Sie hier:

    http://www.club-der-sinne.de/index.php?manufacturers_id=40

    Weitere erotische Literatur zum Sofortdownload finden Sie unter

     www.Club-der-Sinne.de oder www.Dirty-Talk-Stories.com

    Sigrid Lenz

    Unnahbar

    -

    Eine Liebe unter Frauen

    Amelia beugte sich über ihre Tastatur. Ihr volles kastanienbraunes Haar fiel ihr erneut über die Augen, und sie schüttelte es ärgerlich zurück. Ihr Rücken schmerzte, und die Stille im Haus wirkte beinahe furchteinflößend. Nicht dass es lauter gewesen sei, als ihre Großmutter noch lebte. Und doch gab es diesen Unterschied. Er war verwirrender, als sie es angenommen hätte, falls ihr jemals dieser Gedanke gekommen wäre.

    Nicht nur, dass eine pflegebedürftige alte Dame ständiger Aufmerksamkeit und Pflege bedurfte. Allein die leisen Geräusche, die sie verursachte, die sachten Seufzer, das Stöhnen und Knarzen, wenn sie sich im Bett herumgedrehte. All dies, all die kleinen Unannehmlichkeiten und Ärgernisse waren doch auch Zeichen des Lebens. Sie waren Beweise der Anwesenheit einer weiteren Seele, die mit ihr, mit Amelia verbunden war. Sie waren nicht nur durch Blut, sondern auch durch das Schicksal bis zum letzten Atemzug aneinander gekettet. Ein halbes Jahr war es nun her, dass Amelias Großmutter diesen letzten Atemzug getan hatte, und Amelia bereute nichts. Nicht dass sie bis zum Ende für sie gesorgt, nicht die Mühen, den Ärger, die Verzweiflung oder die Kraft, welche die Pflege ihr abverlangt hatte. Es hatte für sie nie einen Zweifel gegeben, nie eine Alternative. Wenn jemand imstande gewesen war, der alten Dame einen menschenwürdigen Abschied zu schenken, dann war sie es.

    Amelia starrte auf den Monitor und versuchte vergebens, sich auf die Übersetzung der erotischen Abenteuer eines englischen Grafen zu konzentrieren. Wenn sie ehrlich war, bearbeitete sie diese Art von Geschichten sogar lieber als die Dutzendware an Thrillern, die ihr ansonsten vorgesetzt wurde. Müsste sie noch einen unschuldigen Körper von Tausenden stahlharter Geschosse zerfetzt sehen, würde sie wohl kündigen und sich auf Gebrauchsanweisungen spezialisieren.

    Amelia lehnte sich zurück und rieb ihre Schläfen. Es war vielleicht falsch, sich derartig von der Arbeit vereinnahmen zu lassen. Wovor fürchtete sie sich? Auf ihr lastete keine Schuld. Sie hatte ihr Bestes getan, man hatte es ihr von jeder erdenklichen Seite versichert. Ihre Großmutter hatte genug gelitten. Ihre wenigen lichten Augenblicke durfte sie dort verbringen, wo sie zu Hause war, anstatt in einer kalten Institution. Es war nur menschlich und verständlich, dass es schwer für Amelia war, dass sie ihr Schicksal auch manchmal verflucht, dass sie Gedanken an den Tod der alten Dame mit sich herumgetragen hatte. Niemand konnte ihr das übel nehmen. Und doch beunruhigte Amelia mehr als alles andere die Tatsache, dass sie nicht imstande gewesen war, auch nur eine Träne zu vergießen. Sie hatte nicht weinen können, konnte es auch jetzt nicht. Auch wenn Großmutter ihr fehlte, auch wenn das leere Haus ihr unerklärliche Ängste einjagte, auch wenn die Einsamkeit unerträglich schien. Die heilsamen Tränen saßen hinter ihren dunklen Augen fest, unfähig sich aus ihrer verkrusteten Schale zu lösen.

    Es hatte keinen Sinn. Die Depression streckte bereits ihre langen Finger nach ihr aus. Amelia seufzte. Vielleicht würde es ihr helfen sich abzulenken. Ein Blick in ihren elektronischen Briefkasten, ein harmloser Flirt ohne Verpflichtungen und Zwänge, vielleicht konnte sie dem drohenden Abgrund auf diese Weise noch ein Schnippchen schlagen. Und tatsächlich zauberte der Anblick ihres Monitors ein schmales Lächeln auf Amelias Gesicht. Wie erwartet prangte eine Chateinladung der gesichtslosen und sich in sicherer Entfernung befindlichen Irene über allem anderen. Sie sah die Frau vor sich, von der sie nicht mehr wusste, als dass sie ebenfalls in Riesenschritten auf die Vierzig zu ging und dass sie ihr mit Sicherheit niemals begegnen würde, zumindest nicht wenn es nach ihr ginge. Amelia lächelte. Irene war eine Meisterin in belanglosem Geplänkel gewürzt mit kleinen Anzüglichkeiten. Genau das, was ihr der Arzt in einem Moment wie diesem verschrieben hätte.

    Nicht weit von ihr entfernt, doch getrennt durch Mauern, Fenster und sich sanft im Luftzug bewegende Gardinen, stand eine blonde Frau im Schatten des Hochhauses, das Amelias Heim Sonne und Sicht nahm. Unbeirrt starrte Felice in die Höhe, fixierte mit ihrem Blick die Außenwände des Zimmers, von denen sie wusste, dass Amelia sich dahinter verbarg. Ihr Haar schimmerte golden im Licht des schwindenden Tages. Ihre Stirn war gerunzelt, die Augen wirkten verloren in dem blassen Gesicht. Es half nichts. Wenn die Frau sich nicht bald ihr zeigte, nicht bald eine Chance böte, sie anzusprechen, auf irgendeine Art Kontakt zu ihr aufzunehmen, dann bliebe ihr nichts anderes übrig, als einen neuen Weg zu gehen, um ihr Ziel zu erreichen.

    Felice nahm ihren schwarzledernen Rucksack von der Schulter und kramte in einer Seitentasche, aus der sie eine zerdrückte Packung Menthol-Zigaretten ans Licht beförderte. Sie verdrehte die Augen in Erinnerung an all die dummen Bemerkungen, die sie sich im Lauf der Zeit hatte anhören müssen und zuckte mit den Achseln. Jeder nach seinem Geschmack und ein bisschen außergewöhnlich dürfte es wohl sein. Sie steckte sich eine Zigarette zwischen ihre kalten Lippen. Mit steifen Fingern gelang es ihr schließlich, sie anzuzünden. Felice inhalierte tief. Diese Nacht würde sie noch abwarten. Dann jedoch war es an der Zeit sich einen neuen Schritt zu überlegen. Länger konnte Felice die nächtliche Kälte des beginnenden Frühlings nicht mehr ertragen.

    Amelia verließ das Haus vorzugsweise während der Zeitspanne, in der sich tröstende Dunkelheit über das hektische Treiben der Großstadt legte. Die Dämmerung versprach scheinbar Ruhe und Frieden, und doch reichte ihr die Illusion, um den Mut zu fassen, die eigenen Wände hinter sich zu lassen. Sei es auch nur, um belanglose Besorgungen zu machen, einen Weg hinter sich zu bringen, der ihr bei grellem Tageslicht zu schwer gefallen wäre. Die Momente, in denen das Leben begann, sich Schutz und Geborgenheit zu suchen, in denen es aufhörte, sich pausenlos zu präsentieren, sondern Platz machte für andere, heimliche Werte, diese Momente waren ihr stets die kostbarsten gewesen. Sie hatten ihr geholfen, ihren Weg weiter zu gehen, so schwer es ihr manchmal auch gefallen war.

    Sie packte die unförmige Einkaufstasche fester, als sie die Haustür hinter sich schloss. Die Zeit der langen Nächte machte vieles einfacher. Es war leicht, sich vorzustellen, der Tag sei überstanden. Leicht, sich einzureden, im Dunkel unsichtbar zu sein, ein Schatten nur, der keine Bedeutung, keinen Einfluss auf den Lauf der Welt hatte.

    Und doch ließ das vertraute Gefühl sie frösteln, sobald ihre Schritte auf dem Asphalt ertönten. Nicht einmal die zerschlissenen Turnschuhe ermöglichten ihr die Lautlosigkeit, die sie sich ersehnte. Sie hasste es, als ihr Puls sich beschleunigte, das Herz zu rasen begann. Amelia bemühte sich, ruhig zu atmen, verkrampfte ihre Hände um den dunkelgrünen Kunststoff. Wenn sie nur ein wenig besser geplant hätte, wäre ihr der heutige Weg vielleicht erspart geblieben.

    Einen Moment überlegte Amelia, ob sie umkehren, ob sie versuchen sollte, ohne den umständlichen Beistand der doch so notwendigen Tampons auszukommen. Sie schluckte trocken. Nein, es brachte nichts. Im Gegenteil, der Stress nahm zu mit jedem Zugeständnis an ihre Schwäche. Trotzdem konnte sie es nicht verhindern, dass die Angst ihr kalt den Rücken empor kroch. Sicher, es handelte sich nur um Einbildung. Natürlich, niemand hätte einen Grund sie, ausgerechnet sie zu verfolgen, anzustarren, seine Blicke auf sie zu richten, während sie versuchte, sich kleiner zu machen, versuchte, der Schatten zu werden, der sie schon immer sein wollte.

    Und doch waren da Augen, die an ihr klebten. Sie spürte mit beängstigender Gewissheit, dass sie nicht allein war, dass sie sich im Fokus eines anderen Menschen befand.

    Amelia beschleunigte ihre Schritte. Ihr Atem ging hastig, ihr Herz pochte. Es war nicht weit zum Supermarkt. Zudem wusste sie, dass sich diese absurden Gefühle lediglich in ihrer ausufernden Einbildung austobten, dass es keinen Grund gab, nicht einmal den Hauch einer Möglichkeit geben konnte, dass irgendjemand an ihr, ausgerechnet an ihr, Interesse haben sollte, um ihr aufzulauern, um ihr zu folgen.

    Und doch spähte sie zurück, wann immer die Bewegung ihr unauffällig schien. Der Blick über die Schulter, Versuchung und erschreckend zugleich. Und schließlich, beim Überqueren der Straße, über die haltenden Autos und ihre funkelnden Lichter hinweg, sah sie die Frau. Nein, verbesserte sie sich stumm, das Mädchen, nicht viel älter als Zwanzig. Was sie nicht hatte zugeben wollen, wurde Gewissheit. Sie war es, hinter ihr, neben ihr, um sie. Immer in Entfernung, doch stets in ihrer Nähe.

    Amelia konnte nicht angeben, wie lange die Unbekannte ihr folgte, für wie viele Tage ihre Paranoia auf einer real existierenden Ursache beruhte. Doch in diesem Moment sah sie es klar und deutlich. Keine Verdrängung, keine Einbildung konnte ausreichend erklären, was vorging.

    Amelias Wangen brannten. Ihr Hals schien ausgekleidet mit Sandpapier. Es war unsinnig. Einbildung, nicht mehr. Sie war einfach zu lange allein, zu lange ohne Gesellschaft, ohne Gesprächspartner geblieben. Kein Wunder, dass ihre Fantasie begann, Purzelbäume zu schlagen.

    „Ist das Ihres?"

    Ein leichter englischer Akzent, seltsam vertraut. Weite grüne Augen, die in ihre tauchten. Amelia öffnete den Mund, doch die Antwort wollte ihre Kehle nicht verlassen. Glänzendes, helles Haar, am Kopf gehalten durch einen breiten Schal, umrahmte ein zartes Gesicht. Stumm schüttelte Amelia ihren Kopf, das dünne Tuch, das die Fremde ihr entgegenhielt, nur aus den Augenwinkeln wahrnehmend.

    „Oh, I’m sorry", murmelte das Mädchen und zog scheu ihre Hand zurück.

    „No problem."

    Amelia konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als die andere unvermittelt und natürlich in die englische Sprache wechselte. Achtzehn Jahre war es nun her, dass sie dieses Land und ihre Träume dort verlassen hatte. Und immer noch fiel es ihr leichter, fand sie sich ohne Schwierigkeiten in den Lauten, der Melodie, dem Tonfall wieder, der ihr doch fremder sein sollte, als jede andere Sprache, die sie einst gelernt hatte.

    Das Mädchen, die junge Frau, sah sie immer noch an, und Amelia konnte nicht anders, als den Blick zu erwidern. Sie war es, das Mädchen, das ihr wiederholt aufgefallen war. Direkt vor ihr erschien sie ihr erfahrener, älter, als sie von weitem angenommen hatte. Kleine Fältchen zeichneten sich um Mund und Augen, dunkle Ringe unter den Lidern. Jung war sie, wenn auch vielleicht nicht so jung, wie Amelia zuerst angenommen hatte. Das Leben hatte sie schon gezeichnet.

    Amelia stoppte ihren Gedankengang. Erneut schüttelte sie ihren Kopf, setzte zu einer abwehrenden Geste an. Doch bevor sie ihre Hand erheben konnte, trat das Mädchen einen Schritt zurück, beinahe als geniere es sich seiner Dreistigkeit. Gleichzeitig und unerwartet knickte es in der Bewegung ein, strauchelte und wäre beinahe zu Boden gestürzt, hätte Amelia sich nicht unwillkürlich vorgebeugt und unkontrolliert ins Leere gegriffen. Welch spontaner Einfall sie zu diesem untypischen Verhalten getrieben hatte, entzog sich ihrer Kenntnis, und doch konnte sie nicht anders, als dem Impuls nachzugeben. Und wie durch ein Wunder ergriff die Fremde den täppischen Versuch der Hilfestellung und zog sich geschwinder, als Amelia es für möglich gehalten hätte, in die Höhe, ihren Stand problemlos stabilisierend.

    „Danke", murmelte sie leise und schenkte Amelia einen vertrauensvollen Blick. Ein Augenaufschlag nur enthüllte den durch lange, seidige Wimpern nebelig wirkenden Glanz. Ein Zauber, der verging, noch bevor sie ihn erkannt, noch bevor sie sich seiner Existenz bewusst geworden. Und gleichzeitig registrierte Amelia das Zerbrechliche in der schmalen Gestalt, die sich ein wenig zu schnell, ein wenig zu ängstlich von ihr gelöst hatte, bereit, wieder in den Schatten zu verschwinden. Noch etwas bemerkte die Dunkelhaarige, ohne es zu wollen. Tatsächlich wehrte sie sich gegen diesen Eindruck, bemühte sich, ihn fortzustoßen. Doch wollte es ihr nicht gelingen. Zu auffällig, zu deutlich sprang ihr das Verwahrloste der Erscheinung, das Verfrorene des dünnen Körpers in den klammen Klamotten, ins Auge.

    Hastig wich sie zurück, bereute ihre Bewegung sofort, als ihr die Verletzlichkeit des jungen Mädchens bewusst wurde. Was wusste sie schon? Die Stadt war angefüllt mit armseligen Existenzen, mit Menschen, die Pech gehabt, die es nicht so gut getroffen hatten wie sie. Gerade in den letzten Jahren nahm die Anzahl streunender Jugendlicher, Ausreißer und Flüchtlinge rapide zu. Amelia versuchte stets, die Augen zu verschließen, doch es gelang ihr nicht, würde ihr nie gänzlich gelingen. Das Leben war schwer genug. Was wollte sie von dem Elend anderer wissen? Was konnte sie schon tun? Doch irgendetwas in dem Blick des Mädchens ließ ihre Nerven vibrieren.

    Amelia presste die Lippen zusammen und riss sich los. Sie würde sich nicht von ihrer Einsamkeit dazu verleiten lassen, eine Dummheit zu begehen, sie nicht. Ohne sie noch einmal anzusehen, trat sie an der jungen Frau vorbei und steuerte direkt auf den Laden zu, den sie ins Auge gefasst hatte.

    Ihr Herz schlug immer noch bis in den Hals hinauf, als sie den Supermarkt mit ihrem Einkauf wieder verließ. Nicht das grelle Licht in seinem Inneren, nicht die sanfte Musik im Hintergrund, nicht ihr gewohntes Ungeschick, das sie dazu gezwungen hatte, vor der Kasse die beim Versuch zu zahlen heruntergefallenen Münzen wieder aufzuheben, nichts davon hatte gereicht, Amelia die kurze Begegnung vergessen zu lassen. Wie immer, wenn sie nervös war, fuhr sie mit der Zunge über ihre neueste Zahnkrone, während ihre Augen versuchten, sich wieder an die durch Straßenlaternen, bunte Reklamen und erleuchtete Fenster erhellte Umgebung zu gewöhnen.

    Und als hätte sie es geahnt. Als hätte sie es im Stillen erhofft, als wäre es unvermeidbar, vorherbestimmt gewesen, wartete die Fremde auf sie. Auch ohne sie zu sehen, spürte sie deren Anwesenheit. Ob es ihr Wunsch war, der ihr dieses Bild diktierte, oder eine Eingebung, ein Wink des Schicksals, Amelia war sich nicht sicher. Doch einer Sache war sie sicher: Der Gestalt, die ihr auflauerte, die ihr folgen würde, und die nun, endlich, ein Gesicht erhalten hatte.

    „Entschuldigung noch mal."

    Da war sie wieder, die Stimme, die diesen vertrauten Klang in sich trug, diese leichte Schwingung, die unnötige Dehnung mancher Vokale, den unmerklichen Beigeschmack, der sie so sehr an Joanne erinnerte. Der sie zu sehr an Joanne erinnerte, einen Schmerz erweckte, den sie vergessen geglaubt.

    Die junge Frau versuchte sich an einem schwachen Lächeln. „Ich wusste, dass das Tuch nicht Ihnen gehört. Ich wollte nur ein Gespräch mit Ihnen beginnen."

    „Wie bitte? Amelia bemühte sich, schnippisch zu klingen, abweisend. Sie hatte Besseres zu tun, als sich von wildfremden Menschen bequatschen zu lassen. „Ich habe leider keine Zeit.

    ‚Für so etwas‘, wollte sie noch hinzufügen, doch der Strahl silbernen Lichtes, der in die weit geöffneten Augen des Mädchens traf, sie zum Schimmern brachte, ließ Amelia verstummen.

    „Ich wüsste wirklich nicht…", setzte sie etwas sanfter hinzu, doch ertappte sich dabei, wie ihr Blick sich in dem der anderen verfing. Diese Augenfarbe, dieser eigentümliche Ton zwischen Grün und Blau, nur wenig heller als die sternenlose Dunkelheit, die über ihnen lastete, auch sie war ihr vertraut, blieb seit langen Jahren unverändert in ihr Gedächtnis eingebrannt.

    „Es tut mir leid", stammelte das Mädchen, doch packte sie zugleich mit eisernem Griff um ihr Handgelenk.

    „He!"

    „Ich bin Felice. Sie verstummte, als wäre sie sich ihres ungebührlichen Verhaltens bewusst geworden, zog hastig ihre Finger zurück. „Erinnerst du dich an mich?

    Amelia blinzelte. Eine Erinnerung flackerte auf. Schwach und so rasch, dass sie nicht imstande war, den Eindruck festzuhalten. Und doch wuchs da etwas in ihr, ein Bild, eine Gestalt. Lachen, Sonnenschein, ein Kind. Ein

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