Mein kleines Geheimnis #1
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Mein kleines Geheimnis #1 - Nike Maria Vassil
werden.
Kapitel 1.
Heute Morgen ist Elisabeth wieder früh aufgewacht. Sie ist immer eine gute Einschläferin gewesen und selten von den Monstern der Nacht gejagt worden. Schon beim Berühren des Kopfkissens fielen ihr die bleiernen Augen unbeschwert, fast leichtsinnig, zusammen. Doch in letzter Zeit ist es zur Gewohnheit geworden, dass ihre Lider morgens zwischen vier und fünf Uhr wieder aufklappen und sie hellwach im Bett liegt, ohne offensichtlichen Grund.
Weder der Wecker, noch ein kurz aufschnarchendes, brummendes Geräusch in ihre Ohrmuschel, noch ein ‚Guten Morgen Kuss‘, gegen den sie nichts einzuwenden hätte, sind an diesem Trieb Schuld. Ein unruhiger Strom reißt ihr plötzlich die Augen auf, und sie wird in wenigen Sekunden zu einem wachsamen Adler, der in null Komma nichts hoch konzentiert auf seine Jagdbeute hinunterfliegt, sie greift und zerfleischt. Jeder Versuch in den Schlaf zurückzukehren, ist vergeblich.
Zugegeben, heute ist es ihr Lieblingstraum. Ein Traum, der sogar einen Morgenmuffel schneller in den Tag katapultiert. Ein Todestraum mit glücklicher Wendung, der sie öfters aufsucht, und der ihren Adrenalinspiegel steigen lässt, während sie sich beim Träumen des glücklichen Endes gewiss ist. Es kommt ihr vor, als ob die naive Hälfte des Gehirns den Traum als die einzige Realität akzeptiert, während die nüchterne Hälfte die Täuschung erkennt und belächelt. Es ist immer der gleiche Traum.
Sie sitzt auf dem Beifahrersitz eines roten Opel Kadetts und fährt mit ihren drei besten Freundinnen, Marie, Cristina und Brigitte eine Serpentinstraße entlang, irgendwo im Süden. Es könnte Südfrankreich, Italien oder Griechenland sein. Ganz unerwartet geschieht es. Cristina, die am Steuer sitzt, greift reflexartig nach etwas Belanglosem, das auf den Boden fällt, und während sich ihr Blick darauf fixiert und ihr Fuß noch auf dem Gaspedal klebt, verselbstständigt sich das Steuer für maximal eine oder zwei Sekunden, nicht länger. Auf der nächsten Linkskurve gerät das Auto außer Kontrolle. Es hat dem festen Boden 'Adieu' gesagt und befindet sich nun in freier Atmosphäre. Dabei wird jede Lenkratsdrehung, die sich von den Reifen abgekoppelt hat, beliebig. Paradoxerweise erscheinen nun die Reifen wie vom Abschleppdienst festgeklemmt. Die weiteren Sekunden verlaufen im Zeitlupentempo.
Alle vier Frauen stoßen einen kurzen Todeschrei aus, bevor der Anblick nach unten sie in einen Trancezustand versetzt und ihre Panik erstickt. Vermutlich erkennen sie ihren neuen Gastgeber Hades, wie er ihnen seine Tore öffnet, sie schadenfroh angrinst, aber dem sie keine Genugtuung einräumen möchten. Nur hundert Meter unter ihnen, den steilen Abhang hinunter, nähmen sie von dieser Welt Abschied, um in den Tunnel der unbekannten Reise, ins Universum, geschleudert zu werden.
Dort breitet sich das dunkelblaue tiefe Meer wie ein kobaltblauer Teppich aus.
Sie fallen, und diese Sequenzen einzelner Lebensabschnitte, , von denen viele Überlebenden in todesähnlichen Momenten berichten, wollen einfach nicht erscheinen. Stattdessen beginnt Elisabeth das hintere Fenster herunterzukurbeln. Der Blitz eines klitzekleinen Hoffnungsschimmers?
Oft liegt sie mit ihrer medialen Vorahnung richtig. In diesen Sekunden spürt sie, wie unbeschwert und konzentriert ihre Reaktionen erfolgen. Zum Denken fehlt die Zeit und diese Zeitlosigkeit verwandelt panische Angst in geschmeidige, zielstrebige und fließende Bewegungen.
Das Auto taucht ins Meer ein und Elisabeth kurbelt unbeirrt das Fenster herunter. Nur noch ein paar Zentimeter bis der Spalt breit genug ist, damit sich die Körper hindurch winden können. Der Aufprall ins Wasser hat wie