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Philosophische Grundlagen der Psychoanalyse: Eine wissenschaftshistorische und wissenschaftstheoretische Analyse
Philosophische Grundlagen der Psychoanalyse: Eine wissenschaftshistorische und wissenschaftstheoretische Analyse
Philosophische Grundlagen der Psychoanalyse: Eine wissenschaftshistorische und wissenschaftstheoretische Analyse
Ebook307 pages3 hours

Philosophische Grundlagen der Psychoanalyse: Eine wissenschaftshistorische und wissenschaftstheoretische Analyse

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Dieses Werk beleuchtet aus philosophischer Sicht die neuere Psychoanalyse, die zwischen der klinisch ausgerichteten Kleinianischen Theorie und der extraklinisch orientierten neueren Säuglingsforschung entstanden ist. Dabei zeigt sich ein therapeutisch und wissenschaftlich fruchtbarer Gegensatz zwischen dem klinisch rekonstruierten Unbewussten des Säuglings nach Melanie Klein und dem in direkter Beobachtung untersuchten Unbewussten nach Daniel Stern. Insbesondere für die psychoanalytische Lehre von der Abwehr zeichnen sich neue Perspektiven ab. Nicht zuletzt wird die Diskussion auch in die Wissenschaftsphilosophie und -geschichte eingeordnet.
LanguageDeutsch
Release dateDec 19, 2013
ISBN9783170244191
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    Philosophische Grundlagen der Psychoanalyse - Alfred Schöpf

    Teil I –   Wissenschaftsgeschichtliche Einordnung der Psychoanalyse

    1          Ist die Psychoanalyse ein Kind der Aufklärung (Kant) oder des romantischen Gegenpols (Schelling)?

    Einführung

    Eine erste Frage, die sich jedem mit der Psychoanalyse und der Philosophie Befassten stellt, betrifft die strikte Unterscheidung, welche die Aufklärung zwischen dem bewussten Leben des Menschen und seinen unbewussten Erfahrungen eingeführt hat. Welchen Bereich erfahren wir in unserem Erleben in bewusster Weise, welcher bleibt dabei unbewusst? Wie hat das 19 Jhd. wissenschaftsgeschichtlich diese Fragen beantwortet? Welche methodischen Zugänge zum unbewussten Anteil unseres Erlebens hat es entwickelt?

    Lernziele der Kapitel 1–3

    •  Die methodische Differenzierung der Denkwege, welche im 19 Jhd. unbewusste Dimensionen erschlossen haben.

    •  Liegt das Schwergewicht mehr auf der begrifflichen Klarheit über unbewusste Erlebnisse oder auf der gefühlten Intuition?

    •  Sind psychische Erlebnisse primär über Reiz-Reaktions-Zusammenhänge erfassbar (messbare Schwellen des Bewusstseins) oder über Beschreibungen introspektiv gewonnener psychischer Akte?

    •  Wie sind unbewusste Prozesse motiviert? Leiblich-seelisch, zwischenmenschlich oder beides? Was ist ein unbewusster Wille? Geht es dabei primär um Sexualität oder Macht?

    Eine Klärung des Wissenschaftsstatus der Psychoanalyse muss auch historisch ansetzen. Spätestens seit F. Nietzsche (GM 1968 Vorr., 28) ist die »Genealogie« ein Muss, um Klarheit zu schaffen. Man würde allerdings sehr weit ausholen, wenn man bis zu den beiden großen Traditionen des Abendlandes zurückgehen würde. Immerhin gibt es da einen Wissenstypus von der Struktur Vergessen-Erinnern, der von Platon über Augustinus ins Mittelalter reicht und Erkennen zentral als Erinnern fasst. Der andere Wissenstypus dagegen hat die Struktur Empeiria-Begriffliche Ordnung und geht von Aristoteles über Thomas ins Mittelalter. Hier schon Vorläufer der Psychoanalyse zu suchen, wäre zu unspezifisch und zu weit hergeholt (Pongratz, 1967, S. 181 f.). Zweifelsohne ist aber die neuzeitliche Aufklärung die entscheidende Schaltstelle in der Disposition der Wissenschaften für die folgenden Jahrhunderte. Hier wollen wir mit der Frage ansetzen: Ist die Psychoanalyse ein Kind der Aufklärung oder ist sie eher dem romantischen Gegenpol zuzuordnen? Auskunft holen wir uns bei der zentralen Figur der Aufklärung I. Kant und als Quelle benützen wir seine »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«. Doch zunächst erinnern wir uns, mit welchen Kriterien Kant arbeitet und welche großen Trennlinien und Unterscheidungen daraus abzuleiten sind.

    Philosophische Grundlage jeder möglichen Erfahrung ist das Bewusstseinsfeld und die philosophische Aufgabe besteht darin, ein Bewusstsein von diesem Bewusstsein zu gewinnen. Anders ausgedrückt: Wenn das Bewusstsein sich in Vorstellungen gliedert, zielt die philosophische Klärung darauf, eine Vorstellung von diesen Vorstellungen zu gewinnen. Der Philosophie geht es also um reflektiertes Selbstbewusstsein, freilich nicht irgendwelcher Art, sondern methodisch begründetes Selbstbewusstsein. Als Maßstab dient R. Descartes Kriterium der Klarheit und Deutlichkeit der Vorstellungen (clare et distincte). Dieses ist dann erfüllt, wenn die Vorstellungen sowohl gegenüber anderen sicher abgegrenzt als auch in sich exakt gegliedert werden können. Eine solche exakte Bestimmung ist nach Ansicht der Aufklärung jedoch nur durch mathematisch gesichertes und denknotwendiges Wissen zu erreichen. Auf diese Weise halten nur zwei Wissensbereiche der Prüfung durch Aufklärungskriterien stand. Im Bereich des Gegenstandswissens ist dies das naturwissenschaftlich-mathematische Wissen von der Natur und im Bereich des philosophischen Selbstbewusstseins das exakte Wissen der Denkgesetze (Logik) und des Sittengesetzes (Moral). Wenn man so will, fällt das Licht der Aufklärung nur auf die mathematische Naturwissenschaft auf der einen und diese begründende Philosophie auf der anderen Seite.

    Nun ist aber auch einigen Aufklärungstheoretikern klar, dass der Bereich dessen, was nicht unter die klaren und deutlichen Vorstellungen fällt, sondern als dunkle und unklare bezeichnet werden muss, durchaus im Bewusstseinsfeld existiert, ohne mit Aufklärungskriterien als Wissen ausgewiesen werden zu können. Bei I. Kant fallen darunter die Gegenstände des inneren Sinnes (d. h. der Gegenstandsbereich der Psychologie), die Lehre vom leib-seelischen Zusammenhang (der Bereich der Anthropologie) sowie die Lehre von den menschlichen Schöpfungen in Kultur und Geschichte. Kurzum, an den Wissensfeldern, die den Menschen betreffen, lässt sich demonstrieren, worauf das Licht der Aufklärung fällt und was es im Dunkel liegen lässt. Die entscheidende Stelle bei Kant lautet folgendermaßen: »Dass das Feld unserer Sinnesanschauungen und Empfindungen, deren wir uns nicht bewusst sind, ob wir gleich unbezweifelt schließen können, dass wir sie haben, d. i. dunkler Vorstellungen im Menschen (und so auch in Tieren) unermesslich sei, die klaren dagegen nur unendlich wenige Punkte derselben enthalten, die dem Bewusstsein offen liegen, dass gleichsam auf der großen Karte unseres Gemütes nur wenige Stellen illuminiert sind: kann uns Bewunderung über unseres eigenes Wesen einflößen« (I. Kant, 1983, S. 47).

    Eine solche Engführung des Wissenschaftsverständnisses hat also ihren Preis. Sie führt

    1.  zu einer Trennung der klaren und deutlichen Vorstellungen von den dunklen und unklaren. Die Lichtmetapher der Aufklärung wird den klaren und deutlichen Vorstellungen zugesprochen. Später wird man auch von der Wissenschaft von der Tagseite i. U. zur Nachtseite sprechen. Die Psychoanalyse wird später mit der Dunkelheitszuschreibung für das Unbewusste zu kämpfen haben.

    2.  Das Aufklärungswissen nimmt eine kategoriale Trennung von Körper und Seele vor.

        Mathematisch gewiss ist nur das Körperwissen. Modell der Wissenschaft ist die Physik. Es muss zwischen äußerer und innerer Erfahrung geschieden werden. Der Körper wird seelenlos und die Seele wird körperlos. Die künftige Psychologie hat mit diesem Dilemma zu kämpfen. Entweder entscheidet sie sich dafür, sich dem Modell der Physik zu unterwerfen, dann wird sie Reiz-Reaktionswissenschaft oder Psychophysik. Oder sie thematisiert die innere Erfahrung, dann wird sie Akt- oder Erlebnispsychologie und hat mit dem Vorwurf zu kämpfen, dass introspektiv gewonnenes Wissen nicht wissenschaftlich überprüfbar ist, also defizitär bleibt.

    3.  Das Aufklärungswissen trennt Theorie und Praxis, weil es Wertfreiheit für den Erkenntnisprozess fordert. Alle Wissenschaften, die ihre Erkenntnisse in der Praxis gewinnen, wie Politik, Kunst, Literatur, Geschichte, klinische Psychologie, etc. geraten in den Verdacht, ein Wissen unvollkommener Art, ein nicht vorurteilsfreies, weil implizit wertendes Wissen, zu vertreten. Die Psychoanalyse wird später genau mit diesem Problem zu ringen haben.

    Aber wie hat sich Kant zu diesen Problemen gestellt? Die entscheidende Fundstelle in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht ist betitelt mit: »Von den Vorstellungen, die wir haben, ohne uns ihrer bewusst zu sein« (Kant, 1983, S. 46). Kant sieht also sehr deutlich, dass die Vorrangstellung, welche die Aufklärung bewirkt, wenn sie das Bewusstseinsfeld nach klaren und deutlichen Vorstellungen sortiert, zwangsläufig und unvermeidlich ein Problem der unbewussten Vorstellungen kreiert. Aber so stellt sich Kant die Frage: Ist das nicht ein Widerspruch, Vorstellungen zu haben, deren wir uns nicht bewusst sind? Das Thema der Dunkelheit der Vorstellungen wird jetzt brisant. Es kann doch jeder daherkommen und uns von Vorstellungen erzählen, die er hat, ohne sie im Bewusstsein klären zu können. Das können Vorstellungen von Dogmatikern, Scharlatanen, Religionsfanatikern, Verführern und Verrückten sein. Das ganze Projekt der Aufklärung zielt ja darauf ab, die Wissenschaften und die Menschen davor zu schützen, diesen trüben Quellen zu trauen. Und jetzt tut sich eine Dimension des Unbewussten auf. Könnte es sein, dass über diese Annahme die ganze dunkle Vorstellungswelt wieder einzieht, vor der die Aufklärung uns schützen will? Nach Kant hat J. Locke die radikale Konsequenz gezogen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ein »Haben« von Vorstellungen, ohne sie sich als Vorstellungen vorstellen zu können, ist eine dogmatische Seinsannahme und daher zu negieren. Es gibt sie einfach nicht diese unbewussten Vorstellungen. Das ist die radikale Absage an eine Realität, die sich dem aufgeklärten Selbstbewusstsein entzieht. Keine romantische Annahme von bewusstloser Erfahrung hat hier Platz. Anders jedoch Kant: Unser Vorstellungsleben, wenn wir es denn kritisch prüfen, zwingt uns dazu festzustellen, dass alle Vorstellungen im Hinblick auf weitere Vorstellungen offen sind, dass die Lücken immens sind, dass sie auf Verbindungen mit anderen Vorstellungen beruhen, die selbst nicht im Blickfeld sind, ja dass die Vorstellungen ohne Verbindungslinien zu nicht vorgestellten Inhalten absurd würden. Kants nüchterne Analyse lautet, dass nur wenige Punkte unseres Vorstellungslebens illuminiert sind, d. h. ausgeleuchtet sind, während die dunklen Vorstellungen unermesslich sind. Aber gleichwohl stellt sich die Frage: Woher wissen wir das? Kann hier da Licht ins Dunkel gebracht werden? Kants Argumentationslinie weist in folgende Richtung: »Allein wir können uns doch mittelbar bewusst sein, eine Vorstellung zu haben, ob wir gleich unmittelbar uns ihrer nicht bewusst sind.« (Kant, 1983, S. 47). Somit gibt es eine Argumentationsmöglichkeit und eine Argumentationspflicht im Hinblick auf unbewusste Vorstellungen. Diese ermöglicht eine Abgrenzung kategorialer Art zwischen der Dunkelheit dogmatischer Dunkelmänner und der wissenschaftlichen Aufhellbarkeit des Unbewussten. Die Verbindungslinien zum bewussten Leben müssen argumentativ hergestellt werden. Analytisch ausgedrückt: Abwehr muss als Abwehr von Gefühl und Vorstellungen aus der bewussten Einstellung belegt und erschlossen werden, in der sie ihre Spuren hinterlässt. Kant verteidigt in dem Kapitel von den unbewussten Vorstellungen eine anthropologisch essentielle Form der Kenntnis unbewusster Vorstellungen in scharfer Abgrenzung zur gekünstelten Dunkelheit der dogmatischen und »mystischen« Verführer, gegen die die Aufklärung angeht. »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht« ist ein Aufklärungsansatz, um die durch die Radikalität des Aufklärungsansatzes entstandenen Lücken aufgeklärt zu schließen. Die später entstehende Psychoanalyse in der Freud’schen Richtung wird genau diese Argumentation für den Nachweis ihres Wissenschaftscharakters heranziehen.

    Für Kant ist Anthropologie in pragmatischer Hinsicht

    1.  aufgeklärtes Wissen, allerdings weniger strenger Art als mathematisches Aufklärungswissen. Es ist Kenntnis im Sinne einer allgemeinen Weltkenntnis. Eine Kenntnis, die sich allen Erfahrungsbereichen der Welt öffnet und sie einbezieht, auch wenn sie diese nicht mathematisieren kann.

    2.  Es ist Wissen psychosomatischer Art, weil es neben der Vernunft auch die Sinnlichkeit in ihr Recht einsetzt, nämlich das, was Körper und Seele zusammen brauchen.

    3.  Es ist Wissen, das voraussetzt, dass man nicht bei der Theorie stehen bleibt, sondern praktisch »mitgespielt« hat, sei es als Politiker, Bürger, im Beruf, in der Familie, als Arzt, etc. Ja, die Kenntnis ist wesentlich dadurch bedingt, dass man mitgespielt hat.

    4.  Die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht definiert die Aufgabe eines »Seelenarztes«. Weil Affekte und Leidenschaften eine nicht vernünftig auflösbare Komponente von Trieben und Neigungen zur Grundlage haben, bedarf es eines Seelenarztes, um diese Triebe und Neigungen zu kanalisieren. (Kant, 1983, S. 192 f.)

    5.  Die bewussten und unbewussten Vorstellungen beziehen sich auf den Trieb als die naturhafte Basis menschlichen Wollens und Handelns. Dieser wird durch die Vorstellungen zu Neigungen und Wünschen geformt. Damit ist das Thema unbewusster Vorstellungen schon bei Kant mit dem philosophischen Konzept des Triebs verknüpft. Dieser wird in Entgegensetzung zum moralischen Willen verstanden. Trieb ist nicht gleich moralischer Wille.

    Ist die Psychoanalyse also ein Kind der Aufklärung?

    1.  Der radikale Anspruch der Aufklärung, das Bewusstsein unter die Kontrolle des Selbstbewusstseins zu bringen, hat zweifelsohne das Problem des Unbewussten erst geschichtlich hervorgebracht.

    2.  Kant hat einen aufgeklärten Weg gewiesen, die Dunkelheit unbewusster Vorstellungen mit dem klaren und deutlichen Bewusstsein in Verbindung zu bringen durch den Nachweis der mittelbaren Bedingtheit bewusster Vorstellungen durch unbewusste. Kant hat eine Definition des Seelenarztes gegeben, der zufolge dieser nicht vernünftig beherrschbare Affekte und Leidenschaften zu kanalisieren und sekundär in ein human gestaltetes Leben integrierbar zu machen hat.

    Wenn die Psychoanalyse ein nicht gewolltes Kind der Aufklärung ist, das nachträglich von ihr anerkannt und legitimiert werden kann, wenn es sich wissenschaftlich ausweist, dann stellt sich die Frage, ob es möglicherweise von der Romantik als Kind ihres Geistes angesehen und adoptiert werden kann. Diese Frage kann nur dadurch beantwortet werden, dass der Stellenwert der Lehre von der Seele im romantischen Gedankenkreis umrissen wird. Den engen Zusammenhang von Aufklärung und Romantik können wir deutlich machen, wenn wir aus der Kantischen Gliederung der Wissenschaften festhalten, dass die beiden Säulen der Aufklärung die mathematische Naturwissenschaft einerseits und die sie begründende Vernunftswissenschaft (Logik und Moralphilosophie) andererseits sind. Die zwischen ihnen entstehende Lücke, also der Ort der Seelenlehre im Verbund mit dem Leib, der Gesellschafts- und Kulturlehre, der Geschichte und Politik, wird durch Einschiebung eines Wissens nicht mathematisch gesicherter Art (Kenntnis) geschlossen, wie es in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht demonstriert wird und zu dem auch das Wissen von den unbewussten Vorstellungen gehört. Diese Disposition der Wissenschaften ist nun genau der Ausgangspunkt, an dem die Romantik bei F. W. J. Schelling ansetzt. Die Entgegensetzung der beiden Säulen der Aufklärung wird kritisiert und als Entzweiung des Wissens gebrandmarkt und der Ansatz der dritten Wissensform rückt ins Zentrum und wird zum Schlüssel zur Auflösung des Dilemmas der Aufklärung und zur Entfaltung des romantischen Grundgedankens der Identität. Die Kritik der Romantik macht sich daran fest, dass das Aufklärungswissen einerseits ein philosophisches Wissen erzeugt, welches lediglich begrifflicher oder formaler Art ist. Vorstellungen werden zu einer begrifflichen Vorstellung verdichtet und nur in ihrer Form erkannt (Logik und Moral). Andererseits erzeugt es ein Wissen von der Natur, welches mathematisiert ist. Dies bedeutet, dass seine Inhalte physikalischer Art und technisch in Maschinen abbildbar sind. Die Natur wird somit zur toten Materie und ihre Tätigkeit auf mechanische Abläufe reduziert. Das Wissen der Philosophie bedarf aber anderer Inhalte als nur einer aufs Physikalische und Mechanische reduzierten Natur. Man muss also den romantischen Anspruch als Sehnsucht nach der Einheit von Philosophie und Naturlehre, nach einer lebendigen Natur und als »unendlichen Mangel an Sein« (Frank, 1975, S. 116 f.) interpretieren. Doch wie ist diese Wendung des Blicks von der Aufklärung zur Romantik nachvollziehbar. Es handelt sich um eine grundsätzliche Verlagerung des gedanklichen Zentrums und eine Neuinterpretation der Tätigkeit des Philosophierens und der Tätigkeit des Naturerkennens. Man muss tiefer einsteigen in die Analyse der Tätigkeiten: In einem Fall wird bewusst eine Idee produziert, die dann intellektuell angeschaut wird. Das ist die Philosophie. Im anderen Fall wird erkannt, dass dieser bewussten Produktion bereits eine Tätigkeit oder ein Produzieren voraus liegt, welches von sich nicht weiß, aber notwendige Voraussetzung für das bewusste Produzieren ist. Es ist die bewusstlose Produktion der Natur. Auch diese produziert eine Idee, nämlich die der Zweckmäßigkeit oder des Sinnes des Lebens. Wie Schelling in der Philosophie der bildenden Kunst 1807 zeigt, besteht der entscheidende Schritt der Romantik darin, das philosophische Produzieren und das der Natur als im Kern von derselben Zweckmäßigkeit (Idee) bestimmt zu sehen: »Denn die Bedingung alles Produzierens ist eben die Entgegensetzung der bewussten und der bewusstlosen Tätigkeit, diese sollen hier aber absolut zusammen treffen, es soll also in der Intelligenz aller Streit aufgehoben, aller Widerspruch vereinigt sein.« (F.W.J. Schelling, 1998, S. 107) Wie soll dies aber möglich sein? Woher kann man wissen, dass Philosophie und Naturerkenntnis sich um dieselbe Idee drehen? Schelling zeigt, dass dies nur in der Kunst gelingen kann, dass beide Produktionen sich vereinigen. Im Schaffen des Kunstwerkes gibt es einen bewusstlos produzierenden Anteil, der sich beim Schaffen mit einer bewussten Idee verbindet und zwar so, dass beide Anteile sich gegenseitig durchdringen und ununterscheidbar werden (Schelling, 1998, S. 104). Schelling beruft sich auf das Beispiel der bildenden Kunst, z. B. einer Figur der Niobe und auf das Beispiel der Poesie. Die Vereinigung beider Produktionen der Natur und des Begriffs in der lebendigen Schönheit gelingt jedoch nur dem Genie. Der Genie-Begriff ist der Garant der Identität beider und die Philosophie der Kunst kann sie intellektuell anschauen. Wir sehen, wie sich die Formationen des Wissens in der Romantik tiefgreifend ändern. An die Stelle der mathematisch-mechanischen Physik tritt eine spekulative Naturerkenntnis, die jene integrieren will. An die Stelle des formalen Begriffs der Philosophie (Logik und Moral) tritt eine spekulative Identitätsphilosophie, basierend auf einer intellektuellen Anschauung. Die mittlere und verbindende Wissensschiene wird durch die Kunst eingenommen, die sich über den Geniebegriff

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