Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Fort: Eine Brieferzählung
Fort: Eine Brieferzählung
Fort: Eine Brieferzählung
Ebook78 pages1 hour

Fort: Eine Brieferzählung

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

"Fort. Endlich fort. Endlich die Tür also hinter mir zu. Endlich die Kinderzeit abgeschlossen. Das Elternhaus endlich verlassen. Die Koffer gepackt. Die Hände geschüttelt. Ab, in den Zug, in die Welt hinaus."
Aber es gibt immer wieder eine Heimkehr.
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateJan 30, 2014
ISBN9783709973226
Fort: Eine Brieferzählung

Read more from Jürg Amann

Related to Fort

Related ebooks

Literary Fiction For You

View More

Related articles

Reviews for Fort

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Fort - Jürg Amann

    Scheffau/Tirol

    Fort. Endlich fort. Endlich die Tür also hinter mir zu. Endlich die Kinderzeit abgeschlossen. Das Elternhaus endlich verlassen. Die Koffer gepackt. Die Hände geschüttelt. Ab, in den Zug, in die Welt hinaus.

    Und habe dann also beinahe seine Ankunft in der Großstadt verschlafen. Das fängt ja gut an, dachte ich, während ich ausstieg. Er sei der letzte gewesen. Außer ein paar Männern, die mit langen Hämmern die Bremsen der Wagen abklopften, habe sich auf dem Bahnsteig niemand mehr aufgehalten. Etwas Dampf stieg noch aus irgendwelchen Ventilen. Es roch nach feuchter Wäsche und Ruß. Ich fror. Ich stieg, indem ich die Koffer von Zeit zu Zeit abstellte, die Treppe hinunter. In der Halle standen, weit von mir weg, in den Ecken, Menschen in dunklen Gruppen. Als er hinaustritt, in die kalte Bewegung der Luft, beginnt es über den Straßen gerade zu tagen.

    Und dann die Fahrt durch die erwachende Stadt. Wohin? brüllt mich der Fahrer an, kaum daß ich in seinem Wagen sitze. Er will wissen, wohin er mich bringen soll. Der steht mit den Hühnern auf, denke ich. Aber wahrscheinlich gibt es in dieser Stadt gar keine Hühner. Auf jeden Fall ist der andere hellwach, während ich selbst noch halb schlafe. Griegstraße, sage ich. Daß er da hin wolle. Und er sagt ihm auch noch die Nummer. Also ich gebe ihm die Adresse, die Ihr ja kennt, die ich Euch auch gegeben habe. Griegstraße, wiederholt er erstaunt. Vornehme Gegend, weiß Gott, da kann man nichts sagen. Und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und läßt sich des langen und breiten über die Gegend aus, in die ich da offenbar komme. So, sage ich, nach einer gewissen Zeit. Ich weiß das ja nicht. Ich kann das ja nicht wissen von weitem. Ich bin ja zum erstenmal hier. Zum Studieren gekommen? fragt er. Ausstudiert, sage ich. Ich habe nicht die geringste Lust, mit ihm darüber zu reden. Er sehe ihn ja nicht wieder. Jedenfalls ist es nicht anzunehmen. Und sobald ich aussteige, hat er es ohnehin wieder vergessen. Doktor? insistiert er aber. Und ich sage, wenn Sie so wollen. Und will das Thema damit beschließen. Aber er will natürlich gar nichts. Er fängt jetzt erst an. Dann sagen Sie das doch gleich, junger Mann, ruft er aus. Dann weiß man, woran man ist. Er ist also ein junger Mann. Jedenfalls habe der Taxifahrer ihn so betitelt. Und zudem einer von denen mit etwas im Kopf. Oder im Oberhaus, wie er sich ausdrückt. Und einer, der etwas gearbeitet hat. In seinem Alter, und Doktor. Das sei nicht nichts, das müsse er sagen. Das sagt der Fahrer. Und er fügt hinzu: das ist doch wohl heutzutage nicht üblich? Oder ob er das falsch sehe. Oder ob es etwa nicht stimme, daß an der Universität bloß noch diskutiert werde. Und demonstriert und polemisiert und politisiert. Das sind seine Worte. Wir kennen dieses Gefasel ja auch von zuhause. Es ist gefährlich, ich weiß, aber ich lasse ihn reden. Ich will mich nicht schon am ersten Tag mit der Welt anlegen. Denn für ihn ist das hier jetzt die Welt.

    Meine Welt also. Die Stadt blieb gerade noch Stadt und war gleichzeitig schon Land. Eigentlich Wald. Zumindest Waldrand. Die Straßen waren auf einmal Alleen. Er habe das Wort aus der Schule gekannt. Jetzt sah ich, daß es eine Entsprechung in der Wirklichkeit hatte. Die Königsallee, sagte der Fahrer, nachdem wir schon eine Weile auf ihr gefahren waren. Nun war ich nahe am Ziel. Ich atmete auf. Ich lehnte mich in meinem Polster zurück. Er habe begonnen, sich in seiner Freiheit freier zu fühlen. Die Angst vor dem Neuen habe dem Neuen jetzt Platz gemacht. Erwartungsvoll schaute ich aus dem Fenster. Ich hatte ja immer davon geträumt, einmal in einem Schloß zu wohnen. Kronprinzenallüren, Muttersöhnchengehabe, ich weiß. Hier lagen die Häuser in Gärten, die fast so verwunschen waren wie die seiner Wünsche. Machen Sie hier einen Besuch? fragte der Fahrer. Hoffentlich nicht, sagte ich. Und ich dachte, ich werde hier leben. Und spürte so etwas wie Stolz dabei. Ausgerechnet diesen Ort auf der ganzen Welt hatte ich aus der Ferne für mich beschlossen, und nun gefiel er mir auch aus der Nähe. Geld? fragte der Fahrer. Nein, sagte ich. Glück? lachte der Mann. Und ich sagte: vielleicht.

    Und sei wenig später mit seinen Koffern vor einem Tor gestanden, das also der Eingang zu seinem Glück sein sollte. Mannshoch, eisern, beidseits von noch höheren Mauern gefaßt, mit einem Messingschild über der Schelle. Stand da, streckte die Glieder und sog die Luft so langsam und tief in mich ein, als wollte ich mir bedeuten: das ist meine Luft, an dieser Luft hängt jetzt mein Leben.

    Nachdem er geläutet gehabt habe, sei es zuerst still geblieben. Dann war ein Knacken zu hören, darauf ein Husten, darauf ein Kläffen. Wer da? fragte es aus dem Gegensprecher. Eine blecherne Stimme. Ich nannte den Namen. Euch muß ich ihn ja nicht nennen, von Euch habe ich ihn. Wieder war ein Knacken zu hören. Dann wieder gar nichts. Dann von weit hinter der Mauer das Geräusch einer sich öffnenden Haustür. Dann wieder das spitze Bellen eines zweifellos kleinen Hundes. (Ihr kennt meine Angst vor den großen, seit mich der unserer Nachbarn zerbissen hat.) Dann das läppische, täppische Tappen von Pfoten auf Steinplatten. Endlich das Schlurfen schlecht sitzender Hausschuhe. Daß mich meine Vorstellungskraft nicht getäuscht hatte, sollte sich gleich herausstellen.

    Das Gartentor sei aufgegangen. Vor mir stand ein kleiner, weißhaariger Herr, von der zu früh unterbrochenen Nachtruhe gezeichnet, der sich an seinem Hauch die Hände warmrieb. Spring! sagte er. Zuerst dachte ich, er meint seinen Hund, aber er meinte sich selbst. Er sei im Bilde. Er habe den Brief bekommen.

    Der Herr hieß also Herr Spring. Im Morgenrock sei er dagestanden. Etwas verlegen. Etwas klein neben mir. Und schaute mich von unten herauf mißtrauisch und neugierig an. Von noch weiter unten habe der Dackel, schwanzwedelnd, dasselbe getan. Rowdy heißt er, das weiß ich inzwischen. Die beiden seien sich in diesem Augenblick wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen. Dasselbe Dulden, dasselbe Lauern, dieselbe Unterwürfigkeit. Es war zum Wegschauen. Das ist ja verbreitet, daß der Herr seinem Hund gleicht, wenn er ihn erst einmal lang genug hat. Hier jedenfalls sei es so gewesen. Und hier ist der Herr nicht einmal der

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1