SPACE2015: Das aktuelle Raumfahrtjahr mit Chronik 2014
By Eugen Reichl and Stefan Schiessl
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About this ebook
Samantha Cristoforetti und der Tiuterra-Kristall im All +++ Raumsonde Rosetta erreicht „Churi“ +++ Ariane 6 : Wo bitte, geht‘s zum neuen Träger? +++ Raumschiff Orion: Zum Mond und noch viel weiter +++ Die Katastrophe von Xichuan +++ Ein Plädoyer für die Venus +++ Gravity - der Weltraum ist ein Dorf +++ Die geheimnisvolle N1 +++ Godspeed Scott Carpenter star +++ Wettbewerb +++ Raumfahrtchronik +++ Raumfahrt-Statistik 2013 +++ Vorschau 2014 +++ und vieles mehr...
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Book preview
SPACE2015 - Eugen Reichl
Jahres
Impressum
ePub-Edition November 2014
Copyright © by VFR e.V., München
Alle Rechte vorbehalten
Initiator: Verein zur Förderung der Raumfahrt e.V., www.vfr.de
Herausgeber: Thomas Krieger
Organisation: Peter Schramm
Lektorat: Peter Schramm, Eugen Reichl, Stefan Schiessl
Titelmotiv: ESA, Stefan Schiessl
Layout & Satz: Stefan Schiessl, www.exploredesign.de
Web: www.space-jahrbuch.de / eMail: space@vfr.de
ISBN: 978-3-944819-07-5
Editorial
Liebe Freundinnen und Freunde unseres Raumfahrtjahrbuches,
dieses Jahr sind wir zweisprachig, wenngleich nur mit dem Leitartikel und auch da nur versuchsweise. Jedes Jahr und immer öfter wird an uns der Wunsch herangetragen, unsere Publikation auch ins Englische zu übersetzen. Offensichtlich sind Jahrbücher in der Art von SPACE nicht nur national, sondern auch international dünn gesät. Allerdings: dieses ganze Werk zu übersetzen, und zwei verschiedene Ausgaben desselben Buches zu produzieren würde unsere Leistungsgrenzen im Selbstverlag überschreiten. Aber zumindest die Sache mit dem zweisprachigen Leitartikel möchten wir gerne zur Diskussion stellen. Wir sind schon gespannt auf Ihre Reaktion. Um Sie gleich ein wenig einzustimmen, will ich mit einem Zitat von Kent Rominger beginnen, der fünfmal mit dem Space Shuttle flog, davon zweimal als Kommandant. Er meinte:
„The most incredible thing I’ve ever seen is the color looking out into space – and that color is black – a black so dark, so vast, I’d never seen anything like it before. And then it dawned on me, well, it is not the color, it is not the black that is so captivating. What I was really appreciating was the vastness of space. Without the atmosphere, I could tell I was looking trillion and trillion of miles into the depth of space, and it really struck me".
„Die unglaublichste Sache, die ich beim Blick hinaus in das Weltall je gesehen habe, ist die Farbe – und diese Farbe ist Schwarz – ein Schwarz so intensiv, so überwältigend, wie ich nie etwas zuvor gesehen habe. Und dann wurde mir klar, das ist nicht die Farbe, das ist nicht das Schwarz, das einen so berührt. Was mir wirklich klar wurde, war die ungeheure Weite des Weltraums. Ohne die Atmosphäre konnte ich Billiarden und Billiarden von Meilen weit in den Weltraum sehen, und das berührte mich zutiefst".
Es sind heiße Tage in der Raumfahrt, an denen dieses Editorial entsteht. Die Ereignisse folgen Schlag auf Schlag und jedes wäre einen Beitrag in diesem Buch wert. Vieles davon können wir tatsächlich abdecken, aber leider bei weitem nicht alles, denn schließlich will jeder in der Fangemeinde von SPACE zu seinem Recht kommen: Die Freunde unserer chronologisch aufbereiteten Aktualitäten, die Fans der Raumfahrtgeschichte, die Science-Fiction Aficionados, die Zahlenfreaks, die Liebhaber schöner Raumfahrt-Bilder und die Analyse-Gurus. Auch der Humor darf nicht zu kurz kommen. Wie schon in den Jahren zuvor präsentieren wir auch in dieser Ausgabe die Besprechung des populärsten Science-Fiction Filmes des Jahres. Außerdem eine Glosse mit Randnoten zur diesjährigen Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin.
Es gibt Ereignisse, die zusammenbringen, was zusammengehört. Im Leitartikel (und bereits im Einklinker unseres diesjährigen Covers) ist so eine Kombination beispielhaft dargestellt: Die Verbindung von Kultur und Raumfahrt. Sie kommt im Symbolcharakter der Tiuterra-Kristalle zum Ausdruck, welche die ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti mit ins All nehmen wird. In dem Bericht wird neben dem Ideengeber, dem Österreichischen Weltraumforum, auch die Zusammenarbeit mit dem österreichischen (aber global agierenden) Kristall-Unternehmen Swarovski herausgestellt.
Wie immer widmen wir uns auch dieses Mal in einer Reihe von Beiträgen kritisch dem Stand einzelner Raumfahrt-Themen. Da gibt es viele, die eine tiefere Analyse verdienen. Wir haben uns zwei davon herausgepickt, nämlich die anhaltende Diskussion um den Ariane 5-Nachfolger und den Entwicklungsfortgang des neuen Orion-Raumschiffs der NASA. Es hätte noch wesentlich mehr gegeben, wie zum Beispiel die unendliche Geschichte um das europäische Satellitennavigationssystem Galileo. Mit dem sieht es derzeit mal wieder gar nicht gut aus. Das Projekt erlebt Zeitplan- und Kostenüberzüge, gegen die der Berliner Flughafen fast schon ein Vorzeigeprojekt ist. Von den ersten vier Testsatelliten im Orbit ist einer defekt, und die zwei ersten Serieneinheiten sind auf der falschen Bahn gestrandet.
Mehr Freude macht da schon die europäische Raumsonde Rosetta, Europas Flaggschiff im Weltraum. Sie hat inzwischen ihr Ziel erreicht und schwebt in diesen Tagen in nur wenigen Dutzend Kilometern Abstand über ihrem Ziel, dem Kometen Churyumov-Gerasimenko. Das Raumfahrzeug liefert täglich spektakuläre Bilder. Die aber bekam das interessierte Publikum erst nach einer Welle öffentlichen Protestes zu sehen. Die zuständigen Projektwissenschaftler hätten sie lieber erst für ein halbes Jahr unter Verschluss gehalten. Den Fortgang des Rosetta-Abenteuers mit der (möglichen) Landung der Oberflächensonde Philae sollten Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, nicht entgehen lassen. Man kann davon ausgehen, dass die Medien, die sonst eher sparsam und dann meist negativ über Raumfahrtthemen berichten, sich dieses Themas intensiv annehmen werden.
Wie in der letztjährigen Ausgabe schon versprochen, haben wir in diesem Jahr eine Hintergrundstory zu einem der schwersten Unfälle in der Geschichte der Raumfahrt für Sie parat. Die Geschichte des gescheiterten Jungfernflugs der Langer Marsch 3B-Trägerrakete, die am 14. Februar 1996 mitten in das Raumfahrtzentrum Xichang hineinstürzte. Sie basiert auf Material, das der bekannte chinesische Raumfahrtexperte Chen Lan zusammengetragen hat. Ein zusätzlicher raumfahrthistorischer Beitrag befasst sich mit der N-1 Rakete, dem sowjetischen Gegenstück zur Saturn V und ihrer unglücklichen Geschichte.
In weiteren Themen befassen wir uns mit dem fränkischen Astronomen Simon Marius, der vor 390 Jahren starb, blicken etwas wehmütig auf den Stand der gegenwärtigen Venus-Forschung und sausen mit den Kerbonauten durch das Sonnensystem.
Ein kleiner Tipp: Die Stories unserer drei Science-Fiction Kurzgeschichten-Preisträger sind diesmal besonders spannend.
Und dann gibt es noch wie in jedem Jahr aktuelle Raumfahrtdetails „satt mit unserer ausführlichen Start-für-Start Chronik, dem umfangreichen Statistik-Teil und den wunderbaren „Raumfahrtbildern des Jahres
.
Wie immer will ich auch dieses Mal nicht vergessen, dem SPACE-Team recht herzlich zu danken. Allen voran Peter Schramm, dem „General Manager des Projektes und unserem Grafiker, Layouter und Ideengeber Stefan Schiessl, der dafür sorgt, dass dieses Werk von optisch herausragender Qualität ist und der obendrein Jahr für Jahr eine Druckerei findet, die das Buch schnell und günstig produziert. Reinhold Glasl organisierte wie in jedem Jahr den SF-Wettbewerb und Ditmar Eckert ging dem „Wahrheitsgehalt
des von mir verfassten Statistik-Teils penibel auf den Grund. Nicht vergessen will ich Jacqueline Myrrhe und Bill Carey. An sie geht ein besonders herzlicher Dank für die Übersetzung des Leitartikels.
Schauen Sie auch in unsere Kontakt-Ecke, wo Sie unter www.vfr.de mit der Mail-Adresse space@vfr.de direkt mit uns in Verbindung treten können. Oder sehen sie sich unser Internet-Portal www.space-jahrbuch.de an, wo sie zukünftig neben interessanten Dingen um das Thema Raumfahrt auch viele Informationen um das Jahrbuch und sein Entstehen erhalten werden.
Wenn Sie Kritik haben oder Lob, Tipps oder Meinungen, ein Problem oder eine Frage zu den Inhalten, wenn Sie sich schon mal die Ausgabe für das nächste Jahr reservieren oder gerne der Tochter oder dem Sohn eins der Bücher schenken wollen: schreiben Sie uns einfach eine Mail. Wir freuen uns auf Ihr Feedback.
Und jetzt hinein ins Raumfahrtgeschehen. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre von SPACE 2015. Bleiben Sie uns treu.
Im Namen des SPACE-Teams,
Ihr Eugen Reichl
Themen im Fokus
Raumsonde Philae im Landeanflug auf den Kometen 67P/Churyumov–Gerasimenko – Bildquelle: ESA
Kometen, Samantha und Tiuterra
Samantha Cristoforetti mit den Tiuterra-Kristallen, die sie in den Weltraum mitnehmen wird – Bildquelle: Mareike Tocha
Der 28. August 2014 stellte sicherlich eine interessante Abwechslung für die italienische ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti dar. Es war auf jeden Fall aber ein ganz besonderer Tag für das Österreichische Weltraum Forum (ÖWF) und den österreichischen Kristallhersteller Swarovski. Die 37jährige Italienerin ist eine ehemalige Militärpilotin der Aeronautica Militare. Sie hat einen Abschluss in Luft- und Raumfahrttechnik, ist seit 2009 ESA-Astronautin und trainiert derzeit für den Flug von Sojus TMA-15M, der sie zur Internationalen Raumstation (ISS) bringen wird. Da wird sie als Mitglied der ISS-Expeditionen 42 und 43 insgESAmt sechs Monate lang leben und forschen.
Samantha Cristoforetti nahm an diesem Tag drei kleine Kristalle in Empfang. Deren Hersteller, das globale Kristall-Unternehmen Swarovski, entwickelt, fertigt und vertreibt weltweit Schmuck, hochwertiges Kristall, echte Edelsteine und synthetische Schmucksteine, sowie eine Vielfalt an Accessoires und Beleuchtungslösungen rund um das Thema „Kristall". In Cristoforettis Kristalle haben die Innsbrucker ein ganz besonderes Material eingeschlossen: Mars-
Gestein. Samantha Cristoforetti wird dieses Material für die Dauer ihrer Mission dahin zurückbringen, wo es herkam: In den Weltraum.
Die wertvollen Objekte sind eine Leihgabe, denn nach ihrer Mission wird die italienische Astronautin sie wieder zurückgeben. Sie werden nach ihrer Zeit als „Kristallonauten eine zweite Karriere als Museums- und Ausstellungsstücke beginnen und sollen als „Weltraum-Botschafter
die Welt bereisen.
Rechts die Normalversion
des Tiuterra-Kristalls, von dem 100 Stück existieren. Links die „Spezialversion", die speziell für Samantha Cristoforetti hergestellt wurde – Bildquelle: Mareike Tocha
Die Idee für diese Aktion, die kulturelle und technische Aspekte der bemannten Raumfahrt zusammenführt, stammt vom Österreichischen Weltraum Forum, einem Netzwerk von Raumfahrtspezialisten und Raumfahrtinstitutionen. Sie war beeinflusst vom Motto der World Space Week 2013 der Vereinten Nationen: „Den Mars erforschen, die Erde entdecken" (Exploring Mars, Discovering Earth). Im Rahmen dieser Veranstaltung, die weltrauminteressierte Menschen auf der ganzen Welt erreichte, wurde ein Aufruf zum Sammeln von Gesteinsproben gestartet. 32 Proben seltenen Materials gingen daraufhin ein. Doch eine dieser Gesteinsproben wurde zwar auf der Erde gefunden – in Marokko, um genau zu sein – stammt aber ursprünglich nicht von unserem Heimatplaneten. Sie hat ihren Ursprung auf dem Mars, denn es handelt sich um einen der äußerst seltenen Mars-Meteoriten.
Das war dann die Stelle, an der das Familienunternehmen Swarovski gewonnen werden konnte, um die Aktion im wahrsten Sinne des Wortes in eine „greifbare und „begreifbare
Form zu bringen. Die Tiuterra-Aktion passt auch gut in das Selbstverständnis des Unternehmens. Denn neben der wirtschaftlichen Ausrichtung – Swarovski ist ein großer Konzern, ein Arbeitgeber für mehr als 24.000 Mitarbeiter – vertritt das Haus auch wichtige kulturelle Grundsätze. Die Firma unterhält die „Swarovski Foundation für Kreativität und Kultur". Einer der Stiftungswecke besteht darin, die Öffentlichkeit für die Herkunft und den Schutz natürlicher Ressourcen zu sensitivieren. Da passte die Aktion des Österreichischen Weltraum Forums hervorragend hinein. Sie macht nämlich auf einen Umstand aufmerksam, der uns nicht sofort geläufig ist. Auf die Tatsache nämlich, dass jegliche natürliche Ressource, über die wir auf der Erde verfügen, aus ein- und demselben Urmaterial stammt: aus der protoplanetaren Scheibe unseres Sonnensystems.
Bei der Übergabe der Tiuterra-Kristalle im Europäischen Astronautenzentrum in Köln-Porz, vor dem Trainingsmodell des Columbus-Moduls der Internationalen Raumstation. Von links: Christian Nagele (Vice President Product Management Swarovski), Monika Fischer (Media Officier ÖWF), Samantha Cristoforetti, Jules Grandsire (EAC Communication Officer), Gernot Grömer (Obmann ÖWF). – Bildquelle: Mareike Tocha
Mit den auf dem ganzen Planeten gESAmmelten Gesteinsproben und dem Mars-Meteoriten aus Marokko, schuf Swarovski nun einen ganz besonderen Kristall. In einer limitierten Auflage von nur 100 Stück. Dazu war erst die Entwicklung eines ganz neuen Verfahrens notwendig, um die Proben in den Kristall einschließen zu können. Erst dadurch werden sie zum Symbol dafür, dass Mars und Erde (aber auch die anderen Körper unseres Sonnensystems) eine Einheit bilden und einen gemeinsamen Ursprung haben. Jeder der Swarovski-Kristalle enthält nur eine kleine Menge des kombinierten Materials. Was man in einem anderen Fall als „Verunreinigung" betrachten würde, stellt hier eine Veredelung dar.
Diese Kristalle können nicht käuflich erworben werden, sondern werden an Personen und Institutionen verteilt, die sich in besonderer Weise für Raumfahrt einsetzen oder sie repräsentieren. Personen wie eben Samantha Cristoforetti. Wobei die drei Steine für Cristoforetti aufgrund des extrem begrenzten Gewichtes ihrer persönlichen Utensilien sozusagen eine Sonderedition der Sonderedition sind. Ihre drei Kristalle sind verkleinerte Ausgaben der Original-Tiuterras. Somit existieren – nimmt man es ganz genau – nun exakt 103 Tiuterras.
Bei einem so wertvollen, einzigartigen und symbolbehafteten Objekt ist es nur natürlich, dass es auch einen besonderen Namen erhält. Da lag es nahe, die beiden Wörter „Mars und „Erde
miteinander zu kombinieren. Und so wurde das altenglische Wort für Mars: „Tiu mit dem lateinischen Wort „Terra
für Erde verbunden. Daraus entstand dann „Tiuterra". Das ist der Name, den die 103 Kristalle von nun an führen. Drei dieser ganz besonderen Objekte wurden erstmals am 12. April 2014 vorgestellt, im Rahmen der Yuris Night im Technischen Museum Wien.
Dieser 30 Meter-Krater auf dem Mars existierte vor dem Jahr 2010 noch nicht. – Bildquelle: NASA
Wie kam der Mars auf die Erde?
An der Stelle wollen wir uns vom eher künstlerisch-ideellen Aspekt der Sache lösen, und uns der technisch-wissenschaftlichen Frage widmen: wie kann überhaupt Material vom Mars zur Erde gelangen. Die großen Raumfahrtnationen wollen dieses Problem, unter gewaltigem technischem Aufwand, in den nächsten zehn bis 15 Jahren in Angriff nehmen. So genannte „Mars Sample Return-Missions" sind derzeit für Mitte oder Ende der zwanziger Jahre geplant. Aber wie schafft es die Natur, Material vom Mars zur – bestenfalls – 60 Millionen Kilometer entfernten Erde zu bringen?
Das liegt daran, dass der Weltraum – und unser Sonnensystem als kleiner Teil davon – kein statisches Gebilde ist. Es stellt sich uns Menschen aber in der Regel so dar, einfach deswegen, weil unser Leben zu kurz ist, um Veränderungen wahrzunehmen. So erscheinen uns die Krater, die wir auf den Monden, den Planeten und der Erde sehen, als unveränderliche Geländemerkmale. Man könnte vermuten, dass sie seit Anbeginn der Zeiten existieren. Doch nichts wäre falscher, als dieser Eindruck.
Ein besonders dramatisches Beispiel dafür ist ein Bild, das die „High Resolution Imaging Science Experiment (HiRISE) Kamera an Bord der NASA-Raumsonde Mars Reconnaissance Orbiter am 19. November 2013 gemacht hatte. Dieses Instrument hat ein extrem hohes Auflösungsvermögen. Weil damit aber nur sehr kleine Areale abgelichtet werden können, verwendet es die NASA nur für besondere Objekte. Ihr Ziel an diesem Novembertag war deswegen gewählt worden, weil eine andere Kamera an Bord der Raumsonde, die so genannte „Context Camera
, eine merkwürdige Veränderung in einer Region entdeckt hatte, die sie zweimal im Abstand von zwei Jahren fotografiert hatte: Das erste Mal im Juli 2010. Das zweite Mal im Mai 2012. Da, wo zuvor nur ebener Wüstenboden war, zeigte sich jetzt ein stattlicher neuer Krater.
Dieses Objekt hat einen Durchmesser von etwa 30 Metern, und ist von einer riesigen strahlenförmigen Auswurfzone umgeben. Weil das Terrain, auf dem sich der Krater formte, sehr staubig ist, erscheint der neue Krater in dem farbverstärkten Bild bläulich, denn der Einschlag hat den ursprünglichen rötlichen Staub aus der Gegend entfernt. Der Gesteinsschutt, der beim Einschlag ausgeworfen wurde, die Impakt-Auswurfmasse (auch Ejecta genannt), erzählt viel über das Ereignis selbst. Gesteinstrümmer wurden bei diesem Einschlag bis zu 15 Kilometer weit geschleudert. Der neue Krater liegt auf 3,7 Grad nördlicher Breite und 53,4 Grad östlicher Länge. Die Auswertung der Daten aller Raumsonden, die seit den siebziger Jahren den Mars umkreisen, hat ergeben, dass sich auf dem roten Planeten jährlich über 200 Einschläge ereignen, die Krater von mehr als vier Metern Durchmesser erzeugen. Der Meteorit, der hier eingeschlagen hatte, war dabei noch nicht einmal sonderlich groß. Er dürfte ein Objekt von etwa einem oder zwei Metern gewesen sein.
Die größeren dieser Einschläge sind so gewaltig, dass – ein passender Aufschlagwinkel vorausgesetzt – ein Teil des Auswurfmaterials die planetare Fluchtgeschwindigkeit überschreitet und den Planeten für sehr lange Zeit oder für immer verlässt. Dieses Material treibt dann auf einer ähnlichen Bahn wie der Mars selbst für Jahrmillionen durch das Weltall. Einen Teil davon fängt der Mars im Laufe erdgeschichtlicher (oder hier besser „marsgeschichtlicher" Zeiträume) wieder ein. Ein Teil bleibt draußen und verteilt sich im inneren Sonnensystem und ein Teil fällt irgendwann auf andere Planeten, wie eben die Erde. Die Planeten des Sonnensystems sind keine in sich abgeschlossenen und isolierten Inseln, wie wir lange geglaubt haben. Es findet ein ständiger Austausch von Material statt, wie uns dieser frische Einschlagkrater auf dem Mars zeigt.
Vestas merkwürdige Furchen, lange, tiefe Rinnen, die um den Äquator laufen – sind wahrscheinlich das Resultat der gewaltigen Kollision die auch den enormen Zentralberg, beinahe dreimal so hoch wie der Mount Everest, an Vestas Südpol bildete. – Bildquelle: NASA
Vesta im Größenvergleich mit anderen Asteroiden, die bereits von Raumsonden besucht wurden. Der Zentralberg am Südpol des Planetoiden – beinahe dreimal so hoch wie der Mount Everest – ist das Ergebnis einer massiven Kollision vor etwa einer Milliarde Jahren. Die Fragmente dieser Kollision bilden die „Vestoiden". – Bildquelle: NASA
Aber nicht nur vom Mars kommt Material auf die Erde. Auch der Kleinplanet Vesta ist ein wahres Meteoriten-Mutterschiff. Die so genannte HED-Gruppe an Meteoriten, das sind die Howarditen, Eukrite und Diogenite, stammen, wie neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, eindeutig von Vesta. Sie sind irdischem Magmagestein sehr ähnlich und bilden ihrerseits wiederum eine Untergruppe der so genannten Achondrite, die sich allESAmt dadurch auszeichnen, dass sie nicht originäres Ursprungsmaterial aus der Zeit der Bildung unseres Sonnensystems sind, sondern aus dem Gesteinsmantel anderer, größerer Körper herausgerissen wurden. Die Verbindung zwischen den HED-Meteoriten und Vesta konnte deswegen hergestellt werden, weil sich die Spektren dieser Meteoriten und des Asteroiden gleichen wie ein Ei dem anderen. Gestützt wird das noch durch die Tatsache, dass alle untersuchten HED-Meteoriten ein Alter von 4,4 bis 4,5 Milliarden Jahren aufweisen. Der Mutterkörper dieser Meteoriten kühlte also nach der Entstehung des Sonnensystems rasch ab, was auf einen kleinen Himmelskörper hindeutet und eine Herkunft von größeren Monden oder Planeten ausschließt.
Die Sache mit Vesta hat erst vor Kurzem eine US-Raumsonde mit der Bezeichnung „Dawn" unter die Lupe genommen. Ihre komplette Kamera-Ausrüstung stammt übrigens aus Deutschland. Vom DLR, vom Max-Planck Institut in Göttingen und von der Technischen Universität Braunschweig. Derzeit hat sie Vesta schon hinter sich gelassen und ist nun unterwegs zum Kleinplaneten Ceres, dem größten Objekt des inneren Asteroidengürtels. Wenn sie diesen im Februar 2015 erreicht hat, werden wir vielleicht eine Antwort auf die Frage bekommen, warum wir auf der Erde zwar viele Bruchstücke von Vesta nachweisen können, aber keines mit Sicherheit Ceres zuzuordnen ist. Das hat möglicherweise mit der Oberflächenbeschaffenheit dieses Kleinplaneten zu tun, die eine spektralanalytische Zuweisung sehr erschwert. Es könnte sein, dass im Gegensatz zur basaltischen Oberfläche Vestas, die Oberfläche von Ceres einer Art trockenem Lehm ähnelt. Wenn Dawn nichts zustößt, dann sollte dieses Problem, das die Planetengeologen schon lange umtreibt, bald gelöst sein.
Diese perspektivische Wiedergabe wurde farbcodiert, um die Topografie von Vestas Südpol anschaulich darzustellen. Warme Farben deuten hohes Gelände an, kalte Farben Tiefland. Es zeigt den Einschlagkrater Rheasilvia mit seinem 200 Kilometer weiten und 22 Kilometer hohen, kegelförmigen Zentralkomplex, der durch den Rückschock des Einschlags gebildet wurde. Der Boden des Beckens ist durchzogen von geraden und bogenförmigen Bruchlinien, die sich bildeten als das Becken nach dem Einschlag kollabierte. Die große Lücke hinten wird durch eine noch ältere Einschlagzone namens Veneneia gebildet. – Bildquelle: NASA
Mit Vesta werden auch die „Vestoiden in Verbindung gebracht. Das sind kleinere Asteroiden, die ebenfalls spektrale Ähnlichkeiten mit Vesta aufweisen. Sie wurden möglicherweise vor etwa einer Milliarde Jahren bei einem gewaltigen Impakt, der Vestas größten Krater geformt hat, aus der Kruste des Planetoiden herausgeschlagen. Die Verteilung der „Vestoiden
erstreckt sich von der Umlaufbahn der Vesta bis hinaus in Regionen des Asteroidengürtels, die Bahnstörungen durch den Planeten Jupiter unterworfen sind. Auf diese Weise können Bruchstücke von Vesta zu Erdbahnkreuzern werden und schließlich auf unserem Heimatplaneten niedergehen.
Und nicht nur aus dem Asteroidengürtel und vom Mars bekommen wir in unregelmäßigen Abständen „Grüße" zur Erde gesendet, auch unser eigener Mond ist eine Quelle von Gesteinstrümmern, die auf der Erde landen. Generell ist die Erkenntnis, dass uns Material von Planeten, Monden und Asteroiden erreicht noch recht neu. Sie setzte sich erst etwa seit der Mitte der 80iger Jahre durch.
Und dann gibt es noch eine Quelle für Material aus dem Weltraum, das wir nicht mit Sicherheit identifizieren können, von dem wir aber durch rein statistische Beobachtungen wissen, dass es da sein muss. Eine der Hauptquellen außerirdischen Materials auf der Erde sind Kometen. Sie brachten schon in der Frühgeschichte der Erde organische Ur-Bausteine auf unseren Planeten und sind wohl auch zumindest für einen Teil des Wasservorrats der Erde zuständig. Kometen bestehen zu großen Teilen aus flüchtigem Material. Gefrorenen Gasen, Kohlenwasserstoffen, viel Eis. Sie sind schon bald nachdem sie die Erde erreicht haben nicht mehr nachweisbar, weil sie im Geo- und Ökosystem unseres Planeten vollständig aufgegangen sind.
Dieses Bild wurde von der Crew Expedition 28 an Bord der ISS gemacht. Es zeigt die Eintrittsspur eines Meteoriten in die Erdatmosphäre. – Bildquelle: NASA
Wie geht es weiter mit der ISS?
Kometen und Meteoriten. Sie bringen – geschuldet ihrer dynamischen Ankunft auf unserem Planeten – kurzzeitig Verwüstung und Zerstörung. Dennoch sind sie nichts anderes als ein Stück Natur aus unserer erweiterten „Ökosphäre Sonnensystem". Ständig ist Material im Weltraum unterwegs. Glücklicherweise ist es nicht so viel, dass es eine Behinderung des Raumflugs darstellen würde, aber doch so viel, dass man es auch auf der Erde täglich wahrnehmen kann. Man braucht nur nachts zum Himmel zu schauen und die Sternschnuppen zu bewundern. Selbst von der Internationalen Raumstation aus kann man Meteore beobachten, die auf die Erde niedergehen. Womit wir nach unserer Exkursion zu Mars, den Planetoiden und den Kometen wieder dort wären, wo Samantha Cristoforetti Ende November eintreffen soll.
In den Tagen, an denen dieser Beitrag entsteht, schauen die beteiligten Raumfahrtagenturen mit etwas Sorge auf die weitere Entwicklung dieses Außenpostens der Menschheit. Viel ist momentan von Russland abhängig. Und mit Russlands politischen Handlungen ist der Westen in diesen Tagen alles andere als einverstanden. Man denkt über Sanktionen nach und gut sichtbare Objekte mit Symbolcharakter wie die Internationale Raumstation sind bei Politikern für derlei Dinge immer hoch beliebt.
Es wäre mehr als nur Schade, wenn das Projekt der Internationalen Raumstation in irgendeiner Weise gefährdet wäre. Es gibt noch so viele Pläne mit ihr und viele Ideen entstehen erst jetzt, mit dem richtigen Beginn ihrer Nutzung. So geht die Tendenz derzeit dahin, den Außenposten vor allem zum Forschungslabor für künftige Langzeitflüge zu anderen Planeten auszubauen. In diese Kategorie ist die Einjahres-Mission einzuordnen, die der US-Astronaut Scott Kelly und der russische Kosmonaut Michael Kornienko 2015 bis 2016 durchführen werden.
Kaum bekannt ist in der Öffentlichkeit, dass die ISS noch nicht einmal ganz fertiggestellt ist. Es werden noch russische Module erwartet, und auch die USA bereiten derzeit Erweiterungen vor, wie den Ausbau der Dockingknoten an den US-Modulen oder das Anfügen neuer Komponenten. So soll nach gegenwärtigen (September 2014) Plänen das russische Nauka-Modul Ende des Jahres 2015 mit einer Proton M zur ISS gebracht werden. Mit an Bord soll dann der European Robotic Arm (ERA) sein, der schon seit Jahren auf der Erde auf seine Startmöglichkeit wartet. Sobald Nauka die Station erreicht hat, soll auch Pritschal starten, ein kugelförmiges Verbindungsmodul mit insgESAmt sechs neuen Anlegestutzen, das seinerseits am Nauka-Modul befestigt werden soll.
Im Rahmen des Projektes SIMAC soll auch das US-Segment der Station um zwei Anlegestellen erweitert werden, die ein „Soft-Docking der neuen bemannten US-Transportfahrzeuge zulassen. SIMAC steht für „Soft Impact Mating Attenuation Concept
. Bisher lassen die Docking-Einrichtungen der Tranquility und Harmony-Module nur ein so genanntes „berthing" zu, also ein passives Anlegeverfahren, bei dem ein ankommendes Raumschiff mit dem Roboterarm einige Meter vor der Station erfasst, und dann zum Anlegen herangeholt werden muss. Aktives Docking ist derzeit nur an den russischen Elementen der Station möglich.
Das Experimentelle BEAM-Modul von Bigelow Aerospace. Links Robert Bigelow. Rechts die (damalige) stellvertretende NASA-Administratorin Lori Garver. – Bildquelle: Bigelow Aerospace
Künstlerische Darstellung des BEAM-Moduls, angedockt am Tranquillity-Modul der ISS. – Bildquelle: Bigelow Aerospace
Ein sehr interessantes Projekt ist BEAM (Bigelow Expandable Activity Module), bei dem eines der aufblasbaren Module der privaten Raumfahrtfima Bigelow Aerospace einem Langzeittest im Weltraum unterzogen werden soll. Es ist vorgesehen, dass BEAM an Bord eines Dragon-Raumfahrzeugs beim Flug CRS-8 in gefaltetem Zustand zur ISS transportiert wird. Der Roboterarm wird es aus dem so genannten „Trunk" (dem nicht druckbeaufschlagten Stauraum) des Dragon-Raumschiffs entnehmen und am Tranquillity-Modul andocken. Dort soll es dann aufgeblasen und in Betrieb genommen werden.
Und schließlich gibt es ein Projekt, das der Westen mit etwas gemischten Gefühlen sieht, spiegelt es doch die Tendenz zur möglichen Eigenständigkeit des russischen ISS-Partner wider. Es handelt sich hier um das Modul NEM, ein Wissenschafts- und Energiemodul, 21 Tonnen schwer und mit Solargeneratoren ausgestattet, die eine Leistung von 18 Kilowatt zur Verfügung stellen. Davon soll es zwei geben. Jedes von den beiden verfügt auch noch über einen druckbeaufschlagten Raum, der 5,8 Meter lang ist und 4,3 Meter Durchmesser hat.
Wenn dieses Modul an der Station anlegt, hat Russland damit die Möglichkeit, ihre Elemente von der ISS abzukoppeln und als eigene Station zu betreiben. Sollte dann die NASA auch ihr seit vielen Jahren in der Payload Processing Facility am Kennedy Space Center gelagertes „Interim Control Module" entmotten, dann könnten sich auch die USA selbstständig machen.
Ist es also vielleicht die Zukunft der ISS, sich nach dem Jahr 2020 in zwei unabhängige Raumstationen aufzuspalten? Möglich wäre das mit gar nicht einmal so großem Aufwand. Die zweigeteilte ISS wäre dann allerdings nicht länger ein Symbol der internationalen Zusammenarbeit, sondern ein Mahnmal für die Spaltung zwischen den Nationen. Ob das gewünscht ist?
Bleiben wir zunächst bei der näheren Zukunft. Bei Samantha Cristoforetti und ihrer „Futura-Mission", wie sie die Europäische Weltraumorganisation nennt. Wenn alles nach Plan verläuft, dann wird sie am 25. November zusammen mit dem russischen Kommandanten Anton Shkaplerov und dem NASA-Astronauten Terry Virts zur ISS starten. Dort sollten sich zu diesem Zeitpunkt Alexander Samokutjajev, Jelena Serova und der Amerikaner Barry Wilmore befinden. Maxim Surajew, der vorherige Commander der Expedition 41, Gregory Wiseman und Alexander Gerst werden die Station dann bereits wieder verlassen haben. Ihr Abflug ist für den 10. November geplant.
Am 16. März 2015 sollen Samokutjajev, Serova und Wilmore wieder auf der Erde landen. Das Kommando an Bord der ISS geht zuvor auf Terry Virts über. Ende März wird eine neue Crew zu Cristoforetti, Virts und Schkaplerow stoßen, nämlich Gennadi Padalka, Michael Kornienko und Scott Kelly. Die beiden letzteren beginnen damit ihren geplanten Ein-Jahres-Aufenthalt auf der ISS.
Dieses nächste spannende Kapitel in der Geschichte der ISS wird Samantha Cristoforetti aber nur noch für zwei Monate miterleben. Ihre Landung, zusammen