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Die Mutprobe: Kriminalroman
Die Mutprobe: Kriminalroman
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Die Mutprobe: Kriminalroman

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Alptraumhafte Heimkehr
Anlässlich eines Klassentreffens kehrt Sabine in ihr Heimatdorf zurück, das sie jahrelang erfolgreich gemieden hat. Sie will eigentlich noch am selben Abend zurück nach Wien, da verschwindet Max, der kleine Sohn Ihrer Jugendliebe Leonhard, spurlos. Sie bleibt - wenn schon nicht ihm zuliebe, so doch wenigstens, um seine Frau moralisch zu unterstützen.
Doch der unverhofft lange Aufenthalt in der alten Heimat wird zu einer Reise in die eigene Vergangenheit, auf der sie sich ihrem schlimmsten Alptraum stellen muss: Ist Max wie sie selbst vor so langer Zeit ein Opfer sexueller Gewalt geworden?
Der mitreißende vierte Krimi von Lisa Lercher besticht durch lebendige Beschreibungen und lässt einen bis zum Ende nicht los. Vielschichtige Figuren und überraschende Wendungen halten die LeserInnen in Atem, detaillierte Beschreibungen und glaubhafte Dialoge lassen sie die beklemmende Atmosphäre am dörflichen Schauplatz atmen. Ein Roman, der einfühlsam die Folgen einer Traumatisierung schildert und dabei tief in die Gefühlswelt seiner Figuren eintaucht.

"Die Mutprobe" wurde im September 2009 in einer Koproduktion des ORF/MDR erfolgreich verfilmt.

***Packend inszeniert, bestürzend realistisch und außerordentlich lebendig.***

Weitere Krimis von Lisa Lercher:

- Der letzte Akt. Kriminalroman
- Der Tote im Stall
- Ausgedient. Kriminalroman
- Zornige Väter. Kriminalroman
- Mord im besten Alter. Kriminalroman
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateMar 12, 2014
ISBN9783709935682
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    Die Mutprobe - Lisa Lercher

    entschlossen.

    1

    Die Tische sind U-förmig aufgestellt. Sabine sieht es durchs Fenster. Sie war ewig nicht hier. Nicht, dass sie das Dorf vermisst hätte. Sie hat sich fest vorgenommen, hier herzukommen. Vor ihrem vierzigsten Geburtstag. Und sie hat es geschafft. Eigentlich müsste ich stolz auf mich sein.

    Einige haben die Köpfe zusammengesteckt und unterhalten sich. Sabine reißt sich von dem Anblick los und biegt um die Hausecke in Richtung Eingangstür. Der Wirt hinter der Theke grüßt freundlich und deutet zum Extrazimmer.

    Sie bleibt einen Moment stehen, die Hand am Türrahmen. Ein paar bekannte Gesichter schauen neugierig zu ihr hin. Sie setzt ein fröhliches Lächeln auf. „Hallo zusammen, ich bin’s, die Sabine."

    Vereinzelt wird gelacht.

    „Hallo. Grüß dich. Servus", wird sie begrüßt.

    Sie schüttelt Hände.

    „Gerhard, hallo. Elfi, na so was. Grüß dich, Konrad."

    Den hätte ich fast nicht wieder erkannt. Alt schaut er aus. Macht das die Glatze? Nur bei zwei Gesichtern muss sie passen. Peinlich, dass mir die Namen nicht eingefallen sind. Sie überspielt es gekonnt, lobt, dass so viele gekommen sind. Nach 25 Jahren haben alle etwas zu erzählen und es zeigt sich, was aus den Wünschen, Träumen und Hoffnungen geworden ist. Einer der ehemaligen Lehrer sitzt am Tischende. Nur er hat sich Zeit genommen?

    „Mia ist noch nicht da?" Sabine vermisst die Kollegin. Sie war die einzige, die sich ab und zu bei ihr gemeldet, losen Kontakt gehalten hat.

    „Sie kommt später. Steckt irgendwo im Stau."

    Sabine schaut sich nach einem Platz um, bemerkt Klaus, der von den Toiletten her kommt. „Klaus, lange nicht gesehen."

    Er mustert sie. Es dauert einen Moment, bis er sie erkennt. Sie merkt es am Grinsen, das bis in seine Augen reicht. „Sabine. Ich glaub’s nicht. Dass du dich wieder einmal her traust."

    Trauen? Ein wahres Wort. Sie geht nicht darauf ein.

    „Du hast dich fast nicht verändert, schmeichelt er. „Immer noch das Rauscheengerl mit den blitzblauen Augen.

    Christkindl, so haben sie sie manchmal genannt, wegen der hellblonden, gekräuselten Haare. Und Rauscheengel, seit sie beim Krippenspiel als Erzengel Gabriel die Ankunft des Heilands verkündigt hat. Sabine hat diese Spitznamen nie gemocht. „So herzig", haben die Leute immer gesagt und ihr dabei die Wange getätschelt.

    „Aber geh. Grau werd ich langsam", schwächt sie ab.

    „Seh’ ich nicht. Bei dem Licht. Außerdem werden wir alle nicht jünger."

    Du hast dich sehr verändert ... der Bart und die Stirnglatze. Auch ein kleines Bäuchlein zeichnet sich unter dem gestreiften Hemd ab. Wahrscheinlich vom Bier.

    „Rauchst du?" Klaus hält Sabine die Zigarettenpackung hin.

    „Nein danke, lehnt sie ab. „Das hab’ ich mir Gott sei Dank schon vor Jahren abgewöhnt.

    „Bring mir noch ein Krügerl!", ruft er der Serviererin zu.

    Sabine hat Lust auf ein Glas Wein. Nicht, wenn ich später noch fahren muss. „Einen gespritzten Apfelsaft."

    Die Kellnerin nickt.

    „Und die Karte. Habt ihr schon bestellt?"

    „Ich hab’ keinen Hunger." Klaus reicht der Servierkraft sein leeres Glas. Er zündet seine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug.

    „Sonst noch Wünsche?" Die Kellnerin schaut fragend in die Runde.

    „Jetzt erzähl! Sabine setzt sich zu Klaus. „Kommt Leonhard auch?

    „Schon. Wenn er nicht gerade Schafe schert oder Käse macht", witzelt Klaus.

    „Leonhard und Schafe, wie das?"

    „Da merkt man, dass du ewig nicht mehr da warst." Klaus schaut sie neugierig an.

    Sie hört die Frage hinter der Feststellung. „Wieso hat Leonhard Schafe?", fragt sie erneut.

    „Er versucht sich als Bauer, verkauft Käse, manchmal Fleisch und natürlich die Wolle."

    „Und davon kann er leben?" Die Frage ist berechtigt, Schafzucht hat hier keine Tradition.

    Klaus zuckt die Schultern. „Das musst du ihn schon selber fragen."

    „Leonhard. Bauer? Sabine schüttelt den Kopf. „Dieser Weltenbummler und Revoluzzer. Das hätte ich ihm nie zugetraut.

    „Ja, ja. So geht es." Klaus nimmt das frische Bier entgegen, trinkt einen Schluck und stellt das Glas auf dem Bierdeckel ab.

    „Und du, was ist aus dir geworden? Auch ein Bauer, vielleicht?", versucht sich Sabine an einem Scherz.

    „Seh’ ich etwa so aus?"

    „Wie ein Bauer? Keine Ahnung. Wie sehen die denn heutzutage aus?"

    Klaus geht nicht darauf ein. „Wär’ vielleicht gar keine so schlechte Idee gewesen. Die Arbeit in der Natur hat mir schon immer getaugt. Er seufzt: „Nein, nein, ich bin Tischler geworden.

    „Ach so?" Die Finger sind alle noch dran. „Und wo arbeitest du?"

    „Beim Binder, der Tischlerei, da im Ort."

    „Kenn’ ich, da bin ich vorbei gefahren."

    Klaus nickt und trinkt wieder von seinem Bier. „Ja, ja und du?"

    „Nichts Besonderes. Ich bin in der Telekommunikationsbranche, Assistentin der Geschäftsführung."

    „Interessante Arbeit?"

    „Geht so. Mir gefällt’s." Sabine klingt überzeugend.

    „Familie?"

    „Nein, sollte wohl nicht sein. Das Thema ist ihr unangenehm. „Du?

    „Ja, zwei Kinder, Mädchen. Die eine ist schon aus dem Haus."

    Sabine fällt auf, wie wenige Worte ihre Unterhaltung braucht. In aller Knappheit ist vieles gesagt, 25 Jahre zusammengefasst.

    „Wollt’s Fotos sehen?" Martha drängt sich neben Sabine auf die Bank und schiebt das adventliche Tischgesteck mit Kiefernzapfen und Bienenwachskerze zur Seite.

    Eigentlich nicht! Sie will nicht unhöflich sein. „Gern." Sabine rückt ihren Apfelsaft ein Stück von sich weg und beugt sich über die Fotos. Schnappschüsse von einem Einfamilienhaus, üppig blühende Pelargonien auf dem Balkon.

    „Da wohn’ ich, in Kärnten, gleich hinter der steirischen Grenze. Mein Mann ist Eisenbahner, wir haben gebaut, erklärt Martha. „Und das sind die Kinder. Manfred, der Älteste, Marianne und Theresa, unser Nesthäkchen.

    Fett, dieses kleine Kind. Sicher auch verwöhnt. In Augenblicken wie diesen ist sie besonders froh, kinderlos geblieben zu sein. „Schön, sagt sie lapidar. „Hübsche Kinder.

    Martha scheint mit ihren Kommentaren zufrieden.

    „Gefällt’s dir in Kärnten?"

    „Gut. Ich hab’ mich eingelebt. Am Anfang braucht es seine Zeit, bis einen die Einheimischen akzeptieren. Aber ich komm’ immer noch gern heim, die Eltern, weißt eh", sprudelt Martha los.

    „Und du? Wo hat es dich hinverschlagen? Dich sieht man ja überhaupt nie mehr hier. Kommst du eigentlich noch manchmal?"

    „Nein. Ich hab’ ja niemanden mehr hier, rechtfertigt sich Sabine. „Meine Mutter ist in die Stadt gezogen. Das weißt du wahrscheinlich eh. Und zu den beiden Onkeln haben wir nie viel Kontakt gehabt. Sie beobachtet Martha. Ob sie mir glaubt?

    „Das Landleben vermisst du nicht?" Martha war schon immer so. Eine von denen, die den Kopf in den Sand stecken. Oder wie diese drei Affen. Augen zu, Ohren zu, Mund zu. Was will ich bloß hier?

    „Nein. Ganz bestimmt nicht. Sabine schüttelt den Kopf. „Ich bin ein Stadtmensch geworden. Ohne die Hektik und das brodelnde Leben könnte ich gar nicht mehr sein. Sie lacht, überspielt, dass das Gespräch sie nervt.

    „Kann ich mir nicht vorstellen. Ich würde verrückt ohne die Natur. Nur graue Häuser, stinkige Luft und dieser Straßenverkehr." Martha streicht liebevoll über das Bild mit ihrem Haus.

    Dumme Kuh. „Dafür habe ich die kulturellen Möglichkeiten, die Oper, die Museen ...", verteidigt Sabine die Stadt.

    „Die Oper ist nichts für mich. Kino, ja …"

    Fachlehrer Kindler, der ehemalige Klassenvorstand, unterbricht das Gespräch. Sabine atmet auf. Kindler klopft mit einem Kaffeelöffel gegen sein Glas. „Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten!"

    Es dauert ein wenig, bis das Stimmengewirr abgeebbt ist. „Es gibt hier den Wunsch, eine kleine Vorstellungsrunde zu machen, bevor alle ihr Essen bestellt haben, kündigt er an. „Und dann möchte ich gleich die Gelegenheit nutzen und euch allen Grüße vom Herrn Oberschulrat bestellen. Er wäre gern gekommen, hat aber einen dringenden Termin wahrnehmen müssen.

    Der war doch gar nicht eingeladen! Sabines Hände werden feucht. Sie wischt sie an ihrer Hose ab.

    „Was, vorstellen sollen wir uns?" Martha kichert nervös.

    „Eine kleine Runde, ein paar Worte, was ihr beruflich macht, Familie und so", beruhigt Kindler.

    „Kein Grund zur Aufregung", sagt nun auch Klaus.

    Sabine spürt, wie ihre Anspannung nachlässt.

    „Wo fangen wir an?" Kindler schaut zuerst nach rechts, dann nach links.

    „Mach’ ich gleich, ergreift Gerhard die Gelegenheit. „Dann hab’ ich es hinter mir.

    Ein paar aus der Runde lachen.

    „Also, ich hab’ Elektriker gelernt, in Leoben. Und bin bei der Firma geblieben, bis sie Pleite gegangen ist."

    „Wegen dir?"

    Die Pointe war vorhersehbar wie das Lachen, mit dem sie quittiert wird. Gerhard lacht mit. Sabine erinnert sich, dass er damals schon gern den Klassenkasperl gespielt hat.

    „Nein, aber ihr werdet es nicht glauben: Die Firma, bei der ich dann gearbeitet habe, ist auch in Konkurs gegangen."

    Neuerliches Gelächter, selbst Sabine grinst. „Bei dir muss man wirklich aufpassen."

    „Genau, bestätigt Gerhard. „Also hab’ ich zur Bahn gewechselt ...

    „Und wer sonst nichts kann, geht zur Post oder Eisenbahn."

    Der hat es nötig. Sabine hat Kurts glasigen Blick wohl bemerkt. Auch die verräterische Gesichtsfarbe ist ihr nicht verborgen geblieben. Ist das noch immer derselbe Schnaps?

    „Du bist ja nur neidig, weil sie dich nicht genommen haben." Gerhards Antwort klingt scharf. Um ihn betretenes Schweigen.

    „Sicher." Kurt stürzt seinen Schnaps hinunter und stellt das Glas unsanft auf den Tisch.

    „Was haben die zwei miteinander?", flüstert Sabine in Klaus’ Richtung.

    Der schüttelt abwehrend den Kopf. „Jetzt nicht."

    „Geh, reißt’s euch zusammen." Ernst klopft Gerhard gutmütig auf die Schulter und wirft Kurt einen warnenden Blick zu.

    „Wahrscheinlich hoffst du, dass du mit fünfzig in Pension gehen kannst", lenkt Erwin ab.

    „Wenn die Bahn nicht vorher Pleite macht." Hermanns Kommentar löst die Spannung endgültig. Es wird wieder gelacht.

    „Hast du Familie?"

    „Ja, ich bin verheiratet, hab’ zwei Kinder, ein Mädchen und einen Buben. Die Tochter arbeitet als Krankenschwester in Liezen. Der Sohn macht nächstes Jahr die Matura. Hoffentlich", schließt Gerhard und nickt seiner Nachbarin zu.

    „Also ich bin die Elke, heiße jetzt Perner und wohne noch im Ort. Wir haben zum Haus meiner Eltern dazu gebaut und ich hab’ auch zwei Kinder. Zwei Buben, die beide in die Handelsakademie gehen. Elke überlegt, ob sie noch etwas vergessen hat. „Ach ja. Ich hab’ bis vor einem Jahr als Sekretärin gearbeitet und mach’ jetzt die Buchhaltung für meinen Mann. Der ist selbstständig und arbeitet als Manager für Volksmusikgruppen.

    „Dann kennst du den Hansi Hinterseer persönlich?" Das spöttische Grinsen um Heinz’ Mundwinkel weist darauf hin, dass die Frage nicht ernst gemeint ist.

    „Ja, antwortet Elke schlicht, „ist ein netter Kerl.

    Heinz greift verlegen nach seinem Bier.

    „Da bist jetzt baff, Klaus boxt ihn freundschaftlich in die Schulter, „gell?

    „Gib Ruh’, hör lieber zu."

    „Hallo, hallo!, ruft plötzlich Ernst, der gegenüber sitzt. „Du kommst gerade richtig.

    Sabine dreht sich zur Tür um.

    Mia steht beim Eingang und strahlt in die Runde. „Mensch riesig, super. So viele", staunt sie. Die Freude ist ihr deutlich anzumerken. Sie schüttelt Hände und umarmt einige ihrer ehemaligen Klassenkameradinnen. Herzlich wie immer.

    „Sabine, Mensch, lass dich drücken. Ich wär’ echt sauer gewesen, wenn du nicht gekommen wärst." Mia droht ihr scherzhaft mit dem Finger. Die Jahre in Deutschland sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Das merkt man nicht nur an den Vokabeln, sondern auch am Akzent, der sich in ihr Steirisch mischt.

    „Ja, ich freu’ mich auch, dass du da bist." Sabine windet sich aus der Umarmung. Solche Vertraulichkeiten sind ihr unangenehm. Mia hat sich seit ihrem letzten Zusammentreffen kaum verändert. Ihre Haare sind immer noch leuchtend rot. Sie färbt sie mit Pflanzenfarbe, erinnert sich Sabine. Auch ihre Kleidung ist immer noch ausgefallen, ein eng anliegender Wollrock, ein leuchtend türkiser Kaschmirpullover und um die Mitte eine Schärpe. Ihr Blau unterstreicht das Türkis und wiederholt sich in den Stiefeln.

    „Ich setz’ mich nachher zu euch, wenn ich alle begrüßt hab’." Mias braune Augen blitzen.

    „Maria, ..."

    „Ich nenn’ mich jetzt Mia", unterbricht sie Ernst.

    Andrea verdreht die Augen.

    „Dann also Mia. Wir sind grad bei der Vorstellungsrunde", sagt er und streckt ihr die Hand entgegen.

    „T’schuldigung, sorry, hab’ ich nicht gewusst." Mia bleibt hinter Ernst stehen. Sie lächelt Sabine zu.

    „Die Mia ist ein richtiges Energiebündel."

    „Wie damals", bestätigt Klaus mit einem bewundernden Blick.

    Starrt er auf ihren Busen? Sabine traut Männern grundsätzlich nicht.

    „Ja, wie damals", wiederholt sie nachdenklich.

    „Ich bin dran, ergreift die Nächste in der Runde das Wort. „Also ich habe ...

    Sabine schiebt ihre Erinnerungen beiseite und konzentriert sich auf den Bericht.

    Die Stimmung ist heiter. Sabine hat sich zusehends entspannt. Nach dem üppigen Schweinsbraten hat sie sich nun doch zu einem Glas Wein entschlossen.

    „Weißt du noch ..., beginnt Mia ein neues Kapitel im Abschnitt Erinnerungen. „... wie wir damals die Kühe vom Malzbichler grün angestrichen haben?

    Klaus prustet ins Bier. „Genau. Die Kühe. Weit sind wir ja nicht gekommen ..."

    „Weil uns der Andi verpetzt hat, dieses Gfrast", fällt ihm Mia ins Wort.

    „Und wie der Malzbichler ausgezuckt ist ... ich hab’ geglaubt, der hat gleich einen Herzkasperl", ergänzt Sabine.

    „Ja, das waren Zeiten. Klaus streift seine Zigarette am Aschenbecher ab. „Meine Alten haben ganz schön getobt. Mit dem Gürtel hab’ ich’s gekriegt, so wild war mein Vater. Hat wahrscheinlich Angst gehabt, dass ich auf die schiefe Bahn komm’. Klaus grinst.

    „Mit dem Gürtel?"

    „Ja, antwortet Klaus ungerührt. „Oft hat er’s ja nicht getan. Die paar Mal kann ich an meinen Fingern abzählen, rechtfertigt er die Erziehungspraktiken seines Vaters.

    „So was hat es öfter gegeben. Die Renate ist immer mit dem Kochlöffel gehaut worden."

    „Wenn die Mutter sie erwischt hat."

    „Genau, die ist doch immer davon gerannt und ihre Mutter mit wehenden Schürzenzipfeln laut schimpfend hinterdrein." Klaus lacht.

    „Ich find’ das nicht witzig." Der Kommentar ist Sabine herausgerutscht. Hier haben immer andere Regeln gegolten. Warum kann ich nicht einfach den Mund halten?

    „Was regst du dich auf? Ihre Mutter hat sie sowieso nie eingeholt. Klaus mustert sie kühl. „Das war damals eben so. Ganz normal, oder nicht?

    „Schon. Aber das mit dem Gürtel ...?" Mia schüttelt betroffen den Kopf.

    „Sag bloß, du bist nie gehaut worden?", wundert sich Klaus.

    „Nein, nie, wehrt sich Mia entrüstet. Und nach einem Moment „... doch, ein Mal, eine Ohrfeige von meinem Vater. Da hab’ ich meine kleine Schwester in der Wiege gezwickt.

    „Das zählt nicht, sagt Klaus. „Seit ich selber Kinder habe, verstehe ich ganz gut, warum einem hie und da die Hand auskommt. Manchmal betteln sie darum.

    Sabine setzt zu einer Entgegnung an, überlegt es sich dann aber doch anders. Wozu streiten? Er kapiert es sowieso nicht. Sie schaut auf die Uhr, eigentlich sollte sie langsam fahren.

    „Du willst doch nicht schon wieder gehen? Mia hat die Geste richtig interpretiert. „Mensch, Sabine. Das kannst du mir nicht antun. Jetzt, wo wir uns quasi wieder gefunden haben. Mia streift die Ärmel ihres Pullovers auf. Der Wirt hat gut geheizt. Sabine hat ihre Weste auch schon ausgezogen.

    „Genau, Sabine. Du kannst noch nicht gehen. Und überhaupt, warum bleibst du heute Nacht nicht hier? Ein Zimmer kriegst du im Gasthaus. Du kannst aber auch bei mir zu Hause schlafen."

    Sabine horcht nach, ob sich hinter der Einladung ein Annäherungsversuch verbirgt.

    „Klaus, Klaus, schäkert Mia und droht ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger. „Du alter Lustspecht. Was täte da deine Frau sagen?

    „Nichts. Wir haben ein Gästezimmer", erwidert er ein wenig beleidigt.

    „Sag, warum ist eigentlich der Kurt den Gerhard vorhin so angefahren?", wechselt Sabine das Thema.

    „Ach, geh. Klaus windet sich. „Ich red’ nicht gern nach, was die anderen so herumerzählen.

    Klaus’ Zögern macht Sabine nur noch neugieriger.

    „Angeblich hat er ein G’schichtl mit der Angelika gehabt." Renate hat das Gespräch offenbar verfolgt. Sie sieht aus, als würde sie auch gerne die Details loswerden. Tratschweib.

    „Angelika? Die Frau vom Gerhard?"

    „Geschiedene Frau."

    „Mit Kurt?" Sabine rümpft die Nase.

    „Bei dem Angebot auf dem Land, darf man nicht so wählerisch sein. Und hast du sie schon einmal genauer angeschaut?" Renates Augen glitzern boshaft.

    Sabine grinst.

    Klaus‘ Handy läutet. „Ja?"

    „Ich hab’ mir drüben beim Brauner ein Zimmer genommen. Du weißt ja, die Frau Brauner ist meine Tante Fini", wendet sich Mia an Sabine.

    Klaus steht auf und stellt sich zum Fenster. Wahrscheinlich ist der Empfang dort besser.

    „Die haben sicher noch was frei. Um diese Jahreszeit gibt es ja sonst keine Urlauber hier. Bleib doch bitte...", redet Mia weiter auf Sabine ein.

    Klaus‘ Gesichtsausdruck ist sehr ernst, als er sich zum Tisch umdreht.

    Sabine hebt abwehrend die Hand. „Ich glaub’, da ist was passiert", unterbricht sie Mia.

    „Passiert?" Mia richtet sich erschrocken auf. Ein paar andere am Tisch horchen auf.

    „Was ist passiert?", fragt nun auch Ernst.

    2

    Klaus lässt sein Handy zurück in die Jackentasche gleiten. „Dem Leonhard sein Max ist noch nicht heimgekommen, erklärt er dann und stützt sich auf die Lehne seines Sessels. „Er macht sich ziemliche Sorgen.

    „Hat er schon eine Abgängigkeitsanzeige gemacht?"

    „Die nehmen sie nach der kurzen Zeit noch gar nicht auf, wendet Heike ein. „Da muss er schon mindestens eine Nacht lang weg sein.

    „Blödsinn. Das ist vielleicht in den amerikanischen Filmen so, aber bei uns nicht, widerspricht Gerhard. „Die werden natürlich tätig. Was glaubst du? Der Max ist ja noch ein kleines Kind. Worauf soll man da denn warten?

    Heike zieht den Kopf ein und wird rot.

    „Wer ist verschwunden?", mischt sich nun auch der ehemalige Klassenvorstand ein.

    „Der Zuckmayr Max, der jüngste vom Leonhard seinen Buben", erklärt Klaus. „Er hätte zum Abendessen zu Hause sein sollen und ist noch immer nicht aufgetaucht. Der Leonhard hat Angst,

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