Die Frau im Auto: Ein Theaterstück
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Mir tut das alles sehr leid, Hedwig. Irgendwie hab i a Bewunderung für dich. Aber du bist zu radikal. A Haus is nicht alles.
HEDWIG:
Doch. A Haus is alles.
Im Mittelpunkt steht eine Frau, die um ihr Recht kämpft und dabei zugrunde geht. Ihre Gegner sind die örtliche Obrigkeit, die ihr wegen verweigerter Abgaben das Haus nimmt, und einer der Söhne, der das Haus ersteigert und seine Mutter delogieren lässt. Auf ihrer Seite stehen der andere Sohn und ein "Sympathisant", der die beiden mit faschistischer Rhetorik immer weiter in Starrsinn, Querulantentum und Fanatismus und damit in die Isolation und Ausweglosigkeit treibt.
Im Lauf der Handlung werden politische Machtstrukturen aufgezeigt, Mitläufertum und Freunderlwirtschaft demaskiert und die weit in die Vergangenheit zurückreichenden Wurzeln einer Familientragödie bloßgelegt.
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Book preview
Die Frau im Auto - Felix Mitterer
Felix Mitterer
Die Frau im Auto
Die Herausgabe der Werksammlung wurde vom Land Tirol und von der Gemeinde Telfs gefördert.
© 2001
HAYMON verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Aufführungsrechte für alle Stücke beim Österreichischen Bühnenverlag Kaiser &Co., Am Gestade 5/II, A-1010 Wien
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-7099-3662-7
Umschlaggestaltung:
hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Dieses Stück wurde dem Sammelband »Stücke 3«, erschienen 2001 im Haymon Verlag, entnommen. Den Sammelband »Stücke 3« erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.
INHALT
Die Frau im Auto
Biographische Daten und Werkverzeichnis
DIE FRAU IM AUTO
Es geschah im August 1982. Wir spielten bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs meine Passion „Stigma. Großer Aufruhr, Anzeigen wegen Blasphemie und Religionsstörung, Bombendrohungen, Demonstrationen. Im Rathauscafé trat ein Mann auf mich zu und sagte, daß alles hier sei Blödsinn und uninteressant und des Aufruhrs nicht wert, seine Mutter erleide seit Monaten die wahre Passion und ich solle lieber darüber ein Stück schreiben. Ich fuhr mit ihm in eine kleine Oberinntaler Gemeinde. Am Rande des Ortes befand sich eine Wohnsiedlung aus den 50er Jahren. Dort stand auf der Straße ein Auto. Hinter der Windschutzscheibe war ein Pappschild befestigt: „150 Tage Hungerstreik
. Auf dem Beifahrersitz saß eine alte, dürre Frau, die Mutter des Mannes. Seit 27. Jänner 1982 saß sie in diesem Auto, sieben Monate also schon. Seit 26 März befand sie sich im Hungerstreik. Sie trank nur Fanta.
Was war passiert? Der Mann der Frau war im Krieg geblieben. Die beiden hatten einen Traum gehegt: ein eigenes Haus. Nun war der Mann nicht zurückgekehrt. Die Frau wollte sich den Traum nicht nehmen lassen. Sieben Jahre — von 1945 bis 1952 — arbeitete sie in der Spinnerei im Akkord, gönnte sich nur Kaffee und Butterbrot, stand jedes Wochenende am Bau, baute mit eigenen Händen ihr Haus. Das Haus bedeutete ihr alles, das Haus war ihr Lebensziel, der einzige Lebensinhalt.
Im Jänner 1982 wurde ihr auf Antrag der Gemeinde das Haus versteigert, weil sie Abgaben in der Höhe von 18.000,— Schilling nicht bezahlt hatte. Bei der Versteigerung war nur ein Bieter anwesend: der zweite Sohn der Frau, der „böse Sohn. Er bekam das Haus sehr günstig. Seine erste Aktion war, der Mutter die Wohnung im ersten Stock zu demolieren. Dann wollte er seine Mutter in den Dachboden übersiedeln. Die Mutter aber wollte nicht in den Dachboden. Also beauftragte der „böse
Sohn die Räumung. Es kam der Gerichtsvollzieher mit zwei Gendarmen und Hund. Die Frau wurde auf die Straße gesetzt, bei 14 Grad minus, am 27. Jänner.
Die Frau stand nun auf der Straße und war nicht zu bewegen, fortzugehen. Also stellte der „gute Sohn der Mutter sein Auto als „Wohnung
zur Verfügung. Und da saß sie also, schlief sie also, mit ihrem dicken Federbett, auf dem zurückgelegten Beifahrersitz. Fast ein Jahr lang. Sie erfror fast im Winter, kam fast um vor Hitze im Sommer. Und es nützte ihr alles nichts. Der „gute Sohn wurde zum Rebellen, gründete eine Partei (Ausbildungsziel: „Heranbildung von Freiheitskämpfern
), schrieb Flugblätter, protestierte beim Landeshauptmann, beim Bundeskanzleramt, zeigte alle an: das Gericht, den Bruder, den Bürgermeister, den Exekutor, den Amtsarzt, alle. Es hagelte Anzeigen und Strafen zurück wegen Ehrenbeleidigung, Körperverletzung (des Bruders), Mißachtung des Gerichts etc. Der einzige, der positiv reagierte, war der Landeshauptmann. Er meinte, er könne ein Gerichtsurteil nicht aus der Welt schaffen, aber er sei bereit, der Frau ein Gasthauszimmer zu bezahlen, für einige Zeit. Die Frau antwortete, sie gehe nicht so gerne ins Gasthaus wie der Landeshauptmann, sie wolle ihr Haus zurück, sonst gar nichts.
Das war die Situation. Keine Zeitung schrieb darüber, außer einem kleinen, lokalen Alternativblatt, keine Rundfunkanstalt berichtete. Über Querulanten berichtet man nicht. Auch ich schrieb kein Stück. Ich wußte nicht, wie umgehen damit. Hatte der Bundeskanzler recht, der meinte, der „gute Sohn wolle seine Mutter sterben lassen, um die Regierungspartei und deren Justiz „Mörder
nennen zu können? Andererseits: diese Frau schien so stark und autark, sie kam mir nicht vor wie ein Manipulationsopfer ihres Sohnes.
Ich schrieb kein Stück. Zu groß waren die Erwartungen. Man erwartete sich von meinem Theaterstück die Errettung aus der Not und die Bestrafung der Bösen. Aber damit kann die Literatur ja leider nicht dienen. Ich beschränkte mich darauf, an den Landeshauptmann zu schreiben (was nichts half) und ein Wochenmagazin auf den Fall aufmerksam zu machen (welches berichtete, aber auch ohne Wirkung). Nach 200 Tagen Hungerstreik wurde die Frau ins Krankenhaus eingeliefert. Ihr Schicksal hat mich nie losgelassen. Die „Frau im Auto" blieb immer in meinem Kopf. Nun mußte ich ihr doch ein Denkmal setzen. Festzuhalten ist dabei, daß es sich natürlich nicht um ein Dokumentarstück handelt, sondern daß ich — wie immer — mit den tatsächlichen Ereignissen und Charakteren frei umging. Wichtig war mir zu zeigen, wie wenig manchmal Recht und Gesetz mit Gerechtigkeit zu tun haben und wie leicht es passieren kann, daß jemand — uninformiert, hilflos um sich schlagend — im Kampf gegen die Behörden untergeht.
PERSONEN:
Hedwig Lamprecht (75)
Robert (53), Sohn
Hermann (54), Sohn
Manuela (35), Hermanns Frau
1. Gendarm (älter)
2. Gendarm (jung)
Exekutor (40)
Bürgermeister (45)
Sympathisant (55)
Frau Krautschneider (60)
Amtsarzt (40)
Journalist (25)
Kleindarsteller:
Fotograf (auch als neugieriger Zuschauer und Partygast)
2 Staatspolizisten (auch als neugierige Zuschauer)
3 Jugendliche (auch als neugierige Zuschauer und Partygäste)
1. Bub (12)
2. Bub (11)
In der Rückblende:
Simon, Hedwigs im Krieg gefallener Mann (vom Darsteller des Journalisten gespielt)
Slawomir, polnischer Zwangsarbeiter (vom Darsteller des Journalisten gespielt)
1. Gestapobeamter (vom Darsteller des 1. Gendarmen gespielt)
2. Gestapobeamter (vom Darsteller des 2. Gendarmen gespielt) GI
(vom Darsteller des Exekutors gespielt)
Hermann als Kind (vom Darsteller des 1. Buben gespielt)
Robert als Kind (vom Darsteller des 2. Buben gespielt)
SCHAUPLATZ:
Straße in Wohnsiedlung eines Dorfes, vor Hedwigs Haus
ZEIT:
27. Jänner 1997 bis 31. Dezember 1997
ANMERKUNG ZUR DARSTELLERIN DER HEDWIG:
Hedwig beginnt nach viereinhalb Monaten Aufenthalt im Auto einen Hungerstreik und hält diesen 199 Tage durch. Das bedeutet natürlich, daß sie sehr viel Gewicht verliert. Wir lernen Hedwig als eine etwas korpulente alte Frau kennen, durch die Strapazen des Lebens im Auto nimmt sie bereits ab, nach Beginn des Hungerstreiks wird sie dann immer dünner, bis sie zum Schluß praktisch nur mehr ein Knochengerüst ist. Wenn sich auch mit Kostüm und Maske einiges machen läßt, ist aus diesem Grunde eine ziemlich schlanke Darstellerin vonnöten. Zu Beginn des Stückes muß man ihre Kleidung „ausstopfen" und später Schale für Schale — wie bei einer Zwiebel — entfernen. Auch das Gesicht der Schauspielerin sollte zu Beginn voller erscheinen und dann immer schmäler werden.