Kreativ gegen schief: Mittelzirkeltraining für mehr Harmonie zwischen Reiter und Pferd
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Kreativ gegen schief - Claudia Kusmanow
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VORWORT VON SUSAN
McDERMOTT
Im zwischenmenschlichen Dialog ist die Wortwahl nur dann wertvoll, wenn sie mit dem passenden Tonfall und Augenausdruck sowie der entsprechenden Körperspannung und Haltung verbunden wird und wenn dabei auch die Zwischentöne übereinstimmen. Jetzt, im Zeitalter der Social Media, wo man mit Vorliebe online und immer seltener persönlich kommuniziert, gehen diese wichtigen Komponenten des Dialogs verloren.
Eine ähnliche Entwicklung ist auch in der Reiterei zu beobachten. Wo ein Dialog mittels Fühlen, Haltung und Spannungsveränderung die Basis sein sollte, verstricken und verlieren wir uns immer mehr in kompliziert anmutenden Theorien, Konzepten und „Technikalitäten". Wir orientieren uns an allem anderen – sei es an Äußerungen des neuesten Pferdegurus, an Dingen, die wir in Internetforen gelesen haben, oder schlichtweg an der Hallenbande –, statt an dem, was doch am Wichtigsten ist: an der übereinstimmenden Mitte von Reiter und Pferd. Aber wo ist die übereinstimmende Mitte zu finden? Und, vor allem, wie findet man die übereinstimmende Mitte, wenn das Pferd schief ist?
Mit diesem Buch hat es Claudia Kusmanow geschafft – ohne das Rad neu erfunden haben zu wollen und indem sie sich von leeren Floskeln und wenig realistischen Patentlösungen distanziert –, uns mit inneren Bildern und ihrer besonderen Arbeit auf dem Mittelzirkel zurück zum Wesentlichen zu führen. Durch die in ihrem Buch dargestellten Anregungen und Ideen sind wir eingeladen, von dem, was wir nicht brauchen, loszulassen und mit dem Pferd in Dialog zu treten, um es mit Leichtigkeit zu gymnastizieren und somit auch kreativ gegen schief zu arbeiten.
Wie erfrischend. Dankeschön!
Susan McDermott
Rehabilitationstrainerin für Pferde
Im Dialog mit dem Pferd „geht alles Huf in Hand". (Foto: Fotolia.com/Sven Cramer)
AUF DEN ERSTEN BLICK
(Foto: Alexia Khruscheva/shutterstock.com)
„Jedes starke Bild wird Wirklichkeit."
- Antoine de Saint-Exupéry -
Reiten ist eine Herzensangelegenheit. Wir Reiter sind bereit, eine Menge dafür zu geben. Für die Gymnastik ihres Pferdes ziehen viele von uns täglich ihre kleinen und größeren Kreise. Oft weichen dabei Herz und Gefühl einem strengen Kopfregiment, besonders wenn es um das Erreichen von Zielen geht. Damit schleicht sich vielfach Druck ein, und die Motivation verändert sich in eine ungünstige Richtung. Wie Pferde das empfinden und welchen Einfluss es auf ihre Lust hat, ihre Bahnen mit uns zu ziehen, können wir nur vermuten. Sie müssen sich jedenfalls eher auf ihr Gefühl verlassen, da ihre Gedankenwelt nicht genauso ausgeprägt ist wie die ihrer Reiter. Wussten Sie, dass Sie täglich etwa 60.000 Gedanken denken? Nicht mal 1000 davon sind Ihnen bewusst. Etwa 3 Prozent davon, so wird gesagt, sind hilfreiche, aufbauende Gedanken, die Ihnen oder anderen nützen. 25 Prozent sind destruktive Gedanken, die Ihnen oder anderen eher schaden. Ganze 72 Prozent, das sind fast 22 Millionen pro Jahr, sind flüchtige, unbewusste Gedanken, die quasi aus der Tiefe ihre enorme Wirkung entfalten. Viele von ihnen laufen nach einem immer wiederkehrenden, meist unbewussten, oft auch instinktiven Muster ab.
Was passiert beim Reiten mit all den Gedanken und Gedankenmustern? Seit Wissenschaftler dem menschlichen Gehirn beim Denken zusehen können, wissen wir, was Gedanken im Körper auslösen: Gehirn und Körper stehen in einer ständigen Wechselwirkung miteinander. Jeder negative Gedanke löst im Körper eine Stressreaktion aus – auch beim Reiten.
Laut Weltgesundheitsorganisation und Bundesgesundheitsministerium ist Stress eine der größten Gesundheitsgefahren für unseren Körper. Stress ist Beziehungs-, Kommunikations- und Leistungskiller Nummer eins. Und Druck verhindert Lernen. Wenn man sich nun vorstellt, dass viele Reiter fast täglich in einer Verbindung mit den feinen Antennen ihrer Pferde stehen – welchen Einfluss mag das gerade Beschriebene auf die Harmonie dieser Verbindung haben? Reicht es wirklich, wenn wir uns als Reiter ausschließlich mit der Technik unserer Hilfengebung als ausführendes Organ beschäftigen, um den Bewegungsablauf unseres Pferdes zu verbessern? Oder können wir dem Wechselspiel zweier miteinander kommunizierender Körper einen harmonischeren Ausdruck und mehr Effektivität verleihen, wenn wir durch produktives Gedankenmanagement nützliche Gedankenmuster und positive Vorstellungen kreieren? Wenn wir durch innere Bilder neue Motivation für gemeinsame äußere Bewegung schaffen? Ich bin überzeugt davon, dass das funktioniert. Mithilfe der Verbesserung reiterlicher Gedanken und Vorstellungen gelingt es tatsächlich, körperliche Schieflagen des Pferdes auszugleichen.
Machen wir einen kurzen gedanklichen Rundflug durch dieses Buch: Im ersten Teil möchte ich Sie dazu anregen, Ihrer Vorstellungskraft für ein besseres Bewegungsgefühl mehr Raum zu überlassen. Im zweiten Teil finden Sie Ideen, wie sich die für die regelmäßige Gymnastizierung Ihres Pferdes so wichtige Biegung durch Ihre innere Vorstellungskraft optimieren lässt, damit gebogene Linien tatsächlich ihre Aufgabe erfüllen können: Sie sollen die allgemeine Flexibilität des Pferdes verbessern. Im dritten Teil stelle ich Ihnen das Mittelzirkeltraining vor, bei dem Sie auf kreativen Wegen funktionale Formen der Pferdegymnastik mit einem aufmerksamkeitsfördernden Bewegungsfluss verbinden. Eine Trainingsidee, die gleich mehrere Ziele verfolgt: Sie soll Drill, Druck, Stress und tägliches Einerlei aus der Reiterei verbannen und stattdessen mehr Flexibilität für geradere Pferde, mehr Bewegungsharmonie und mehr gemeinsame Motivation bringen.
Ihnen ist es wichtig, zum Gelingen einer ausgewogenen Pferdeausbildung beizutragen – sei es als Pferdebesitzer, Reitbeteiligung oder Trainer? Im Rahmen einer gesundheitsfördernden Entwicklung von Takt, Losgelassenheit und Schwung ist das Geraderichten auf gebogenen Linien Ihr Thema? Sie wollen Ihre reiterliche Erfahrung auf positive Art verfeinern? Dann lassen Sie sich über den alltäglichen Zirkelrand hinaus inspirieren. Wie wäre es mit ein wenig Freestyle in geordneten Bahnen? Hier finden Sie Trainingsideen, die – ganz nebenbei – Ihren Blick für elegante Lösungen schärfen; eine praktikable Mischung aus den Vorzügen funktionellen Trainings und einer gelassenen inneren Sichtweise. Mein Buch soll interessierten und dafür offenen Lesern – die allgemeine Reitlehre ergänzend – als Anregung und Inspiration dienen, um kreatives Denken und Fühlen noch mehr in den Reitalltag einfließen zu lassen. Entwickeln Sie ein Bild, das bei Ihnen zu einer inneren Haltung führt, die auf Ihre äußere Haltung überspringt, wodurch wiederum das Pferd zum Mitmachen motiviert wird und gleichzeitig an Ausstrahlung gewinnt!
(Foto: YanLev/shutterstock.com)
INNERE BILDER FÜR MOTIVIERTES REITEN
(Foto: Weißelstein)
„Der Mensch, das Augenwesen, braucht das Bild."
- Leonardo da Vinci -
Stellen Sie sich das einmal vor:
Über Ihnen der strahlend blaue Himmel. Ein laues Lüftchen umspielt Ihre Nase. Die Vögel zwitschern. Sie atmen ein, Sie atmen aus, Sie atmen einfach tief durch. Sie fühlen das gleichmäßige Schwingen Ihres Pferdes, ganz nah verbunden mit jeder einzelnen Faser Ihres Körpers. Gleichmäßig im Takt der Bewegung richten Sie sich in Ihrer ganzen Größe auf, und Sie sind eins mit dem Ausdruck Ihres Pferdes. Eine leichte innere Drehung, und Ihr Pferd bewegt sich mit Ihnen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Nichts kann Sie jetzt aus der Ruhe bringen. Sie haben nur ein Ziel: eine gemeinsame, harmonisch fließende Bewegung. Sie folgen einfach nur Ihrem inneren Impuls und das Pferd folgt Ihren Impulsen. Kleine Störungen nehmen Sie wahr; Sie registrieren, was passiert, aber Sie bewerten es nicht. Sie ändern, was Sie jetzt ändern können, und lassen sich Zeit für einen passenden Einfall, wenn der richtige Moment da ist, die nächsten erforderlichen Schritte zu tun. Es ist, als folgten Sie einem inneren Plan, einer inneren Ordnung. Sie sind auf dem Weg, und es fühlt sich richtig an.
Konnten Sie das Bild auf sich wirken lassen? Haben Sie im Moment des Lesens vielleicht einen Atemzug mehr bei sich bemerkt? Ein wenig innere Aufrichtung? Konnten Sie einen Hauch von diesem Reitgefühl erahnen? Wenn wir nun weitere solche Bilder „malten", würden Sie möglicherweise direkt Lust verspüren, sich umgehend aufs Pferd zu setzen? Das angenehme Bild, das eine herrliche Vorstellung in einem weckt, ist motivierend und setzt etwas im Innersten in Gang. Die ganze Werbebranche lebt von der Lust, die Bilder machen können. Auch Sportwissenschaftler und Trainer unterstützen Sportler durch die motivierende Kraft der inneren Bilder. Mentaltraining ist heute ein wichtiges Trainingselement, sogar im Spitzensport.
Dennoch scheint es nach wie vor in unserer Gesellschaft insgesamt anerkannter zu sein, wenn wir hauptsächlich unseren analytischen Verstand einschalten, für den vorrangig unsere linke Gehirnhälfte zuständig ist. Der visuell veranlagte Teil unseres Gehirns, der sich eher in der rechten Gehirnhälfte befindet und komplexe Zusammenhänge und ganzheitliche Bilder erfasst und gegebenenfalls auch sendet, ist daher bei vielen Menschen weniger trainiert. Und so passiert es, dass Mensch und Pferd beim Reiten des Öfteren nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Denn Pferde denken nicht analytisch, sondern sie sprechen als Fluchttiere eher auf bildliche Reize an. Das erlaubt es ihnen, Situationen in kürzester Zeit einzuschätzen und wenn nötig blitzschnell zu handeln. Es lohnt sich also, wenn Sie Ihr eigenes bildliches Denken und Ihre Wahrnehmung schulen. Damit bauen Sie quasi eine Kommunikationsbrücke zu Ihrem Pferd und sind in der Lage es da abzuholen, wo es sich auskennt. Ihr persönliches Denken und Fühlen, Ihre innere Vorstellungskraft (die sogenannte Imagination) sowie formgebende äußere Bilder, um die es späternoch gehen wird, können ein harmonischeres Zusammenspiel mit Ihrem Pferd optimal fördern.
Bevor Sie den nächsten Abschnitt lesen, schlage ich vor, dass Sie sich noch einmal unser angenehmes Szenario vom Beginn dieses Kapitels innerlich vor Augen rufen, denn das menschliche Gehirn kommt durch Vergleichen in Bewegung.
Von Lust und Frust – was Pferde und Reiter bewegt
Heide und Kira haben mir erlaubt, aus ihrem Reiter-Innenleben zu berichten: beispielhafte Eindrücke davon, aus welcher Perspektive Reiten oft wahrgenommen wird. Hohe Erwartungshaltungen lassen Reiter gerade beim Versuch, alles richtig zu machen, so manches Mal unter Druck