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Patchwork-Kids
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Patchwork-Kids

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About this ebook

"Von 18 Schülern leben sieben mit ihren beiden Eltern zusammen." Ein "Schnappschuss" aus einer Schulklasse. Es stimmt: Ein Kulturwandel findet statt. Andererseits zeigen Studien, dass heutige Jugendliche eine ungebrochene Sehnsucht nach der "heilen Familie" haben. Ulrich Giesekus schreibt zusammen mit Rebecca Geil und Anna Birgit Haigis fachkundig über ein sensibles Thema. Die Autoren machen Mut zu kreativen Formen des Umgangs mit alternativen Familien. Ihr Ziel: diese Familien neu entdecken als Ort der Liebe Gottes und Auftrag der Gemeinde.
LanguageDeutsch
PublisherSCM Hänssler
Release dateNov 21, 2012
ISBN9783775171366
Patchwork-Kids
Author

Ulrich Giesekus

Dr. Ulrich Giesekus, Jahrgang 1957, lehrt Psychologie an der Internationalen Hochschule Liebenzell. Er leitet eine psychotherapeutische Praxis in Freudenstadt (Schwarzwald). Nach 10 Jahren Studium und Praxis in den USA, ist er seit 1988 als Seminarleiter und Referent im deutschsprachigen Raum tätig. Sowohl als Buchautor wie als Referent ist Giesekus bekannt dafür, psychologisch und theologisch fundiertes Wissen gut verständlich, interessant und zuweilen auch sehr unterhaltsam zu vermitteln.

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    Book preview

    Patchwork-Kids - Ulrich Giesekus

    Imagelogo

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    ISBN 978-3-7751-7136-6 (E-Book)

    ISBN 978-3-7751-5378-2 (lieferbare Buchausgabe)

    Datenkonvertierung E-Book:

    CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

    © der deutschen Ausgabe 2012

    SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen

    Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: info@scm-haenssler.de

    Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

    Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Witten.

    Weiter wurden verwendet:

    Neue evangelistische Übersetzung, bibel.heute, © 2010 Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg (NEÜ).

    Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006

    SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

    Umschlaggestaltung: Kathrin Retter, Weil im Schönbuch

    Titelbild: shutterstock.com

    Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

    Inhalt

    [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

    Vorwort

    Willkommen zu unserem Patchwork-Buch! Denn das ist es in mehrfacher Hinsicht – im Blick auf den Inhalt, aber auch auf uns als Autorinnen und Autor, nicht zuletzt auf unsere eigenen Lebenshintergründe. Wir kommen aus ganz unterschiedlichen beruflichen Aufgabenbereichen und persönlichen Lebenszusammenhängen. Wir tragen unsere ganz eigenen »Flicken« zu diesem »Flickenteppich« bei. Und wie bei jedem zusammengesetzten Werk sind die Nähte sichtbar. Was Sie in den Händen halten, ist kein homogenes Stück aus einem Guss, sondern bunt und vielfältig zusammengesetzt aus Wissenschaft, Praxis und Selbsterfahrung.

    Wir, die beiden Autorinnen und der Autor leben selbst in alternativen Familienstrukturen: Anna Birgit Haigis als alleinerziehende Mutter, Rebecca Geil als Adoptivkind in einer durch Scheidung und Wiederheirat gekennzeichneten Elternehe und Ulrich Giesekus als Vater von zwei leiblichen und zwei adoptierten Kindern.

    Alle haben sich auch beruflich mit der Theorie und Praxis von alternativen Familien beschäftigt: Anna Birgit Haigis als Erzieherin mit jahrelanger Erfahrung in der Durchführung von Trennungs- und Scheidungsgruppen in der Jugendhilfe; die Gemeindepädagogin Rebecca Geil hat dieses Thema in ihrer Bachelorarbeit aufgegriffen; Ulrich Giesekus ist Paar- und Familientherapeut und u. a. seit Jahren in der Begleitung von Pflege- und Adoptiveltern tätig.

    Was wir wollen: Anregung und Hilfestellung bieten für alle, die mit Kindern aus den »neuen« Familien zu tun haben; Mut machen zu einem kreativen Umgang mit den Herausforderungen, vor denen Patchwork-Familien stehen. Und dabei hoffentlich einen Beitrag zu der Erfahrung leisten, dass Familie – jede Familie – ein Ort ist, dem Gott seine Liebe schenkt und seinen Segen spendet.

    Freudenstadt, im Januar 2012

    [ Zum Inhaltsverzeichnis ]

    1. Patchwork-Familien – Probleme und Chancen Ulrich Giesekus

    1.1 Familien heute

    Ein Mann und eine Frau heiraten, bekommen danach Kinder und bleiben bis zum Lebensende zusammen? Klar, das gibt’s auch noch, wird aber Jahr für Jahr seltener. Alleinerziehende, unverheiratete Elternpaare, Eltern mit neuen Partnern und Fortsetzungsfamilien sind für immer mehr Kinder der ganz normale Alltag.

    Normal ist zum Beispiel: Die 13-jährige Jana wohnt meistens bei der Mutter, zusammen mit zwei kleineren Halbgeschwistern aus deren zweiter Ehe, verbringt Wochenenden oft bei ihrem Vater, der mit seiner Freundin und einem Kind aus ihrer vorherigen Partnerschaft zusammenlebt.

    Oder Markus: Er hat seinen leiblichen Vater nie kennengelernt; nach der zweiten Scheidung seiner Mutter besteht ein ausgezeichnetes Verhältnis zu ihrem zweiten Ex-Mann, der ihn finanziell unterstützt und auf gemeinsame Urlaube zusammen mit gelegentlich wechselnden Bekanntschaften einlädt.

    Simones Mutter gehört zu dem Drittel derer, die nie verheiratet waren. Simone: »Von 18 Schülern, mit denen ich zusammen Reli-Unterricht habe, leben sieben mit ihren beiden Eltern zusammen – haben wir neulich mal durchgezählt.« Und von diesen sieben sind sicher nicht alle in ihrer ersten Ehe standesamtlich vermählt.

    Diese alternativen Familien sind also zum Teil durch Trennung und Scheidung aus traditionellen Kernfamilien entstanden, teilweise durch neue Partnerschaften und darin geborene Kinder zu Fortsetzungsfamilien geworden oder waren teilweise von vornherein als Alleinerziehenden-Familie geplant. Manche unterscheiden sich von der traditionellen Kernfamilie nur durch das Fehlen eines Trauscheins, andere gehen einher mit häufig wechselnden Partnerschaften bei einem Elternteil. Adoption und Pflegekinder führen zu Fortsetzungsfamilien (evtl. »auf Zeit«), und auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften können Kinder aufziehen – die oft aus früheren Ehen stammen, manchmal auch durch künstliche Befruchtung, Adoption oder durch Pflegeverhältnisse hinzukommen. In Deutschland ist die gemeinsame Adoption eines fremden Kindes bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht zulässig; eine Stiefkindadoption durch den gleichgeschlechtlichen Lebenspartner (mit eingeschränktem Sorgerecht) dagegen schon.

    Der Begriff »Patchwork-Familie« bezeichnet streng genommen nur Fortsetzungsfamilien, bei denen das Paar zusätzlich zu den Kindern aus früheren Beziehungen ein gemeinsames Kind bekommt. Allerdings benutzen wir in diesem Buch den Begriff nicht streng nach dieser Definition, sondern meinen damit alle Familien, die aus unterschiedlichen Kernfamilien zusammengesetzt sind. Der Begriff »Patchwork« im Kontext von »Familie« ist im englischen Sprachraum nicht gebräuchlich; es handelt sich um eine deutsche Neuschöpfung, die ans Englische angelehnt ist (wie z.B. die Worte »Handy« oder »Beamer«, die es im Englischen ebenfalls nicht gibt). Aber englisch sprechende Menschen wissen, was »Patchwork« eigentlich bedeutet – und wer würde schon seine Familie als »Flickwerk«, »Stückwerk« oder »Flickenteppich« bezeichnen wollen? Der deutsche Begriff »Stieffamilie« ist emotional allerdings auch nicht positiver belegt und bezieht sich ursprünglich auf den Verlust eines Elternteils (abstiefen = verwaisen).

    Die meisten Kinder im Schulalter leben nicht in einer traditionellen Familie

    Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden veröffentlicht regelmäßig Zahlen und Fakten über die Lebensbedingungen der Menschen in Deutschland. Hier ein paar Auszüge aus den Meldungen der letzten Jahre:

    »Während die Geburtenzahl insgesamt zurückgeht, steigt die Anzahl der Kinder an, deren Eltern zum Zeitpunkt ihrer Geburt nicht miteinander verheiratet waren. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, wurden 2006 knapp 202000 Kinder außerhalb einer Ehe geboren, das waren 30 Prozent aller geborenen Kinder. 1998, (…) waren es 157000 (20 Prozent) und 1993 118000 Kinder (15 Prozent).«

    Zu dem knappen Drittel aller Kinder, die gar nicht erst in einer Ehe geboren werden, kommen natürlich diejenigen hinzu, bei denen die Ehe der Eltern nicht aufrecht erhalten wird. So »haben 2006 in den neuen Ländern alternative Familienformen einen Anteil von 42 Prozent an den Familien insgesamt erreicht. Zu den alternativen Familienformen zählen Alleinerziehende und Lebensgemeinschaften mit Kindern. Im früheren Bundesgebiet lag deren Anteil nur bei 22 Prozent, bundesweit betrug er 26 Prozent.«

    Da bei den jüngeren Familien (also denen mit schulpflichtigen Kindern) der Anteil alternativer Familienformen deutlich höher liegt als im Bundesdurchschnitt, sind es seit 1994 – deklariert als das »Jahr der Familie« – mehr als die Hälfte der schulpflichtigen Kinder, die nicht in einer traditionellen Familie aufwachsen. Natürlich gibt es große regionale Unterschiede, je nachdem, ob man auf dem Land oder in der Großstadt lebt, in Brandenburg oder im Schwarzwald:

    »Nach Ländern betrachtet, machten alternative Familienformen 2006 fast die Hälfte (47 Prozent) aller 330000 Berliner Familien aus. Den niedrigsten Anteil verzeichnete Baden-Württemberg. Dort gehörte von den 1,2 Millionen Familien nur jede fünfte (20 Prozent) zu diesen Formen.«

    Allerdings verschwinden diese regionalen Unterschiede rapide. Westdeutschland holt zügig auf. So »werden alternative Familienformen immer populärer – besonders in Westdeutschland. Die Zahl der alternativen Familienformen mit Kindern unter 18 Jahren stieg im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) gegenüber April 1996 um 37 Prozent auf rund 1,6 Millionen im März 2004, in den neuen Ländern und Berlin um 13 Prozent auf 699000 im März 2004. Damit war der Zuwachs alternativer Familien mit minderjährigen Kindern in Westdeutschland fast dreimal so hoch wie in Ostdeutschland.«

    Rückläufig war dagegen in beiden Teilen Deutschlands die Zahl traditioneller Familien (Ehepaare) mit minderjährigen Kindern:

    »Sie ging im früheren Bundesgebiet seit 1996 um 6 Prozent auf rund 5,7 Millionen im Jahr 2004 zurück, in den neuen Ländern um 36 Prozent auf rund 1,0 Millionen im Jahr 2004. Dies bedeutet, dass der Rückgang traditioneller Familien mit minderjährigen Kindern in Ostdeutschland sechsmal so hoch war wie in Westdeutschland.«

    Mit anderen Worten: Während die alternativen Familienformen seit Jahren kräftig zunehmen, wird die traditionelle Familie zunehmend seltener. Insgesamt nimmt die Zahl der familiären Haushalte ab, die der Ein- und Zweipersonen-Haushalte nimmt zu. Dieser Trend lässt sich auch für die Zukunft voraussagen, sodass der Prozentsatz dieser Kleinhaushalte von jetzt ca. 70 Prozent bis zum Jahr 2025 vermutlich knapp 80 Prozent aller Haushalte ausmachen wird. Der Anteil der Fünf-oder-mehr-Personen-Haushalte wird dagegen von ca. 5 Prozent auf etwa 3 Prozent sinken.

    Die Entwicklung in den anderen mitteleuropäischen Ländern sieht teilweise auf den ersten Blick sehr unterschiedlich aus. So liegt z.B. die Rate der außerehelich geborenen Kinder in Schweden bei 55 Prozent, in Griechenland dagegen bei 5 Prozent – aber die Veränderungen gehen bei allen in die gleiche Richtung. Ähnlich sieht es bei den Scheidungen aus: In den Spitzenreiter-Ländern Litauen, Lettland und der Tschechischen Republik gibt es pro 1000 Einwohnern gut dreimal so viele Scheidungen wie in Irland, Italien oder Griechenland – aber auch hier verkleinern sich die Unterschiede stetig. In Deutschland liegt das Verhältnis von Ehen zu Scheidungen im europäischen Mittelfeld: Auf zwei Eheschließungen kommt eine Scheidung.¹

    Es wird also höchste Zeit zu verstehen, dass wir uns in einem Kulturwandel befinden, in dem die traditionelle Familie zwar nicht zu einem Auslaufmodell, aber zu einer von vielen Familienformen wird.

    Ungebrochene Sehnsucht nach der »heilen Familie«

    Wer nun meint, dass sich die Vorstellungen von der »heilen Familie« dadurch wesentlich geändert hätten, wird durch eine Reihe von Studien eines Besseren belehrt. Zumindest bei Teenagern ist die Wunschvorstellung für das eigene Leben im Großen und Ganzen unverändert, seit in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts untersucht wird, wie sich Jugendliche Liebe und Familie vorstellen. Auch die 16. Shell-Jugendstudie², in der über 2600 Jugendliche von 15 bis 24 befragt wurden, fasst zusammen:

    »Die Bedeutung der Familie für Jugendliche ist ein weiteres Mal angestiegen. Mehr als drei Viertel der Jugendlichen (76 Prozent) stellen für sich fest, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können. Das bezieht sich nicht nur auf die Gründung einer eigenen Familie, sondern auch auf die Herkunftsfamilie. Diese bietet gerade in Zeiten gestiegener Anforderungen in Schule, Ausbildung und den ersten Berufsjahren Rückhalt und emotionale Unterstützung. Mehr als 90 Prozent der Jugendlichen haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Auch mit deren Erziehungsmethoden sind die meisten einverstanden. Fast drei Viertel aller Jugendlichen würden ihre eigenen Kinder so erziehen, wie sie selber erzogen wurden. Deshalb ist es nur verständlich, dass auch das ›Hotel Mama‹ weiterhin gefragt ist: Fast drei Viertel aller Jugendlichen wohnen noch bei ihren Eltern – insbesondere weil es kostengünstig und bequem ist. Wieder zugenommen hat der Wunsch nach eigenen Kindern. 69 Prozent der Jugendlichen wünschen sich Nachwuchs. Erneut äußern junge Frauen (73 Prozent) diesen Wunsch häufiger als junge Männer (65 Prozent).«

    Das Leibniz-Institut kommt ebenso zu ähnlichen Ergebnissen³ für junge Erwachsene zwischen 18 und 30: Die Aussage »Man braucht Familie zum Glück« bejahen in dieser Gruppe 79 Prozent der Befragten – das ist der höchste Prozentanteil aller Altersgruppen überhaupt. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss:

    »Die Trendbetrachtung in den alten Bundesländern zeigt sogar, dass gerade bei jungen Erwachsenen bis 30 Jahre seit den 1980er-Jahren der Stellenwert der Familie gestiegen ist. Während 1984 noch weniger als die Hälfte in dieser Altersgruppe glaubte, dass man eine Familie zum Glück braucht, vertreten im Jahr 2010 mehr als drei Viertel diese Ansicht.«

    Mit anderen Worten: Nie war sie so wichtig wie heute – die Familie. Aber wohl auch noch nie so schwierig. Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit bewirkt bei Jugendlichen unterschiedliche Reaktionen – von Resignation (»Wird eh nicht so klappen«) bis zu hoher Motivation: »Für alles braucht man einen Führerschein – nur nicht für Ehe und Familie. Eigentlich müsste man da ja eine Ausbildung machen, denn wo soll ich es denn sonst lernen?« Die hohe Motivation, es »besser zu machen«, führt unter anderem dazu, dass kirchliche Angebote zur Ehevorbereitung sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Es ist auch nicht mehr peinlich, den Freunden zu erzählen: »Wir machen ein Seminar für Verliebte und Verlobte.«

    Kann mir mal einer sagen, wo ich hin will?

    Kulturelle Normen definieren heute nicht mehr, wie Männer-Frauen-Vater-Mutter-Ehemann-Ehefrau-Rollen gelebt werden sollen. Meine Großmutter hieß nicht nur Emma – wie Alice Schwarzers feministisches Frauenmagazin –, sondern war tatsächlich für ihre Generation eine ziemlich selbstbewusste Frau. Gleichwohl wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, auch nur einen Moment darüber zu sinnieren, mit welchem Beruf sie die Familie durchbringt oder ob der Opa nicht lieber Elternzeit nehmen sollte. Auch für meine Eltern war die Sache von vornherein ziemlich klar: Mutter machte eine Ausbildung in Hauswirtschaft, Vater studierte. In meiner Generation – nach 1968 – ist dagegen gar nichts mehr klar, und ich für meinen Teil bin froh darüber.

    Trotzdem waren die typischen und sehr unterschiedlich bezahlten »Frauenberufe« und »Männerberufe« auch bei uns noch die Norm, und so sind die meisten meiner Altersgenossen im Trend der vorherigen Generationen zu Familienfrauen und Karrieremännern geworden. In der Generation meiner Kinder – in den 80er-Jahren geboren – ist dagegen weitgehend klar, dass Beruf und Familie für beide Partner vereinbar sein müssen. Es ist erwünscht und wird erwartet, dass Männer und Frauen einen einträglichen Beruf erlernen und sich weiterbilden. In der Bildung sind die Frauen den Männern inzwischen sogar deutlich voraus. Junge Väter nehmen zunehmend häufiger Erziehungszeit (2007 war es etwa jeder sechste⁵), und für viele Frauen ist klar, dass die Kinder erst nach der Ausbildung und nicht anstelle der Karriere kommen. Etwa 70 Prozent der Frauen mit Kindern unter 18 sind erwerbstätig.

    Damit sind die familiären Normen und Vorbilder aus früheren Generationen weitgehend unbedeutend geworden. Aber während viele sich ihrer neuen Freiheiten von Herzen freuen und sie auch zu nutzen wissen, gibt es eben auch eine stetig steigende Anzahl von Familien, die zwei Karrieren, Kinder und Haushalt nicht lässig locker bewältigen. Reduzieren beide ihren Beruf auf 80 Prozent, oder macht einer 100 und der andere 50 Prozent? Wenn letztere Lösung: Wer macht was? Auch im alltäglichen Klein-Klein sind ständig schwierige Entscheidungen zu treffen: Wer geht zum Elternabend in die Schule und sagt eine wichtige Sitzung ab?

    Die Freiheit hat also einen Preis: Niemand sagt uns, was wir tun sollen oder müssen – aber wir haben noch nicht so richtig gelernt, zu wissen, was wir wollen. Und so wollen wir am liebsten immer alles. Die Frage, welche Prioritäten wir setzen und wo wir Kompromisse machen, ist aber ungeheuer schwierig. Es geht ja nicht um Leberwurst oder Käse auf dem Brot, sondern um so wichtige Werte wie Liebe, Zugehörigkeit, Treue und gute Erziehung auf der einen Seite – und auf der anderen Seite um die eigene Lebensvision, Berufung, Persönlichkeitsentfaltung und Lebensfreude. Wie bei allen echten Werten besteht das eigentlich Wertvolle in einem Abwägen der Gegensätze. Der Mittelweg verhindert wohl am ehesten eine unmündige Opfermentalität und märtyrerhafte Selbstaufgabe auf der einen und eine egoistische Selbstverwirklichungspolitik auf der anderen Seite.

    Wir wählen unseren sozialen Rahmen selbst

    Viele Erwachsenen sehen in der Ehe heute offensichtlich gar keinen Vorteil mehr – wenn bei uns jedes dritte Kind unehelich geboren wird (und in Schweden nur noch jedes dritte ehelich), ist das traditionelle Arrangement der stabilen Elternbeziehung wohl nicht das Lösungsmodell schlechthin. Gleichwohl bedeutet »alleinerziehend« für viele der Betroffenen eine echte Notlösung. Im wahrsten Sinne des Wortes: Fast 25 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland müssen als »armutsgefährdet« gelten. Das heißt, sie haben weniger als 60 Prozent des normalen Minimalbedarfs einer Familie in ihrer Größe. Immerhin 74 Prozent aller Alleinerziehenden haben keinerlei finanzielle Rücklagen und könnten einen außergewöhnlichen Bedarf von 800 € nicht ohne Fremdfinanzierung aufbringen. Mit anderen Worten: Wenn die Waschmaschine den Geist aufgibt, gibt’s nichts zu Weihnachten. Ein einwöchiger Jahresurlaub ist nicht drin. Der Mikrozensus 2009 zeigt: Fast 50 Prozent der alleinerziehenden Mütter hat monatlich für die Familie weniger als 1 300 Euro zu Verfügung; bei alleinerziehenden Vätern gehören etwa halb so viele in diese Gruppe und bei verheirateten Eltern verschwindend wenige.

    Wenn die traditionelle Ehe für viele scheinbar nicht mehr funktioniert und Alleinerziehen für die meisten ein echtes Notprogramm darstellt, liegt die Lösung

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