Chemie im Theater. Killerblumen: Ein Lesedrama
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In der pointierten Realsatire auf die Welt der Wissenschaft erzählt Djerassi die Geschichte des jungen Wissenschaftlers Jerzy Krzyz. Dieser ist Spezialist im Fachgebiet Champagner-Blaseologie und versucht mit allen Mitteln, im Wissenschaftsbetrieb Fuß zu fassen, bis er eines Tages eine, wie er glaubt, sensationelle Entdeckung macht.
Mit einem aufschlussreichen Vorwort über die Bedeutung des Lesedramas.
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Book preview
Chemie im Theater. Killerblumen - Carl Djerassi
Titel
Carl Djerassi
Chemie im Theater.
Killerblumen
Ein Lesedrama
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
Vorwort
Lassen Sie mich mit zwei Fragen beginnen: Warum gibt es so wenige Theaterstücke, in denen es um die Welt der Chemie geht? Und ist das wichtig? Mein Ja auf die zweite Frage ist der Grund, weshalb ich diese Einleitung zu Theaterstücken schreibe, in denen Chemiker Schlüsselrollen als Chemiker spielen und nicht als die sprichwörtlichen Fachidioten oder Frankensteins. Sogar das Terrain ist, was Ort und Thematik betrifft, chemischer Natur.
Zunächst ist jedoch eine Definition angebracht. Ganz allgemein gilt: Ein Drama ist eine Form der Literatur, die von einem Dramatiker verfasst wurde, üblicherweise aus vorgegebenen Dialogen zwischen Personen besteht und dazu bestimmt ist, im Theater aufgeführt statt nur gelesen zu werden. Nachdem ich in den letzten fünfzehn Jahren neun Theaterstücke geschrieben habe, die insgesamt in fast zwanzig Sprachen übersetzt wurden, darf ich mich mit Fug und Recht als Bühnenautor bezeichnen. Doch als ich, der früher in der Forschung tätige Chemiker und Pädagoge, mich mit dieser literarischen Gattung näher zu beschäftigen begann, gelangte ich allmählich zu dem Schluss, dass für bestimmte Dramen und Dramatiker – insbesondere für die, die sich mit Naturwissenschaft befassen – der letzte Teil der obigen Definition gelegentlich umgekehrt werden muss: dazu bestimmt, gelesen statt nur im Theater aufgeführt zu werden.
Dramen für Leser statt nur für Zuschauer
Ich weiß, dass, wenn überhaupt, nur wenige moderne Bühnenautoren meinen Rückschluss „Dramen für Leser statt nur für Zuschauer" teilen werden, da dieses Thema praktisch nie angesprochen wird. Wie unten näher ausgeführt, hält mich das nicht davon ab, meinen Standpunkt vehement darzulegen und zu verteidigen. Dabei sollte man bedenken, dass dies bei klassischen Dramen, etwa von Dramatikern wie Aristophanes, Shakespeare, Molière, Schiller und ähnlichen, heute der tatsächliche Stand der Dinge ist, obwohl das von diesen Dramatikern selbst nicht so beabsichtigt war. (George Bernard Shaw scheint eine seltene Ausnahme zu sein.) Dafür gibt es zweierlei Gründe. Erstens: Die überwiegende Zahl der Bühnenstücke – ob klassisch oder modern, berühmt oder kaum bekannt, bedeutend oder trivial – wird nur selten aufgeführt. Wer sich dafür interessiert, dem bleibt nichts anderes übrig, als das betreffende Stück in Buchform zu lesen. Zweitens: Viele dieser Dramen, insbesondere die klassischer Autoren wie den oben angeführten, sind ein fester Bestandteil des literarischen Kanons und gehören an Schulen zur Pflichtlektüre. Ich möchte daher das Argument vorbringen, dass die Erfahrung festzustellen, dass das eigene Theaterstück zuerst in Buchform gelesen wird, statt es nur gelegentlich auf der Bühne zu sehen, zumindest einigen modernen Dramatikern als Ansporn dienen sollte, bestimmte Dramen zu schreiben, allen voran Stücke, die sich mit Naturwissenschaft beschäftigen.
Zwei gelehrte Monographien¹, die die jüngste „Explosion naturwissenschaftlicher Themen im Theater behandeln, bestätigen mich unbeabsichtigterweise in meiner Meinung. Eine „Explosion
wird definiert als ein „jäher Ausbruch, eine plötzliche Steigerung der Aktivität, ein rapider Anstieg oder Zuwachs; doch diese Definition verrät nicht, ob die Wirkung einer „Explosion
langanhaltend oder kurzlebig ist – daher die Verwendung von Anführungszeichen.
Als Beweis für eine solche Explosion listete Shepherd-Barr ² 2006 insgesamt 62 Bühnenstücke und Musicals mit naturwissenschaftlichem Bezug auf, die seit der Uraufführung von Michael Frayns Riesenerfolg Kopenhagen im Jahr 1998 erschienen sind – dem, nach allgemeiner Auffassung, Beginn dieser Explosion. Das scheint eine beeindruckende Zahl zu sein, bis der skeptische Leser entdeckt, dass fast die Hälfte dieser neuen Naturwissenschafts-Dramen weder aufgeführt noch veröffentlicht wurde und dass es sich bei den übrigen größtenteils um Workshop-Lesungen oder einzelne Inszenierungen an unbedeutenden Schauplätzen handelt, von denen es wenig oder gar kein Archivmaterial gibt. Wie ich in meiner Rezension³ dieses Buches unterstrich, muss man
„bei einer solchen ‚Das-Glas-ist-halb-voll-und-wird-schnell-voller‘-Prognose für Dramen mit naturwissenschaftlichem Inhalt feststellen, dass dies, wenn man sich schlicht auf die Zahl der Dramen mit einem Anflug Naturwissenschaft in Titel oder Text konzentriert, die in den letzten zehn Jahren geschrieben wurden, ohne ihre Aufführungsgeschichte zu berücksichtigen, nichts anderes ist, als die Zahl der unveröffentlichten naturwissenschaftlichen Buchmanuskripte zu zählen, die während der gleichen Zeitspanne geschrieben worden sein könnten, aber außer von den Freunden des Autors von keinem gelesen wurden. Letztendlich ist ein Buch erst dann ein Buch, nachdem es veröffentlicht wurde, und ein Drama erst dann ein Drama, nachdem es aufgeführt oder einem breiten Publikum anderweitig zugänglich gemacht wurde."
Glücklicherweise konzentriert sich Zeheleins Monographie⁴ ausschließlich auf Dramen mit naturwissenschaftlichem Inhalt, die in mindestens einem professionellen Theater aufgeführt wurden, doch selbst von diesen wurden mehrere bis heute nicht veröffentlicht, sodass sie allen außer den wenigen Besuchern, die bei diesen Vorstellungen anwesend waren, verschlossen bleiben. Noch vertrackter ist die Situation, wenn man die zu Anfang zitierte Definition eines Dramas betrachtet: dazu bestimmt, im Theater aufgeführt statt nur gelesen zu werden.
Die von Simon McBurney gegründete British Complicite Theatre Company ist ein sagenhaft erfolgreiches und originelles Ensemble, das sich durch außergewöhnliche schauspielerische und dramaturgische Leistungen auszeichnet, die von anderen Gruppen faktisch nicht zu erreichen sind. Selbst die Texte ihrer Stücke sind Gemeinschaftsarbeiten und teilweise zur Veröffentlichung ungeeignet, darunter zwei, die sich mit Naturwissenschaft befassen: Mnemonics⁵ und A Disappearing Number⁶. Letzteres ist ein atemberaubendes Drama, das sich mit der berühmten mathematischen Kooperation zwischen Srinivasa Ramanujan und G. H. Hardy und deren letztendlicher Verbindung mit der Stringtheorie beschäftigt. Es wurde von den auftretenden Schauspielern und dem Ensemble gemeinsam entwickelt und geschrieben und auf eine Art und Weise inszeniert, die schlichtweg nicht wiederholbar ist und somit das anschaulichste Beispiel eines Dramas bietet, das dazu bestimmt ist, im Theater aufgeführt statt nur gelesen zu werden. Selbst der veröffentlichte Text⁷ liefert dem Leser, der das Pech hatte, keine dieser Aufführungen zu sehen, nur eine leise Ahnung dessen, was auf der Bühne so unnachahmlich gezeigt wurde. Tatsächlich beginnt das Buch mit dem folgenden Hinweis:
„A Disappearing Number ist ein Drama, dessen Fluidität und die Verwendung von Videoaufzeichnungen, Bewegung, Musik und Tongestaltung in Verbindung mit Text es weitgehend resistent machen gegenüber Versuchen, es in herkömmlicher Textbuch-Form einzufangen und festzuhalten."
Worauf will ich also hinaus? Bestimmte Theaterstücke – und insbesondere die meisten Naturwissenschafts-Dramen der jüngsten Zeit – besitzen eine didaktische Komponente, auch wenn sich viele Theaterfachleute weigern, es zuzugeben. Diese Dramen zielen darauf ab, mittels des einzigartigen – bisher in den Naturwissenschaften nur selten genutzten – Mediums des Theaters zu veranschaulichen, worum es in den Naturwissenschaften bzw. den Naturwissenschaftlern geht. Insofern haben es die besten Dramen (bezüglich Bedeutung und Originalität statt nur Qualität) verdient, für ein breites Publikum zugänglich zu sein, das nicht unbedingt ein Theaterpublikum sein muss, und zwar auf Jahre und Jahrzehnte hinaus, statt nur für einige Tage oder Wochen auf der Bühne.