Der Friedhofsänger 2: Der Keller: Horror-Mystery-Reihe
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BAND 2 DER KELLER: Anna und Paul Rieth tragen ein schweres Schicksal. Ihre neugeborene Tochter Lisa ist im Kindbett verstorben. Anna drohte daran zu zerbrechen und wollte sich sogar das Leben nehmen. Nach scheinbar erfolgreicher Therapie versuchen die beiden in dem niederrheinischen Kevelaer ein neues Leben zu beginnen. Sie kaufen das Haus der alleinstehenden, reizenden Witwe Gertrud Kamps. Doch die erhoffte Ruhe will sich nicht einstellen.
Unheimliche Dinge geschehen, die das junge Paar an den Rand des Wahnsinns treiben. Anna glaubt, dass ihre tote Tochter aus dem Jenseits mit ihr Kontakt aufnehmen will und sich in Gefahr befindet. Paul glaubt das natürlich nicht und befürchtet, dass seine Frau den Verstand verliert und nun vollends an dem Verlust ihrer Tochter zugrundegeht.
Doch in dem Haus geht wirklich etwas um; ein Dämon, der ein grausames Spiel treibt und Blut sehen will. Gertruds Blut. Denn so harmlos die alte Dame auch scheinen mag, ist sie nicht …
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Der Friedhofsänger 2 - Daniel Stenmans
zu.
1
Gertrud Kamps stand im Wohnzimmer ihres zwar schon recht alten, aber doch immer noch sehr schmucken Hauses und starrte leeren Blickes auf eine Wollmaus, die sachte über den Boden segelte. Gertruds Augen verfolgten zwar ihren sanften Flug übers Parkett, sahen jedoch … etwas anderes. In ihren Gedanken befand sie sich in dem Wohnzimmer des kleinen Hauses auf Keylar, doch nicht im Jetzt. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit etwas, das hier in diesem Wohnzimmer stattgefunden hatte, was aber schon etliche Jahre zurücklag.
Fast 45 Jahre zurück…
Gertruds Blick wanderte zu der Couch. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich dort sitzen. Ihr Haar war bei weitem nicht so grau wie jetzt, sondern besaß diese kaum zu definierende Farbmischung aus braun und blond. Gertrud selbst nannte ihre damalige Haarfarbe immer Straßenköterblond. Sie saß auf jener Couch, die sie jetzt voller Wehmut, Schmerz und Trauer betrachtete und hielt ein kleines Baby in den Armen. Ihre Bluse war aufgeknöpft und die linke Brust hatte sie aus dem Körbchen ihres BHs hervorgeholt. Das Baby saugte an ihrer Brustwarze und sah zufrieden aus. Meistens hielt es die Augen geschlossen. Manchmal jedoch zwinkerte es zwischen den zuckenden, kleinen Lidern hervor und blickte Gertrud mit strahlend blauen Augen an; Augen, die es von Georg, seinem Vater, hatte, dessen Augen ebenso blau strahlten.
Zumindest dann, wenn es ihm gut ging.
Doch mittlerweile ging es Georg nur selten gut.
„Hast du Hunger, Schätzchen, ja? Ja… Komm her, Baby. Meine kleine Lisa… Das ist gut, was? Du hast aber einen Hunger…"
Lisa lächelte, als hatte sie genau verstanden, was ihre Mama zu ihr gesagt hatte. Glucksende Geräusche drangen aus ihrer Kehle. Gertrud lächelte zurück und streichelte ihrem Baby sanft übers Köpfchen. Sie spürte einen Kloß im Hals. Sie hatte das warme Gefühl, vor Glück weinen zu müssen. Doch dieser Moment des Glücks war nicht von langer Dauer.
Hinter ihr wurde die Tür zum Flur aufgerissen. Gertrud drehte den Kopf und sah ihren Mann Georg im Türrahmen stehen. Hinter ihm erkannte sie die offenstehende Tür zum Keller. Die Kellertür befand sich unter der Treppe zum Obergeschoss und verbarg eine enge, knarzende Holztreppe, die in einen dunklen, stickigen Keller hinabführte. In seinen Händen hielt Georg ein schmutzbeflecktes Tuch. Er blickte auf seine Hände, die er mit diesem Tuch reinigen wollte. Ein Versuch, der nicht sehr erfolgversprechend war. Offenbar hatte er seine Arbeit im Keller – er hatte vor, ein paar neue Leitungen zu verlegen – beendet oder legte vielleicht eine Pause ein.
„Gertrud, ich brauch unbedingt…", begann Georg. Er sah auf und verstummte. Seine Augen nahmen einen leeren Ausdruck an.
„Hallo, Liebling…, flüsterte sie. „Nicht so laut, bitte… Lisa ist gerade eingeschlafen!
Georg sagte zunächst nichts.
Schweigend machte er zwei große Schritte ins Wohnzimmer hinein, während seine rechte Hand unablässig versuchte, seine linke mit dem schmutzigen Tuch sauber zu rubbeln. Mit leerem Blick sah er auf seine Frau hinab. Seine Zähne rieben aufeinander, sodass seine Kiefermuskeln arbeiteten.
„Gertrud…, sagte er, mit einer Stimme so kalt wie Eiswasser. Erschrocken blickte sie auf. „Willst du mir verraten, was du da machst?
„Ich… Was soll ich schon machen… ich… ich geb’ unserer kleinen Lisa die Brust! Sie hat Hunger …"
Mit einer schnellen Bewegung warf Georg die Tür zum Flur plötzlich ins Schloss, dass es nur so krachte. Irgendwo fiel etwas herab und zerschellte auf dem Boden. Er fuchtelte wild mit den Armen, als wolle er einen Schwarm Mücken vertreiben und stieß einen unkontrollierten, scheinbar völlig motivationslosen Schrei aus. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich das nicht will? Wie oft? Ich will das nicht sehen! Ich will nicht, dass du das…" Er reckte ihr einen starren Finger entgegen. „… hier tust!"
Mit einer Mischung aus Angst und Unverständnis starrte Gertrud ihren Mann mit großen Augen an, der sich in seiner kompletten Größe – und er maß einen Meter und zweiundneunzig – vor ihr aufbaute und sie mit bösen Augen fixierte. Augen, in denen nun nicht mehr die geringste Spur jenes Azurblau enthalten war wie in Lisas Augen. Georgs Augen hatten das düstere Blau eines Gewitterhimmels angenommen. Und das bedeutete immer, dass er mehr war als nur wütend.
Warum konnte Gertrud nicht sagen.
Sie hatte nicht die leiseste Ahnung.
Sie spürte, dass sie zitterte. Eine nackte Angst ergriff sie, umklammerte ihre Kehle und drückte ihr die Luft ab. Sie wollte etwas sagen, etwas, dass ihn besänftigte. Doch ihre Stimme versagte.
„Georg… ich…"
„Geh in den Keller!, schrie er sie an, während ihm Speichel aus dem Mund flog und in ihrem Gesicht landete. „In die Garage, verdammt … von mir aus auch in die Küche oder ins Schlafzimmer. Du kannst dich auch auf dem Klo einschließen, was mir noch das liebste wäre. Egal wo du es machst, aber nicht hier … nicht im Wohnzimmer, nicht da, wo ich es sehen muss!
Gertrud rechnete damit, dass Georg sie nun schlagen würde. Sie hätte nicht gewusst, warum. Aber dass er es tun würde, dessen war sie sich sicher. Aber er tat es nicht. Noch nicht…
Gertrud konnte nichts sagen. Sie zitterte zu sehr, dass sich noch nicht einmal ihre Stimme kontrollieren ließ.
„Ich will es nicht!!! Er ballte die Fäuste und hielt sie ihr vors Gesicht. „Kapiert!?! Du packst hier einfach deine Titten aus und lässt dieses Ding, dieses Etwas, an ihnen herum lutschen!!! Ich will das nicht!!!
Er grunzte noch einmal wütend und wandte sich ab. Er stemmte die Fäuste in die Hüfte und anhand seines sich hebenden und senkenden Oberkörpers erkannte sie, dass er versuchte, sich zu beruhigen. Er atmete tief ein und aus.
Immer wenn er das tat, bestand zumindest die Möglichkeit, mit ihm zu reden. Also nahm Gertrud all ihren Mut zusammen und erwiderte etwas. „Was ist denn nur los mir dir, Schatz?" Sie hatte die Worte gerade ausgesprochen, als sie erkannte, dass es die falschen gewesen waren.
Weiß Gott die falschen!
Hätte sie doch einfach nur den Mund gehalten.
Georg wirbelte herum, fuchtelte erneut mit seinen Fäusten und schrie sie an, wie ein Tier, das einem anderen Tier mit seinem immensen Gebrüll imponieren wollte. Gertrud drückte Lisa enger an sich, sodass ihr Kopf unmittelbar neben ihrem Ohr lag. Gertrud hörte Lisa schreien, ein an den Nervenenden nagendes Babygeschrei. Sie registrierte es, hätte aber auch nicht mit Sicherheit sagen können, ob Lisa nicht schon die ganze Zeit geschrien hatte.
Bestimmt hatte sie das.
Georg machte einen gewaltigen Schritt auf beide zu.
„Nein… Georg!"
Gertrud übermannte die Panik.
Ihr Mann streckte die Arme aus und grub sie unter die Achseln des Babys. Mit einem Ruck, der Gertrud jegliche Möglichkeit nahm zu reagieren, entriss er ihr das Baby und hielt es in die Höhe. Lisas krebsrotes Gesicht verzog sich zu einer schreienden Grimasse, während es den Eindruck hatte, als spritzten die Tränen in alle Himmelsrichtungen wie in einem Comic.
Doch diese Szene hatte absolut nichts Lustiges zu bieten.
„Lass das Baby los! Georg … BITTE!!!"
„Du elendes kleines Etwas!!!, schrie Georg das Baby an. „Ich will, dass du wieder aus meinem Leben verschwindest.
Gertrud schaffte es aufzustehen. Sie hatte sich erst gar nicht die Mühe gemacht, ihre entblößte Brust wieder einzupacken. Sie stapfte nun mit schwankendem, nacktem Busen eilig auf Georg zu und fasste ihn am Arm. Georg reagierte mit einem kurzen, aber harten und direkten Ellbogenschlag in Gertruds Magen. Sie fuhr zusammen und würgte. Die Luft blieb ihr weg. Übelkeit erfasst sie. Beinahe hätte sie sich übergeben.
45 Jahre später zuckte Gertrud zusammen, in dem Moment, als ihr die Erinnerung an diesen Schlag erneute Schmerzen bereitete. Die Erinnerung an diesen Schlag holte sie ins Jetzt zurück.
Sie weinte.
Die Bilder ihrer Vergangenheit waren verschwunden.
Aber der Schmerz blieb.
Gertrud versuchte sich zu beruhigen. Es gelang ihr nicht. Während sie in ihrem Wohnzimmer stand und tief durchatmete, glaubte sie, nach wie vor das durchdringende Weinen ihres Babys zu hören. Es blieb als schmerzhafte Erinnerung in ihrem Kopf und trieb ihr einen Stich ins Herz wie einen Dolch, den ein erbarmungsloser Angreifer mit Wollust hin und her drehte. Die Erinnerungen an die Zeit, die sie in diesem Haus zugebracht hatte, nagten weiter an ihr. Bald schon würde sie das Haus verlassen, es neuen Besitzern überlassen. Einem jungen Pärchen aus Köln, Anna und Thomas Rieth.
Und das war gut so.
Nicht nur Gertrud hatte mit ihren Erinnerungen zu kämpfen. Zwar lagen Thomas Rieths Erinnerungen nicht ganz so weit in der Vergangenheit, aber sie waren trotzdem nicht weniger schmerzhaft.
Thomas saß hinter dem Lenkrad seines Wagens und starrte gedankenverloren auf die Straße. Seine Frau Anna saß neben ihm auf dem Beifahrersitz. Sie schlief, den Kopf an die Scheibe gelehnt und die Hände zwischen ihre Schenkel geschoben. Thomas blickte zu ihr hinüber und lächelte schwach. Es war kein freudiges Lächeln. Vielleicht war ein Funken Freude darin enthalten, der sich von dem Gedanken, ein neues Leben zu beginnen, veranlasst fühlte aufzuglühen, doch in erster Linie enthielt dieses Lächeln die Trauer über das alte Leben, das sie zurückließen.
Zurücklassen mussten.
In Köln.
Die Erinnerungen wirbelten in seinem Kopf wie in einem Kaleidoskop durcheinander. Es waren Bilder, die sich in rascher Abfolge abwechselten. Die nicht lange genug vor seinem geistigen Auge verharrten, als dass Thomas sie sich hätte in allen Einzelheiten betrachten können. Denn so rasch ein Bild aus der Versenkung seines Unterbewusstseins auftauchte, so schnell war es auch schon wieder verschwunden und wurde von einem anderen Bild abgelöst. Er hätte sich diese Bilder auch gar nicht länger anschauen brauchen, denn jede Einzelheit war so deutlich in sein Hirn eingebrannt, dass nur das