Sturzprophylaxe: Planung, Durchführung, Prüfung und Nachbesserung
By Anke-Petra Peters and Claudia Fröbel
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Book preview
Sturzprophylaxe - Anke-Petra Peters
Vorwort
Durch die gewaltige Prüfungsmaschinerie, die sich durch Deutschlands Pflegelandschaft zieht, könnte man denken, die Pflegekräfte wissen nicht, was sie tun oder wie sie prophylaktisch vorgehen sollen. Oder das, was sie tun, wäre nicht richtig.
Unsere Einschätzung ist eine ganz andere. Wir haben festgestellt, dass Pflegekräfte sehr gut wissen, wie sie richtig pflegen, versorgen und Beziehungen schaffen. Der Grund, weshalb es immer noch so ist, dass Defizite in der Umsetzung von Prophylaxen festgestellt werden, ist unserer Meinung nach unter anderem folgender: Als der erste Expertenstandard erarbeitet wurde, gab es zwei Meinungen unter den Pflegenden. Die eine Gruppe brach in Begeisterung aus, weil endlich Pflege bzw. die Prophylaxe des Dekubitus auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt wurde. Das andere Lager schloss sich zu einer „Widerstandsgruppe" zusammen und demonstrierte: Diese Standards lassen sich nicht umsetzen!
Genau diese Haltung fand man dann auch jahrelang in den bekannten Pflegezeitungen, meistens in der Pro- und Contra-Rubrik. Zu welcher Gruppe man auch immer tendierte, einer Tatsache konnte sich niemand verschließen. Die formulierten Ziele in den Expertenstandards spiegelten plötzlich den „State of the Art" der Pflege wider. Die Experten waren sich einig: Die Expertenstandards sollten auf jeden Fall in den Einrichtungen berücksichtigt werden. Ein wichtiger Zwischenschritt der Umsetzung von Expertenstandards in den Einrichtungen ist unserer Ansicht nach vergessen worden. Den Pflegekräften und Leitungskräften wurden die Standards vorgelegt, aber wie sie damit umgehen sollten, blieb lange im Dunkeln. Auch heute ist die Umsetzung ohne entsprechende Weiterbildung oder Begleitung schwierig.
Außerdem wird jeder Expertenstandard nach ein paar Jahren aufgrund neuer Studienergebnisse aktualisiert. In der Praxis dauert es einige Zeit, bis die Pflegeakteure die Änderungen gelesen haben und sie in die Praxis transportieren können.
Immer wieder finden sich in den Gutachten des MDK Ergebnisse, die zeigen, dass zwar die Sturzprophylaxe in Ordnung ist, aber der kontinuierliche Verbesserungsprozess im Sinne der Umsetzung nicht deutlich wird. Es ist also meistens nicht die Pflege, an der es krankt, es ist die Umsetzung von theoretischen Modellen, die nachher in der Praxis funktionieren sollen. Das allein reicht auch noch nicht aus, denn es sollen alle Kollegen mitziehen. Angenommen, alle Kollegen ziehen mit, aber die Leitung nicht… die Diskussion lässt sich lange fortführen. Das beste Mittel dagegen ist, sich das Wissen über die Umsetzung anzueignen, sich Spaß an der Umsetzung zu genehmigen und damit die Kollegen samt Vorgesetzten mitzunehmen.
Dieses Buch ist ein Teil der oben beschriebenen Umsetzung. Es zeigt die fachlichen Facetten, jedoch auch die einzelnen Schritte des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses auf. Inhaltlich orientieren wir uns an dem aktuellen Stand des Expertenstandards zur Sturzprophylaxe, der im Januar 2013 aktualisiert erschien. Sie benötigen Handwerkszeug, welches den „State of the Art" bereits beinhaltet. Das haben wir für Sie erarbeitet. Viel Spaß bei der Umsetzung wünschen wir.
Einleitung
Sturzgefährdung! Was ist an diesem Thema so wichtig? Ein Sturz ist ein Ereignis, welches unabsehbare körperliche, psychische und finanzielle Folgen nach sich ziehen kann. Um solche Folgen einzudämmen, lässt sich nur eine Vorsorge treffen, nämlich die Sturzprophylaxe unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung des Betroffenen.
Nun könnte man annehmen, dass Menschen, die sturzgefährdet sind, sich dieser Gefahr einfach nicht mehr aussetzen dürfen. Dies ist jedoch ein Trugschluss, wir können die uns überlassenen Menschen nicht festzurren, aus Angst, sie könnten sonst stürzen. Wir müssen uns damit abfinden, dass es in manchen Pflege- und Versorgungssituationen nicht darauf ankommt, den Sturz zu verhindern, sondern die Folgen einzudämmen. Das höchste Ziel ist sicherlich auch nicht, Stürze zu verhindern, sondern die größtmögliche Mobilität beizubehalten oder herzustellen, auch unter dem Gefahrenmoment des Sturzereignisses. Der richtige Weg findet sich nur unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung des sturzgefährdeten Menschen. Die Lebensqualität besteht nicht nur darin, nicht zu stürzen, sondern auch darin, die Selbstständigkeit und vorhandene Bewegungsmöglichkeit zu ermöglichen. Stets ist auch zu bedenken, dass die eigene Entscheidungskompetenz des Betroffenen berücksichtigt wird. Nicht die Pflegekraft entscheidet, was das Beste für den Kunden ist, das entscheidet er selbst. Dies ist für Pflegefachkräfte häufig schwer auszuhalten, denn wie sollen diese sich verhalten, wenn der Kunde sich dafür entscheidet, die Sturzgefahr zu ignorieren?
Dieses komplexe Vorgehen bedarf einer Sensibilisierung und Förderung der Kommunikationsfähigkeit der Pflegekräfte in Bezug auf dieses Thema. Eine gewisse pflegerische Ambiguitätstoleranz muss sicher noch mehr gefördert und unterstrichen werden. Bedenke: Die Empathie und Begleitung des gefährdeten Kunden ist die beste Sturzprophylaxe, auch wenn der Pflegekraft die selbstgefährdende Einstellung oder ein solches Verhalten nicht gefällt.
Für die Pflegekräfte besteht also die große Aufgabe, die sturzgefährdeten Personen zu erkennen, die individuellen Sturzrisikofaktoren herauszufiltern und dann im Sinne des Kunden und der Fachlichkeit zu entscheiden, was zu tun ist. Das kann bei einem Kunden die Sturzverhinderung nach einer Operation, bei einem anderen Kunden die Reduzierung der Folgen eines vorhersehbaren Sturzereignisses sein.
Für das Erkennen der Sturzgefahr, womöglich den Grad der Sturzgefahr gibt es kein empfehlenswertes Instrument. Es gibt auch keine Punktzahlen oder einen Cut-off-Point. Ganz im Gegenteil muss die zuständige Pflegefachkraft, gemeinsam mit dem Team, den Angehörigen und anderen an der Pflege Beteiligten herausfiltern, ob es einzelne isolierte oder mehrere, sich gegenseitig bedingende Sturzrisikofaktoren gibt.
Sie als Pflegekraft könnten also mit der fachlichen Intuition und Risikoeinschätzung auch erwartbare Stürze erspüren. Selbstverständlich stützen wir uns bei diesem Praxisleitfaden auf den aktuellen Expertenstandard und möchten mit Wissen, Methoden, Erklärungen und Instrumenten den Pflegekräften dazu verhelfen, mit der Thematik sicher und praktisch umgehen zu können. Wir führen keine Feldforschungen durch, wir nutzen bereits vorhandenes Material, auch wenn dies nur Erkenntnisse aus durchgeführten Studien sind. Für uns steht die praktische Umsetzung aufgrund des aktuellen Wissensstands im Vordergrund, damit Ihre Kunden die bestmögliche Prophylaxe erfahren, weil Sie und Ihre Kollegen reflektiert mit diesem Thema umgehen.
Ein Wort zur Umsetzung in der ambulanten Pflege. Zu Recht wird von den Pflegenden angegeben, dass die Umsetzung schwierig ist, sei man doch unter Umständen nur ein paar Minuten in der Wohnung des Patienten. Trotzdem gibt es interessante Erkenntnisse, die Sie in der Praxis nutzen können.
Allen mit dem Thema beschäftigten Pflegekräften ist die Problematik der stringenten Umsetzung des Expertenstandards bewusst. Die Aufgabe der Pflegefachkräfte besteht unserer Ansicht nach in dem Wissen um die Zielsetzung des Expertenstandards, die entsprechende Beratung, Schulung und Information des Betroffenen und seiner Angehörigen sowie in der Unterstützung, die Sturzgefahr einzudämmen, sowie die Folgen eines Sturzes einzugrenzen. Dies kann die Pflegefachkraft nur leisten, wenn sie die sturzgefährdenden Faktoren erkennt, herausfiltert, sie dokumentiert, reflektiert und entsprechend nach Absprache mit dem Betroffenen in