Die Gottesversprecher: Roman frei nach wahren Begebenheiten
By Ute Aland
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Book preview
Die Gottesversprecher - Ute Aland
1
Mindestens einmal täglich gehe ich auf Dans Blog, um seine Predigten zu lesen. In meinem Eifer habe ich sogar Annika den Link geschickt.
Annika ist meine beste Freundin. Wir kennen uns schon seit über zehn Jahren und haben viel miteinander erlebt. Wir reden eigentlich über alles – über Liebeskummer, Speckröllchen, Orangenhaut genauso wie über unsere Pläne, Erfolge und Traumprinzen. Ich kann nicht mehr zählen, auf wie vielen Feten wir schon zusammen versackt sind (sie hatte mir immer voraus, dass sie hinterher kein schlechtes Gewissen hatte) und wie viele „Martiniabende" wir beiden gemeinsam verbracht haben. So ein Martiniabend mit Annika ist ein unumstößliches Ritual und hat ein paar ziemlich unumstößliche Regeln:
Annika und ich wechseln uns mit „Einladen ab. Die „Gastgeberin
besorgt dann eine oder zwei Flaschen Martini, eine Plastiktüte Eiswürfel und schwarze Oliven von der Tanke im Gewerbegebiet und darf bestimmen, wo wir hingehen. Das will die Tradition so.
Oft treffen wir uns einfach nur in meiner Wohnung und kuscheln uns in mein Sofa. Bei Annika waren wir in den letzten Jahren nur ein einziges Mal, denn sie lebt in einer ziemlich stressigen WG, da kommt auch mal irgendein Idiot rein, der Heftklammern braucht oder den Dosenöffner nicht findet oder wissen will, ob Annika die Woche mit dem Treppenhaus dran ist.
Aber richtig gut wird’s, wenn wir unsere „Specials" haben. Das Heißeste war mal ein Boot von der Hafenpolizei, als wir zusammen in Hamburg waren. Haben uns nachts da draufgeschlichen und uns im Rettungsboot unseren Drink genehmigt. Hatten die Hosen so voll aus Angst, dass jemand kommt und uns festnimmt. Wir haben uns so zugeknallt, dass ich keine Ahnung habe, wie wir da wieder runter sind. Dass die uns nicht erwischt haben, wundert mich noch heute.
Zu diesen Specials mit „Thrill" gehört auch das Führerhäuschen vom Ladekran am Schrottplatz – man denkt immer, diese Kabinen wären abgeschlossen, sind sie aber oft gar nicht. Oder das Dach von so einem Neubau, wo noch keine Fenster drin waren. Siebte Etage oder so.
Dann gibt’s natürlich auch die eher romantischen Specials wie Waldlichtung, Pavillon im Schlosspark oder im Herbst eine Strohburg auf einem abgemähten Feld.
Heute haben Annika und ich jedenfalls mal wieder ein „Special" einberufen und frieren uns die Hintern auf einem Hochsitz ab. (Das gibt’s natürlich auch: die Flops, diese Ideen, die sich als total hirnrissig rausstellen wie nachts Hochsitz im September.)
„Also diese Leute, lallt Annika, obwohl sie höchstens ein Glas getrunken hat, „diese Leute mit diesem total bescheuerten Namen … Church-Dingsbums, wo du mir den Link geschickt hast – finde die beiden Apostel oder was ja auch süß, aber mal ehrlich, was ist das für’n Verein? Für mich sehen die eins a aus wie Sektenführer oder so.
Ich wünschte, wir wären jetzt auf meinem Sofa und nicht auf diesem scheißkalten Hochsitz, und ziehe mir die Wolldecke fester um die Schultern. Wir haben noch nie ein „Special" abgebrochen – eine weitere Grundregel: Beende niemals ein Special vorzeitig!
„‚Everlasting Church of God’s Power‘", sage ich und versuche Annika nicht merken zu lassen, dass mich ihre vorschnelle Art mit allem, was über Martinitrinken, Diäten und Männer hinausgeht, umzugehen, ziemlich nervt.
„Du mit deinen ‚tiefgründigen Gesprächen‘ – entspann dich doch mal!"
Mit Annika kann man echt Spaß haben, und sie verträgt einiges an Alk, aber wenn man mal über was reden will, das etwas anspruchsvoller ist, sucht man sich besser jemand anderen.
Dabei ist Anni echt toll. Sie ist direkt, ehrlich, auf sie kann man sich verlassen. Aber für irgendwelche Fragen nach dem Sinn des Lebens oder so hat sie kein Verständnis. Eigentlich wundert es mich nicht, dass sie so reagiert. Hätte ich mir denken können.
Sie hält ja sogar die Baptisten für eine Sekte. Aber ich kann super umschalten. Das ist ja das Tolle an unseren Martiniabenden, dass man nichts denken muss, nur trinken, rauchen, kichern.
„Schon gut!", sage ich, fische heimlich die Eiswürfel aus dem Glas und lasse sie zwischen die Ritzen der Bretter unter den Hochsitz fallen – scheiß auf die Tradition.
Hätte mir natürlich schon gewünscht, dass sie mal mitkommt in einen der Gottesdienste, sich das wenigstens mal anschauen. Aber Anni zieht es vor, sich mit den Dingen, zu denen sie sich eine Meinung bildet, nicht zu sehr auseinanderzusetzen. Ist einfacher für sie. Differenzieren ist nicht so ihr Ding.
Also bleiben unsere Martiniabende, was sie immer waren, und wenn ich reden will über Dinge, die mich noch so beschäftigen, dann muss ich mir jemand anderen suchen.
Meiner Clique brauche ich mit Gott eh nicht zu kommen, das gilt bei denen als Liebestöter. Jedenfalls waren sie extrem erleichtert, als ich nicht mehr zu den Baptisten gegangen bin. Im Grunde habe ich ziemlich lange ein Doppelleben geführt.
Wenn ich denen sagen würde, dass ich mein Leben ernsthaft in Gottes Hand gelegt habe, dass ich ihm folgen und vertrauen will – die würden mich doch für krank halten, für eine Spaßbremse allemal. Aber die sollen sich wundern, wenn die glauben, ich entwickle mich jetzt zu einer angepassten Kirchenmaus. Für die passt das wohl nicht zusammen: Markusevangelium und Martini.
Mein Bedarf an Input und Austausch ist neuerdings jedenfalls ziemlich hoch, und ich sauge alles an Predigten und Lehre auf, was ich kriegen kann, als hätte ich Jahre aufzuholen, die ich besser hätte verbringen können, als mich mit selbstverliebten Leuten herumzutreiben, die an allem und jedem etwas auszusetzen hatten.
Ich will Gott gefallen!
Das Einzige, womit ich mich von Anfang an schwergetan habe, ist das Missionieren. Ich finde es ja absolut richtig, die Leute nicht in die Kirche, sondern die Kirche zu den Leuten zu bringen. Die Kirche, meint Dan, sei kein Gebäude, keine Institution, die Kirche sind wir Gläubigen, wo immer wir sind. Deshalb gehen wir raus zu den Menschen.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht bei mir leider anders aus. Mit Grauen erinnere ich mich an mein erstes Treffen mit Janett, nachdem sich bei meiner alten Clique doch herumgesprochen hatte, dass ich jetzt „richtig" fromm geworden