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Eine Insel für zwei (Teil 1)
Eine Insel für zwei (Teil 1)
Eine Insel für zwei (Teil 1)
Ebook256 pages3 hours

Eine Insel für zwei (Teil 1)

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About this ebook

Neunzehn Jahre alt und auf der Suche nach der großen Liebe: Das ist Andy, als sie Danielle kennenlernt, Besitzerin einer Werbeagentur. Danielle hält Liebe für eine Illusion. Sie lädt Andy zu einer Reise durch die Ägäis ein, doch fordert dafür einen hohen Preis.

Andy lässt sich darauf ein, weil sie Danielle liebt und hofft, dass Danielle auch lernen wird zu lieben. Fast scheint es, als hätte Andys Liebe eine Chance, doch da geschieht etwas Unvorhergesehenes ...
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783941598805
Eine Insel für zwei (Teil 1)

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    Eine Insel für zwei (Teil 1) - Ruth Gogoll

    Ruth Gogoll

    EINE INSEL FÜR ZWEI

    Teil 1

    Originalausgabe:

    © 2006

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-941598-80-5

    Die Kneipe war dunkel, sehr dunkel.

    Als ich durch die Saloontür hereinkam, sah ich zuerst einmal fast nichts. Dann enthüllte sich mir auf der linken Seite ein Billardtisch und ein Stück weiter geradeaus eine aus dunklem Holz gearbeitete Theke. Eine Menge Flaschen auf Regalen, die fast bis an die Decke reichten, warteten dahinter wie in einem tatsächlichen Saloon auf Kunden.

    Das wirkliche Highlight präsentierte sich jedoch rechts im Fenster: eingearbeitete Glasscheiben mit nackten Frauen darauf. Manche allein, manche zu zweit oder zu dritt oder in noch größeren Gruppen zusammen, alle in recht eindeutigen Positionen.

    Ich war eine neunzehnjährige Schülerin und zum ersten Mal in einer Kölner Frauenkneipe.

    Ein paar Frauen standen an der Theke, ein paar am Billardtisch, wie ich nun erkannte, nachdem meine Augen sich an das schummrige Licht gewöhnt hatten, und von hinter dem Tresen starrte eine Frau, die Gläser polierte, in meine Richtung.

    Ich stand immer noch kurz hinter der Eingangstür und traute mich nicht weiter vor. Der Weg zur Theke schien so weit.

    Aus Alkohol machte ich mir nicht viel, aber hier war es wohl üblich, welchen zu trinken. Also gab ich mir einen Ruck und schlich zur Theke vor, ohne dabei nach rechts oder links zu blicken.

    Ich musste wirken, als ob ich einen Stock verschluckt hätte.

    Als ich vor der streng blickenden Frau hinter der Theke angekommen war, blieb ich stehen und brachte erst einmal keinen Ton heraus.

    »Ein Bier?« fragte sie und lächelte plötzlich, was gleich ihren ganzen Typ verwandelte. Auf einmal erschien sie eher mütterlich, fast ein wenig besorgt.

    Ich nickte. Während sie das Bier zapfte, sah ich mich noch einmal um. Nicht zu auffällig natürlich. Eher so, als ob ich gerade an einer Bushaltestelle stände und nichts anderes zu tun hätte, als völlig planlos in die Luft zu starren.

    »Dein Bier.« Die Frau hinter der Theke schob das schmale, elegante Kölschglas über den Tresen.

    Ich nahm es und trank einen kleinen Schluck, dann setzte ich es wieder ab. Ich blickte mich um. Die wenigen anwesenden Frauen schienen mich eingängig zu mustern.

    Vor lauter Verlegenheit gönnte ich mir nun einen großen Schluck von meinem Bier. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Um auf jemand zuzugehen, war ich viel zu schüchtern. Eigentlich hatte ich gehofft, dass mich jemand ansprechen würde. Aber das schien niemand vorzuhaben.

    Na gut, dann würde ich also mein Bier austrinken und wieder gehen. Ich nahm noch einen großen Schluck und stellte das leere Glas wieder auf die Theke zurück. Ich steckte meine Hand in die Hosentasche meiner Jeans und angelte nach dem Schein, den ich darin vergraben hatte. Es war etwas schwierig, weil die Hose so eng war. So brauchte ich ein wenig länger.

    »Noch eins?« fragte da eine Stimme hinter mir.

    Ich fuhr herum, weil sie mich so erschreckt hatte. Eigentlich wollte ich gar kein Bier mehr, aber nein sagen konnte ich nicht. Das war wohl meine größte Schwäche.

    Also sagte ich nichts, und sie nahm es als Bestätigung und bestellte ein weiteres Bier für mich und auch eins für sich bei der Frau hinter der Theke. Erneut floss der goldene Strom aus dem Zapfhahn ins Glas oder diesmal vielmehr in zwei Gläser, und währenddessen stellte ich fest, dass ich diese Frau hier vorher nicht gesehen hatte. Sie musste ganz leise hinter mir hereingekommen sein, als ich schon an der Theke stand.

    Wenn ich sie vorher schon gesehen hätte, wäre sie mir garantiert aufgefallen. Sie unterschied sich doch erheblich von den anderen Frauen, die hier waren. Ihr halblanges Haar fiel in sanften Wellen auf ihre Schultern. Sie trug einen gutgeschnittenen Hosenanzug, ein eher geschäftsmäßiges Outfit, weniger etwas zum Ausgehen für den Abend. Aber es war ja auch noch früh. Vielleicht kam sie gerade aus dem Büro. Ein wenig sah sie so aus.

    Sekretärin vielleicht? Ich versuchte, einen Blick in ihre Augen zu erhaschen, ohne allzu aufdringlich zu wirken. Ich traute mich kaum hochzublicken, aber als ich es dennoch tat, entschied ich: nein, keine Sekretärin. Irgendwie guckten die anders. Sie sah so . . . bestimmend aus.

    Unsere beiden Biergläser hatten es sich zwischenzeitlich auf der Theke vor uns gemütlich gemacht, und sie nahm sie und reichte mir meins herüber.

    Sie hob ihres und stieß mit mir an. »Danielle«, sagte sie.

    Ich musste mich räuspern, bevor ich meinen eigenen Namen hervorstammeln konnte. »An-. . . Andy.« Dann trank ich einen Schluck, um mich zu beruhigen.

    Sie sah mich an. »Wie alt bist du?« fragte sie.

    »Neunzehn«, antwortete ich automatisch.

    »So jung«, kommentierte sie meine Antwort und führte ihr Glas erneut an die Lippen.

    Sie hatte schöne Lippen, stellte ich dabei fest, weil ich ihr mit meinen Blicken folgte.

    »Wie alt sind – bist du denn?« fragte ich zurück, nachdem ich meinen Blick schnell wieder gesenkt hatte, als er sich mit ihrem traf. Sie war in demselben Alter wie viele meiner Lehrerinnen, sicherlich über dreißig, und es fiel mir schwer, sie zu duzen.

    Sie warf ihren Kopf ein wenig zurück, so dass ihre Haare tanzten, und lachte. »Eine Frau in meinem Alter fragt man das nicht! Hast du das nicht gelernt?«

    »So alt bist du doch noch gar nicht«, erwiderte ich naiv.

    Sie lächelte. »Das ist nett von dir«, sagte sie. Dann betrachtete sie mich eine Weile. »Ich habe dich noch nie hier gesehen«, fuhr sie plötzlich fort.

    Ich fühlte eine unangenehme Hitze und ein ebenso unangenehmes Kribbeln in mir aufsteigen. Irgendwie brachte sie mich in Verlegenheit, wenn ich auch nicht wusste, wie und warum.

    »Ich war auch noch nie hier«, sagte ich und griff wieder nach meinem Glas, das noch immer auf der Theke stand.

    Während ich trank, blickte sie mich an und schwieg einen Augenblick. »Aha«, sagte sie dann, was auch immer das heißen sollte.

    Ich hatte das Gefühl, alle anderen Frauen rundherum starrten uns an, denn sämtliche Gespräche schienen verstummt. Die Geräuschkulisse mutete auf einmal ziemlich leise an. Das war mir noch unangenehmer als Danielles bohrende Fragen, und ich wäre am liebsten wieder gegangen, aber irgend etwas hielt mich hier fest.

    »Was machst du so?« fragte sie nun weiter. »Beruflich, meine ich.«

    »Ich . . . ich habe keinen Beruf. Ich bin noch auf der Schule. Nächstes Jahr mache ich Abitur«, erwiderte ich unbehaglich.

    »Oh«, sagte sie. Dann lächelte sie wieder, und ihr Lächeln schien freundlicher, anteilnehmender als bisher. »Und was willst du studieren, wenn du Abitur hast?« Sie setzte sich auf einen der Barhocker an der Theke und wies einladend auf den, der neben ihr stand.

    Ich schob mich darauf – unsere Knie berührten sich fast dabei, und ich wäre lieber ein bisschen weggerutscht, aber das ging nicht; die Dinger waren extrem schwer und unhandlich – und sah sie an. »Ich weiß noch nicht«, antwortete ich. »Journalismus vielleicht.«

    »Dann wären wir ja fast in derselben Branche«, lachte sie leise und etwas spöttisch. »Ich habe eine Werbeagentur.«

    »Findest du?« fragte ich verständnislos. »Sind das nicht zwei völlig verschiedene Dinge?«

    Sie lachte wieder. »Das denkst du jetzt noch, weil du so jung bist und ganz sicher idealistisch.« Sie musterte mich kurz und kam wohl zu dem Urteil, dass ich es tatsächlich war. »Wenn du Lust hast, kannst du ja mal bei mir in der Agentur ein Praktikum machen. Dann wirst du schnell begreifen, was ich meine.«

    Das war ein Angebot, das ich an diesem Abend nicht gerade erwartet hatte! »Ja, gern«, erwiderte ich erfreut. »Das würde mich sehr interessieren.«

    Sie griff in ihre Jackentasche und zog eine Visitenkarte hervor. »Komm bei mir vorbei, wenn du Lust dazu hast. Du hast doch sicher bald Ferien.«

    »Ja«, bestätigte ich. »In einer Woche.«

    »Na also«, sagte sie. Sie stand von dem Barhocker auf. »Ich muss jetzt weg, aber vielleicht sehen wir uns ja dann bald einmal.« Sie lächelte unbestimmt, legte einen Schein auf den Tresen und ging.

    Nachdem sie weg war, erschien mir der Rest der Anwesenden noch uninteressanter als zuvor.

    »Was kosten die zwei Kölsch?« fragte ich die Barfrau und angelte wieder nach dem Zwanziger in meiner Hosentasche.

    Sie lächelte mich auf eine merkwürdige Art an. »Sie hat schon für dich mitbezahlt«, sagte sie mit einem Nicken in Richtung Ausgang, durch den die Frau namens Danielle vor einer Minute verschwunden war.

    Nun ja, mein Taschengeld und auch meine Einkunftsmöglichkeiten waren begrenzt, also nahm ich diese Spende gern an. Ich nickte der Frau hinter der Theke einmal kurz zu und ging ebenfalls.

    ~*~*~*~

    Während der nächsten Tage ging Danielle mir nicht mehr aus dem Sinn, und vor allem nicht ihr Angebot, bei ihr ein Praktikum zu absolvieren. Das war mehr, als ich mir erträumt hatte. Eigentlich hatte ich keine richtige Vorstellung von dem, was ich werden wollte, aber dass die Tätigkeit in einer Werbeagentur mich interessieren würde, das wusste ich auf Anhieb.

    Hoffentlich hatte sie ihr Angebot ernst gemeint, schoss es mir plötzlich etwas ängstlich durch den Kopf. Nicht, dass sie sich dann gar nicht mehr an mich erinnerte, wenn ich kam! Vielleicht sollte ich sie vorher noch einmal anrufen, um mich zu vergewissern.

    Das tat ich dann am Nachmittag auch, aber sie war nicht da. Ihre Sekretärin teilte mir mit, dass sie erst am nächsten Tag wieder zu erreichen sein würde. »Kommen Sie doch einfach vorbei«, sagte sie in einem freundlich-neutralen Ton. »Wir können immer Praktikanten gebrauchen.«

    Ich war zwar trotzdem noch unsicher, aber am Nachmittag des folgenden Tages – meines letzten Schultages vor den Sommerferien – machte ich mich auf zu der Adresse, die auf der Visitenkarte stand.

    Es war ein flaches, ausladendes, quadratisches Gebäude – es schien nur aus dem Erdgeschoß zu bestehen – mit einem ebenso flachen Dach. Ein rein funktionaler Industriebau in anheimelnd fröhlichen grauen Betontönen. Nicht gerade etwas, das man sich als angenehmen Arbeitsplatz vorstellte.

    Drinnen jedoch sah es schon ein wenig anders aus. Extrem bunt. Überall hingen Werbeplakate, einige kannte ich, einige nicht, und von allen strahlten mir fröhliche junge Menschen beiderlei Geschlechts entgegen und versuchten, mir ein Produkt zu verkaufen.

    Was hatte sie gesagt? Das ist dasselbe wie Journalismus? Das schien mir nicht unbedingt so.

    Ich musste erst ein paar Leute fragen, die geschäftig herumliefen und mich in verschiedene Richtungen schickten, bevor ich endlich die Sekretärin fand, mit der ich telefoniert hatte. Auch sie wirkte geschäftig und sah mich nur kurz an.

    »Danielle ist in ihrem Büro«, sagte sie, während sie versuchte, irgendwelche Papiere auf ihrem Schreibtisch in eine mir undurchschaubare Ordnung zu bringen. »Gehen Sie nur rein.« Sie wies vage mit einem Papierstapel hinter sich.

    Da war also vermutlich Danielles Büro. Anscheinend gab es hier keine Nachnamen.

    Ich ging an der Sekretärin vorbei und blieb auf der Schwelle des Raumes stehen, der hinter ihr lag. Die Tür stand so weit offen, dass ich zuerst dachte, es gäbe gar keine. Ich suchte das Durcheinander, in das ich blickte, ab, aber es schien kein Mensch da zu sein.

    Ich versuchte an den Türrahmen zu klopfen, jedoch der gab nur ein sehr gedämpftes Geräusch von sich. Holz war das nicht.

    Meine Schüchternheit hielt mich eine Weile an der Stelle fest, aber dann traute ich mich doch und trat in den Raum hinein.

    Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter dem größten Papierberg im Zimmer.

    »Hallo?« fragte ich schüchtern.

    Ruckartig tauchte ein Kopf hinter dem Papierberg auf. »Ja?« fragte Danielle, offenbar ohne mich zu erkennen.

    »Ich . . . ich komme wegen des Praktikums«, stammelte ich hervor.

    Danielle wirkte nicht gerade freundlich. Sie runzelte die Stirn. »Praktikum?«

    Ich hatte es gewusst: Sie hatte ihr Angebot gar nicht ernst gemeint. Warum auch immer sie es mir gemacht hatte, jetzt hatte sie es vergessen.

    »Okay«, sagte ich und zog mich schon zur Tür zurück. »Ich geh’ dann wieder. Ich wollte nur mal fragen –«

    »Nein, warte.« Sie kam hinter dem Papierberg hervor, und jetzt erst erkannte ich, dass es wohl ihr Schreibtisch sein musste. Sie musterte mich genauer. »Wir haben uns im Chariot getroffen letzte Woche, nicht wahr?«

    »Ja.« Ich nickte.

    Sie blickte hinter sich und fand tatsächlich noch ein Stückchen an ihrem Schreibtisch, gegen das sie sich lehnen konnte, ohne dass der Papierberg herunterfiel. »Du willst das Praktikum also tatsächlich antreten?« fragte sie nun wieder ein wenig lächelnd, relativ unbeteiligt, genauso wie vor einer Woche.

    »Ich würde gern, ja«, bestätigte ich. »Ich habe jetzt Ferien und – äh . . .« Ich brach ab, weil ich es mir eigentlich nicht leisten konnte, in den Ferien kein Geld zu verdienen, und davon war bis jetzt noch nicht die Rede gewesen. Aber ich traute mich nicht zu fragen.

    »Sechs Wochen, oder?« fragte sie sehr gezielt. Zeitverschwendung war nicht ihre Sache. Ich wunderte mich, warum sie dann hinter so einem unaufgeräumten Schreibtisch saß. Sie verwirrte mich etwas.

    »Ja.« Ich nickte wieder. »Wenn ich gleich morgen anfange.«

    »Okay.« Sie erhob sich und wanderte hinter ihren überladenen Schreibtisch zurück. »Frag Tanja. Sie wird dir einen Vertrag geben. Und dann kommst du morgen um zehn hierher.«

    Wer war Tanja? fragte ich mich, aber da Danielle schon wieder so gut wie hinter ihrem Schreibtisch verschwunden war, wagte ich nicht, sie noch einmal hervorzulocken und mit meiner Frage zu belästigen.

    Ich verließ ihr Büro und stand etwas unentschlossen herum, bis plötzlich die Sekretärin von hinten an mir vorbeischoss. »Äh, Tanja?« stieß ich so schnell ich konnte hervor, um von ihr zu erfahren, an wen ich mich wenden musste.

    »Ja?« entgegnete sie leicht ungeduldig. Sie war anscheinend Tanja.

    Ich zeigte auf die Tür des Büros, aus dem ich eben gekommen war. »Sie hat mir gesagt, ich soll mich wegen eines Vertrages an Sie wenden, wegen des Praktikums«, brachte ich mühsam zusammen.

    »Ist gut«, sagte sie und schoss auf ihren Schreibtisch zu, der auch unter einem beträchtlichen Papierberg zu versinken schien, aber gegen den ihrer Chefin war er immer noch Gold.

    Tanja zerrte ein Blatt aus einer Schublade heraus. »Lies dir das durch, und wenn es in Ordnung ist, unterschreib«, erklärte sie desinteressiert, und als ich mich nicht rührte, weil mir das alles zu schnell ging, fügte sie hinzu: »Wir duzen uns hier alle. Wenn du willst, kannst du das Ding auch mit nach Hause nehmen und morgen wieder mitbringen. Oder wann du eben kommst.«

    Irgendwie war mir das peinlich, und ich lief rot an. Ich griff nach einem Stift und unterschrieb schnell auf der gestrichelten Linie, die ich gerade noch erkennen konnte. Was ich unterschrieben hatte, wusste ich nicht, aber ich hoffte, dass es nicht zu meinem Nachteil sein würde. Irgendwie war mir das auch egal. Ich wollte nur raus hier und diese für mich viel zu überrollende Entwicklung erst einmal verarbeiten.

    Wie sollte ich bloß meiner Mutter erklären, dass ich zwar ein Praktikum für die Ferien ergattert hatte, aber nicht wusste, was ich dabei verdiente? Ob ich überhaupt etwas dabei verdiente . . . schossen mir die Gedanken auf dem Heimweg im Bus durch den Kopf. Es war alles so schnell gegangen, und diese Frau, Danielle – sie verwirrte mich enorm.

    Meine Mutter verließ sich darauf, dass ich in den Ferien zum Familieneinkommen beitrug. Wir hatten sehr wenig Geld, und da ich ansonsten zur Schule ging, hatte ich nicht viel Gelegenheit, sie dabei zu unterstützen, diese geringe Summe zu mehren. Sie sparte sich mein Abitur quasi vom Munde ab, und ich wusste oft nicht, wie sie das mit ihrem winzigen Gehalt bewerkstelligte. Deshalb fühlte ich mich verpflichtet, wenigstens die Ferien zu einer einträglichen Tätigkeit zu nutzen. Hatte ich die nun oder hatte ich die nicht?

    Dieselbe Frage stellte mir auch meine Mutter beim Abendbrot, und ich vertröstete sie damit, dass ich erst einmal drei Tage umsonst in der Agentur arbeiten müsste, um überhaupt die Chance zu bekommen, das Praktikum dort machen zu dürfen.

    Morgen würde ich bei Tanja noch einmal in den Vertrag schauen, und dann konnte ich es ihr sagen. Aber was, wenn eine Null bei Stundenlohn stand? Dann musste ich mir etwas anderes suchen, und ich merkte eindeutig, dass ich das nicht wollte. Obwohl ich nicht genau hätte sagen können, warum.

    Als ich pünktlich um zehn Uhr am nächsten Morgen vor der Tür stand, schien ich die erste zu sein, denn erst zehn Minuten später kam Tanja und schloss auf.

    Nette Arbeitszeiten. Meine Mutter verließ jeden Morgen um sechs das Haus, um rechtzeitig auf der Arbeit zu sein.

    Bevor Tanja mir entwischen konnte, fragte ich sie nach dem Vertrag. Sie legte ihn mir hin, und ich sah, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Der Verdienst war weitaus höher, als ich angenommen hatte. Meine Mutter würde sehr glücklich sein.

    Dennoch wollte ich mich noch einmal vergewissern. »Stimmt die Zahl hier?« fragte ich Tanja und zeigte auf die Honorarzeile des Vertrages.

    Sie nickte, und in diesem Moment kam Danielle hinten aus ihrem Büro.

    Tanja drehte sich ärgerlich um. »Hast du schon wieder die ganze Nacht durchgearbeitet, Danielle?« schimpfte sie ihre Chefin aus.

    Das war ein Umgangston hier . . .

    Danielle sah etwas zerknittert aus, was Tanjas Vermutung wahrscheinlich bestätigte, sagte aber nichts dazu. »Gibt es irgendein Problem mit dem Vertrag?« fragte sie statt dessen, weil ich den immer noch in der Hand hielt.

    Ich wollte schon antworten und ihr danken, da fiel Tanja ein: »Ich glaube, sie ist mit der Bezahlung nicht ganz einverstanden«, schnappte sich irgendwelche Rollen und verschwand nach hinten in die Tiefe des Raumes.

    Danielle nahm mir den Vertrag aus der Hand und schaute darauf. »Das ist ja auch viel zu wenig«, meinte sie energisch, nahm einen Stift und verdoppelte die Zahl. Sie unterschrieb die Änderung und drückte mir das Blatt wieder in die Hand. »Zufrieden?« fragte sie etwas müde lächelnd.

    »Meine Mutter und ich haben sehr wenig Geld –«, begann ich und wollte ihr erklären, dass mir auch der erste Betrag durchaus gereicht hätte, ich jedoch nun noch glücklicher und dankbarer war, aber sie ließ mich nicht.

    Sie winkte ab und wollte gehen. »Erzähl mir das ein andermal«, sagte sie. Sie wirkte erschöpft.

    »Danke«, sagte ich schnell, bevor wieder etwas dazwischenkommen konnte. »Das ist weit mehr, als ich erwartet hatte.«

    Sie drehte sich noch einmal kurz um. »Ach ja?« fragte sie etwas verständnislos, dann verschwand sie wieder in ihrem Büro.

    An diesem Tag sah ich sie dann nicht mehr. Sie fuhr mit einigen ihrer MitarbeiterInnen zu einer Präsentation bei einer großen Firma, einer wichtigen Auftraggeberin, wie mir Tanja so nebenbei erklärte.

    Tanja zeigte mir auch noch ein paar andere Dinge, und sogleich wurde ich für die üblichen Handlangertätigkeiten angestellt, die ich auch schon aus meinen anderen Jobs kannte: kopieren, sortieren, ein- und umräumen.

    Das war hier in dieser Agentur allerdings auch entschieden erforderlich. Es herrschte ein vielleicht kreatives, jedoch ziemlich allübergreifendes Chaos.

    »Und wenn du irgendwas bei Danielle im Büro zu tun hast«, warnte Tanja mich noch, »fass bloß nichts an. Das mag sie gar nicht. Da kann sie sehr ungemütlich werden.«

    »Aufräumen auch nicht?« fragte ich. Das hätte Danielles Schreibtisch ja nun wirklich nötig gehabt.

    »Auf keinen Fall!« rief Tanja, während sie schon wieder zu anderen Aktivitäten unterwegs war. »Dann bringt sie dich um!«

    ~*~*~*~

    Die nächsten Tage vergingen für mich sehr angenehm. Nachdem ich mich an die Hektik und den Stress gewöhnt hatte, bekam ich die Sache ganz gut in den Griff.

    Nach einer Woche rief Danielle mich zu sich.

    »Du willst doch Journalismus studieren, hast du mir erzählt«, begann sie so nebenbei, während

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