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Teil der Lösung: Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen
Teil der Lösung: Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen
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Teil der Lösung: Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen

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Wie wir leben und arbeiten wollen
Die kapitalistischen Arbeits und Besitzverhältnisse bieten vielen Menschen keine soziale Sicherheit, selbst in Europa nimmt die Armut zu. Auch aus diesem Grund wird die Alternative das bedingungslose Grundeinkommen immer ernsthafter diskutiert. In der Schweiz findet dazu sogar eine Volksabstimmung statt.
Doch was sind die Vorteile eines bedingungslosen Grundeinkommens? Und was die Nachteile? Es sei nicht finanzierbar, lautet ein oft gehörtes Argument. Aber ist das tatsächlich so? Es könnte immerhin die Wirtschaft stabilisieren. Und es erlaubt, richtig umgesetzt, eine Weiterentwicklung unserer Gesellschaft über den reinen Umverteilungsaspekt hinaus: Weg vom Wachstumswahn, hin zu einer auch der Umwelt verpflichteten, demokratischen Ökonomie.
Wie soll das gehen? Welche Übergangsstrategien sind denkbar? Worin bestehen die Chancen? Und wo greifen die Kritiker des bedingungslosen Grundeinkommens, wie der Ökonom Heiner Flassbeck, zu kurz?
Mit Beiträgen u.a. von Margit Appel, Matthias Blöcher, Herbert Jauch, Albert Jörimann, Volker Koehnen, Ingmar Kumpmann, Dagmar Paternoga, Antje Schrupp, Franz Segbers, Mag Wompel
LanguageDeutsch
Release dateNov 11, 2013
ISBN9783858695758
Teil der Lösung: Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen

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    Teil der Lösung - Ronald Blaschke

    aktiv.

    Soziale Sicherheit ist ein Menschenrecht

    von Franz Segbers

    Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Art. 25) wird vielfach ein vergessenes Menschenrecht genannt, und es scheint auch kaum noch von praktischer Bedeutung zu sein. Dabei wäre es dringender denn je, da weltweit Armut, Hunger, Prekarität und soziale Unsicherheit zunehmen. Der nach langwierigen Verhandlungen und gegen den Widerspruch der USA 1966 verabschiedete Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte formuliert aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte normative soziale Rechte wie das Recht auf Nahrung, Arbeit, Gesundheit, Wohnung, einen angemessenen Lebensstandard. Zuständig für die Überwachung dieses Sozialpaktes ist der UN-Sozialausschuss. Er hat 2007 in seiner Allgemeinen Bemerkung¹ die Normen des Rechts bekräftigt und gefordert, »unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu ergreifen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen« (Ziff. 40).²

    Perestroika für die Ökonomie

    Jede Zeit hat ihre Leitwissenschaft. Die Leitwissenschaft unserer Zeit ist die Ökonomie, sodass manche gar von einem »Zeitalter der Ökonomen«³ sprechen. Der nobelpreisgeehrte Ökonom Paul Samuelson hatte in seinem Standardwerk die »Volkswirtschaftslehre als die Königin der Sozialwissenschaften«⁴ bezeichnet. Doch angesichts der Krise mahnte Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, die Ökonomen zur Bescheidenheit: »Die Krise bedeutet auch das Ende des ökonomischen Imperialismus, dieses Glaubens, dass wir über den anderen Wissenschaften stehen.«⁵ Straubhaar forderte ein neues Denken, gleichsam eine Perestroika, für die Ökonomie. Es geht aber nicht allein um einen fachwissenschaftlichen Streit zwischen verschiedenen ökonomischen Denkschulen. Die Krise reicht tiefer. Es ist der »ökonomische Imperialismus«, der in einem solchen Maß ungebrochen herrscht, dass Joseph Vogl in seinem Essay über Das Gespenst des Kapitals⁶ von einer modernen oikodizee sprechen kann. So wie der biblische Hiob an Gottes Allmacht zu zweifeln droht, so auch der moderne Mensch, wenn er der Allmacht des Marktes, näherhin der Ökonomie, ausgeliefert ist. Der Grund liegt in der allen ökonomischen Denkansätzen unhinterfragt zugrunde liegenden Figur des homo oeconomicus.

    Heiner Flassbeck et al. sprechen in ihrem Buch über den Irrweg Grundeinkommen⁷ von einem Menschen, der wie der homo oeconomicus kalkulierend nach seinem Vorteil sucht. Gerade ärmere Menschen würden »im System bedingter Hilfe« kalkulieren, »ob sich Erwerbsarbeit überhaupt noch lohnt«⁸. Wie wäre es erst bei einem bedingungslosen Grundeinkommen! Doch diese Behauptung ist empirisch nicht haltbar, sie entspringt dem Modelldenken der Ökonomen. Das Denkmodell des homo oeconomicus kann keineswegs erklären, warum denn in Deutschland etwa 30 Prozent, somit über 1,3 Millionen, der Menschen im Transferbezug einer Erwerbsarbeit nachgehen. Wenn sie nur nach ihrem Vorteil kalkulierend agieren würden, warum ist dann die Arbeitsmotivation und die Bereitschaft Erwerbsloser, Arbeit um jeden Preis zu akzeptieren, im Vergleich zur übrigen Bevölkerung sogar höher? Warum würden sogar 80 Prozent auch dann gerne arbeiten, wenn sie das Geld nicht brauchen würden?⁹ Dies kann als Hinweis gelten, dass ein Denken in den Kategorien des homo oeconomicus empirisch unhaltbar, anthropologisch falsch und ethisch höchst problematisch ist.

    Eine allein ökonomische Sichtweise reicht zur Problemlösung nicht aus. Eine zukunftsfähige Gesellschaft wird vielmehr stets von den Menschenrechten auszugehen haben. Menschenrechtliche Verpflichtungen spielen in den Ausführungen von Irrweg Grundeinkommen überhaupt keine Rolle. Menschenrechte sind jedoch keineswegs ein naiver Moralismus, sondern »eine realistische Utopie«, denn sie malen das kollektive Glück nicht in sozialutopischen Bildern aus, sondern verankern den Anspruch auf eine gerechte Gesellschaft in den Institutionen des Staates.¹⁰

    Soziale Sicherheit als Menschenrecht

    Das die wohlfahrtsstaatliche Programmatik nach dem Zweiten Weltkrieg prägende Grundrecht auf soziale Sicherheit verdankt sich der Atlantic Charta (1941), in der die Alliierten für den Wiederaufbau Europas die geradezu utopische Zielvorstellung einer Welt »ohne Furcht und Not« formuliert haben. Zuvor schon hatte der US-amerikanische Präsident Roosevelt 1935 auf die große Weltwirtschaftskrise mit ihren Millionen Arbeitslosen mit einem Social-Security-Gesetz geantwortet. Bei den Beratungen zur Gründung der Vereinten Nationen wurde diese Zielvorstellung der sozialen Sicherheit mit der Idee der sozialen Menschenrechte verwoben und in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung (1948) jedem Menschen ein »Recht auf soziale Sicherheit« zugesprochen. Er habe Anspruch darauf, »in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind« (Art. 22). Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit formuliert das Leitbild einer Gesellschaft, die allen ihren Mitgliedern allgemeine Teilhabe und Teilnahme garantieren will.

    Eine Antwort auf die Wirtschaftskrise

    Die Epoche eines eingebetteten Kapitalismus, die sich an einer keynesianischen Wirtschaftspolitik, Sozialstaatlichkeit und an sozialen Menschenrechten orientierte, geriet mit Beginn der 80er-Jahre in eine tiefe Krise. Mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher wurde ein »Wettlauf in die Vergangenheit«¹¹ eingeleitet. Ein marktradikaler Neoliberalismus, der jede Abweichung vom institutionellen Arrangement freier Märkte bekämpfte, setzte sich durch. Bisher auf soziale Ziele ausgerichtete internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank wurden neoliberal umprogrammiert. »Mehr Markt und weniger Staat« wurde nun zur neuen Programmformel. Die globalen Rechte wurden einseitig an den Interessen der Global Players ausgerichtet, während die sozialen Rechte erodierten. Ein Weltwirtschaftsregime wurde etabliert, für dessen ökonomische Interessen die sozialen Menschenrechte ein Hemmnis waren. Weltbank, Internationaler Währungsfonds, Welthandelsorganisation und andere globale Institutionen wurden zu Garanten der Eigentumsinteressen in der neoliberalen Globalisierung.¹² Sie haben sich ein internationales Recht geschaffen, das die derzeitige Krisensituation ursächlich ermöglicht und befördert hat. Die längst überwunden geglaubte soziale Unsicherheit kehrte nicht zuletzt durch dieses neoliberale Arrangement national und global zurück.

    Flassbeck et al. argumentieren ethisch und ökonomisch. Ökonomisch sei es nicht möglich, »die Arbeitsteilung beziehungsweise ihre Vertiefung durch Spezialisierung infrage zu stellen, indem man die Anreize explizit so setzt, dass sich Arbeitsteilung für einige weniger lohnt als Autarkie plus Unterstützung von außen«¹³. Man kann sich nicht auf Kosten anderer das Recht herausnehmen, durch die Unterstützung jener leben zu wollen, die erwerbstätig sind. Denn: »Die Freiheit des einen, nicht am Erwerbsleben teilzunehmen, auch wenn er dazu in der Lage wäre, führt zum Zwang für andere, eben diese Freiheit des einen durch ihre eigene Arbeit und ihre eigene Bereitschaft, deren Früchte zu teilen, zu ermöglichen.«¹⁴ Dies sei ethisch verwerflich und ökonomisch kontraproduktiv: »Doch Leistung und Gegenleistung lassen sich in einer Marktwirtschaft nicht einfach beliebig trennen.«¹⁵ Diese Argumentation will ich menschenrechtlich und gerechtigkeitstheoretisch prüfen.

    Lebensdienliches Wirtschaften

    Die Argumentation von Flassbeck et al. zielt auf eine Ausschöpfung der Produktivität. Deshalb sind für sie Lohnerhöhungen auch besser als eine Arbeitszeitverkürzung. Den Befürwortern eines Grundeinkommens werfen sie den Glauben vor, »dass die Gesellschaft zu wenig Arbeit hat, um alle beschäftigen zu können«; sie wollten »daher einem extrem großen Teil des gesamten Arbeitskräftepotenzials die Möglichkeit geben, Arbeitszeitverkürzung mit einem gewissen Lohnausgleich (eben dem Grundeinkommen) zu wählen«.¹⁶ Ihr Gegenprogramm lautet: »Lohnerhöhungen sind in dieser Hinsicht allemal besser als Arbeitszeitverkürzung, um die Produktivität auszuschöpfen, weil dann ein Nachfrageausfall sehr unwahrscheinlich ist.«¹⁷

    Ein Nachfrageausfall muss um jeden Preis ausgeschlossen werden. Deshalb wird auch einer Lohnerhöhung gegenüber einer Arbeitszeitverkürzung der Vorzug gegeben. Die Logik der Ökonomie behauptet einen maßgebenden Anspruch, der nicht »flexibilisiert« werden darf. Flexibilisiert werden müssen das Leben und die Lebensinteressen der Menschen. Die Nachfragesteigerung zur Produktivitätsausschöpfung dagegen wird zu einem fixen, unflexiblen Ziel. Die durch Produktivitätssteigerung möglichen Einsparungen von Arbeitszeit fließen dann nicht als Freiheitsgewinn dem Menschen zu, sondern zurück ins System zur Steigerung der Nachfrage. Die Produktivitätsauslastung verselbständigt sich und unterwirft den Menschen einer Systemlogik, die zu einem höchsten normativen Wert erhoben wird. Dies ist zutiefst unsinnig. Die Unsinnigkeit dieses ökonomischen Hamsterraddenkens besteht in einer Ökonomie, die ihren humanen Zweck verloren hat und nicht vom Menschen und seinen Rechten her denkt und deshalb Mittel, Zweck und Ziel des Wirtschaftens verwechselt. In einer vom Menschen und seinen Rechten her bestimmten Perspektive dagegen besteht der Sinn der Ökonomie nicht darin, die Produktion um der Produktion willen zu steigern, sondern in der Freigabe des Menschen aus Zwängen. »Die wirkliche Ökonomie – Ersparung – besteht in der Ersparung von Arbeitszeit.«¹⁸

    Damit die Wirtschaft nicht ihr Ziel verfehlt, kann sie nur Mittel für ein außerökonomisches Ziel sein, nämlich Humanität, Freiheit und Gerechtigkeit zu mehren. Ziel ist die Achtung der Würde und der Rechte jedes konkreten Menschen. Dann aber müssen auch die ökonomischen Mittel dem humanen Ziel entsprechen. Verlängerung der Arbeitszeit zur Nachfragesteigerung zwecks Erhöhung der Produktivitätsauslastung macht den Menschen dagegen zu einem Mittel zur Erreichung eines Zwecks, nämlich der Auslastung der Produktion. Der Zweck ökonomischen Handelns kann aber nicht sein, eine bestimmte Produktionsweise mit ihren Steigerungsinteressen durchzusetzen, sondern die Verwirklichung der Menschenrechte. Um der Menschenrechte willen muss in das Marktgeschehen interveniert und muss die Ökonomie an sozialen und humanen Zielen ausgerichtet werden.

    Die menschenrechtliche Verpflichtung, alle Möglichkeiten zur Verwirklichung der Menschenrechte (im englischen Originaltext.: maximum available resources) auszuschöpfen (Art. 4; 42; 59; 62, 77, Pakt über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte), ist keine unverbindliche Völkerrechtslyrik, sondern verpflichtet die staatlichen Organe, die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung an den Menschenrechten auszurichten. Dem Staat kommt dabei eine dreifache Verpflichtung zu. Er hat die sozialen Menschenrechte zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen.¹⁹ Er verletzt seine Pflichten und auch die Menschenrechte, wenn er die »maximal verfügbaren Ressourcen« zu ihrer Verwirklichung nicht bereitstellt.²⁰ Lässt sich aber empirisch messen, ob ein Staat dieser Verpflichtung nachkommt und alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen auch tatsächlich zur Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte einsetzt? Das Center for Economic and Social Rights in New York hat ein detailliertes Instrumentarium zur Messung vorgelegt, wie Staaten ihren Vertragsverpflichtungen nachkommen können.²¹ Zumal für die reicheren Länder gilt, dass genügend materieller Reichtum zur Realisierung der Leistungs- und Teilhaberechte vorhanden ist.

    Die moralische Qualität einer Gesellschaft und einer Wirtschaft misst sich daran, wie sie den Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu den Menschenrechten verschaffen. Dies erschließt sich aus dem ethisch bedeutsamen und politisch folgenreichen Kern der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: »Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.«

    Hin zur Beteiligungsgerechtigkeit

    Gerechtigkeitstheoretisch sprechen Flassbeck et al. die Tauschgerechtigkeit an, wenn sie kritisieren, dass einige auf Kosten derer leben, die erwerbstätig sind. »Doch Leistung und Gegenleistung lassen sich in einer Marktwirtschaft nicht einfach beliebig trennen.«²² Die Autoren dringen auf eine Wechselseitigkeit: »Wollen alle die gleiche Freiheit nutzen, bricht das System in sich zusammen.«²³

    In einer moralischen Gemeinschaft stehen auch in der Tat im gleichen Maße Rechten Pflichten gegenüber. Nur welche Pflichten stehen welchen Rechten gegenüber?

    Hannah Arendt nennt »das Recht, ein Recht zu haben«,²⁴ das grundlegendste aller Menschenrechte. Es ist mit der Existenz gegeben. Zum Grundrecht, ein Recht zu haben, wird niemand erst durch Pflichten berechtigt. Es gibt Rechte und es gibt Pflichten. Bürgerinnen und Bürger haben beide, und beide stehen doch für sich. Wo diese Unterscheidung aufgehoben wird, wird letztlich, wie Ralf Dahrendorf zu Recht festhält, die Freiheit bedroht: »Darum ist eine Politik so zerstörerisch für die Freiheit, die darauf besteht, dass Arbeitslose keine Unterstützung bekommen sollen, wenn sie nicht aktiv Arbeit suchen, und mehr noch, dass Behinderte oder junge Mütter keine staatlichen Hilfen beanspruchen dürfen, wenn sie nicht arbeiten.«²⁵

    Der Tausch Leistung gegen Gegenleistung steuert die Allokation knapper ökonomischer Ressourcen und dient der wirtschaftlichen Effizienz. Doch die Würde des Menschen kann nicht mit einer Leistung eingetauscht werden, denn sonst könnte man ihrer bei Verweigerung einer Gegenleistung verlustig gehen. Die Ökonomen um Flassbeck jedoch räumen dem Tausch eine Bedeutung ein, die über seine ursprüngliche Funktion weit hinausreicht, wenn er nicht nur als wirtschaftlicher Regelungsmechanismus, sondern als gesellschaftliches Gestaltungsprinzip begriffen wird. Tauschgerechtigkeit vermag nämlich nicht die Rechte der Menschen zu bestimmen. Die Tauschgerechtigkeit hat ihre Aufgabe darin, faire und gleiche Austauschbedingungen zu regeln. Die Verteilungsgerechtigkeit prüft die Verteilung von Einkommen und Macht, während die Beteiligungsgerechtigkeit dafür sorgt, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft teilhaben können. Der Beteiligungsgerechtigkeit kommt ein besonderes Gewicht zu, denn sie dringt darauf, dass niemand vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist und allen das gleiche Recht auf die gleiche Freiheit zukommt. Diese Gerechtigkeit wollen die Menschenrechte herstellen. Sie sind deshalb nicht nur Abwehrrechte, sondern auch Anspruchsrechte, die die notwendigen Bedingungen eines guten Lebens für alle garantieren: Alle sollen sozial gesichert leben können. Wenn die Gegenleistung an eine zuvor erbrachte Leistung gebunden wäre, würde dies bedeuten, dass die Leistung wegfällt, wenn die Gegenleistung nicht erfolgt. Könnte das Recht auf eine Existenzsicherung entfallen, wenn eine Gegenleistung nicht erbracht wird? Deshalb begründet die deutsche Verfassung auch das Recht auf »Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben«²⁶ aus der Erhaltung und Sicherung der menschlichen Würde. Diese Mindestvoraussetzungen wurden vom Bundesverfassungsgericht 2010 als ein soziokulturelles Existenzminimum ausgelegt, das allen Bürgerinnen und Bürgern die volle soziale, ökonomische und politische Teilhabe an der Gesellschaft gewährleisten soll.²⁷ In diesem Sinne hat auch der Ausschuss für Beschäftigung im Europäischen Parlament »äußerste Armut und soziale Ausgrenzung eine Verletzung sämtlicher Menschenrechte« genannt und von den Mitgliedstaaten der EU Mindesteinkommenssysteme, die oberhalb der Armutsgrenze liegen, sowie eine Prüfung der armutsbekämpfenden Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens für alle gefordert.²⁸

    Auf die ökonomischen und sozialen Krisen der 21. Jahrhunderts muss abermals, und zwar neu, eine Antwort aus dem normativen Gehalt der Idee der sozialen Sicherheit entworfen werden. Der egalitär-universalistische Gehalt der Menschenrechte enthält einen utopischen Überschuss, der keinen gesellschaftlichen Gegenentwurf formuliert, aber auf die fortschreitende Realisierung sozialer Menschenrechte drängt. Genau das

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