Die Sache mit der Führung
By Dirk Baecker
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Book preview
Die Sache mit der Führung - Dirk Baecker
Dirk Baecker
Die Sache mit der Führung
Wiener Vorlesungen im Rathaus
Band 142
Herausgegeben für die Kulturabteilung der Stadt Wien
von Hubert Christian Ehalt
Vortrag im Wiener Rathaus
am 27. November 2008
Dirk Baecker
Die Sache mit der Führung
Picus Verlag Wien
Copyright © 2012 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien
ISBN 978-3-7117-5140-9
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt
Informationen zu den Wiener Vorlesungen unter
www.vorlesungen.wien.at
Informationen über das aktuelle Programm
des Picus Verlags und Veranstaltungen unter
www.picus.at
Inhalt
Die Sache mit der Führung
Anmerkungen
Der Autor
Die Wiener Vorlesungen im Rathaus
Die große Resonanz, die der Vortrag des berühmten deutschen Soziologen Prof. Dr. René König am 2. April 1987 im Wiener Rathaus bei einem sehr großen Publikum hatte, inspirierte die Idee einer Vorlesungsreihe im Rathaus zu den großen Problemen und Überlebensfragen der Menschen am Ausgang des 20. Jahrhunderts.
Das Konzept der Wiener Vorlesungen ist klar und prägnant: Prominente Denkerinnen und Denker stellen ihre Analysen und Einschätzungen zur Entstehung und zur Bewältigung der brisanten Probleme der Gegenwart zur Diskussion. Die Wiener Vorlesungen skizzieren nun seit Anfang 1987 vor einem immer noch wachsenden Publikum in dichter Folge ein facettenreiches Bild der gesellschaftlichen und geistigen Situation der Zeit. Das Faszinierende an diesem Projekt ist, dass es immer wieder gelingt, für Vorlesungen, die anspruchsvolle Analysen liefern, ein sehr großes Publikum zu gewinnen, das nicht nur zuhört, sondern auch mitdiskutiert. Das Wiener Rathaus, Ort der kommunalpolitischen Willensbildung und der Stadtverwaltung, verwandelt bei den Wiener Vorlesungen seine Identität von einem Haus der Politik und Verwaltung zu einer Stadtuniversität. Das Publikum kommt aus allen Segmenten der Stadtbevölkerung; fast durchwegs kommen sehr viele Zuhörer aus dem Bereich der Universitäten und Hochschulen; das Wichtige an diesem Projekt ist jedoch, dass auch sehr viele Wienerinnen und Wiener zu den Vorträgen kommen, die sonst an wissenschaftlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen. Sie kommen, weil sie sich mit dem Rathaus als dem Ort ihrer Angelegenheiten identifizieren, und sie verstärken durch ihre Anwesenheit den demokratischen Charakter des Hauses.
Es ist immer wieder gelungen, Referentinnen und Referenten im Nobelpreisrang zu gewinnen, die ihre Wissenschaft und ihr Metier durch die Fähigkeit bereichert haben, Klischees zu zerschlagen und weit über die Grenzen ihres Faches hinauszusehen. Das Besondere an den Wiener Vorlesungen liegt vor allem aber auch in dem dichten Netz freundschaftlicher Bande, das die Stadt zu einem wachsenden Kreis von bedeutenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Forschung in aller Welt knüpft. Die Vortragenden kamen und kommen aus allen Kontinenten, Ländern und Regionen der Welt, und die Stadt Wien schafft mit der Einladung prominenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine kontinuierliche Einbindung der Stadt in die weltweite »scientific community«. Für die Planung und Koordination der Wiener Vorlesungen war es stets ein besonderes Anliegen, diese freundschaftlichen Kontakte zu knüpfen, zu entwickeln und zu pflegen.
Das Anliegen der Wiener Vorlesungen war und ist eine Schärfung des Blicks auf die Differenziertheit und Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit. Sie vertreten die Auffassung, dass Kritik ein integraler Bestandteil der Aufgabe der Wissenschaft ist. Eine genaue Sicht auf Probleme im Medium fundierter und innovativer wissenschaftlicher Analysen dämpft die Emotionen, zeigt neue Wege auf und bildet somit eine wichtige Grundlage für eine humane Welt heute und morgen. Das Publikum macht das Wiener Rathaus durch seine Teilnahme an den Wiener Vorlesungen und den anschließenden Diskussionen zum Ort einer kompetenten Auseinandersetzung mit den brennenden Fragen der Gegenwart, und es trägt zur Verbreitung jenes Virus bei, das für ein gutes politisches Klima verantwortlich ist.
Fernand Braudel hat mit dem Blick auf die unterschiedlichen Zeitdimensionen von Geschichte drei durch Dauer und Dynamik voneinander verschiedene Ebenen beschrieben: »L’histoire naturelle«, das ist jener Bereich der Ereignisse, der den Rhythmen und Veränderungen der Natur folgt und sehr lange dauernde und in der Regel flache Entwicklungskurven aufweist. »L’histoire sociale«, das ist der Bereich der sozialen Strukturen und Entwicklungen, der Mentalitäten, Symbole und Gesten. Die Entwicklungen in diesem Bereich dauern im Vergleich zu einem Menschenleben viel länger; sie haben im Hinblick auf unseren Zeitbegriff eine »longue durée«. Und schließlich sieht er in der »histoire événementielle« den Bereich der sich rasch wandelnden Ereignisoberfläche des politischen Lebens.
Die Wiener Vorlesungen analysieren mit dem Wissen um diese unterschiedlichen zeitlichen Bedingungshorizonte der Gegenwart die wichtigen Probleme, die wir heute für morgen bewältigen müssen. Wir sind uns bewusst, dass die Wirklichkeit der Menschen aus materiellen und diskursiven Elementen besteht, die durch Wechselwirkungsverhältnisse miteinander verbunden sind. Die Wiener Vorlesungen thematisieren die gegenwärtigen Verhältnisse als Fakten und als Diskurse. Sie analysieren, bewerten und bilanzieren, befähigen zur Stellungnahme und geben Impulse für weiterführende Diskussionen.
Hubert Christian Ehalt
Dirk Baecker
Die Sache mit der Führung
Sich zu entziehen wissen
Von dem ebenso begnadeten wie eigenwilligen Theaterregisseur Klaus Michael Grüber erzählt seine damalige Regieassistentin Katka Schroth, dass er bei seiner Inszenierung des Stückes »Splendid’s« von Jean Genet 1994 an der Berliner Schaubühne die Angewohnheit hatte, bei den Proben meist zu spät aufzutauchen, sich in das dämmerige Dunkel der letzten Reihen des Zuschauerraums zu verziehen und dort nahezu unsichtbar in Schweigen zu versinken. Man wusste nicht, ob er wach war oder seinen Rausch ausschlief. Währenddessen probten die Schauspieler auf der Bühne ihre Szene. Irgendwann kam ein Brummen aus dem Dunkel, Grüber war mit dem erreichten Zustand der Dinge zufrieden.
Von dem erfolgreichen Unternehmensgründer und Konzernlenker Reinhard Mohn erzählt der Universitätsgründer Konrad Schily die Geschichte, wie eines Tages seine Chefsekretärin auf ihn zukam und ihn ausnahmsweise um ein Gespräch bat, da sie ein persönliches Problem habe. Er lud sie für den Nachmittag auf einen Tee zu sich nach Hause ein. Sie kam, er bat sie um die Darstellung ihres Problems und als sie nach einer knappen halben Stunde damit fertig war, sagte er, sicherlich wisse sie jetzt, was sie tun wolle. Sie sagte, das stimme, bedankte sich für den Tee und verließ das Haus. Von dem Problem und seiner Lösung war zwischen den beiden, so will es die Geschichte, nie wieder die Rede.
Für das Mysterium der Führung sind solche Geschichten typisch. Man erzählt sie sich gerne und immer wieder, weil sie auf einen wesentlichen Punkt hinzuweisen scheinen, ist jedoch meist überfragt, wenn dieser Punkt explizit gemacht werden soll. Ich möchte im Folgenden einige Überlegungen vorstellen, die dazu beitragen können, das Mysterium ein wenig aufzuklären, ohne es ganz beseitigen zu wollen.
Zwei Punkte sind mir an diesen beiden Geschichten wichtig. Zum einen machen sie deutlich, dass Führung eine kommunikative Leistung ist, die zwei oder mehr Leute zueinander in ein