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Du bist die Welt für mich
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Du bist die Welt für mich

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About this ebook

Ein Bauernhof inmitten Deutschlands: Die Fehde zwischen den Schwestern Veronika und Franziska Perner vertieft sich, als die neue Tierärztin Dr. Jutta Adler mit frischen Ideen und Behandlungsmethoden gehörig Staub aufwirbelt. Aus Liebe (zu den Tieren und zur Tierärztin) beginnt Veronika in München Veterinärmedizin zu studieren, doch Franziska lässt nichts unversucht, um dem Liebesglück ein jähes Ende zu bereiten. Als dann noch die Zukunft des Hofes auf dem Spiel steht, muss Veronika eine schwere Entscheidung fällen ...
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783941598799
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    Du bist die Welt für mich - Hanna Berghoff

    978-3-941598-79-9

    »Um vier Uhr«, sagte Annamirl Graitlinger zu Dr. Jutta Adler, in deren Tierarztpraxis sie erst kürzlich ihren Dienst als Sprechstundenhilfe angetreten hatte, »wollte noch eines der Perner-Mädels vorbeikommen.«

    Jutta Adler, die schon zum Gehen bereit an der Tür stand, schüttelte den Kopf. Ihre dunklen Haare flogen um ihr Gesicht. »Ich kann nicht warten. Oder ist es ein Notfall?«

    »Ich glaube, nicht«, erwiderte Annamirl, »aber wir sind zusammen zur Schule gegangen, und ich habe ihr versprochen –«

    »Halten Sie sich mit solchen Versprechungen in Zukunft zurück«, versetzte Jutta Adler etwas ungehalten. »Sie werden sie doch kaum je einlösen können.«

    »Ist gut, Frau Doktor.« Annamirl nickte. »Werd’s mir merken.«

    »Besser so«, erwiderte Jutta Adler und verließ die Praxis.

    Als sie die äußere Tür öffnete, wurde sie von einer Person aufgehalten, die es ziemlich eilig zu haben schien. Jutta stolperte fast über sie.

    »Entschuldigung«, stieß die junge Frau atemlos hervor – anscheinend war sie gelaufen – und schaute die großgewachsene Ärztin, die sie um einiges überragte, verlegen an.

    Jutta Adler nickte nur kurz und ging wortlos – schon in Gedanken an den auf sie wartenden Fall – weiter.

    »Frau Doktor ist gerade fort«, begrüßte Annamirl Veronika Perner, als sie die Praxis betrat. »Höchstens eine Minute. Notfall.«

    »War sie das, mit der ich an der Tür zusammengestoßen bin?« fragte Veronika und drehte sich zum Ausgang um. Eine überflüssige Frage. Sie musste es gewesen sein. Alle anderen im Dorf kannte sie. Die Tierärztin war neu, gerade erst zugezogen. »Dann krieg’ ich sie noch!« rief sie Annamirl zu und hastete genauso eilig, wie sie gekommen war, wieder hinaus.

    Jutta Adler wollte gerade in ihren Jeep steigen, als eine Stimme sie mit jugendlichem Eifer aufhielt. »Frau Dr. Adler!«

    Jutta drehte sich um.

    »Frau Dr. Adler«, wiederholte Veronika abgehackt, die laufend bei ihr ankam. »Ich wollte zu Ihnen.«

    »Das geht jetzt nicht.« Jutta stieg ein und stellte ihre Tasche auf den Beifahrersitz. »Ich muss zu einem Notfall.« Sie ließ den Wagen an.

    Veronika lief schnell um den Jeep herum und riss die Beifahrertür auf. »Nehmen Sie mich mit? Ich verarzte die Tiere auf unserem Hof manchmal selbst. Vielleicht kann ich etwas lernen.«

    »Wozu wollten Sie dann zu mir, wenn Sie Ihre Tiere selbst versorgen?« fragte Dr. Adler mit zusammengezogenen Augenbrauen.

    Diese Brauen erschreckten Veronika etwas. Sie hatte noch nie jemand gesehen, der so vernichtend blicken konnte. »Nur bei Kleinigkeiten«, erwiderte sie dennoch tapfer. »Alles andere überlasse ich dem Tierarzt.«

    »Wie reizend«, sagte Jutta spöttisch. »Nun steigen Sie schon ein. Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen hier herumzuärgern.«

    Sie fuhr einfach los, und Veronika musste auf den anrollenden Wagen springen, wenn sie mitfahren wollte. Sie zog sich in den Jeep hinein und schloss die Tür hinter sich. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wusste nicht, dass Sie es so eilig haben. Und noch weniger wollte ich Sie ärgern.« Sie nahm die Arzttasche, die auf dem Sitz gestanden hatte, auf den Schoß.

    »Ist schon gut«, sagte die Tierärztin, während sie mit quietschenden Reifen um die Ecke fuhr, so dass der Wagen sich in die Kurve neigte. »Ich war ein wenig grob. Aber heute geht es in der Praxis zu wie in einem Taubenschlag. Und immer steht ein Leben auf dem Spiel. Auch wenn es nur das Leben eines Tieres ist, ich verliere nicht gern einen Patienten, wenn ich es vermeiden kann.«

    »Das kann ich gut verstehen«, sagte Veronika. »Das schlimmste, was mir je passiert ist, war, als mein Hund überfahren wurde. Ich konnte nichts mehr für ihn tun.« Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Immer noch nahm sie die Erinnerung mit, auch wenn sie damals noch ein Kind gewesen war. Sie wandte sich ab, wischte sich schnell eine Träne aus dem Augenwinkel und hoffte, dass Frau Dr. Adler es nicht gesehen hatte. Sie schien nicht gerade der sentimentale Typ zu sein. Veronika wollte nicht, dass sie sie für ein Weichei hielt. »Ich heiße Veronika Perner«, sagte sie. »Nur damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.«

    »Den Nachnamen habe ich schon vermutet«, sagte Dr. Adler. »Frau Graitlinger erwähnte so etwas.«

    Veronika brach in ein laut prustendes Lachen aus, das den ganzen Wagen zum Vibrieren brachte.

    Dr. Adler schaute sie irritiert an. »Was ist so lustig?«

    »Frau Graitlinger . . .«, prustete Veronika. »Ich habe noch nie gehört, dass jemand Annamirl so nennt. Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«

    »Ja, das sagte sie«, bestätigte Dr. Adler. »Und sie sagte auch, dass es mehrere weibliche Personen mit dem Namen Perner gibt.«

    »So gepflegt hat sie das bestimmt nicht ausgedrückt«, erwiderte Veronika. Sie hatte sich wieder beruhigt. »In Deutsch war sie nie eine Leuchte. Aber es stimmt. Es gibt mehrere weibliche Personen mit dem Namen. Meine Mutter, meine Schwester und mich. Ach, und meine Großmutter. Aber sie lebt nicht bei uns.«

    »Hat Ihre Mutter Sie zu mir geschickt?« fragte Dr. Adler.

    »Mein Vater«, sagte Veronika. »Wir haben eine Kuh, die demnächst kalben wird. Er macht sich Sorgen um sie. Er wollte, dass Sie sich die Lies einmal ansehen.«

    »Wenn ich’s dazwischenschieben kann, gern«, nickte Dr. Adler, während sie ein Auge auf die Straße gerichtet hielt, die im Affenzahn vorbeirauschte. »Im Moment wird das etwas schwierig, wenn es kein Notfall ist.«

    »Noch ist es das nicht.« Veronika schüttelte den Kopf. »Mein Vater will nur vermeiden, dass es einer wird.«

    »Leider sind nicht alle Bauern so vorausschauend wie Ihr Vater«, erwiderte Jutta Adler seufzend. »Meistens holen sie mich erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist.«

    »Ja, das ist typisch.« Veronika seufzte auch. »Sie wollen das Geld für den Tierarzt sparen, und hinterher ist die Kuh tot, und sie haben gar nichts davon.«

    Jutta Adler schaute sie schnell von der Seite an. »Ich sollte Sie zu einigen der Bauern mitnehmen. Sie haben eine sehr überzeugende Art. Vielleicht lernt es dann der eine oder andere.«

    Veronika winkte ab. »Mein Vater versucht das schon seit Jahren. Es hat nichts genützt. Die Bauern sind halt stur. Mein Vater hat sich ständig dafür eingesetzt, dass endlich wieder ein Tierarzt ins Dorf kommt, nachdem unser alter gestorben war. Viele von den Bauern meinten, das brauche es nicht, das koste nur Geld.«

    »Na, da habe ich ja Glück gehabt, dass ich die Praxis bekommen habe!« lachte Jutta Adler ungläubig.

    »Ich glaube, wir haben eher Glück gehabt«, erwiderte Veronika schüchtern. »Es gibt doch schon fast keine Landtierärzte mehr. Wenn Sie eine Praxis in der Stadt hätten, könnten Sie mehr Geld verdienen.«

    »Da haben Sie recht«, nickte Jutta Adler. »Aber Geld ist nicht alles.«

    Sie bogen in den Hofweg eines Bauern ein, der genau zu denen gehörte, die sich bis zur letzten Sekunde gegen einen neuen Tierarzt gewehrt hatten. Und nun konnte er es kaum erwarten, dass seinem Tier geholfen wurde. Er stand schon im Hof, als Jutta Adler mit ihrem Jeep hineinfuhr.

    »Bald hätten Sie nicht mehr zu kommen brauchen, Frau Doktor«, begrüßte er sie grimmig. »Die Kuh liegt schon in den letzten Zügen.«

    Jutta Adler kümmerte sich nicht um seine Stimmung. »Wo ist sie?« fragte sie, während sie in ihre Gummistiefel schlüpfte.

    Der Bauer zeigte hinter sich. Jutta Adler lief los und betrat eilig den Stall. Es war klar, um welche Kuh es sich handelte. Das arme Tier lag im Stroh und keuchte nur noch schwach.

    Die Tierärztin untersuchte die Kuh mit geübten Griffen. »Wie lange liegt sie schon so?« herrschte sie den Bauern an, der hinzugetreten war. Hinter ihm stand Veronika.

    »Zwei Tage«, antwortete er grummelnd.

    »Zwei Tage?« Dr. Adlers Stimme hob sich wütend. »Und dann holen Sie mich erst heute?«

    »Ich dachte, sie schafft es allein«, erwiderte der Bauer trotzig.

    »Es ist ein Wunder, dass sie noch lebt. Und sie hat sich die beiden Tage furchtbar gequält. Wiederkäuer dürfen nicht auf der Seite liegen, das wissen Sie doch. Oder sind Sie so ein schlechter Bauer, dass Sie davon keine Ahnung haben?« Juttas Wut nahm ihr jede Zurückhaltung.

    »Ja, schon . . .« Der Bauer zog den Kopf ein.

    »Frau Perner, helfen Sie mir?« fragte Jutta. »Ich will nicht, dass dieser Esel mir hier hineinpfuscht und auch noch die letzte Chance für das arme Tier zerstört.«

    Veronika zögerte nicht eine Sekunde. Sie trat zu Jutta und wartete auf ihre Anweisungen.

    »Zuerst einmal müssen wir das Kalb herausholen. Auch wenn ich glaube, dass es schon tot ist.« Jutta desinfizierte ihre Hände mit einem Spray und reichte das Spray an Veronika weiter, die es genauso einsetzte. »Da hilft nur noch ein Kaiserschnitt. Die Kuh hat keine Kraft mehr.« Jutta nahm einen kleinen Kasten aus ihrer Tasche und öffnete ihn. Eine Reihe silberner Skalpelle glitzerte im schummrigen Licht des Stalles. Sie nahm eines heraus und desinfizierte es ebenfalls mit dem Spray, reichte das glänzende Teil an Veronika weiter. »Ich werde eine lokale Betäubung setzen«, sagte sie. Sie nahm eine Spritze heraus, füllte sie mit einer Flüssigkeit aus einem kleinen Fläschchen und drückte die Spritze durch das Fell der Kuh. »Gleich geht es dir besser, meine Kleine«, sagte sie in einem fast zärtlichen Tonfall. »Die Kuh ist schon zu schwach«, wandte sie sich an Veronika. »Sie würde keine Vollnarkose mehr verkraften, aber ich hoffe, das hier reicht. Sie hat schon weit mehr ausgehalten in den letzten zwei Tagen.« Sie warf noch einmal einen wütenden Blick auf den Bauern hinter sich. Ihre Augen schossen Blitze, die ihn hätten töten müssen, wären sie echt gewesen.

    Jutta zog Gummihandschuhe über und forderte mit einem Blick auch Veronika dazu auf, sich welche anzuziehen. Sie nahm das Skalpell, das Veronika ihr reichte, führte einen sauberen Schnitt am Bauch der Kuh aus, griff in die Öffnung hinein, tastete, nickte, dann zog sie. »Helfen Sie mir, bitte?« Sie schaute Veronika an.

    Veronika kniete sich neben Jutta und griff ohne zu zögern ebenfalls in die Höhlung hinein. Sie fühlte ein Bein des Kalbes.

    »Merken Sie, wie verdreht es daliegt?« fragte Jutta mühsam. Sie hielt das andere Bein fest. »Deshalb konnte es nicht auf natürlichem Wege herauskommen.«

    Veronika nickte. Es war nicht die erste Geburt eines Kälbchens, der sie beiwohnte, und nicht alle waren problemlos verlaufen.

    Jutta brachte mit Veronikas Hilfe das Kälbchen in die richtige Lage, dann zogen sie es beide zusammen heraus. Es war tot. Nachdem Jutta überprüft hatte, dass sie nichts mehr für das Kalb tun konnte, kümmerte sie sich erneut um die Mutterkuh. Sie desinfizierte alles noch einmal und nähte die Wunde zu.

    »Jetzt kommt der schwierigste Teil«, sagte sie dann. »Sie muss aufstehen. Ich weiß nicht, ob sie es überlebt, aber wenn sie liegenbleibt, stirbt sie auf jeden Fall.«

    Veronika warf einen zweifelnden Blick auf die Kuh.

    »Ja, ich weiß«, sagte Jutta. »Es scheint aussichtslos. Aber wir müssen es versuchen. Sie ist jung. Vielleicht schafft sie es.« Sie stemmte sich von der Seite gegen das liegende Tier. »Komm, Kleine, komm hoch . . .«, stöhnte sie angestrengt.

    Veronika stemmte sich neben Jutta ebenfalls gegen den Rücken der Kuh.

    »Kommst du wohl her, du verdammter Idiot?« schrie Jutta den Bauern an. »Hilf uns gefälligst!«

    Der Bauer trat zu ihnen und verstärkte den Druck, den die beiden bereits auf die Kuh ausübten. Langsam rollte die Kuh etwas.

    Jutta sprang auf, lief auf die andere Seite und legte die Beine der Kuh so hin, dass sie unter ihrem Bauch zu liegen kommen mussten, wenn die Kuh sich noch weiter drehte. »Jetzt!« rief sie. »Dreht sie!«

    Der Bauer und Veronika drückten gewaltig, Jutta zog mit aller Macht von der anderen Seite, und die Kuh kam, schwach, wie sie war, in eine Art kniende Position.

    »Sie hebt den Kopf nicht. Sie ist fast tot«, sagte Jutta. »Ich hole Stricke aus dem Wagen.«

    Sie lief los und kam gleich darauf mit etlichen Stricken und Gurten wieder. »Wir müssen sie in dieser Position festbinden«, sagte sie und reichte die Stricke an Veronika und den Bauern weiter.

    Alle drei zurrten sie die Kuh fest, so dass sie nicht mehr in eine liegende Stellung zurückkippen konnte.

    »So«, sagte Jutta und befestigte noch einen Gurt am Kopf der Kuh, damit sie ihn in etwas gehobener Position halten konnte. »Wenn sie morgen früh noch so liegt, sehen Sie zu, dass sie aufsteht.« Sie sprach den Bauern jetzt wieder mit Sie an. »Sie muss stehen. Wenn sie morgen nicht steht, war alles umsonst.«

    Sie ging noch einmal zu ihrer Tasche und zog eine riesenhafte Spritze auf. Gleichzeitig nahm sie eine große Flasche mit trübem Inhalt heraus. Sie setzte der Kuh die Spritze, dann hängte sie die Infusion an. »Sie haben ja nichts Besseres zu tun«, sagte sie ironisch zu ihrem Besitzer. »Also werden Sie ihr alle zwei Stunden eine neue Infusion geben, die ganze Nacht hindurch. Kommen Sie in meiner Praxis vorbei und holen Sie die restlichen Infusionsbehälter. Hoffen wir, dass es reicht. Die ganze Magenreihe ist durch das Liegen durcheinander. Sie kann nichts mehr verdauen. Nur die Infusion hält sie am Leben. Bis sie wieder stehen kann. Dann werden wir sehen, ob die Mägen sich in die natürliche Position zurückbegeben. Mehr kann ich jetzt nicht tun.« Sie schaute auf das tote Kalb hinunter, das bewegungslos im Stroh lag, als ob es nur schliefe. »Wäre ein strammer Stier geworden«, sagte sie. »Hätten Sie mich früher geholt, hätten Sie jetzt zwei gesunde Rinder im Stall statt ein totes und ein halbtotes.«

    Der Bauer schaute ebenfalls auf das Kalb hinunter. Es schien ihm die Sprache verschlagen zu haben.

    »Wirst du jetzt vielleicht Vernunft annehmen, Krausleitner?« fragte Veronika wütend. »Da haben wir endlich wieder eine Tierärztin im Dorf, und du holst sie erst, wenn es zu spät ist. Liegt dir denn gar nichts an deinen Viechern?«

    »Der Stier hätte schon einiges gebracht«, sagte der Bauer. »Und wenn die Kuh auch noch stirbt –«

    »Nur Geld, Geld, Geld!« Veronika konnte sich gar nicht mehr beruhigen. »Etwas anderes hast du wohl nicht im Sinn. Die Kuh quält sich für dich zu Tode, und du denkst nur an Geld!«

    »Lassen Sie. Er versteht es doch nicht.« Jutta legte besänftigend eine Hand auf Veronikas Arm. »Aber meine Rechnung, die wird er verstehen, denn da geht es auch um Geld. Und nicht zu wenig.« Sie lächelte grimmig.

    »Das will ich hoffen!« sagte Veronika und stapfte zu Juttas Jeep davon.

    »Sie haben sich hervorragend geschlagen«, sagte Jutta anerkennend, als sie ins Dorf zurückfuhren. »Dafür dass Sie noch so jung sind.«

    »Ich war schon als Kind das erste Mal bei der Geburt eines Kälbchens dabei«, sagte Veronika, die immer noch wütend blickte. »Die ganzen Lämmer, Zicklein und Kätzchen kann ich gar nicht mehr zählen.«

    »Wollen Sie denn später auch Bäuerin sein?« fragte Jutta interessiert.

    »Ich hätte nicht wirklich etwas dagegen, aber wenn alles so läuft wie geplant, wird meine Schwester Franziska den Hof übernehmen. Sie ist die Bäuerin in der Familie.«

    »Ihre Schwester ist älter?«

    »Ja, um zehn Minuten!« Veronika lachte. »Wir sind Zwillinge.«

    »Zwillinge«, wiederholte Jutta. »Es kann also sein, dass ich demnächst einmal das Gefühl haben werde, doppelt zu sehen, wenn ich Sie auf der Straße treffe?«

    »Könnte sein.« Veronika schmunzelte. »Wenn wir wollen, kann uns niemand auseinanderhalten, nicht einmal unsere Mutter.«

    »Es heißt, Zwillinge denken immer dasselbe und wollen immer dasselbe, ist das so?« fragte Jutta.

    »Einerseits schon«, antwortete Veronika, »aber andererseits – Franzi wollte noch nie etwas anderes als Bäuerin sein, sie hat die Schule gehasst und ist so bald wie möglich abgegangen. Ich habe gerade Abitur gemacht und denke darüber nach, zu studieren. So ganz identisch, wie viele Leute denken, sind wir also nicht.«

    »Glückwunsch. – Zum Abitur«, sagte Jutta. »Wissen Sie schon, was Sie studieren wollen?«

    »Wenn ich Landwirtschaft studiere, könnte ich Franzi helfen«, sagte Veronika nachdenklich. »Das wäre sicherlich am besten.«

    »Das klingt aber nicht so, als ob es Ihr eigener Wunsch wäre«, vermutete Jutta, während sie wieder in die Hauptstraße des Dorfes einbog, die zu ihrer Praxis führte.

    »In Wirklichkeit weiß ich noch nicht, was ich will«, gab Veronika zu. »Ich habe einige Schulfächer sehr gemocht, Deutsch vor allem. Vielleicht sollte ich das studieren.« Sie lachte. »Damit ich lerne, bessere Gedichte zu schreiben!«

    »Sie schreiben Gedichte?« Jutta parkte den Jeep auf dem Hof ihrer Praxis und stellte den Motor ab.

    »Oh Gott!« Veronika hielt sich verlegen die Hand vor den Mund. »Das ist mir so rausgerutscht.« Sie wurde rot.

    Jutta schien ein Lächeln zu unterdrücken. »Dafür brauchen Sie sich doch nicht zu schämen. Viele Menschen schreiben Gedichte, besonders Frauen.«

    »Ja, ich weiß.« Veronika verdrehte die Augen. »Das ist es ja eben.«

    »Sie meinen, über die Qualität dieser Gedichte ließe sich streiten?« Jutta ging zur Praxis hinüber, und Veronika folgte ihr.

    »Oder auch nicht«, sagte Veronika.

    Jutta schmunzelte in sich hinein, was Veronika jedoch nicht sah. »Frau Graitlinger . . .«, sprach Jutta ihre Sprechstundenhilfe an, als sie die Praxis betrat. »Frau Perner hier hätte gern, dass ich mir eine ihrer Kühe ansehe. Habe ich noch einen Termin frei?«

    »Frau Perners Kühe?« fragte Annamirl verwirrt.

    »Unsere natürlich«, sagte Veronika. »Mein Vater macht sich Sorgen um die Lies.«

    »Ah, dein Vater.« Annamirls Welt war wieder in Ordnung. Sie blätterte in einem großen Kalender. »Der Haslinger hat gerade angerufen. Sein Einjähriger hat sich im Stacheldraht verfangen. Er fürchtet, er könnte sich ernsthaft verletzt haben. Ob Sie gleich kommen könnten.«

    »Sein Einjähriger?« fragte Jutta. »Ein Pferd?«

    »Araber«, sagte Veronika. »Er züchtet sie, aber nur aus Liebhaberei. Sein einjähriger Hengst ist sein ganzer Stolz. Er würde am liebsten eine ganze Dynastie von Nachkommen auf ihn aufbauen.«

    »Und dann verwendet er Stacheldraht?« Jutta schüttelte den Kopf. »Ja, sind die Leute denn noch zu retten?«

    Veronika schaute zweifelnd in den vollen Terminkalender, den Annamirl immer noch durchforstete. »Sieht nicht gut aus für unsere Lies«, sagte sie traurig.

    »Es muss gehen«, sagte Jutta. »Ich werde einfach vorbeikommen, sobald ich ein paar Minuten Zeit habe. Heute wird es wahrscheinlich nichts, aber morgen vielleicht. Ich glaube, da ist es etwas ruhiger.« Sie warf einen kurzen Blick auf Veronika. »Ich muss mich doch für Ihre Hilfe heute revanchieren.«

    Veronika hob die Hände. »Deshalb nicht«, sagte sie. »Das war doch selbstverständlich. Und wer weiß, ob die Kuh es überlebt.«

    »Wollen wir’s hoffen«, sagte Jutta. »Obwohl ich dem Bauern etwas anderes wünschen würde für seine Nachlässigkeit.« Sie wandte sich an Annamirl. »Wo wohnt der Bauer mit dem Araber?«

    »Der Haslinger?« Annamirl runzelte die Stirn, um zu überlegen.

    »Fahren Sie mir einfach nach«, schlug Veronika vor. »Das geht in unsere Richtung. Ich zeige Ihnen den Weg.«

    »Danke«, sagte Jutta, griff nach einer Tasche, die an der Rezeption stand, und ging mit Veronika hinaus. »Bei so vielen Notfällen«, erklärte sie, die Tasche hochhaltend, »habe ich immer schon eine zweite Tasche vorbereitet. Jetzt kann Frau Graitlinger die erste wieder bestücken, und wenn ich zurückkomme,

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