Das Weihnachtswunder
By Ruth Gogoll
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Es ist ein trauriger Heiligabend für Verena, als sie mit ihrem Auto im Straßengraben landet. Pannenhelferin Charlie eilt mit ihrem Abschleppwagen zu Hilfe und scheint nicht nur in dieser Beziehung ein rettender Engel zu sein. Wird Charlie ihr den Lebensmut wiedergeben, den Verena schon verloren glaubte? Oder wartet vielleicht sogar noch ein größeres Weihnachtswunder auf sie?
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Das Weihnachtswunder - Ruth Gogoll
Ruth Gogoll
DAS WEIHNACHTSWUNDER
Eine wundersame lesbische Weihnachtsgeschichte
Originalausgabe:
© 2004
ePUB-Edition:
© 2013
édition el!es
www.elles.de
info@elles.de
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-941598-63-8
Coverillustration:
© WaD – Fotolia.com
Nun waren es also schon drei Jahre, dass Anita tot war.
Verena stand am Fenster und blickte hinaus in die weiße Landschaft. Dieses Haus hatte sie für Anita und sich gekauft; ihrer beider Leben hatten sie darin verbringen wollen, für immer, bis sie starben. Aber sie hatten nicht gedacht, dass der Tod für eine von ihnen so schnell kommen würde – so früh.
Anita hatte es kaum ein Jahr genießen können, dieses Haus. Zwei junge, fröhliche Frauen waren hier eingezogen, und knapp ein Jahr später blieb eine alte, gebrochene leere Hülle zurück.
Es war unvermeidbar gewesen, ein Unfall, hatten sie gesagt. Aber nützte das irgend etwas? Nützte es etwas, dass es keine Absicht gewesen war, dass niemand etwas dafür konnte? Anita war tot, und Verena stand hier, am Fenster, und rührte sich nicht, weil sie die Schneeflocken zählte, die zur Erde fielen, weil sie keinen Sinn mehr darin sah, irgend etwas anderes zu tun als Dinge, die ihr aufgezwungen wurden oder die einfach auf sie zukamen. Die Schneeflocken flogen gegen das Fenster, und deshalb zählte sie sie. Nur deshalb. Nicht etwa, weil es sie interessierte. Es würde sowieso bald wieder tauen.
Der 24. Dezember. Heiligabend. Ein Tag wie jeder andere. Ein trüber Tag, ein trauriger Tag, ein verlorener Tag. Einsam zu sein machte Verena nichts aus, aber in diesem Jahr hatte das Wetter dieses Schneewunder geliefert, diese weiße Pracht, die sie an ihre Kindheit erinnerte. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf, auch Bilder mit Anita, obwohl sie in ihrer so frühen Jugend noch gar nicht dagewesen war. Aber als sie Anita traf, hatte sie das Gefühl gehabt, als wäre sie immer schon bei ihr gewesen, als hätte sie nicht nur einen Bruder, sondern auch eine Schwester gehabt. Es war, als hätte Anita seit ihrer Geburt zu ihrem Leben gehört. Es gab so wenig, was sie ihr erklären musste. Meistens, wenn Verena etwas erzählte, glaubte, etwas erläutern zu müssen, lächelte Anita und sagte: »Ich weiß. Ich kenne das.«
Verena hatte dann immer lachen müssen, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass es so viel Übereinstimmung gab. Aber es war so. Dennoch war Verena eine Weile skeptisch geblieben, denn ihre Erfahrungen mit Frauen waren nicht die besten. Viele hatten sie nur ausgenutzt, lediglich Sex oder eine Affäre gesucht oder Geld. Keine war für Verena dagewesen, wenn sie sie einmal brauchte. Bis Anita kam . . .
Verbittert schlug Verena mit der Hand gegen das kalte Fensterglas. Die Scheibe vibrierte ein wenig und beruhigte sich dann wieder. Wenn ich das nur auch könnte, dachte Verena.
Es war kein Wetter, um das Haus zu verlassen – unter normalen Umständen nicht –, aber Verena zog es plötzlich hinaus. Sie wollte nicht mehr allein sein mit ihren Erinnerungen, sie wollte weglaufen, hineinspringen in einen See des Vergessens.
Sie wusste, dass ihr Wagen nur Sommerreifen hatte. Sie verließ das Haus ja kaum mehr, und darum, sich Winterreifen zu besorgen, hatte sie sich nie gekümmert. Das hätte Anita getan. Wenn sie dagewesen wäre . . . Außerdem hatte niemand mit einem so massiven Wintereinbruch rechnen können.
Verena war das alles egal. Sie nahm ihre Jacke vom Haken und zog sie an, griff sich den Autoschlüssel und ging in die Garage. Der Wagen brummte leicht protestierend, bevor er beim dritten Versuch ansprang. Verena stieg noch einmal aus und öffnete die Garagentür. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Wagen nach so langer Zeit der Nichtbenutzung noch einsatzbereit war. Einen Moment überlegte sie, ob sie den Motor nicht einfach laufen lassen sollte, sich in den Wagen setzen und die Gase einatmen, selig einschlafen und an nichts mehr denken, nie mehr aufwachen. Aber irgend etwas hielt sie davon ab. Die Garagentür war nicht besonders dicht; sie bestand nur aus ein paar zusammengeschlagenen Holzlatten. Sie hätte das alles sorgfältig abdichten müssen, um einen Erfolg zu gewährleisten. Dazu fühlte sie sich zu müde, zu schlapp.
Die morschen Latten knarrten widerwillig, als sie die beiden Torhälften auseinanderschob. Sie setzte sich wieder in den Wagen und fuhr hinaus. Das Tor ließ sie einfach offenstehen. Niemand kam hier vorbei, und wenn, was sollte es? Die ersten Schneeflocken wehten ins Innere der Garage, als sich der Wagen langsam entfernte.
Verena konnte auf der Zufahrt nicht schnell beschleunigen. Die Räder mit den Sommerreifen drehten durch. Aber auf der Straße dann würde sicherlich geräumt sein. Da konnte sie schneller fahren. Sie bog auf die Landstraße ein. Weit und breit war kein Auto zu sehen. Alle waren bei ihren Familien an diesem ›heiligen Tag‹. Verena lachte bitter auf. Das wäre sie auch gern gewesen, aber ihre Familie war tot. Anita war tot.
Wieder erschienen Bilder vor ihrem geistigen Auge. Anita, wie sie den Baum schmückte, wie sie lachte, wie sie ihn fast umriss bei dem Versuch, ganz oben die Spitze zu befestigen. Bevor sie in dieses Haus gezogen waren, hatten sie in einer Wohnung mit sehr hohen Decken gelebt. Und Anita hatte stets darauf bestanden, einen Baum zu kaufen, der diese Höhe ausfüllte, einen gewaltigen Baum, der das Zimmer beinahe in einen Wald verwandelte. Dann war sie herumgeklettert, mit Leitern und Stühlen, um ihn zu schmücken. Verena konnte fast nichts tun, als Anita festzuhalten, denn ihre Klettertouren sahen beängstigend aus. Und echte Kerzen. Immer hatten es echte Kerzen sein müssen, keine elektrischen. Verena hatte Blut und Wasser geschwitzt bei der Vorstellung, was geschehen konnte, wenn einer der Bäume einmal Feuer fing. Aber Anita war in dieser Hinsicht vollkommen unbefangen.
»Wir hatten immer echte Kerzen zu Hause«, hatte sie gelacht. »Etwas anderes – das wäre für mich nicht Weihnachten.«
Und Verena hatte sich schmunzelnd in ihr Schicksal ergeben, ihr beim Anzünden der Lichter zugeschaut. Der einzige Kompromiss war ein voller Wassereimer gewesen, der in der Nähe des Baumes platziert worden war. Darauf hatte Verena bestanden, obwohl Anita das für überflüssig hielt.
Sie war so fröhlich gewesen, Anita, so immer voller Lebensmut und Energie. Verena stand manchmal kopfschüttelnd daneben und konnte es nicht glauben. Konnte es nicht glauben, dass sie sich eine solche Frau eingefangen