Die großen Geologen
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Die großen Geologen - Bernhard Hubmann
Die Geologie
Die junge Wissenschaft von der langen Geschichte der Erde
Will man sich auf eine Darstellung der Geschichte der »Geologie« einlassen, muss man sich mit den Fragekomplexen auseinandersetzen: Was ist Geologie und wie hat sich ihr Begriffsinhalt im Laufe der Zeit gewandelt? Welchen disziplinären Umfang hat sie und wie hat sich dieser entwickelt? Seit wann ist die Geologie eine wissenschaftliche Disziplin bzw. wann endet ihre »vorwissenschaftliche Periode«?
Das Wort »Geologie« leitet sich aus dem Altgriechischen von γηϑ [gê] = »Erde« und λόγος [lógos] = »Lehre« her und verrät bereits viel über den begrifflichen Inhalt. Die heutige Vorstellung des Begriffs Geologie definiert Hans Murawski (1915–1994) in seinem in etlichen Auflagen erschienenen »Geologischen Wörterbuch« als jene Wissenschaft, »die durch Untersuchung der durch natürliche oder künstliche Aufschlüsse zugänglichen Teile der Erdkruste mit ihren Gesteinen, deren Lagerungs- und Umwandlungserscheinungen sowie ihrem Fossilinhalt versucht, ein Bild von der Geschichte der Erde und des Lebens zu entwerfen«. Dadurch, dass die Geologie in ihrer Arbeitsweise räumliche Gegebenheiten mit der zeitlichen Dimension verknüpft, stellt sie innerhalb der Naturwissenschaften eine historisch ausgerichtete, jedoch mit naturwissenschaftlichen Mitteln arbeitende Wissenschaft dar.
Der Begriff »Géologie« wurde von Jean André Deluc (1727–1817) im Jahr 1778 gebraucht und ein Jahr später von Horace Bénédict de Saussure (1740–1799) als feststehende Bezeichnung eingeführt.
Geht man in das Mittelalter zurück, so findet sich der Begriff wieder, beispielsweise in einer Ausgabe von »Philobiblon« aus dem Jahr 1473, die auf Richard de Bury (1287–1345), einen Bischof von Durham, zurückgeht. Der Begriff »Geologia« wird darin im Kontrast zur Theologie verwendet: Die irdische Ordnung, die der göttlichen gegenübersteht.
Kehren wir wieder zum 18. Jahrhundert zurück, als Deluc und Saussure den Begriff der Geologie verwendeten. 1805 schrieb Jean André Deluc: »Geologie ist noch zu wenig Gegenstand einer allgemeinen Aufmerksamkeit … so ist es doch nicht unwichtig, keine falschen Begriffe von ihr zu fassen.« Horace Bénédict de Saussure hatte das Wort Geologie bereits als »normales Vokabular« in seinen »Voyages dans les Alpes« verwendet. Er selbst lehrte, dass ausschließlich die Beobachtung am Objekt die Grundlage der Geologie darstellt. Gerade in diesem Zusammenhang ist der alternative Begriff der damaligen Zeit, die »Geognosie« (von gr. γνωσια [gn¯osía] = »Kenntnis«), von Interesse. Dieser Begriff geht auf Abraham Gottlob Werner (1749–1817) zurück, der seit 1775 an der Bergakademie in Freiberg tätig war. Werner prägte durch seine Lehrtätigkeit eine Vielzahl von Naturforschern seiner Zeit, die er streng dahin führte, der Beobachtung und Klassifizierung der Dinge große Bedeutung einzuräumen und die Spekulation zu vermeiden. Werner lehnte den Begriff Geologie seines Schweizer Kollegen Jean André Deluc ab, weil er meinte, damit sei nur eine spekulativ-theoretische Erdgeschichte gemeint. Unter Geognosie verstand Werner dagegen die rein deskriptive Erdbeobachtung. Noch 1850 unterschied beispielsweise Carl Friedrich Naumann (1797–1873), der eine Professur an der Universität Leipzig für Mineralogie und Geognosie hatte, zwischen einer erdbeschreibenden Geognosie und einer Naturgeschichte der Erde, die er Geogenie nannte.
Franz von Hauer (1822–1899), ab 1866 Direktor der geologischen Reichsanstalt in Wien, schrieb sogar noch 1878: »Mit dem allmählich mehr außer Gebrauch kommenden Worte Geognosie bezeichnet man im Allgemeinen so ziemlich dasselbe wie mit dem Worte Geologie; speziell … wollte man bisweilen unter diesem Namen eine Wissenschaft verstehen, welche die Beobachtungsobjecte der Geologie ohne Rücksicht auf die Geschichte ihrer Bildung ins Auge fassen sollte. Man glaubte dabei, die durch unmittelbare Beobachtung festzustellenden Thatsachen von allen theoretischen Anschauungen oder Hypothesen trennen zu können, übersah aber wohl, dass das letzt anzustrebende Ziel jeder Wissenschaft eben diese theoretischen Anschauungen sein müssen, welche die Einzelerscheinungen durch allgemeine Gesetze in Zusammenhang zu bringen und zu erklären suchen.«
Wie wir wissen, hat sich der Begriff »Geologie« durchgesetzt. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts emanzipierten sich die »erdwissenschaftlichen Disziplinen«, wie Paläontologie, Petrologie, Kristallographie in getrennte universitäre Fächer. Im Kontrast dazu war davor über etliche Jahrzehnte hindurch die Geologie sogar unter dem Begriff Mineralogie subsumiert. Als umfassende Bezeichnung der »Erdlehre«, der »Erdwissenschaften« – wie sich heute viele universitäre Institute nennen – wird der Begriff »Geologie« in diesem Buch bei der Behandlung der Biographien verwendet.
Der Zeitpunkt, mit dem die Geologie im zuvor erwähnten Umfang als Wissenschaft bzw. Wissenschaftszweig einsetzt, ist schwer fixierbar und unterliegt wohl subjektiven Vorstellungen. Allgemein werden für die Etablierung einer Wissenschaft als Aspekte herangezogen, dass sie ein System von Erkenntnissen eines begrenzten Fachgebietes darstellt, eine Hypothese oder Theorie als Grundlage aufweist, von einer eigenständigen beruflichen Körperschaft vertreten wird und eine eigene Institution aufweist. Nimmt man diesen pragmatischen Ansatz, ist die Geologie mit dem Aufkommen der Bergbauschulen in der Mitte des 18. Jahrhunderts tatsächlich eine im Vergleich zu vielen anderen Wissenschaften sehr junge!
Geschichte vor der Geschichte
Der Beginn der Geologie liegt in der Beschäftigung mit dem Ackerboden, der Beschaffung von selektiv ausgewählten Gesteinen für die Herstellung von Werkzeugen und Waffen, dem Abbau von Bau- und Werksteinen für den Haus- und Städtebau, dem Auffinden von Erzen, Salz etc.
Bereits vor etwa 45000 Jahren baute man im Schweizer Jura in Löwenburg Quarzite für Faustkeile ab. In Mauer bei Wien wurde ein »Feuerstein-Bergwerkareal« mit bis zu 12 Meter tiefen trichterförmigen Schächten während des Neolithikums (Jungsteinzeit) angelegt, um etwa 1500 Tonnen Silex (Kieselgestein) zu fördern und, zu Schabern und Messern verarbeitet, bis Mähren und Kroatien zu exportieren. Die frühesten Zeugnisse für Bergbau weisen ebenfalls in das Neolithikum zurück. Um 5000 v. Chr. wurde am Sinai Kupfer abgebaut, die Suche nach Gold und Türkisen ist zumindest seit 3000 v. Chr. in Ägypten belegbar. Etwa um diese Zeit gab es auch schon Metallgruben in Indien und China. Um 2500 v. Chr. setzte die Kupferförderung in Mitteldeutschland ein.
Bereits vor etwa 7000 Jahren begann man im alpinen Bereich im Salzkammergut um Hallstatt (Oberösterreich) mit der Salzgewinnung. Der kontinuierlich betriebene bergmännische Abbau hält hier bis heute an.
In Wilnsdorf (Nordrhein-Westfalen) ist ein Schmelzofen aus der La-Tène-Zeit (um 500 v. Chr.) erhalten, in dem die oberflächennah vorkommenden Eisenerze geschmolzen wurden, welche ohne komplizierte bergbauliche Verfahren gewonnen werden konnten.
Schriftliche Überlieferungen fehlen aus diesen Zeiten. Hinzu kommt, dass bis in das Mittelalter Kenntnisse im Bergbau nur mündlich an Bergleute tradiert wurden.
Ein interessantes schriftliches Dokument stellt der »Turiner Papyrus« dar, eine altägyptische Landkarte, die als bedeutendste erhaltene topographische Karte aus der Zeit um 1160 v. Chr. gilt. Diese Karte gibt eine 15 Kilometer lange Strecke des Wadi Hammamat mit einem Sandsteinbruch, einer Goldmine und der Siedlung bei Bir Umm Fawakhir wieder. Da die verschiedenen Felsarten und die unterschiedlichen Kiesarten der Wadis eingezeichnet sind und zusätzlich eine Legende vorhanden ist (»Die Berge in denen Gold gewaschen wird. Sie sind in dieser roten Farbe«), wird dieser Papyrus oft auch als die älteste geologische Karte angesehen.
Ab etwa 600 v. Chr. bekam die frühe Geologie von einer ganz anderen, nicht angewandt-praktischen Seite ebenfalls bedeutende Impulse, nämlich durch die Beiträge aus den Anfängen der abendländischen Philosophie.
Antike und Mittelalter
Aus dem Staunen darüber, »dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts«, beschäftigten sich die antiken Griechen zum Teil sehr intensiv mit Fragestellungen, die in den »Zuständigkeitsbereich« der Geologie fallen.
Auf Thales von Milet (um 624 v. Chr. – um 546 v. Chr.) geht die Vorstellung zurück, dass alles aus dem Wasser entstanden sei. Wenn auch abgewandelt, so wurde diese Vorstellung in den Ansichten der »Neptunisten« an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert wiederum heftig vertreten.
Die Grundlage für Thales’ Theorie, dass alle Dinge aus dem Wasser entstanden seien, scheint sich aus Beobachtungen der Sedimentationsprozesse an Mündungsbereichen von Flüssen ins Meer oder der Ausfällung von Mineralien am Rand heißer Quellen entwickelt zu haben.
Der Schüler von Thales, Anaximander (um 610 v. Chr. bis nach 547 v. Chr.), der als Erster eine geographische Karte der damals bekannten Länder und Meere zeichnete, meinte, dass die Weltentwicklung durch ein wärme- und kältezeugendes Medium entstanden sei, aus deren Mischung sich Flüssiges absonderte. Ursprünglich, so Anaximander, wäre die ganze Erde mit Wasser bedeckt gewesen, das durch die Sonneneinstrahlung allmählich ausgetrocknet wurde. Im Zuge der Verdunstung des Weltmeeres seien unter anderem die Winde entstanden.
Auch über die Entstehung des Menschen machte sich Anaximander Gedanken. Da ihm die geringe Selbstständigkeit des Menschen im Vergleich zu vielen anderen Lebewesen während des Frühstadiums seiner Entwicklung auffiel, meinte er, dass sich die ersten Menschen aus Tieren und zwar aus Fischen oder fischähnlichen Lebewesen entwickelt hätten. Damit haben wir den ersten Hinweis auf die Vorstellung eines natürlichen Entwicklungsprozesses der Lebewesen. Den Ursprung alles Lebendigen vermutete Anaximander im Wasser.
Während Anaximenes (um 585 v. Chr. – um 525 v. Chr.) die Luft zum Urelement erklärte, denn aus dieser entstehe alles und in diese löse sich alles wieder auf, meinte Anaxagoras (499 v. Chr. – 428 v. Chr.), dass zu Beginn alles miteinander vermischt gewesen sei. Die Sonne betrachtete Anaxagoras nicht wie viele seiner Zeitgenossen als Gottheit, sondern als glühenden Stein, der in seiner Dimension größer sein müsse als der Peloponnes.
Pythagoras (um 570 v. Chr. – nach 510 v. Chr.) hat »seine« Schüler auch mit Vorstellungen zur Erde beeinflusst. So findet sich beispielsweise viel später bei Philolaos von Kroton (um 470 v. Chr. – nach 399 v. Chr.) die Vorstellung, die Erde umkreise ein Zentralfeuer, wobei die bewohnten Gegenden stets auf der diesem Feuer abgewandten Seite liegen. Mond, Sonne und fünf Planeten kreisen ebenfalls um dieses Zentralfeuer.
Als Zeitgenosse von Pythagoras deutete Xenophanes von Kolophon (um 570 v. Chr. – um 470 v. Chr.) erstmals Versteinerungen von Muscheln und anderen Meeresbewohnern in küstenfernen Landstrichen als Überreste von einstigen marinen Lebewesen. Damit erkannte er, dass das Land einmal vom Meer überschwemmt war. Außerdem erkannte Xenophanes die voranschreitende Küstenerosion und schloss auf große Zyklen, in denen sich Gebirgsbildung und Erosion abwechselten. Ende des 18. Jahrhunderts führten sehr ähnliche Beobachtungen den englischen Mediziner James Hutton (1726–1797) zu vergleichbaren Ergebnissen, die ihn zu einem »Charles Darwin der modernen Geologie« werden ließen (siehe S. 56). Xenophanes nahm zudem an, dass bei der Zerstörung der Festländer jedes Mal die jeweilige Menschheit vernichtet werde. Auch in dieser Vorstellung finden wir die Kataklysmen-Theorie eines Georges Cuvier (1769–1832) an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert wieder (siehe S. 78).
Empedokles (um 494 v. Chr. – um 434 v. Chr.), Arzt, Politiker, Priester, Dichter und Philosoph, prägte maßgeblich die Lehre von den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde, die später Platon (428 v. Chr. – 348 v. Chr.) inspirierte und Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) beeinflusste. Nach seinen Vorstellungen gibt es kein Entstehen und Vergehen der Elemente. Das Werden vollzieht sich als ein Mischen und Trennen dieser Elemente, denn »aus jenen ist alles, was war und ist und sein wird, sind Bäume entsprungen und Männer und Frauen und Tiere und Vögel und auch sich im Wasser ernährende Fische und Götter«. Empedokles deutet die Erdoberfläche als vulkanisch entstanden, die durch das »in den Tiefen der Erde wirkende Feuer gehoben und zugespitzt« wurde.
Herodot von Halikarnassos (490/480 v. Chr. – um 425 v. Chr.) war ein antiker griechischer Historiograph, Geograph und Völkerkundler, der neben seinen wertvollen Beschreibungen (Historien) aus Ägypten erstmals den »dreieckig« geformten Sedimentkörper an der Mündung des Nils nach dem griechischen Buchstaben Delta ( Δ ) benannt hatte und richtig folgerte, dass sich diese sedimentäre Struktur durch allmähliche »Aufschlickung« vergrößert und in das Mittelmeer vorbaut. Herodot errechnete auch, wie lange der Nil für die Aufschüttung des ägyptischen Tieflands benötigte. Er zog die aktuelle Sedimentationsfracht des Flusses in Betracht und meinte, dass dies in einem Zeitbereich von 10000 bis 20000 Jahren möglich gewesen sei. »Wie sollte also in all der Zeit, die vor mir vergangen ist, nicht noch eine viel größere Bucht als diese aufgefüllt werden von einem Fluss, der so groß und so tätig ist?«, fragte sich Herodot. Von den ägyptischen Priestern erfuhr er