FilmMusik - Martin Scorsese
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Der zweite Band der Reihe "FilmMusik" nimmt daher das Werk eines der musikalischsten aller Filmregisseure in den Blick, mit Beiträgen zu Scorsese und Oper, zu präexistenter Musik als Autorensignatur, zur Schizophrenie der Musik in "Taxi Driver", zur stilistischen Vielfalt der verwendeten Musik in "The Wolf of Wall Street" und zu Scorseses Arbeit mit seinem "music supervisor" Robbie Robertson.
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Book preview
FilmMusik - Martin Scorsese - edition text kritik
Martin Scorsese
FilmMusik
Herausgegeben von Guido Heldt, Tarek Krohn, Peter Moormann und Willem Strank
Martin Scorsese
Die Musikalität der Bilder
FilmMusik
Herausgegeben von Guido Heldt, Tarek Krohn,
Peter Moormann und Willem Strank
Martin Scorsese
Die Musikalität der Bilder
Print-ISBN 978-3-86916-359-8
E-ISBN 978-3-86916-420-5
Umschlaggestaltung: Thomas Scheer
Umschlagabbildung: Still aus TAXI DRIVER (USA 1976, Regie: Martin Scorsese),
Quelle: Blu-ray, Sony Pictures Home Entertainment 2011
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara
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© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2015
Levelingstraße 6a, 81673 München
www.etk-muenchen.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Jonathan Godsall
Präexistente Musik als Autorensignatur in den Filmen
Martin Scorseses
Robert Rabenalt
»This is addictive«
Robbie Robertson als Scorseses music supervisor
Ingo Lehmann
Vexierspiele durchs Opernglas
Die Spur der Oper und ihre Relevanz
in Martin Scorseses Spielfilmen
Eckhard Pabst
Alles in der Schwebe: TAXI DRIVER
Willem Strank
Sex, Drugs & Miscellaneous Styles
Musik in THE WOLF OF WALL STREET
Auswahlbibliografie
Autoren
Herausgeber
Register
Vorwort
Der Großteil der Literatur zum Thema Filmmusik widmet sich dem Korpus populärer Filmkomponisten, während nur selten der Einfluss von Produzenten oder Regisseuren auf die Musikauswahl thematisiert wird. Gelegentlich kristallisieren sich in der populären Wahrnehmung kongeniale Partnerschaften heraus – Hitchcock und Herrmann, Spielberg und Williams, Pasolini und Morricone –, welche signalisieren, dass auch im Sektor Filmmusik (wie überall beim Film) Teamwork, gemeinsame Entscheidungen und ein kreativer Prozess der Diskussion und Selektion die Produktion ermöglichen, aus dem oft willkürlich einzelne stilbildende Figuren herausgegriffen und als autonome Autoren gezeichnet werden. Diese Reduktionen sind wahrscheinlich notwendig, bilden sie doch erst die handhabbaren Korpora aus, die sich in stilistischen Gemeinsamkeiten und vergleichbaren Produktionsbedingungen niederschlagen und unterscheidbare Formen des Umgangs mit Filmmusik ausbilden. Auch unter den Regisseuren können einige Namen genannt werden, die aufgrund ihrer besonderen Beziehung zur Musik in ihren Filmen eine Sonderrolle einnehmen und sich den Ruf nicht nur filmischer, sondern auch filmmusikalischer Autoren erworben haben – etwa Jean-Luc Godard, Stanley Kubrick, Wes Anderson oder, vielleicht mehr als alle anderen, Martin Scorsese.
Scorsese ist ein Einzelfall selbst unter diesen Sonderfällen wegen der Breite und Reichweite seines Werks: ein cineastischer Polystilist, der Genres vom Horrorfilm über den Sportfilm bis hin zu Mafia-Epos, Biopic und Dokumentarfilm bedient hat und Musik sowohl vor die Kamera gerückt hat als auch in vielfältiger Form extradiegetisch erklingen ließ. Ein Altmeister wie Bernard Herrmann komponierte seinen letzten Score für Scorsese (TAXI DRIVER, USA 1976), The Band ließ ihren letzten Auftritt von ihm filmisch verewigen (THE LAST WALTZ, USA 1978), und deren Gitarrist und Beinahe-Bandleader Robbie Robertson bewährte sich für ihn als musikalische Allzweckwaffe, welche die Kubrick-artige Kompilation präexistenter Konzertmusik (SHUTTER ISLAND, USA 2010) ebenso beherrschte wie die originale Komposition (THE COLOR OF MONEY, USA 1986) und das Songscoring (THE WOLF OF WALL STREET, USA 2013). Scorseses Musikdokumentationen reichen von den experimentellen und stilbildenden Montagen des Woodstock-Materials (1970) über die Begleitung mit Bedeutung aufgeladener Konzert-Events (SHINE A LIGHT, USA 2008) bis hin zu historisierenden Lehrfilmen (die THE BLUES -Serie, USA 2003; NO DIRECTION HOME, USA 2005; GEORGE HARRISON : LIVING IN THE MATERIAL WORLD, USA 2011) und weisen ebenjenen Pluralismus der filmischen Ausdrucksformen auf, der Scorsese auch in visueller Hinsicht zu einer Ikone werden ließ.
Dass die visuelle Seite der Filme jedoch von der Musik zu trennen ist, bezweifelt nicht nur der Titel unseres Bandes, der sich vielmehr das Ziel setzt, der »Musikalität der Bilder« in Filmen Martin Scorseses ebenso nachzuspüren wie den Gepflogenheiten seiner Komponisten und musical directors bzw. music supervisors. Die Diskussion eröffnet Jonathan Godsalls Artikel, welcher die spezifische Art der Nutzung präexistenter Musik des Regisseurs als dessen auktoriale Signatur ansieht. Robert Rabenalt beschäftigt sich mit der langjährigen Kollaboration zwischen Robbie Robertson und Martin Scorsese, während Ingo Lehmann der Affinitäten zur Oper im Werk Martin Scorseses nachspürt. Mit Eckhard Pabsts Beitrag zu Herrmanns TAXI DRIVER-Soundtrack und Willem Stranks Artikel zum Songscoring in THE WOLF OF WALL STREET finden sich überdies zwei Close Readings, welche den Umgang mit Musik und ihren vielfältigen Bedeutungen und Implikationen in zwei nicht nur filmmusikalisch sehr verschiedenen Scorsese-Filmen genau in den Blick nehmen.
»When I was young, popular music formed the soundtrack of my life«¹, hat Martin Scorsese einmal geschrieben, und durch sein Œuvre zieht sich eben jene Faszination für die biografische Funktionalisierung von Musik, die Etablierung von Parallelen zwischen Kunst oder Popkultur und Menschenleben, welche sich in opulenten Songscoring-Experimenten von MEAN STREETS (USA 1973) bis THE WOLF OF WALL STREET (USA 2013) ebenso niederschlägt wie in den Grenzerkundungen von onstage und backstage in seinen Konzertfilmen. Die historische Aufarbeitung und zeitgenössische Inszenierung persönlicher musikalischer Favoriten von Bob Dylan über George Harrison und The Band bis hin zu den Rolling Stones ist Scorsese stets ein Anliegen gewesen – dem »soundtrack of [his] life« nachzuspüren und ihn Zeitzeugen gleichwie neuen Generationen zu vermitteln. Der Soundtrack von Scorseses Leben ist auch der Soundtrack des Lebens seiner Filmfiguren – realer wie fiktionaler – geworden, und dieser Band will einige der Fäden zwischen Musik und Leben, Fiktion und Wirklichkeit in Augen- und Ohrenschein nehmen.
Die Herausgeber, im Herbst 2014
1 Scorsese, Martin: »Preface«, in: Celluloid Jukebox. Popular Music and the Movies since the 50s, hrsg. von Jonathan Romney und Adrian Wooton, London 1995, S. 1.
Jonathan Godsall
Präexistente Musik als Autorensignatur in den Filmen Martin Scorseses
In seiner Kritik von Martin Scorseses THE WOLF OF WALL STREET (USA 2013) beschreibt Xan Brooks den jüngsten Film des Regisseurs im Guardian als »eine stilistische Hommage, eine Kompilation wiederaufgelegter Greatest Hits, ein liebenswertes Stück Selbstplagiat«.¹ Brooks und andere Kritiker haben auf Parallelen zu älteren Scorsese-Filmen hingewiesen, sowohl in Sachen der Geschichte – Jordan Belfort und sein »rasanter Ritt durch eine Abwärtsspirale von Hedonismus und Laster ohne Schuldgefühl« erinnert etwa an Henry Hill in GOODFELLAS (GOODFELLAS – DREI JAHRZEHNTE IN DER MAFIA, USA 1990)² – als auch in stilistischer Hinsicht, indem z. B. auf die Verwendung von »Zeitlupe und Standbildern«³ oder eines »Voice-Over nach GOODFELLAS-Art«⁴ hingewiesen wird.
Aber in diesem Zusammenhang ist wenig über die Musik des Films gesagt worden, auch wenn Scott Foundas in Variety schreibt, dass ein »Vierfachalbum von klassischem Rock und Blues« auf dem Soundtrack dazu beiträgt, THE WOLF OF WALL STREET »in seinem Stil beinahe gezielt Scorsesisch« erscheinen zu lassen.⁵ Ich denke ebenfalls, dass die Verwendung von Musik in THE WOLF OF WALL STREET den Film so klar in Scorseses Werk verortet wie irgendein anderes seiner Attribute. In diesem Text versuche ich, das zu zeigen, indem ich Scorseses Umgang mit Musik durch sein Werk hindurch verfolge. Aber auch wenn die Verwendung von »klassischem Rock und Blues« ein Element darin ist (wie noch zu zeigen sein wird), betrachte ich es nicht als das zentrale. Ausschlaggebend ist vielmehr die Präsenz von präexistenter Musik an sich. Meine Kernbehauptung lautet daher, dass präexistente Musik und die besondere Art und Weise, wie sie eingesetzt wird, durchgängige und daher charakteristische Merkmale des Werkes von Scorsese sind und so einen Aspekt seiner ›auktorialen Signatur‹ bilden – und das gilt für ihn vielleicht mehr als für irgendeinen anderen Mainstream-Filmemacher.
Scorsese hat jedoch zwei Rivalen: Quentin Tarantino und Stanley Kubrick. Beide Regisseure sind in der akademischen Literatur weit mehr als Scorsese im Hinblick auf ihre Verwendung von – in erster Linie – präexistenter Musik hervorgehoben worden.⁶ Scorsese hat allerdings bis heute doppelt so viele Filme gemacht wie diese beiden Regisseure zusammen, und während Tarantinos ›akustischer Stil‹ sich noch zu ändern scheint (seine Verwendung originaler Songs in DJANGO UNCHAINED, USA 2012, ist für ihn neu) und der 1999 verstorbene Kubrick Zeit zur Entfaltung brauchte (seine Vorliebe für den auffälligen Einsatz präexistenter Musik tritt erst in seinem siebten Film DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB [DR. SELTSAM, ODER WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN, GB 1964] auf und wird erst ab 2001: A SPACE ODYSSEY [2001: ODYSSEE IM WELTRAUM, GB/USA 1968] ein fester Bestandteil seines Stils), ist der Stil Scorseses von Anfang an bemerkenswert konsistent gewesen.
In der Tat ist Eklektizismus die Autorensignatur der beiden anderen Regisseure, selbst wenn man sich nur auf die Verwendung von präexistenter Musik bezieht. Aber Scorseses stilistische Konsistenz bedeutet, dass man auch andere ›musikalische Signaturen‹ finden kann. Die Vorliebe für populäre Musik ist eine davon; nur eine Handvoll von Scorseses Filmen kommt ganz ohne diese aus, während die originale Musik in THE COLOR OF MONEY (DIE FARBE DES GELDES, USA 1986) ebenfalls Popularmusik selbst und nicht präexistente Musik als auktoriales Merkmal ins Spiel bringt. Noch genauer sind es bestimmte populäre Stile und Musiker, die von Film zu Film wiederkehren, insbesondere der »klassische Rock und Blues« von THE WOLF OF WALL STREET. In Sachen Blues (und bluesbasierter Musik) ist CASINO (USA 1995) der herausstechende Film: Während THE WOLF OF WALL STREET in seinen ersten Minuten Stücke von Elmore James und Howlin’ Wolf einsetzt und sein musikalisches Programm von dort aus erweitert,⁷ verwendet CASINO Musik u. a. von B. B. King, Muddy Waters, Eric Clapton, Cream und den Rolling Stones, die alle auch in anderen Scorsese-Filmen zu hören sind. Die Stones sind das vornehmlichste Objekt von Scorseses musikalischem Interesse, und mehrere ihrer Songs kommen in MEAN STREETS (HEXENKESSEL, USA 1973), GOODFELLAS, CASINO und THE DEPARTED (DEPARTED – UNTER FEINDEN, USA 2006) vor. Gimme Shelter erscheint in allen vier Filmen, und die Verwendung des Songs am Anfang von THE DEPARTED, zusammen mit einer homodiegetischen Voice-Over-Narration, bietet einen Moment offensichtlichen Selbstplagiats, das noch viel spezifischer ist als das in THE WOLF OF WALL STREET .
Natürlich ist nicht zu ignorieren, dass auch Eklektizismus ein Aspekt von Scorseses musikalischem Katalog ist. In den erwähnten Filmen kommt auch andere Musik vor: J. S. Bachs Matthäus-Passion und George Delerues orchestrales Thème de Camille (aus seiner Musik für Jean-Luc Godards LE MÉPRIS [DIE VERACHTUNG, F 1963]) sind Teil der musikalischen Palette von CASINO, während THE WOLF OF WALL STREET einen Ausschnitt aus Henry Purcells Arie »What power art thou« aus der Musik zu King