Klartext: Eine Kontroverse
Von Alain Badiou und Alain Finkielkraut
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Über dieses E-Book
Die beiden "Kontrahenten“ vertreten zwei unversöhnliche Standpunkte in der intellektuellen Debatte. Ihre Positionen liegen weit auseinander. Alain Badiou ist Vordenker eines erneuerten Kommunismus, Alain Finkielkraut ein Beobachter, der den Verlust der Werte bedauert. Die leidenschaftliche Diskussion, die sich auf Initiative von Aude Lancelin ergab, wird zu einer Auseinandersetzung. Der vorliegende Band dokumentiert jedoch nicht nur ihre Meinungsverschiedenheiten. Denn in einem Punkt sind sie sich einig: Weder sind sie mit dem aktuellen Zustand unserer Gesellschaft zufrieden noch mit dem Kurs, den ihr die politischen Akteure vorgeben.
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Buchvorschau
Klartext - Alain Badiou
Lancelin
I. Über die nationale Identität
und die Nationen
Aude Lancelin – Frankreich wurde aus weitgehend wahltaktischen Gründen eine Debatte über die „nationale Identität" aufgezwungen. Vorhersehbarerweise war die Stimmung bald vergiftet. Wie soll man sich dazu verhalten?
Alain Finkielkraut – Ich weiß nicht, ob die Debatte angebracht ist, aber die Besorgnis ist gerechtfertigt. Im berühmten Vortrag von 1882 beginnt Renan damit, jede rassische Definition der Nation auszuschließen. „Die Menschengeschichte ist von der Zoologie wesentlich verschieden."¹, sagt er und definiert die Nation als ein geistiges Prinzip, wie eine Seele (man darf vor dem Wort keine Angst haben), das aus zwei Elementen besteht: einerseits aus einem reichen Vermächtnis von Erinnerungen, einem Erbe an Ruhm und Sehnsüchten, das man teilt, und andererseits aus dem aktuellen Einverständnis, aus dem Wunsch, das gemeinsame Leben fortzuführen. Frankreich ist nun heute die Theaterbühne für eine zweifache Krise, eine Krise des Erbes und eine Krise des Einverständnisses. In einem nicht zu vernachlässigenden Teil der neuen französischen Bevölkerung ist der Hass auf Frankreich an der Tagesordnung. Man muss blind für die Wirklichkeit sein, um anzunehmen, dass dieser militante Frankreichhass eine Antwort auf den Staatsrassismus oder auf die Stigmatisierung des Fremden sei. Was das Erbe betrifft, so ist die Schule seit nunmehr vierzig Jahren mit Fleiß darauf bedacht, dieses zu verschwenden. Immer mehr Franzosen, einschließlich der Eliten, stehen heute ihrer Sprache, ihrer Literatur, ihrer Geschichte und Landschaft fremd gegenüber. Die Frage der nationalen Identität interessiert deshalb so viele Leute, weil die französische Kultur heute vielleicht im Verschwinden begriffen ist. Vom wahltaktischen Manöver hingegen lässt sich niemand hinters Licht führen. Was man der Regierung vorwerfen kann, ist nicht, dass sie sich um die nationale Identität kümmert, sondern dass sie sich dieser in einer Debatte zu entledigen versucht. Ich hätte eine echte Politik der Weitergabe des Erbes vorgezogen.
A.L. – Die Taten der Regierung Sarkozy stehen jedoch sehr oft im Gegensatz zu diesem Diskurs über die Weitergabe. Nehmen Sie nur zum Beispiel den Versuch, in der letzten Klasse der Fachrichtung Naturwissenschaften den Geschichtsunterricht zu streichen …
A. Finkielkraut – Das ist ein Widerspruch. Man muss sich zwischen Richard Descoings und Marc Bloch entscheiden.² Aber eine Neugründung der Schule in diesem Sinne (Zentrierung auf die Kultur und Wiedereinführung des Leistungsanspruchs) würde die Gymnasiasten, die Lehrergewerkschaften und die Elternvereinigungen auf die Straße treiben. Die Unkultur für alle ist eine der demokratischen Errungenschaften, die man nur schwer rückgängig machen können wird.
Alain Badiou – Eine von der Regierung organisierte Diskussion über die „französische Identität kann nur die Suche nach Verwaltungskriterien darüber sein, „wer ein guter Franzose ist und wer nicht
. Die sorgfältigen Juristen der Regierung Pétains³ hatten genau in diesem Sinne gearbeitet! Sie hatten durch leidenschaftslose Wissenschaft gezeigt, dass die Juden und andere Mischlinge keine guten Franzosen sind… Von der Initiative Sarkozys und Bessons⁴ kann und man muss man also sehr beunruhigt sein. Wenn der Staat sich um die Legitimität der Identität Sorgen zu machen beginnt, dann taucht man in die schwärzeste Rückschrittlichkeit ein, die geschichtliche Erfahrung beweist es. Diese Initiative ist also nicht nur dumm und inkohärent, wie man täglich sieht, sondern sie ist auch Teil dessen, was ich den „transzendentalen Pétainismus der Regierung Sarkozy nenne. Sobald die Identität in die Politik und in die Staatsmacht hineingelangt, befindet man sich in einer als neofaschistisch zu bezeichnenden Logik. Denn eine Bestimmung der Bevölkerung nach Identitätsgesichtspunkten stößt sich daran, dass, da jegliche Bevölkerung in der gegenwärtigen Welt zusammengesetzt, heterogen und vielförmig ist, die Identifizierung einzig negativ ausfallen kann. Man wird keineswegs erreichen, zu bestimmen, was die „französische Kultur
ist, eine Einheit, deren Bedeutung sich mir entzieht, sondern man wird nur deutlich mit dem Finger auf jene zeigen, die nicht dazugehören. Es gibt in unserem Land Millionen Menschen, die hier manchmal seit Jahrzehnten leben, die unsere Straßen, unsere Brücken, unsere Häuser gebaut haben, die unter armseligen Bedingungen leben, die das alles für Hungerlöhne gemacht haben, und die von aufeinanderfolgenden Regierungen seit dreißig Jahren mit Gesetzen verfolgt, ausgewiesen, in rechtsfreie Räume eingesperrt, kontrolliert, daran gehindert werden, hier mit ihren Familien zusammenzuleben und so weiter. Man weiß nun im Voraus, dass man diese Leute als jene bezeichnen wird, die nicht wirklich Franzosen sind. Diese politische Vision ist absolut abstoßend und meine Worte sind wohlüberlegt. Andererseits bin ich sehr erstaunt, dass die von Alain Finkielkraut verwendeten Kategorien ganz traditionell reaktionär sind. Das Erbe der Vergangenheit und die Einwilligung, das sind völlig passive Kategorien, deren einzige Logik der Imperativ „Familie und Vaterland ist. Es handelt sich um ein reaktionäres und konservatives Porträt der französischen Identität. Ich übernehme gerne das Erbe Frankreichs, wenn es sich um das Erbe der Französischen Revolution, der Kommune, des Universalismus des 18. Jahrhunderts, der Résistance oder des Mai ’68 handelt. Aber ich lehne dieses Erbe kategorisch ab, wenn es sich um die Restauration, um Versailles⁵, um die kolonialistischen und rassistischen Doktrinen, um Pétain und Sarkozy handelt. Es gibt nicht „ein
französisches Erbe. Es gibt eine konstitutive Spaltung dieses Erbes zwischen dem, was vom Gesichtspunkt eines minimalen Universalismus her annehmbar ist, und dem, was abgelehnt werden muss, weil das in Frankreich eben auf die extreme Barbarei der besitzenden Klassen und auf die Vereinnahmung des Motivs der „nationalen Identität durch eine Oligarchie übler Geschäftemacher, Politiker, Militärs und Medienbediensteter verweist. Man, und namentlich Alain Finkielkraut, spricht immer vom Blut, das den anderen, den „Totalitären
an den Händen klebt. Aber die „nationale Identität hat großartige Beispiele dafür geliefert. Man muss schon früh aufstehen, um ein in jeder Hinsicht ebenso sinnloses wie grauenvolles Gemetzel zu finden wie das von 1914-18. Dieses war nun aber ganz eng mit der nationalen Identität verbunden, diese hatte die Leute mobilisiert. Es ist ganz klar, dass die nationale Identität, die auf eine einmütige Erinnerung und auf eine vererbte und familiäre Einwilligung bezogen wird, nur die Rückkehr zu den ausgeleierten Kategorien der Tradition ist und nur den Krieg vorbereitet, den inneren gegen die „schlechten Franzosen
, den äußeren gegen „die Anderen". Die öffentliche Debatte findet heute zwischen zwei desaströsen Orientierungen statt, zwischen der Einmütigkeit der Warenwelt und der universalen Kommerzialisierung einerseits, und der Verkrampfung auf die Identität, die gegen jene Globalisierung einen reaktionären Schutzwall errichten will, der noch dazu völlig ineffizient ist,